Immer wieder stehen Lebensmittel in den Schlagzeilen, weil sie mit Tropanalkaloiden belastet sind. Erst im Juli 2022 startete deshalb Alnatura einen Maischips-Rückruf. Nur wenig später zog auch Rossman gleich zwei Sorten Tortilla-Chips aus dem Verkehr.
Aber was hat es mit diesen Stoffen auf sich und wie gefährlich sind sie wirklich?
Tropanalkaloide stecken in Unkräutern
"Bei Tropanalkaloiden handelt es sich um natürliche Pflanzenstoffe. Sie werden von verschiedenen Pflanzen als Fraßschutz gebildet", erklärt Johanna Michl, ÖKO-TEST-Projektleiterin und Lebensmittelchemikerin. Vor allem Nachtschattengewächse wie das Bilsenkraut, der Stechapfel und die Tollkirsche wehren Fressfeinde wie Insekten mit den Tropanalkaloiden ab.
Das Problem: Die Pflanzen, die diese giftigen Stoffe bilden, wachsen auch als Unkraut auf Äckern wie Getreidefeldern. Bei der Ernte können Pflanzenteile versehentlich mitgeerntet werden. Das lässt sich nämlich manchmal schlecht verhindern, wenn sie ähnlich groß sind wie die Getreidekörner. "Im schlimmsten Fall können diese Verbindungen sogar eine ganze Charge Getreide kontaminieren."
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt deshalb den Herstellern schon seit Jahren, den Eintrag der giftigen Pflanzenteile schon auf dem Feld zu vermeiden und bei der Verarbeitung stärker dafür zu sorgen, dass Verunreinigungen entfernt werden, etwa durch zusätzliche Reinigungsschritte.
Zu den häufig verzehrten Lebensmitteln, die mit Tropanalkaloiden belastet sein können, zählen zum Beispiel Tee, Brot, Müslimischungen, Popcorn und Maischips. ÖKO-TEST ist zuletzt in Kräutertees sowie in glutenfreien Lebensmitteln auf diese Substanzen gestoßen.
Tropanalkaloide sind sehr giftig
Tropanalkaloide sind hochgiftig. Bereits in niedriger Dosierung beeinflussen sie die Herzfrequenz und das zentrale Nervensystem. "Innerhalb von fünf bis 30 Minuten können sie Vergiftungserscheinungen auslösen", betont Johanna Michl.
Zu den milden Symptomen zählen etwa Pupillenerweiterung, Hautrockenheit, Hautrötungen und Trockenheit der Schleimhäute. In größeren Konzentrationen können die Pflanzengifte aber auch zu Benommenheit, Herzklopfen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Sehstörungen und Halluzinationen führen. Vor allem Kleinkinder und Menschen mit Herzproblemen sind durch hohe Tropanalkaloidgehalte gefährdet.
Neue Grenzwerte für Tropanalkaloide
Da ist es eine gute Nachricht, dass ab 1. September 2022 neue Grenzwerte für Tropanalkaloide in bestimmten Lebensmitteln eingehalten werden müssen. Konkret gelten diese für Millet- und Sorghumhirse, Mais, Buchweizen und Kräutertee.
Die Grenzwerte beziehen sich auf die Gehalte von Atropin und Scopolamin. Diese beiden Tropanalkaloide sind nicht nur besonders toxisch: Sie sind auch in der mehr als 200 Verbindungen umfassenden Stoffgruppe am besten erforscht. Deshalb werden ihre Gehalte bei der Risikobewertung von Tropanalkaloiden in Lebensmitteln herangezogen.
Hier ein Auszug der neuen Höchstgehalte, die für den Gesamtgehalt an Atropin und Scopolamin gelten:
- Unverarbeitete Millethirse und Sorghumhirse: 5,0 Mikrogramm pro Kilogramm
- Unverarbeiteter Mais: 15 Mikrogramm pro Kilogramm / Ausnahmen: unverarbeiteter Popcorn-Mais und unverarbeiteter Mais, der zur Verarbeitung durch Nassmahlen bestimmt ist
- Popcorn-Mais: 5 Mikrogramm pro Kilogramm
- Unverarbeiteter Buchweizen: 10 Mikrogramm pro Kilogramm
- Kräutertees (getrocknetes Erzeugnis), ausgenommen solche mit Anissamen: 25 Mikrogramm pro Kilogramm
- Kräutertees (getrocknetes Erzeugnis) von Anissamen: 50 Mikrogramm pro Kilogramm
- Kräutertees (flüssig): 0,20 Mikrogramm pro Kilogramm
Alle Grenzwerte finden Sie hier in der Verordnung (EU) 2021/1408 vom 27. August 2021.
Die Produkte, in denen diese Grenzwerte überschritten werden, verschwinden allerdings nicht sofort aus dem Handel. Denn: Lebensmittel, die vor dem 1. September 2022 rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, dürfen bis zum Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum weiter vermarktet werden.
Grenzwert für Getreidebeikost seit 2016
Ein gesetzlicher Grenzwert für Tropanalkaloide trat auf EU-Ebene erstmals im März 2016 in Kraft – und zwar für Getreidebrei und andere Beikost, die Hirse, Sorghum, Buchweizen oder daraus gewonnene Erzeugnisse enthält. Dieser beträgt für Atropin und Scopolamin jeweils 1 Mikrogramm pro Kilogramm. Seit September 2021 gelten diese Werte auch für maishaltige Beikost.
Zuvor hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Jahr 2013 eine akute Referenzdosis abgeleitet, der bei der Risikobewertung von Tropanalkaloiden nach wie vor zur Orientierung dient. Diese liegt für die Summe von Atropin und Scopolamin bei 0,016 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht.
Auch ÖKO-TEST hatte sich bei der Bewertung an diesem Referenzwert orientiert. "Aber gerade Kleinkinder, die viel getreidehaltige Beikost essen, können recht schnell über diesen Referenzwert kommen", erläutert ÖKO-TEST-Projektleiterin Johanna Michl. Aus diesem Grund wurde schließlich 2016 der erste gesetzliche Grenzwert für Tropanalkaloide festgelegt, der jetzt im September 2022 um weitere Höchstgehalte ergänzt wurde.
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