Ohne drastische Minderungen der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen noch in diesem Jahrzehnt wird das 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung bereits in den 2030er Jahren überschritten. Das macht der Weltklimarat (IPCC) in seinem Synthesebericht vom Montag so deutlich wie nie zuvor.
Bisherige Maßnahmen sind unzureichend
"Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlbefinden und die Gesundheit des Planeten", heißt es in dem in Interlaken präsentierten Bericht. Die Erwärmung liegt bereits bei rund 1,1 Grad. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung, bis zu 3,6 Milliarden Menschen, leben demnach in Regionen, die besonders starke Folgen des Klimawandels erleben dürften.
"Die Dringlichkeit, bis 2030 etwas zu tun, ist gestiegen", sagte Mitautor Matthias Garschagen, Klimaforscher an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Der Klimawandel schreitet schneller voran und die Folgen sind stärker als zunächst gedacht, geht aus dem Bericht hervor.
Schon jetzt sind Folgen wie häufigere und stärkere Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren deutlich, etwa die Hitze und Überschwemmungen in Indien und Pakistan im 2022 und die anhaltende Dürre südlich der Sahara. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete gerade, dass es in Somalia wegen der Dürre im vergangenen Jahr bis zu 43.000 zusätzliche Todesfälle gegeben haben könnte.
Was der Weltklimarat in Sachen Erderwärmung herausgefunden hat
Hier die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Papier:
Temperaturen: Die Temperaturen auf der Erde liegen im Zeitraum 2011 bis 2020 um rund 1,1 Grad Celsius höher als im vorindustriellen Zeitraum (1850-1900). Auf den Landflächen sind es sogar rund 1,6 Grad, über den Ozeanen 0,9. Sollte der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase nicht umgehend und tiefgreifend vermindert werden, könnten dem Weltklimarat zufolge die eigentlich für das Ende des Jahrhunderts anvisierten 1,5 Grad bereits in den 2030er Jahren überschritten werden. Modelle ließen sogar erwarten, dass am Ende des 21. Jahrhunderts die Erwärmung bei 2,8 Grad liegen könnte, sollten die Staaten ihre versprochenen Anstrengungen gegen den Klimawandel nach 2030 nicht intensivieren.
Ozeane: Der globale Meeresspiegel lag 2018 im Mittel um 20 Zentimeter höher als 1901. In den vergangenen Jahren hat sich der Anstieg sogar beschleunigt: Bis 1971 waren es im Schnitt pro Jahr 1,3 Millimeter, von 2006 bis 2018 hingegen jährlich schon 3,7 Millimeter. Der Weltklimarat hält es für nicht ganz unwahrscheinlich, dass der Meeresspiegel je nach Entwicklung der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2100 um bis zu einen halben oder im Extremfall sogar um einen Meter steigen könnte im Vergleich zum Zeitraum 1995 bis 2014.
Emissionen: Die Menschen bringen weiterhin immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre. 2019 lag die Menge etwa 12 Prozent höher als 2010 und 54 Prozent über dem Wert von 1990. Von der Gesamtmenge an Emissionen zwischen 1850 und 2019 wurden 42 Prozent von 1990 bis 2019 ausgestoßen. Sollte der jährliche CO2-Ausstoß bis 2030 im Schnitt auf demselben Niveau wie 2019 bleiben, dann wäre das Budget, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, fast aufgebraucht.
Haushalte: Vor allem Haushalte in wirtschaftsstarken Staaten tragen zu den weltweiten verbrauchsbedingten Treibhausgasemissionen bei. Das Zehntel der Haushalte mit dem höchsten Pro-Kopf-Ausstoß ist für bis zu 45 Prozent Emissionen verantwortlich, die Hälfte mit dem niedrigsten Ausstoß hingegen nur für höchstens 15 Prozent. Die wirtschaftlich am wenigsten entwickelten Länder und kleine Inselstaaten haben wesentlich niedrigere Pro-Kopf-Emissionen als der weltweite Durchschnitt - sind vom Klimawandel aber am stärksten betroffen.
Betroffene: Weltweit leben bis zu 3,6 Milliarden Menschen in Gegenden, die durch den Klimawandel stark gefährdet sind - besonders in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika, auf kleinen Inseln und in der Arktis. An Überschwemmungen, Dürren, Ernährungskrisen und Wasserknappheit leiden insbesondere Menschen in den am wenigsten wirtschaftlich entwickelten Ländern, indigene Völker, kleine Lebensmittelproduzenten und Haushalte mit niedrigen Einkommen.
