EU-Parlament will Regeln für Gentechnik lockern

Autor: Redaktion (lw) | Kategorie: Essen und Trinken | 07.02.2024

EU-Parlament weicht Regeln für Gentechnik auf
Foto: Shutterstock/Melanie Vollmert

Das EU-Parlament will die Regulierung und den Einsatz neuer Gentechniken (NGT) in der Landwirtschaft erleichtern. Viele gentechnisch veränderte Pflanzen sollen konventionellen Pflanzen damit zukünftig fast gleichgestellt werden. Auch Risikobewertungen würden wegfallen. Umwelt- und Verbraucherschützer zeigen sich besorgt.

Das EU-Parlament hat sich heute mit einer leichten Mehrheit (307 zu 263 Stimmen bei 41 Enthaltungen) dafür ausgesprochen, den Anbau und die Vermarktung zahlreicher sogenannter NGT-Pflanzen zu vereinfachen. Der Begriff "NGT" steht für "new genomic techniques", zu Deutsch: neue Gentechniken.

Zu den NGT-Verfahren gehört unter anderem die CRISPR-Technologie, die als "Genschere" bekannt ist. Die neuen Gentechniken greifen direkt in die DNA der Pflanze ein. Bei früheren gentechnischen Verfahren wurden hingegen fremde Gene in einen Organismus eingebracht, um bestimmte Effekte zu erzielen. NGT-Techniken gelten deshalb als präziser als ältere gentechnische Veränderungen.

NGT-Produkte sind außerhalb der EU bereits auf dem Markt oder sollen dort bald zugelassen werden, beispielsweise gentechnisch veränderte Bananen, die nicht braun werden. 

Noch unterliegt Gentechnik strengen Auflagen

Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die im Vorfeld ein Gutachten erstellt hatte, handelt es sich bei den neueren NGT-Verfahren um "Züchtungstechniken auf molekularer Ebene, mit denen das genetische Material eines Organismus verändert werden kann, und die seit der Verabschiedung der GVO-Rechtsvorschriften der EU im Jahr 2001 entwickelt wurden." Mit GVO sind gentechnisch veränderte Organismen gemeint.

2001 wurde dazu von der EU die sogenannte Freisetzungsrichtlinie verabschiedet, die regelt, dass das absichtliche Freisetzen oder Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen, also GVOs, keine schädlichen Auswirkungen auf Menschen oder Umwelt haben darf. Der Knackpunkt: Derzeit unterliegen auch alle Pflanzen, die mithilfe neuerer NGT-Verfahren wie der Genschere erzeugt oder verändert wurden, der erwähnten Freisetzungsrichtlinie, die etwa verpflichtende Umweltrisikoanalysen vorsieht.

Gen-Pflanzen sollen fast gleichbehandelt werden

Das will das EU-Parlament mit seinem heutigen Votum zumindest teilweise ändern: Zahlreiche Gen-Pflanzen und daraus hergestellte Lebensmittel, die nach 2001 mit NGT-Verfahren wie CRISPR erzeugt wurden, sollen zukünftig keiner gesonderten Risikoprüfung mehr unterzogen werden, wie das Parlament heute beschlossen hat. Sollte das Gesetz unverändert in Kraft treten, würden damit viele NGT-Pflanzen konventionellen Pflanzen so gut wie gleichgestellt.

Zukünftig soll es nach dem Willen der Abgeordneten zwei verschiedene Kategorien und zwei separate Regelwerke für gentechnisch veränderte NGT-Pflanzen geben. Die Eingruppierung in NGT 1 oder NGT 2 beruht darauf, wie viele Basenpaare innerhalb der DNA der Pflanze jeweils geändert wurden. Vorgesehen sind:

