Das Vertrauen ist nicht groß. Gerade einmal neun Prozent der Verbraucher gehen davon aus, dass Bio-Lebensmittel aus dem Discounter die strengen Kriterien des ökologischen Landbaus völlig erfüllen. Das ergab die Ökobarometer-Umfrage 2010 des Bundesernährungsministeriums. In einer Umfrage von utopia im Januar 2019 gaben 30 Prozent der Befragten an, bei Produkten mit Bio-Siegel im Discounter kritischer hinzuschauen als im Bio-Markt. Insgesamt schlagen Bio-Läden, -Bäckern und -Metzgern weniger Skepsis entgegen, ihre Vertrauensquoten liegen zwischen 47 und 55 Prozent.
Gleichzeitig stellen die Discounter eine immer weiter wachsende Säule beim Absatz von Bio-Lebensmitteln dar: Eine Umfrage von infas im Juli/August 2019 stellt Supermärkte als wichtigsten Einkaufsort dar - mit 88% liegen Supermärkte demnach vor Discountern (72%), Bäckern (64%), Wochenmärkten (61%) und Metzgern (59%). Bioläden (52%), Biosupermärkte (41%) und Reformhäuser (29%) landen nur im Mittelfeld dieser Umfrage. Zwei Drittel der befragten Bio-Käufer greifen also bei Aldi, Lidl & Co. zu.
Bio-Produkte auch bei Aldi, Lidl & Co.
Warum sich die Bio-Ware aus dem Discounter trotz der verbreiteten Vorbehalte so gut verkauft, liegt auf der Hand. Der Preis gibt den Ausschlag, insbesondere in Zeiten knapper Kassen. Bio bleibt auf dem Einkaufszettel, aber es muss günstig sein. Zum Erfolg trägt außerdem bei, dass sich die großen Discounter auf wenige, aber gefragte Bio-Artikel beschränken: Milch und Milchprodukte, Eier, Müsli, Nudeln, Kartoffeln sowie einige wichtige Obst- und Gemüsesorten. Dazu gibt es noch Öl, Honig, Kaffee und Tee und neuerdings auch etwas Wurst fürs Frühstücksbrötchen und ein wenig Frischfleisch.
Das genügt vor allem den Kunden, die nur einige Grundnahrungsmittel in Bio-Qualität suchen. Sie können bequem konventionell und ökologisch erzeugte Produkte in einem Geschäft kaufen.
Discounter haben spät auf Bio-Produkte gesetzt
Die Gelegenheit dazu haben sie noch nicht sehr lange. Beim Thema Bio waren die Discounter systembedingt Spätzünder. Denn nur was in Massen nachgefragt wird, schafft bei den Billiganbietern den Weg ins Regal. Die Bio-Premiere ging – unbeachtet von der Öffentlichkeit – Anfang Februar 1998 über die Bühne. Einige Aldi-Süd-Filialen in Unterfranken verkauften als Aktionsangebot Bio-Möhren der Marke Bergquell für 1,59 DM das Kilo.
In den folgenden Jahren testeten verschiedene Discounter immer wieder Bio-Lebensmittel in Aktionen, vor allem Kartoffeln, Eier oder Käse. 2002 startete dann Plus mit seinem BioBio-Sortiment. Die Wettbewerber zogen erst 2006 mit eigenen Bio-Marken nach. Und rollten drei Jahre lang den Markt auf. Heute sind Bio-Produkte in vielen Discountern Normalität, mehr als ein Drittel der Käufer findet es laut verschiedener Umfragen gut, dass Bio-Produkte häufiger angeboten werden.
Bio-Produkte sind viele Milliarden wert
2019 entfielen vom geschätzten Umsatz mit Bio-Lebensmitteln von 11,97 Milliarden Euro rund 31 Prozent auf die Discounter (rund 7,13 Mrd. Euro). Im Naturkostfachhandel wurden im gleichen Zeitraum immerhin noch 3,18 Milliarden Euro umgesetzt. Die Bio-Stammkunden, die bei den Vollsortimentern, vor allem aber im Naturkostfachhandel einkaufen, zeigten sich zudem in Krisen wie der Bankenkrise 2009 und während der Corona-Pandemie 2020 relativ unbeeindruckt von der Krise.
In Statistiken schlägt sich deutlich nieder, wenn ein Discounter wie Aldi ein Produkt neu listet, zum Beispiel Bio-Hackfleisch. Auch wenn nach Ansicht der Discounter das Geschäft anfangs möglicherweise zu wünschen übrig lässt, so will doch niemand mehr auf die ökologischen Nahrungsmittel verzichten: Denn die Kunden erwarten zumindest einige Basislebensmittel im Sortiment.
