ÖKO-TEST: Frau Osmanoglu, Sie stehen der größten ökosozialen Bank in Deutschland vor. Wie vertragen sich Nachhaltigkeit und Kapitalismus?
Aysel Osmanoglu: Wir leben mit unserem Wirtschaftsmodell seit etwa 200 Jahren. Das ist ein guter Moment sich zu fragen, was wir gelernt haben. Sicher, es war dienlich. Aber ich denke, jetzt braucht es eine Weiterentwicklung. Wie erreichen wir es, dass dieses System regenerativ wird? Vielleicht können wir unsere Glaubenssätze hinterfragen: ob unendliches Wachstum und Vermögen, Gewinn- und Nutzenmaximierung immer das alleinige Ziel sein müssen. Das alles ist jetzt angezweifelt.
Zweifeln Sie mit? Sie sind Vorständin einer Bank. Ist es nicht die grundlegende Aufgabe von Banken, Geld zu vermehren und Profite zu maximieren?
Osmanoglu: Ja, ich zweifle. Und nein, Aufgabe von Banken ist nicht und sollte auch nicht Profitmaximierung sein, sondern Vorhaben zu finanzieren, die der Realwirtschaft dienen. Banken finanzieren so auch Wachstum. Aber unsere Aufgabe wandelt sich. Wenn wir gegen den Klimawandel ankommen möchten, braucht die Gesellschaft eine riesige Transformation, die viel Geld kosten wird. Um diese Investitionen in die Nachhaltigkeit zu finanzieren, brauchen wir die Banken. Nicht nur die GLS Bank. Wir Bankerinnen und Banker können dafür sorgen, dass diese Transformation gelingt und sozialverträglich ausfällt. Ich glaube, das verstehen nicht nur wir als GLS Bank. Wir sehen ja, dass mittlerweile alle Banken versprechen, nachhaltiger zu werden.
Viele halten das für Greenwashing. Nehmen Sie Großbanken wie der Commerzbank und der Deutschen Bank ihre Nachhaltigkeitsversprechen ab?
Osmanoglu: Ich glaube zumindest, dass wir als GLS Bank keine Einzelkämpferin mehr sind, so wie sich das früher oft angefühlt hat. Es passiert gerade so viel, auch in der Politik. Unser Kanzler nennt sich Klimakanzler, daran wird er sich messen lassen müssen. In den USA wurde ein Gesetzespaket über Milliardeninvestitionen in den Klimaschutz und den Sozialbereich auf den Weg gebracht. In China findet eine Verkehrswende zur Elektromobilität statt. Es gibt riesige Bewegungen in der Zivilgesellschaft – davor können auch die Banken nicht die Augen verschließen. Wie nachhaltig die Versprechen im konventionellen Markt bereits sind, steht auf einem anderen Blatt. Fest steht aber: Sie müssen mitmachen. Alle.
Sie klingen ziemlich optimistisch.
Osmanoglu: Eher hoffnungsvoll als optimistisch. Klar ist: Die Bankenbranche muss sich ändern. Klimarisiken müssen mit eingepreist werden – sie müssen fester Bestandteil einer ökonomischen wie sozialökologischen Bilanzierung von Banken sein. Sonst trägt die Gesellschaft die Kosten einiger Weniger, die noch immer nur auf kurzfristige Rendite aus sind.
Kein Greenwashing von Gas und Atomkraft
Was halten Sie von der EU-Taxonomie, mit der jetzt Nachhaltigkeitsstandards für Finanzprodukte etabliert wurden? Demnach gelten nun fossiles Gas und Atomkraft offiziell als umweltfreundlich.
Osmanoglu: Ich glaube, die Unzufriedenheit mit den Standards der Taxonomie ist bei den Verantwortlichen in der Europäischen Kommission angekommen. Ich kann aber nicht einschätzen, ob sie die Regeln jetzt schnell schärfen werden. Bei uns in der GLS Bank gelten weiter viel strengere Ausschlusskriterien für Finanzierungen, als es die Taxonomie vorschreibt.
Sollte die Taxonomie genauso streng sein wie die GLS Bank?
Osmanoglu: Nein, das Mindeste wäre aber, wenn wir kein Greenwashing von Gas und Atomkraft in der Taxonomie festschreiben würden. Auch ich sehe ein, dass nicht alle Veränderungen immer auf einen Schlag geschehen können. Aber es darf auch nicht so aussehen, als würden hier Freifahrtscheine für kritische Technologien ausgestellt. Dann kann man die Idee der EU-Taxonomie gleich begraben.