  • NGT-Pflanzen der Klasse NGT 1 (maximal 20 DNA-Änderungen) sollen konventionellen Pflanzen gleichgestellt und damit von den Auflagen der GVO-Gesetzgebung ausgenommen werden. Zudem soll eine öffentliche Online-Liste aller NGT-1-Pflanzen eingerichtet werden.
    Das Argument dahinter: NGT-1-Pflanzen könnten, was ihr Genmaterial betrifft, theoretisch auch herkömmlich gezüchtet worden oder durch zufällige Mutationen unter natürlichen Bedingungen entstanden sein.
  • Gen-Pflanzen der Klasse NGT 2 (über 20 DNA-Änderungen) müssten weiterhin strengere Anforderungen erfüllen.
    Für NGT-2-Pflanzen soll die existierende GVO-Gesetzgebung weitgehend beibehalten werden, so das Parlament, einschließlich des bestehenden Zulassungsverfahrens und einer obligatorischen Kennzeichnung der Produkte.
  • Im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission will das Parlament aber, dass alle Produkte aus Gentechnik künftig im Supermarkt gekennzeichnet werden müssen – auch wenn sie mit modernen Gentechnikmethoden gezüchtet wurden.
  • In der Bio-Landwirtschaft sollen NGT-Pflanzen, egal welcher Klasse, weiterhin verboten bleiben.
  • Die Abgeordneten sprachen sich zudem für ein vollständiges Verbot von Patenten auf jegliche Pflanzen, jegliches Pflanzenmaterial sowie auf Teile davon aus, wenn diese mit sogenannter neuer Gentechnik gezüchtet wurden.

Im Parlament stimmen die konservativen und liberalen Parteien mehrheitlich für den entsprechenden Kommissionsvorschlag, die Grünen mehrheitlich dagegen. Der Stimmen der Sozialdemokraten waren geteilt.

Das EU-Parlament verfolgt mit seiner heutigen Entscheidung nach eigenen Aussagen das Ziel, die europäische Lebensmittelversorgung insgesamt nachhaltiger auszurichten und widerstandsfähiger zu machen.

Die genetisch verbesserten Pflanzensorten sollen klima- und schädlingsresistenter sein als konventionelle Pflanzen, zudem höhere Erträge liefern oder weniger Düngemittel und Pestizide benötigen.

Kritik von Verbraucher- und Umweltverbänden

Die Verbraucherzentralen hatten im Vorfeld der Abstimmung Bedenken bezüglich einer Kennzeichnung geäußert. "Der Gesetzentwurf ignoriert den Wunsch der Verbraucher:innen nach Transparenz und Wahlfreiheit bei gentechnisch veränderten Produkten", so Michaela Schröder, Geschäftsbereichsleiterin beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).

Auf der Plattform "X" schrieb die Verbraucherzentrale nach der EU-Entscheidung: "Das EU-Parlament hat sich für eine Kennzeichnung von Pflanzen ausgesprochen, die mit neuer #Gentechnik erzeugt werden. Das Wahlrecht für Verbraucher:innen bleibt. Nun muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass auch die Risikobewertung folgt."

Europaabgeordnete der Grünen und der SPD kritisierten die Entscheidung. Sie sprechen etwa von potenziellen Risiken für die Umwelt. "Mit den verabschiedeten Vorschlägen käme ein Großteil der genmanipulierten und potentiell umweltschädlichen Pflanzen bald ohne Risikoprüfung auf die Teller der Verbraucherinnen und Verbraucher", schrieb etwa SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl.

Bio-Landwirte beklagen, dass sie unverhältnismäßig belastet werden, da sie sich etwa dagegen schützen müssten, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen von anderen Feldern ungewollt auf ihrem Land verbreiten. 

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) hatte den Gesetzesentwurf der EU-Kommission bereits im Sommer 2023 als "Lobbystreich" bezeichnet. Die geplante Einordnung der NGT-Pflanzen in zwei Kategorien, für die unterschiedliche Vorschriften gelten sollen, hält der BUND für "wissenschaftlich nicht nachvollziehbar".

Finale Entscheidung steht noch aus

Noch ist nichts endgültig beschlossen. Bevor die neuen, laxeren Gentechnik-Regeln beschlossen werden können, müssen sie noch mit den EU-Staaten ausgehandelt werden. Es ist unrealistisch, dass es vor der Europawahl im Juni 2024 ein Ergebnis geben wird; auch weil sich die EU-Staaten bisher nicht auf eine Position geeinigt haben. Das umstrittene Vorhaben müsste nach Abschluss der Verhandlungen zudem nochmals eine Mehrheit im Parlament finden.

Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) teilte am Abend mit, dass es am Mittwoch in Brüssel keine Mehrheit für eine Position der EU-Staaten gab. "Es liegt noch kein tragfähiger Vorschlag vor, der den Interessen von Landwirtschaft, Verbraucherinnen und Verbrauchern und Lebensmittelwirtschaft gerecht wird", so der Minister. Es müssten noch zentrale Fragen geklärt werden, Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit.  

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