Biologisch abbaubare Kaffeekapseln, angeblich plastikfrei verpackte Proteinriegel und Fleisch mit falschen CO2-Zertifikaten: Die Verbraucherorganisation foodwatch suchte aus insgesamt fünf Finalisten die dreisteste Werbelüge des Jahres, den "Goldenen Windbeutel". Die Verbraucher haben abgestimmt: Der Negativpreis geht dieses Jahr an Rewe.
Goldener Windbeutel 2021: Hähnchenbrustfilet von Rewe ist "Sieger"
Rund 28 Prozent der mehr als 63.000 Teilnehmer wählten das als klimaneutral beworbene Hähnchenbrustfilet der Rewe-Eigenmarke Wilhelm Brandenburg zur dreistesten Werbelüge des Jahres.
Der Vorwurf von foodwatch: Rewe rechnet Fleisch klimaneutral, indem es falsche CO2-Zertifikate nutze und suggeriere den Eindruck, die Hähnchenfleischproduktion sei nicht schädlich für das Klima. Doch das Fleisch werde weder emissionsfrei hergestellt, noch die Emissionen korrekt ausgeglichen.
"Die Eigenmarke 'Wilhelm Brandenburg' wird so zur Klimalüge. Zum Ausgleich von Emissionen soll Wald geschützt werden – stattdessen werden im Projektgebiet in Peru Bäume zerstört", stellten die Verbraucherschützer fest.
Foodwatch hatte eine Recherche in Auftrag gegeben, die zu folgendem Ergebnis kommt: Das Tambopata-Projekt in Peru zum Ausgleich der CO2-Emissionen schützt den dortigen Wald und damit auch das Klima nicht. Das Projekt erfüllt nicht die grundlegenden Anforderungen an Kompensationsprojekte und schafft keinen zusätzlichen Nutzen für das Klima. Es hätten folglich keine CO2-Zertifikate ausgeben dürfen. Deshalb sei die Aussage 'Klimaneutral' falsch und irreführend.
So reagiert Rewe auf den Schmähpreis
Rewe hat die Kritik zurückgewiesen und beruft sich auf das Beratungsunternehmen ClimatePartner, mit dem der Lebensmittelhändler zum Ausgleich seiner CO2-Emissionen zusammenarbeitet. ClimatePartner unterzog die Aussagen von foodwatch einem Faktencheck und kam zu dem Schluss, dass wesentliche Aussagen des foodwatch-Berichts auf methodischen Fehlern basierten. So hätte foodwatch ein falsches Projektgebiet des Tambopata-Waldschutzprojekts in Peru analysiert sowie eine falsche Datengrundlage verwendet.
Die Verbraucherorganisation lässt diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen und entgegnet: ClimatePartner werfe ihr methodische Fehler vor, ohne wichtige Quellen und Berechnungen transparent zu machen. Zudem bestätige ein wissenschaftliches Gutachten des unabhängigen Öko-Instituts die Stichhaltigkeit wesentlicher Kritikpunkte von foodwatch am Tambopata-Projekt.
Manuel Wiemann von foodwatch erklärte bei der Vergabe des Goldenen Windbeutels: "Der Ausgleich eigener Emissionen über den Kauf von C02-Zertifikaten ist ein moderner Ablasshandel, mit dem Unternehmen ruckzuck auf dem Papier "klimaneutral" werden können – ohne selbst ernsthaft etwas für mehr Klimaschutz tun zu müssen."
Das waren die weiteren Kandidaten für den Goldenen Windbeutel 2021
Platz 2: Volvic Natürliches Mineralwasser von Danone
Knapp hinter dem Hähnchenbrustfilet von Rewe landet Danone mit einem Volvic-Wasser auf Platz 2 der "dreistesten Werbelüge des Jahres": Auf der Flasche des Volvic-Mineralwassers ist ein "Klimaneutral zertifiziert"-Label. Auf seiner Webseite verspricht das Unternehmen: "Der Schutz unserer Umwelt ist (…) schon immer das Herzstück unserer DNA."
Dabei sei das Wasser alles andere als vorbildlich, kritisiert foodwatch. Die Flaschen werden größtenteils per Lkw aus Frankreich nach Deutschland transportiert. Aber: Einweg-Plastik-Flaschen schaden der Umwelt stärker als Mehrwegflaschen. Und im Vergleich zu Leitungswasser emittiert das Volvic-Wasser ein Vielfaches mehr an CO2.
Das Umweltbundesamt urteilt: "Mehrwegflaschen aus der Region sind die umweltfreundlichsten Getränkeverpackungen".
Platz 3: Mövenpick Green Cap Kaffeekapseln von J.J. Darboven
"Kompostierbar" und "biologisch abbaubar" sollen die Mövenpick-Kaffeekapseln von J.J. Darboven sein. "Tatsächlich sind die 'Green Caps' alles andere als umweltfreundlich: Abfallunternehmen können sie weder recyceln noch kompostieren – sondern müssen sie verbrennen", so die Kritik von foodwatch.
