Die Missstände auf Kakaoplantagen, vor allem in Westafrika, sind seit mindestens zwanzig Jahren bekannt. Damals, im Jahr 2000, schockierte ein Fernsehbericht der BBC die Welt. Die Journalisten hatten den Handel mit Kindern aus Burkina Faso, Mali und Togo aufgedeckt. Menschenhändler hatten die Mädchen und Jungen als Sklaven für den Kakaoanbau in die Elfenbeinküste verkauft. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen kamen 71 Prozent aller Kakaobohnen im Jahr 2018 aus Afrika – und nur noch 16 Prozent aus Südamerika.
Den Bildern folgten Presseberichte, Nichtregierungsorganisationen nahmen Stellung. Die European Cocoa Association, der Verbund der großen europäischen Kakaohändler, nannte die Anschuldigungen falsch und übertrieben. Die Industrie sagte, was die Industrie in solchen Fällen häufig sagt: Die Berichte seien nicht repräsentativ für alle Anbaugebiete. Als ob das etwas ändert.
Dann reagierte die Politik. In den USA wurde ein Gesetz vorgeschlagen, um die Versklavung von Kindern und missbräuchliche Kinderarbeit im Kakaoanbau zu bekämpfen. Es wäre ein scharfes Schwert im Kampf gegen Kindersklaven gewesen. Wäre. Umfangreiche Lobbyarbeit der Kakao- und Schokoladenindustrie kippte den Entwurf.
Fair-Trade-Schokolade – ohne Kinderarbeit
Was blieb, war eine weiche, freiwillige und rechtlich nicht bindende Vereinbarung, das sogenannte Harkin-Engel-Protokoll. Es wurde 2001 von US-Schokoladenherstellern und Vertretern der World Cocoa Foundation – einer Stiftung, die von den größten Unternehmen der Branche getragen wird – unterschrieben. Die Unterzeichner verpflichteten sich darin, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit – wie Sklaverei, Zwangsarbeit und Arbeit, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral schadet – in der Kakaoindustrie zu beenden.
Es geschah: kaum etwas. Die Zeit des Aufschiebens begann. Bis heute arbeiten Kinder in der Schokoladenindustrie. Sie sind ein Sinnbild geworden für den unfairen Handel der Kakaoindustrie. 2010 zeigte der dänische Dokumentarfilm "The Dark Side Of Chocolate" (deutsch: "Schmutzige Schokolade"), dass das Harkin-Engel-Protokoll quasi wirkungslos blieb.
Eine Studie der Tulane University aus dem Jahr 2015 ergab, dass die Zahl der Kinder, die in den Kakao-Plantagen arbeiten, stark gestiegen ist. In den Hauptanbaugebieten in Ghana und der Elfenbeinküste arbeiten rund 2,26 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren in der Kakaoproduktion – zum größten Teil unter gefährlichen Bedingungen.
Und oft keineswegs, um ihre Familien zu unterstützen: Menschenrechtsorganisationen weisen seit Jahren darauf hin, dass viele Kinder, die in der Kakaoproduktion arbeiten, mit hoher Wahrscheinlichkeit Opfer von Menschenhandel und Sklaverei sind.
Fairer Kakao: Gerechte Bezahlung statt Kinderarbeit
Doch die Wirklichkeit ist kompliziert. Tatsächlich würde ein Rückgang der Kinderarbeit auf Kakaoplantagen nicht helfen, das Problem um unfair gehandelte Schokolade zu lösen. Im Gegenteil: Er könnte die Armut der Kleinbauern sogar verschärfen.
Das zeigte 2009 die Studie "Die dunklen Seiten der Schokolade" des Forschungsinstituts Südwind. Ihr Autor, Friedel Hütz-Adams, erklärt den Grund: Nachdem mehrere Lebensmittelkonzerne ihre Lieferanten ermahnt hätten, auf Kinderarbeit bei der Ernte zu verzichten, seien die Erträge der Bauern zurückgegangen. Unternehmen wie Mars, Nestlé oder Ferrero hatten den Verzicht auf Kinderarbeit verlangt, nachdem sie wegen Berichten über die Beschäftigung Minderjähriger auf den Plantagen unter Druck geraten seien.
Die Lösung liege nicht allein im Verbot von Kinderarbeit, sondern in der gerechteren Bezahlung der Kleinbauern, führt der Ökonom weiter aus: "Die lassen ja nicht zum Spaß ihre Kinder arbeiten, sondern weil sie darauf angewiesen sind." Nötig seien faire Handelsbedingungen. Die Situation der Kakaobauern und ihrer Familien kann sich nur verbessern, wenn ihr Einkommen steigt.