Und auch der etablierte Naturkosthandel kann paradoxerweise vom Vertriebskanal Discounter profitieren: Denn Kunden, die sich für Bio-Möhren entschieden haben, wollen oft auch Bio-Sahne oder Bio-Ananas. Sind die beim Discounter nicht zu bekommen, werden sie im Bio-Supermarkt eingekauft, wo es ein umfassenderes Sortiment an ökologisch produzierten Waren gibt.
Discounter werden wichtiger Bio-Vertriebskanal
Für den Bio-Markt ist die Bedeutung der Discounter enorm groß. Bei Filialnetzen von 2.000 und mehr Märkten werden dort Mengen umgesetzt, die kaum ein anderer Vertriebskanal erreicht. Deshalb lassen sich Ziele wie "Bio für alle" oder "20 % Bio-Anteil bei Lebensmitteln" nur mit den Discountern erreichen. Und für die Umwelt ist jeder Quadratmeter Acker, der auf ökologischen Landbau umgestellt wird, ein Gewinn.
Klar ist auch, dass die Bio-Lebensmittel beim Discounter tatsächlich Bio sind. Alle hierzulande angebotenen Bio-Lebensmittel müssen die Anforderungen der EU-Öko-Verordnung erfüllen. Das signalisiert den Kunden das sechseckige Bio-Siegel bzw. seit Juli 2010 auch das EU-Bio-Logo, in dem die EU-Sterne in Form eines Blattes vor einem grünen Hintergrund angeordnet sind.
Auch ÖKO-TEST ist oft überzeugt
Und auch die Untersuchungen von ÖKO-TEST bestätigen die Qualität: Die meisten Bio-Produkte vom Discounter schneiden mit den Noten "sehr gut" oder "gut" ab, zuletzt bei Apfelmus.
Für so manchen Verbraucher bedeutet "Bio" jedoch mehr als ökologischer Anbau. Die Lebensmittel sollen auch regional, saisonal und fair erzeugt und gehandelt werden. Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften auf dem Hof, beim Verarbeiter und im Laden sind für überzeugte Bio-Käufer ein Muss.
Doch die zusätzliche ökologische und soziale Kompetenz trauen viele Kunden den Discountern nicht zu. Aus ihrer Sicht bleibt bei Billigpreisen die soziale und ökologische Qualität der Produkte auf der Strecke. Das erklärt auch die schlechten Vertrauensnoten in der Öko-Barometer-Umfrage.
Niedrigpreise für Bio: Wie geht das?
Dass Bio beim Discounter billig ist, hat mehrere Gründe: Entscheidend sind, wie auch bei konventionellen Lebensmitteln, die geringen Kosten durch das eingeschränkte Sortiment, den fehlenden Service und die ausgefeilte Logistik.
Da kann ein Naturkostladen oder Bio-Supermarkt mit mehreren Tausend Produkten und fachkundigem Personal nicht mithalten. Er muss zur Deckung seiner Unkosten wesentlich mehr aufschlagen und zudem noch die Leistungen des ihn beliefernden Großhändlers mitzahlen. Doch es gibt noch andere Gründe für die günstigeren Preise.
So gibt die EU-Öko-Verordnung nur Mindeststandards für die ökologische Landwirtschaft und die Verarbeitung der Rohstoffe vor. Strengere Richtlinien haben sich die acht deutschen Bio-Anbauverbände auferlegt, von denen Bioland, Demeter und Naturland die bekanntesten sind. So müssen Verbandsbauern ihre Betriebe komplett umstellen.
Bio unterliegt speziellen Verordnungen
Auf ein und demselben Hof Bio-Schweine mästen und konventionelle Zuckerrüben anbauen, das geht hier nicht. Beim Zukauf von Dünger und Futtermitteln gelten für die Bauern der ökologischen Anbauverbände strengere Auflagen. Die EU-Öko-Verordnung hingegen erlaubt deutlich mehr Dünger. Bio-Äcker dürfen sogar mit konventioneller Gülle gedüngt werden. Auch müssen EU-Bio-Bauern ihre Schweine und Hähnchen nicht mit Futter vom eigenen Hof versorgen.
Bei der Herstellung von Bio-Lebensmitteln schränken die Anbauverbände die erlaubten Zusatzstoffe, Aromen und Enzyme deutlich weiter ein als die EU-Öko-Verordnung. Zudem verbieten sie bestimmte Herstellungsverfahren, die das Lebensmittel zu stark beeinflussen. Das macht in vielen Fällen die Herstellung handwerklicher, aber auch schwieriger und teurer. Wer die Spielräume der EU-Öko-Verordnung ausnutzt, kann als Bio-Bauer oder Verarbeiter auf dem Markt billiger anbieten und sich so einen Vorteil verschaffen.