Auswirkungen: Die Zunahme extremer Hitzeereignisse führt zu höherer Sterblichkeit und zu mehr Erkrankungen. Von 2010 bis 2020 war die Sterblichkeit durch Überschwemmungen, Dürren und Stürme in stark gefährdeten Regionen 15-mal höher als in Gegenden mit sehr geringer Gefährdung. Neben Krankheiten, die aus Nahrungs- und Wassermangel entstehen, gibt es psychische Probleme und Traumata wegen steigender Temperaturen, Extremereignissen oder des Verlustes von Lebensgrundlagen und Kultur. Das führt auch dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Der Weltklimarat geht davon aus, dass Risiken, Verluste und Schäden mit jedem Erwärmungsschritt steigen, immer komplexer werden und schwieriger zu bewältigen sind.
Maßnahmen: Vorhaben zur Eindämmung des Klimawandels werden zunehmend günstiger. Von 2010 bis 2019 sind dem Weltklimarat zufolge die Kosten pro Einheit bei der Solarenergie um 85 Prozent, bei der Windenergie um 55 Prozent und bei Lithium-Ionen-Batterien um 85 Prozent gesunken. In diesem Zeitraum habe der Einsatz von Solarenergie um das Zehnfache und die Zahl der E-Fahrzeuge um mehr als das 100-Fache zugenommen. Ziel müsse sein, schnellstmöglich CO2-neutral zu werden. In diesem Jahrzehnt müssten Entscheidungen und Maßnahmen getroffen werden, die Auswirkungen auf Tausende von Jahren hätten, so der Weltklimarat.
Was hat es mit dem Bericht des Klimarats auf sich?
Das neue Dokument beruht auf acht Berichten, die Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern seit gut acht Jahren erarbeitet haben. Es bringt ihre Erkenntnisse auf den Punkt und dient als Handlungsgrundlage für Politiker.
Der Weltklimarat (IPCC) ist ein Gremium aus 195 Mitgliedsländern. Sie haben tagelang um jede Formulierung gerungen und den Synthesebericht abgesegnet. Das ist zwar mühsam, bedeutet aber, dass sie den Inhalt nicht mehr in Zweifel ziehen. Darauf aufbauend wollen sie in diesem Jahr anschauen, wie sich die bislang versprochenen Maßnahmen mit den Klimaschutzzielen vereinbaren lassen (global stocktake). Dieser Bericht zeigt: Die Bilanz wird ernüchternd ausfallen.
Der Weltklimarat ruft in Erinnerung, dass die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur seit 1970 so stark gestiegen ist wie in keiner anderen 50-Jahre-Periode seit mindestens 2000 Jahren. Er stellt stärker als zuvor heraus, wer am meisten geschädigt wird: "Verwundbare Gruppen, die in der Vergangenheit am wenigsten zum aktuellen Klimawandel beigetragen haben, sind unverhältnismäßig stark betroffen."
Die Differenz zwischen den geschätzten Kosten der nötigen Anpassungen und den eingeplanten finanziellen Mitteln wachse, so der Weltklimarat. Er verweist darauf, dass reiche Länder ihr Versprechen von 100 Milliarden Dollar im Jahr für die ärmsten Länder noch nicht umgesetzt haben. Dabei sei global genügend Geld vorhanden, um die klimaschädlichen Treibhausgase zügig zu reduzieren. Regierungen müssten durch Förderung von Projekten und Studien, Subventionen und Rahmenbedingungen für Investoren die richtigen Zeichen setzen. "Der Ball liegt im Feld der Politik", sagte Mitautor Oliver Geden.
Baerbock zum Bericht des Weltklimarats: Weltgemeinschaft muss handeln
Außenministerin Annalena Baerbock hat die Weltgemeinschaft angesichts des jüngsten Berichts des Weltklimarates zum raschen und ambitionierten Handeln aufgerufen. Der Bericht mache "mit brutaler Klarheit deutlich, dass wir an dem Ast sägen, auf dem wir als Weltgemeinschaft sitzen. 1,5 Grad sind die Schmerzgrenze des Planeten", erklärte die Grünen-Politikerin am Montag in Berlin zur Vorstellung des Berichts im schweizerischen Interlaken.
Der Bericht gebe aber auch Hoffnung, ergänzte die Ministerin: "Es ist weiterhin möglich, die 1,5 Grad in Reichweite zu halten, wenn wir in den nächsten sieben Jahren die globalen Emissionen halbieren."