Was sehen Sie als zentrale Aufgabe der GLS Bank an?
Osmanoglu: Wir müssen immer wieder unsere Anlage- und Finanzierungsgrundsätze schärfen und auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen hin überprüfen. Wenn es jetzt zum Beispiel heißt, es müssen mehr landwirtschaftliche Flächen mit Solarpaneelen bepflastert werden, klingt das erst mal gut für die Energiewende. Aber bevor wir uns da an der Finanzierung beteiligen können, müssen wir wissen, ob es möglich ist, zwei Ziele miteinander zu verbinden: erneuerbare Energien und ökologische Landwirtschaft.
Soziale und ökologische Kriterien für Bankgeschäft
Wer entscheidet bei Ihnen darüber, was nachhaltig ist und was nicht?
Osmanoglu: Unser gesamtes Bankgeschäft beruht auf sozialen und ökologischen Kriterien. Für alle Kredite sowie unser Wertpapier- und Beteiligungsgeschäft gelten Ausschluss- und Positivkriterien. Für die Auswahl der Wertpapiere für die Kundenberatung und die Eigenanlagen der GLS Bank ist der interdisziplinär zusammengesetzte und unabhängige Anlageausschuss verantwortlich. Die Expertinnen und Experten schauen sich Unternehmen an, die für Investitionen infrage kommen oder in Fonds aufgenommen werden können.
Für Kredite werden dieselben Kriterien angewandt. Kritische Fälle werden ebenfalls in einem abteilungsübergreifenden Gremium diskutiert. Wie bei dem Beispiel der Photovoltaikanlagen auf ökologischen Flächen. Nur weil es um erneuerbare Energie geht, finanzieren wir das nicht automatisch.
Also keine Solaranlagen auf Freiflächen?
Osmanoglu: Doch, aber nicht einfach so auf jedem Acker. Es gibt ja zum Beispiel Freiflächen entlang von Bahntrassen, wo keine Landwirtschaft stattfindet – dort kann das sehr sinnvoll sein. Es gibt viele Grenzfälle, nicht immer sind unsere Ausschlusskriterien so leicht anwendbar. Aber wir haben uns nun mal verpflichtet, immer ganz genau hinzuschauen. Es wäre so viel einfacher, alles nur einmal durch den Computer zu jagen und auf das Ökonomische zu reduzieren.
Was passiert, wenn ein Unternehmen, für das Sie sich schon entschieden haben, im Nachhinein gegen die Ausschlusskriterien verstößt?
Osmanoglu: Handelt es sich um ein Unternehmen, das in einem unserer Fonds vertreten ist, betrifft es den Investmentbereich der Bank. Der Anlageausschuss tagt regelmäßig und vergleicht die Pläne der Unternehmen mit den tatsächlichen Ergebnissen. Wenn sie merken, dass etwas nicht übereinstimmt oder ins Stocken geraten ist, gehen sie ins Gespräch mit den Firmen. Wenn ein Unternehmen nicht mehr auf dem Weg ist, den es mit uns gehen wollte, dann müssen wir es aus dem Anlagehorizont herausnehmen. Das passiert regelmäßig, alle Investment- oder Divestmententscheidungen veröffentlichen wir – sie sind für alle Beteiligten nachvollziehbar. Diese Transparenz ist ein weiterer maßgeblicher Unterschied zu anderen Banken.
Ist die GLS Bank teurer als andere Banken?
Die GLS Bank hat den Ruf, relativ teuer zu sein. Wer bei Ihnen ein Konto hat, muss neben den Kontoführungsgebühren 60 Euro Jahresbetrag zahlen. Sind Sie keine Bank für alle?
Osmanoglu: Ich wünschte, wir könnten mal aufhören, dieses Lied zu singen. Wir sind gar nicht teurer. Menschen unter 28 zahlen bei uns einen Euro GLS-Beitrag, für sie gelten die 60 Euro nicht, und es gibt keine Kontoführungsgebühren. Wir haben als eine der wenigen Banken die Dispozinsen auf null Prozent gesenkt. Außerdem: Wer könnte die Leistung, die wir erbringen, in dieser Wirksamkeit für weniger Geld anbieten? Wenn man sich die Sparkassen hier im Ruhrgebiet anschaut, sind die auch nicht günstiger – und die arbeiten nicht mit den Nachhaltigkeitsstandards, die wir anwenden.
Sie ärgern sich ja richtig.