Discounter-Bio: Aroma oder echter Geschmack?
Zum Beispiel bei Kirschjoghurt: Der lässt sich gut mit elf Prozent Kirschen und ohne natürliche Aromen herstellen. Oder man setzt Geschmacksstoffe zu, kommt mit sechs Prozent Kirschen aus und färbt den Joghurt mit etwas Rotebetesaft rosa. Billiger wird es auch, wenn man den Fettgehalt der Milch für den Joghurt auf exakt 3,5 % einstellt. Das so gewonnene Fett lässt sich extra vermarkten.
Wer dagegen der Milch ihren natürlichen Fettgehalt belässt, liefert ein naturnäheres Lebensmittel, muss aber dafür mehr verlangen. Frucht- und Gemüsesäfte können direkt gepresst und abgefüllt oder aber – billiger – aus Konzentrat hergestellt werden. Kosten spart auch, wer zum Beispiel bei Fruchtaufstrichen den Zusatzstoff Zitronensäure statt echtem Zitronensaft einsetzt.
Aus solchen Beispielen darf man nicht schließen, dass bei Discountern nur "Billig-Bio" und bei Vollsortimentern oder im Fachhandel nur Qualitäts-Bio verkauft wird. Die Welt ist auch hier komplizierter. Die Qualitätsunterschiede bei Bio-Lebensmitteln lassen sich nicht an einzelnen Handelsschienen festmachen und auch nur bedingt am Preis.
"Die Einteilung in Klasse und Masse macht keinen Sinn", sagt deshalb Felix Prinz zu Löwenstein, der Präsident des Bundes ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Zu den Lieferanten der Discounter gehören auch Firmen, die ihre Markenprodukte über Bio-Läden verkaufen und Partner von Anbauverbänden sind. Sie mögen für die Discounter einfachere Rezepturen und billigere Rohstoffe von EU-Bio-Bauern verwenden. Trotzdem bleiben sie Hersteller mit Qualitätsbewusstsein und ökologischem Know-how.
Bei Fleisch, Obst, Gemüse und Kartoffeln aus Deutschland gehören auch Verbandsbauern zu den Lieferanten der Billigketten. "Wir bekommen von Aldi einen Preis, mit dem wir leben können – auch wenn das vorübergehend mal weniger sein kann, als einem lieb ist", sagt Naturland-Bauer Franz Westhues, der mit anderen Landwirten des Anbauverbandes Bio-Möhren an den Discounter liefert.
Aber schließlich bedeute so ein großer Abnehmer auch, dass man seine Ware zuverlässig loswerde. Dennoch verweigert der Verband den Discountern die Nutzung des Naturland-Logos auf den Produkten. "Faire Erzeugerpreise, langfristige Handelsbeziehungen und eine ökologisch orientierte und zukunftsfähige Unternehmenspolitik sehen wir bei den Discountern derzeit nicht", begründet Naturlandsprecher Carsten Veller diese Entscheidung. Er weist darauf hin, dass rund 80 % aller Erzeugnisse von Naturland-Mitgliedern in den Fachhandel gehen.
Elke Röder, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren (BNN) ärgert es schon, wenn Aldi Bio-Möhren für 89 Cent anbietet: "Das ist ein Preis, der dem Wert des Produktes nicht gerecht wird. Das weiß jeder, der schon mal Bio-Möhren angebaut und sein Feld gehackt hat. Ein engagierter Bio-Bauer möchte zudem mit einer möglichst vielfältigen Fruchtfolge arbeiten und muss deshalb auch weniger lukrative Feldfrüchte verkaufen." Die Discounter aber seien daran nicht interessiert.
Preiskampf im Bio-Segment mit Folgen
Die billigen Bio-Produkte im Discounter haben einen Preiskampf mit negativen Auswirkungen ausgelöst – ähnlich wie er im konventionellen Lebensmittelhandel seit Jahrzehnten geführt wird. Betroffen davon sind nicht nur konventionelle Supermärkte, sondern auch Naturkostläden. Vor allem die großen Bio-Supermärkte möchten sich als günstige Einkaufsstätte präsentieren. Preisvergleiche zeigen, dass etliche Produkte dort nur wenig teurer sind als die Bio-Ware im Discounter. Doch beim Kunden kommt die Botschaft nicht an. Fachgeschäfte haben – branchenübergreifend – ein Hochpreisimage.
