Besucher von Fitnessstudios können die großen Plastikbottiche mit Pulvern zum Anrühren von Getränken, die am Tresen zu kaufen sind, kaum übersehen. Und von Vorlesungen für Sportstudenten hört man, dass sie von Schlürfgeräuschen aus Eiweißshakebechern begleitet werden. Auf dem Weg zu mehr Muskel- und weniger Körperfettmasse seien Eiweißpulver ein Muss, so die Mund-zu-Mund-Propaganda und Belehrungen in einschlägigen Onlineforen.
Stimmt das eigentlich? Für diesen Test haben Wissenschaftler aus der Arbeitsgruppe Sporternährung der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) den aktuellen Forschungsstand ausgewertet. Danach können wir einige der Gerüchte besser einordnen.
Eiweißpulver im Test: Wie nützlich sind die Produkte?
Gerücht Nummer 1: Damit die Muskulatur sich aufbauen kann, braucht sie ausreichend Eiweiß.
Ja, das ist schon lange bekannt und unumstritten. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat mehrere gesundheitsbezogene Werbeaussagen (Health Claims) zugelassen. Danach dürfen Anbieter von Produkten mit hohen Eiweißgehalten auf die Verpackungen schreiben, dass Proteine "zu einer Zunahme der Muskelmasse", "zur Erhaltung von Muskelmasse" und "zur Erhaltung normaler Knochen" beitragen. Dass Eiweiß wichtig für Vorgänge in der Muskulatur und in den Knochen ist, bedeutet aber nicht automatisch, dass es einen guten Grund dafür gibt, es in Pulver-, Riegel- oder Tablettenform einzunehmen. Unsere Lebensmittel enthalten ohnehin viel Eiweiß, nicht nur Fleisch- und Milchprodukte, sondern auch Getreide und Hülsenfrüchte.
Gerücht Nummer 2: Je mehr desto besser.
Nationale Verzehrstudien haben gezeigt, dass die meisten Menschen täglich deutlich mehr Eiweiß aufnehmen, als sie benötigen. Für Leistungssportler wird angenommen, dass sie insgesamt etwas mehr Protein brauchen als Menschen mit normaler körperlicher Aktivität. Doch auch die höheren der für Sportler diskutierten idealen Proteinzufuhren würden von den meisten Athleten ohnehin schon über die Nahrung aufgenommen, fassten die Wissenschaftler Kevin Tipton und Robert Wolfe schon 2004 die Studienlage in einer Übersichtsarbeit zusammen. Wichtiger als auf eine extra hohe Gesamtproteinaufnahme zu achten, seien wahrscheinlich andere Faktoren wie das richtige "Timing" der Proteinaufnahme.
Zu viel Eiweiß kann bei Nierenerkrankung schädlich sein
Gerücht Nummer 3: Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an.
Richtig ist, dass der menschliche Körper über keinen echten Eiweißspeicher verfügt, weshalb er bei akutem Energiemangel unter anderem auf das Eiweiß in der Muskulatur zurückgreift. Das heißt, es wäre in der Theorie nicht sinnvoll, einmal in der Woche einen großen Berg Eiweiß auf Vorrat zu verzehren und ansonsten Nulldiät zu halten. Darüber hinaus gibt es Hinweise aus Studien, dass es für den Aufbau und die Erhaltung von Muskelmasse von Vorteil sein kann, den Körper unmittelbar vor und/oder nach dem Training mit Eiweiß zu versorgen. Diese Studien belegen aber nicht, dass ein Pulver besser funktioniert als normales Essen oder zum Beispiel pure Milch. "Aktuell scheint sich ein Zufuhrrichtwert von 20 bis 25 Gramm Protein unmittelbar nach dem Krafttraining zu etablieren", fasst die Kölner Arbeitsgruppe Sporternährung den Tenor dieser Studien zusammen. Das bieten "normale" Lebensmittel auch.
Gerücht Nummer 4: Zu viel Eiweiß schadet jedenfalls nicht.
Es kommt darauf an. "Viel Eiweiß macht Vollgas in den Nieren", sagt der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, Professor Jan Galle. Ob gesunde Nieren bei dauerhafter sehr hoher Eiweißzufuhr vor Erschöpfung Schaden nehmen können, sei nicht hinreichend erforscht. "Klar ist aber, dass Nierenkranke ihre Nieren dauerhaft schädigen können, wenn sie sich viel Eiweiß zuführen." Da viele Nierenerkrankungen jahrelang unerkannt bleiben, empfiehlt Jan Galle, sich in jedem Fall vom Hausarzt erst einmal auf Spuren von Albumin oder Blut im Urin - erste Hinweise auf eine Nierenerkrankung - untersuchen zu lassen, bevor man anfängt, spezielle Eiweißpräparate einzunehmen.
Neben den Auswirkungen auf die Nierentätigkeit gibt es noch Hinweise auf weitere Gesundheitsrisiken. Experimentelle Nachweise dafür gebe es zwar nicht, schreiben die Deutsche, Österreichische und Schweizer Gesellschaft für Ernährung in ihren D-A-CH-Referenzwerten für Ernährung 2015. Aus Sicherheitsgründen scheine es aber "geraten, die obere Proteinzufuhr, bei der keine unerwünschten Wirkungen zu erwarten sind, für Erwachsene bei 2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag anzusetzen."
Eiweißpulver-Test: Studien zur konkreten Wirksamkeit fehlen
Wir haben 14 Eiweißpulver für Sportler eingekauft und die Anbieter gebeten, uns Studien zu schicken, die die beworbenen Wirkungen belegen. Außerdem haben wir die Produkte in umfangreiche Laboranalysen geschickt, um festzustellen, wie es um die Qualität und "Sauberkeit" der Zutaten bestellt ist.
Das Testergebnis: Eine schwache wissenschaftliche Studienlage, eine Reihe von bedenklichen oder umstrittenen Inhaltsstoffen: Vieles spricht dafür, sich doch einfach auf nicht pulverisierte, normale Lebensmittel zu verlassen. Zwölf von vierzehn Marken fliegen mit "mangelhaft" und "ungenügend" aus dem Rennen.
Kein Anbieter legte uns Studien zur konkreten Wirksamkeit des von uns getesteten Produkts vor. Einige Hersteller verwiesen auf die von der EFSA genehmigten Health Claims in Bezug auf Eiweiß sowie Vitamine und Mineralstoffe. Ein Anbieter schickte außerdem Links zu Studien, in denen es unter anderem um die Qualität unterschiedlicher Eiweißquellen im Vergleich ging.
Ein weiterer Anbieter verlinkte auf Studien zur Wirkung von Protein über Nacht beziehungsweise nach dem Training und zur Bedeutung für Ausdauerathleten. Beweise für einen grundsätzlichen Vorteil der Pulver gegenüber eiweißreichen, nicht pulverisierten Lebensmitteln sind das nicht.
Hohe Mengenempfehlungen sind ein Problem
Viele Anbieter orientieren sich bei ihren Dosiervorgaben offenbar nicht am Stand der Forschung beziehungsweise den Empfehlungen der Gesellschaften für Ernährung. Als "auffällig hohen Mengenempfehlungen" werten wir, wenn eine 60-kg-Person durch die höchste tägliche Dosierempfehlung auf der Produktverpackung mehr als 1,2 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht aufnimmt. Zusammen mit dem Eiweiß aus der sonstigen Nahrung wird hier die empfohlene obere Proteinzufuhr von 2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überschritten.
Die Gutachter von der Sporthochschule Köln weisen noch auf ein weiteres Problem der hohen Mengenempfehlungen hin: "Insbesondere sollte berücksichtigt werden, dass es einhergehend mit der Einnahme der Shakes zu einer zusätzlichen Energieaufnahme kommt, die den täglichen Energiebedarf übersteigen kann." Heißt: Wer seine normale Ernährung noch kräftig mit Eiweißshakes aufstockt, darf mit Zuwächsen im Bereich der Speckrollen rechnen.
Chlorat in Eiweißpulvern im Test
Nur auf einem Produkt im Test konnten wir den in diesem Zusammenhang sinnvollen Hinweis finden, dass es sich an Spitzensportler richtet. Ein weiteres Produkt wird dagegen online gleich als "geeignet für alle Genuss- und Sportliebhaber" bezeichnet.
In drei Pulvern wurde Chlorat in Gehalten nachgewiesen, die wir mit Blick auf die höchsten täglichen Mengenempfehlungen laut Anbieter abwerten. Orientiert haben wir uns dabei an der tolerierbaren täglich Aufnahmemenge (TDI) für Chlorat, die erst im Juni 2015 von der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) festgelegt wurde. Chlorat kann die Jodaufnahme der Schilddrüse vorübergehend hemmen und die roten Blutkörperchen schädigen.
Benzalkoniumchloride (BAC) in Lebensmitteln deuten auf die Verwendung von bestimmten Reinigungsmitteln in der Produktion hin. Geringe Rückstände stellen laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wahrscheinlich kein Gesundheitsrisiko dar. Was die Stoffe im Körper eines Menschen allerdings genau bewirken, darüber gibt es noch Unklarheiten. Die getesteten Eiweißpulver von zwei Marken werden von uns daher aufgrund ihrer leicht erhöhten BAC-Gehalte abgewertet.
Minuspunkte für den Zusatz von Aroma
Neun Produkte sind mit Vitaminen angereichert. Das ist bestenfalls unsinnig, denn eine Unterversorgung mit Vitaminen ist hierzulande schlicht die Ausnahme. Wer aber Vitaminpillen und dann auch noch zusätzlich angereicherte Lebensmittel isst, kann auf gesundheitlich bedenkliche Dosen bestimmter Vitamine kommen. Ein Pulver im Test enthält auch noch Zusätze von Selen, Eisen, Jod, Mangan, Kupfer und Zink. Damit sollten Lebensmittel laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vorsichtshalber nicht angereichert werden (Ausnahme: Jod in Salz).
Ein richtig gutes Lebensmittel besteht aus Zutaten, die für sich gut schmecken. Auch für den Zusatz von Aroma und/oder künstlichen Süßstoffen gibt es daher eine Note Abzug.
Zu allem Überfluss wurde noch in allen vier sojaproteinhaltigen Produkten Erbsubstanz der gentechnisch veränderten Sorte Roundup Ready Soy festgestellt. Auf einen gezielten Einsatz gentechnisch veränderter Zutaten weisen die Laborergebnisse aber nicht hin. Der Schwellenwert von 0,9 Prozent, ab dem auf der Verpackung auf gentechnisch veränderte Organismen (GVO) im Produkt hingewiesen werden müsste, wird bei allen betroffenen Produkten weit unterschritten.