Der Kakaoanbau muss sich wieder lohnen
An einem Engagement, das die Einkommenssituation der kleinen Kakaobauern verbessert, kommen die großen Konzerne, die Kakao verarbeiten, nicht mehr vorbei. Denn es gab Umfragen in Ghana, wonach nur 20 Prozent der Kakaobauern wollen, dass auch ihr Kind in diesem Beruf arbeitet. Viele wollen lieber ihren Anbau umstellen – beispielsweise auf Kautschuk.
Und auch vom Hauptexporteur, der Elfenbeinküste, droht Ungemach. Dort ist in vielen Regionen die Landrechtsfrage nicht geklärt. Lokale Führer, die sogenannten Chiefs, haben an vielen Orten Einwanderern erlaubt, Flächen zu roden und landwirtschaftlich zu nutzen, solange sie Kakao anbauen. Kommt eine Landrechtsreform und Bauern könnten selbst entscheiden, was sie anbauen, könnte es auch hier im großen Stil zu einer Flucht aus dem Kakao kommen.
Faire Schokolade hilft gegen Verarmung
Denn der Anbau von Kakao lohnt sich für viele Bauern kaum noch. Der Kakaopreis ist seit Jahrzehnten von seinem Allzeithoch weit entfernt. Erhielten Kakaobauern im Jahr 1980 noch inflationsbereinigt fast 5.000 US-Dollar pro Tonne Kakao, waren es 2000 nur noch 1.200 US-Dollar. Inzwischen – im Sommer 2020 – ist der Kakaopreis zwar wieder auf rund 2.100 US-Dollar gestiegen, aber das ist immer noch keine ausreichende Summe. Fairer Kakao wird hingegen besser bezahlt: Zum 1. Oktober 2019 stieg der Fairtrade-Mindestpreis auf immerhin 2.400 US-Dollar pro Tonne.
Generell schwanken die Preise seit Jahren stark. Grund sind nicht nur unterschiedliche Erträge aus den Kakaoernten, sondern auch die – mitunter wechselhafte – politische Lage in den Herkunftsländern. Dazu kommen die Folgen von Finanzspekulation sowie Kursschwankungen des Dollar, die den Preis schwer kalkulierbar machen.
Der niedrige Kakaopreis führt zur Verarmung von vielen Landwirten: Weltweit wird Kakao auf rund viereinhalb Millionen Farmen angebaut, viele Millionen Menschen bestreiten ihren Lebensunterhalt mit dem Anbau und Verkauf. Allerdings mehr schlecht als recht, und das, obwohl 2019 mit rund 4,8 Millionen Tonnen so viel Kakao produziert wurde wie nie zuvor. Können die Bauern noch weniger als bisher davon leben und wechseln deshalb das Agrarprodukt, hat die milliardenschwere Kakao- und Schokoladenindustrie ein Problem.
Fair-Trade-Schokolade macht Fortschritte
Die Organisationen des Fairen Handels haben berechnet, wie hoch der Preis für Kakao sein müsste, um den Bauern ein menschenwürdiges Einkommen zu garantieren. Das ist der Mindestpreis, den die Bauern im Fairtrade-System erhalten. So haben sie Planungssicherheit bei den Einnahmen. Steigt der Weltmarktpreis über diesen Ansatz, steigt auch der im fairen Handel gezahlte Preis.
In Deutschland wird der Löwenanteil der Schokoladenprodukte allerdings immer noch konventionell hergestellt. Schokolade aus fair gehandeltem Kakao bleibt ein Randprodukt, das aber – gerade in den letzten Jahren – große Fortschritte gemacht hat. So hat sich der Absatz von Fairtrade-Kakao in Deutschland zwischen 2014 und 2019 von 7.500 Tonnen auf rund 79.000 Tonnen mehr als verzehnfacht. Der Hauptgrund: 2014 startete das Kakaoprogramm von Fairtrade International, das viele Tausend Farmer einbindet. Anders als beim klassischen Fairtrade-Siegel liegt der Schwerpunkt dabei nicht auf der Zertifizierung des Endprodukts, sondern auf dem Rohstoff Kakao selbst.
Fairer Kakao in Deutschland
Der rasante Anstieg, den fairer Kakao verzeichnet, zeigt, dass das Thema bei den hiesigen Konsumenten und Herstellern angekommen ist. Laut Transfair liegt der Anteil von Fair-Trade-Kakao inzwischen bei etwa acht Prozent. Ob man das als bereits erstaunlich hoch oder als noch beklagenswert niedrig betrachtet, ist Geschmackssache.
Worauf die Deutschen in jedem Fall weiter Geschmack haben, ist: Schokolade. Umgerechnet 95 Tafeln gönnen wir uns (laut Bundesverband der Deutschen Industrie) pro Kopf und Jahr. Vielleicht denken wir bei unserem nächsten anderen Kauf auch an die Kakaobauern und gönnen ihnen einen fairen Preis. Aufwändig ist das nicht: Fair gehandelte Schokolade findet sich inzwischen in jedem Discounter.
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