Insbesondere die beiden größten Bio-Händler Dennree und Alnatura liefern sich mit ihren Handelsmarken einen harten Wettbewerb. "Langfristig bringt dieser Preiskampf die Hersteller in große Bedrängnis, denn irgendwann müssen sie an der Qualität sparen", befürchtet Bettina Rolle, Marketingchefin des Krunchy-Herstellers Barnhouse.
Oder die Verarbeiter geben den Druck an die Bauern weiter, die dann weniger Geld für ihre Erzeugnisse bekommen. Eine Bio-Bäuerin berichtete in der Fachzeitschrift BioHandel über Preisverhandlungen mit ihrer Mühle. Der Müller habe gesagt, wenn sie bei ihren hohen Preisvorstellungen bleibe, dann kaufe er seinen Weizen eben in der Ukraine.
Zu den Verlierern des harten Preiswettbewerbs gehören auch die kleinen Naturkostläden. Hunderte mussten in den vergangenen Jahren schließen – einige davon gehörten vor 30 Jahren zu den Pionieren der Bio-Branche. Seit einigen Jahren expandieren dagegen Bio-Ketten und buhlen um die Gunst der Bio-Fans. Alnatura beispielsweise verfügte 2019 über 134 Filialen, 2007 wraen es noch 35. Einen Sprung von 17 auf 215 Filialen hat denn's Biomarkt gemacht (2007/2018), die Bio Company, aktuell Deutschlands drittgrößte Kette nach Verkaufspunkten, bringt es auf 60 Filialen (2020; 2009: 14). Und ein Ende des Wachstums ist noch nicht absehbar.
Auch der Biobereich ist anfällig für Betrug
Der scharfe Wettbewerb hat innerhalb der einst eher partnerschaftlich veranlagten Bio-Branche zu einer Verrohung der Sitten geführt. "Da wurden nicht nur Rabattschlachten geschlagen. Die Bandagen in der Auseinandersetzung untereinander sind härter geworden", stellte Elke Röder vom Bundesverband Naturkost und Naturwaren schon 2009 fest. "Wir lassen uns durch die Preispolitik der Discounter letztlich gestalten. Die ziehen an einem Fädchen, wir reagieren nur noch." Als Antwort darauf hat der BNN einen Branchenkodex verabschiedet. Darin findet sich das gemeinsame Ziel, eine soziale und ökologische Marktwirtschaft zu gestalten und sich über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg partnerschaftlich zu verhalten.
Der Preisdruck erhöht auch die Anfälligkeit für Betrügereien im Bio-Bereich. Wer als Verarbeiter möglichst billig produzieren muss, um einen Auftrag zu erhalten, der drückt bei fragwürdigen Rohstoffen schon mal ein Auge zu. Beispielhaft dafür ist der Fall eines Müllers, der eine Großbäckerei belieferte, die für einen Discounter Bio-Brot herstellte. Er verlor den Kunden, weil sein Mehl aus regionalem Getreide teurer war als der Backweizen eines italienischen Händlers. Dieser aber hatte im Jahr zuvor in großen Mengen belastetes und vermutlich konventionelles Getreide als Bio-Getreide deklariert nach Deutschland geliefert. Rund 10.000 Tonnen wurden beanstandet. Bei einigen Getreidehändlern und -verarbeitern steht der Italiener seither auf der schwarzen Liste. Die Großbäckerei jedoch störte das ebenso wenig wie andere Kunden, die weiterhin aus dieser Quelle billiges Getreide beziehen.
Professor Ulrich Hamm von der Uni Kassel kritisiert, dass Discounter, aber zunehmend auch Bio-Supermärkte, zu stark auf den Preis als Leistungsmerkmal fixiert seien. In einer Verbraucherstudie kommt er zu dem Fazit: "Die Zahlungsbereitschaft von bestehenden Öko-Kunden ist bislang offensichtlich stark unterschätzt worden." Er empfiehlt dem Bio-Fachhandel, die soziale und ökologische Qualität seiner Produkte stärker zu kommunizieren. Das wäre notwendig, damit sich der Wunsch von Michael Radau, Vorstand des Verbandes der Bio-Supermärkte, erfüllt: "Wir wünschen uns, dass die Verbraucher Aspekte wie regionale Herkunft, Sozialstandards bei der Herstellung, echte Genusswerte oder die fachliche Qualifizierung der Mitarbeiter stärker in ihre Kaufentscheidung einbeziehen."
Weiterlesen auf oekotest.de: