Aktualisiert am 19.01.2017 | "Reisekrankheit zeigt sich anfänglich durch Schweißausbrüche und ein flaues, zittriges Gefühl, aus dem schnell Übelkeit bis zum Erbrechen wird", weiß Professor Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM Centrum für Reisemedizin in Düsseldorf. Hinzu kommen Schlappheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen und verzögertes Reaktionsvermögen.
Reisekrankheit, auch Kinetose genannt, bedeutet Chaos im Kopf: "Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr und weitere Rezeptoren signalisieren dem Gehirn, dass etwas schwankt und sich der Boden bewegt. Die Augen melden aber, dass sich gar nichts tut. Die Informationen verschiedener Sensoren widersprechen sich. Das Gehirn zieht dann die Notbremse und es wird einem schlecht."
Denn eigentlich, so Jelinek, gehe das Hirn davon aus, dass sich die Sinnessignale decken. Nur so könne es die eigene Fortbewegung im Raum verlässlich steuern.
Wie wirksam und gesund sind rezeptfreie Arzneien gegen Reisekrankheit tatsächlich? Wir haben 20 überprüft.
Mittel gegen Reisekrankheit im Test: Das Fazit
Drei Präparate gegen Reisekrankheit haben ihren Platz in der Reiseapotheke mit "gut" verdient. Darunter zwei mit synthetischem und eine Arznei mit natürlichem Wirkstoff. 15 Arzneien schneiden immerhin mit "befriedigend" ab. Zwei Lutschtabletten sind ihr Geld nicht wert: "mangelhaft".
Auf welchen Wirkstoffen basieren Mittel gegen Reisekrankheit?
Gegen milde Formen der Reisekrankheit haben sich Arzneien mit Dimenhydrinat und Diphenhydramin bewährt. Die Antihistaminika seien seit Jahrzehnten von therapeutischem Nutzen, erklärt unser Gutachter Professor Manfred Schubert-Zsilavecz vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Goethe-Universität Frankfurt.
Sie heben die Wirkung des Botenstoffs Histamin im zentralen Nervensystem auf, der Erbrechen auslösen kann. Eine klinische Übersichtsstudie aus dem Jahr 2011 beschreibt sie als wichtige Mittel zur Selbstmedikation gegen Kinetose.
Antihistaminika können müde und träge machen
Auch das Auswärtige Amt rät auf Reisen zu den Wirkstoffen. Sie besitzen allerdings überdosiert erhebliche Nebenwirkungen. Diphenhydramin macht bereits in üblichen Dosen merklich müde und träge. Daher können wir die Tabletten und Kinderzäpfchen eines Produktes im Test nur eingeschränkt empfehlen.
Hinterm Ruder oder Steuer sind sie tabu. Dies gilt auch für die 15 getesteten Präparate mit Dimenhydrinat. Der Stoff ist eine Kombination aus Diphenhydramin mit 8-Chlortheophyllin. Der Zusatz soll den müde machenden Effekt eigentlich aufheben, versagt aber in der Praxis.
Allein in Kaugummis, das legen erste Studien nahe, wirkt der Kombinationswirkstoff offenbar weniger ermüdend. Dimenhydrinat besitzt daher keinen überzeugenden Vorteil gegenüber Diphenhydramin. Sein Zusatzstoff erhöht aber das Nebenwirkungsrisiko.
Hilft Ingwer gegen Reisekrankheit?
Auch Ingwer kann gegen leichte Reiseübelkeit helfen. Nicht ohne Grund schwören Seeleute seit Jahrhunderten auf die Heilpflanze. Unserem Gutachter Schubert-Zsilavecz zufolge belegen ihren Nutzen auch viele klinische Einzelstudien. Der Extrakt aus ihrem Wurzelstock unterdrückt offenbar Brechreiz und Unwohlsein direkt im Magen-Darm-Trakt.
Die Wissenschaft diskutiert ihn jedoch kontrovers. Übersichtsarbeiten der Uni Freiburg von 2005 und neuseeländischer Forscher von 2014 urteilen etwa, dass Ingwer in klinisch relevanten Mengen unterwegs nicht gegen Schwindel und Übelkeit hilft.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur kam indes 2012 zur Einschätzung: Dosierungen von 500 bis 1.000 Milligramm zeigen einen geringen, aber klinisch relevanten Effekt. Daher ziehen wir einem als Arznei zugelassenem Präparat in unserem Test eine Note ab. Denn die Kapseln helfen nicht völlig zweifelsfrei.
Gutachter Schubert-Zsilavecz rät von zwei Ingwer-Lutschtabletten gänzlich ab. Woraus der Ingwerextrakt in den Pastillen bestehe, sei unklar. Zudem enthielten sie im Vergleich zu klinisch geprüften Arzneien deutlich zu niedrig dosierte Mengen.
Kritik an Farbstoffen in einem Mittel gegen Reisekrankheit im Test
Ein Hersteller peppt seine Dragees mit Gelborange S, Ponceau 4R und Azorubin auf. Die roten und gelben Farbstoffe lassen die Pillen rosa glänzen, können aber auch allergische Reaktionen auslösen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte schreibt daher Warnhinweise vor. Die Farbstoffe sind aus unserer Sicht verzichtbar.
19 Anbieter im Test pressen ihre Produkte in Folienträger, die chlorierte Verbindungen enthalten, wie das von uns beauftragte Labor nachwies. Chlorierte Verbindungen belasten die Umwelt bei der Herstellung und Entsorgung, wir werten sie daher ab.
Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST Magazin Juni 2016 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Jahrbuch Kleinkinder 2017 sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.
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