Tatsache sei, so die Verbraucherschützer, dass 95 Prozent der abfallverarbeitenden Unternehmen in Deutschland kein "kompostierbares" Plastik verwerten könnten. Das angeblich kompostierbare Plastik wird, bis auf wenige Ausnahmefälle, vor der Kompostierung heraussortiert und verbrannt – und hat damit keine bessere Umweltbilanz als gewöhnliches Plastik.
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Platz 4: Katjes Wunderland Fruchtgummis
"Ausgerechnet bei einer Süßigkeit mit 60 Prozent Zuckeranteil tut Katjes so, als sei sie gesund. Die als 'Wunderland' getarnte Zuckerbombe enthält zugesetzte Vitamine – für ein vermeintlich 'besseres Naschen'", kritisiert foodwatch. Dadurch verleite Katjes zum Süßigkeiten-Konsum und verschleiere den hohen Zuckergehalt, der sogar 30 Prozent höher sei als bei Haribo Goldbären. Auf seiner Instagram-Seite vermarktet Katjes die Süßigkeit als gesund: "Wer hätte gedacht, dass Naschen so vitaminreich sein kann?"
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Platz 5: Clean Protein Bar von Naturally Pam by Pamela Reif
Die Fitness-Influencerin Pamela Reif bewirbt die Verpackung ihres Proteinriegels als plastikfrei, biologisch abbaubar und umweltfreundlicher als konventionelles Plastik. Das Urteil von foodwatch: "Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine Plastik-Folie, die weder kompostiert noch recycelt wird, sondern als Plastikmüll in der Müllverbrennung landet. Auch in der Natur würde die Folie – wenn überhaupt – nur sehr langsam abgebaut."
So reagierten die Unternehmen
Gegenüber Spiegel Online nahmen Danone, Darboven, Naturally Pam sowie Rewe zur Kritik von foodwatch Stellung. Katjes äußerte sich nicht.
Danone gab an, dass Einwegflaschen aus recyceltem PET für lange Transportwege die ökologisch sinnvollste Verpackung seien. Volvic gab gegenüber Öko-Test an, die Kritik von Verbraucherinnen und Verbrauchern sehr ernst zu nehmen. Die erhobenen Vorwürfe könne man aber nicht nachvollziehen, da für Volvic die ökologisch sinnvollste Verpackung verwende, eine zu 100 Prozent recycelbare PET-Einwegpfandflasche, die zu 100 Prozent aus Altplastik (ausgenommen Deckel und Etikett) besteht.
Genau hier liege jedoch der Hund begraben, so foodwatch: Wasser, das über lange Transportwege nach Deutschland gekarrt würde, als besonders klimafreundlich darzustellen, sei eine dreiste Klimalüge.
Darboven bezeichnete die "aktuelle Situation der Entsorgungswege" als unbefriedigend. Das Unternehmen arbeite an einer "anderen Lösung" für das erste Halbjahr 2022. foodwatch stellt dazu fest: Kaffeekapseln sind und bleiben eine unnötige Verschwendung von Ressourcen. Selbst bei erfolgreicher Zersetzung werde kein hochwertiger Kompost gebildet.
Auch Naturally Pam bezieht sich auf die Abfallwirtschaft: Diese liefere noch nicht die nötigen Bedingungen, dass die Verpackungsfolie des Proteinriegels richtig kompostiert werden kann. Das Problem seien jedoch nicht die Abfallunternehmen, sondern die Verpackung, kommentierte foodwatch. Aufwendig hergestellte Plastik-Verpackungen sollten recycelt und wieder verwendet werden, statt kompostiert oder verbrannt.
foodwatch kämpft gegen Etikettenschwindel
Foodwatch möchte mit der Wahl zum "Goldenen Windbeutel" auf den "Etikettenschwindel im Lebensmittelmarkt" aufmerksam machen. "Klimakrise, Abholzung und Plastik-Müllberge: Unsere Ernährungsweise hat ihren Anteil an den riesigen Problemen, vor denen wir heutzutage stehen. Aus dem Bedürfnis von Verbraucher:innen nach mehr Nachhaltigkeit will die Lebensmittelindustrie jetzt Kasse machen und vermarktet ihre Produkte als Rettung für Umwelt und Klima.", erklärte Manuel Wiemann von foodwatch, Wahlleiter für den Goldenen Windbeutel. "Klima- und Umweltwerbung auf unökologischen Produkten muss gestoppt werden!"
Im letzten Jahr gewann Hochland den Goldenen Windbeutel, 2019 ging der Preis an die "Kinder-Tomatensauce" des Bio-Herstellers Zwergenwiese.
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