Osmanoglu: Weil es einfach nicht stimmt – und weil ich mich frage, warum so vielen Menschen in Deutschland ihre Bank nichts wert ist. Natürlich möchten wir unsere Kundinnen und Kunden finanziell nicht überfordern, aber wir können unsere Leistungen nicht umsonst anbieten. Da geht es uns genauso wie allen Institutionen, die Qualität anbieten – Ihre Redaktion möchte ja auch für guten Journalismus bezahlt werden.
Wie viele Stunden arbeitet man als Vorständin der GLS Bank? Für Sie gelten ja keine Arbeitszeitgesetze.
Osmanoglu: Ich habe die Wochenstunden nie gezählt. Es ist ja auch so eine Frage, wo die Arbeit genau aufhört. Jedes Gespräch kann mich inspirieren und auf Ideen bringen, die ich mit der Bank umsetzen will. Ich kann und will Leben und Arbeit nicht trennen.
Ist Ihnen eine ausgewogene Work-Life-Balance nicht wichtig?
Osmanoglu: Wenn es für Menschen eine scharfe Grenze zwischen "Work" und "Life" gibt, dann kann ich nachvollziehen, dass man eine Balance braucht. Ich verstehe das aber eher als Gesamtpaket. Ich liebe meinen Beruf und sehe in meiner Tätigkeit einen Sinn. Ich versuche, genug Schlaf zu bekommen und Zeit mit meiner Familie und Freunden zu bringen. Das sind die Dinge, die mir wichtig sind, das gehört für mich alles zusammen. Kann sein, dass ich viel arbeite. Aber es erschöpft mich nicht.
Was sind die Fixpunkte in Ihrer GLS-Karriere, auf die Sie mit besonderem Stolz zurückblicken?
Osmanoglu: Ich erinnere mich gerne daran, wie wir damals das Leitbild entwickelt haben, als GLS Bank und Ökobank zusammengekommen sind. Das war ein Prozess, den ganz viele Kolleginnen und Kollegen gemeinsam gestaltet haben. Ein ganz markanter Punkt war auch die Finanzkrise 2008 – das hat uns mit aller Deutlichkeit gespiegelt, wie wichtig die Arbeit ist, die wir machen. Viele Menschen, die das Vertrauen in die Großbanken mit ihren Spekulationsgeschäften verloren hatten, sind damals zu uns gekommen.
Klimaproteste sind Symptom für Politikversagen
Während Sie versuchen, die Welt mit Investitionen zu verbessern, wählen andere den Weg des zivilen Ungehorsams. Was halten Sie von den Protestaktionen der Letzten Generation?
Osmanoglu: Die Proteste sind ja nur ein Symptom, ich finde es hilfreicher, über die Ursache zu reden. Dass die Politik ihrer Verantwortung für den Klimaschutz nicht nachgekommt, hat ja sogar das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Ihr verspätetes Handeln schränkt die Freiheit künftiger Generationen ein, so sehen es die Aktivistinnen und Aktivisten. Ich finde es richtig, dass sie gehört werden wollen. Und ich finde, ziviler Ungehorsam gehört zu einer Demokratie dazu. Die Maßnahmen sind teilweise drastisch. Aber deswegen ist es umso wichtiger zu fragen, warum sich junge Menschen dazu gezwungen sehen.
Verzicht auf Auto und Fliegen
Was tun Sie ganz persönlich für die Umwelt? Halten Sie es immer noch durch, überhaupt nicht zu fliegen?
Osmanoglu: Ja, auch wenn es mühsam ist. Wenn wir einmal im Jahr meine Familie in Istanbul besuchen, brauchen wir mit dem Zug für die Hinfahrt drei Nächte, verhältnismäßig teuer ist es auch. Ich versuche, meinen Alltag so zu gestalten, dass ich die meisten Wege mit dem Fahrrad erledigen kann. Und wenn es das Wetter gar nicht zulässt, gibt es öffentliche Verkehrsmittel.
Auto fahren Sie auch nicht?
Osmanoglu: Wir haben keins. Wenn ich mal unbedingt eins brauche, kann ich mir eins mieten. Ich vermisse es nicht. Jeden Morgen und Abend habe ich etwas Zeit auf dem Fahrrad. Das hält mich fit – und gibt mir täglich ein paar Momente, die ich nur für mich habe. Kann ich nur empfehlen. Aber auch mein persönliches Verhalten hängt mit der Ernsthaftigkeit der deutschen Klimapolitik zusammen. Investiert der Staat in Radwege und öffentlichen Nahverkehr oder in den Ausbau von Autobahnen? Wir brauchen sowohl die individuelle Bereitschaft, unser Handeln zu verändern, als auch eine echte Klimapolitik, die alternative Wirtschafts- und Mobilitätskonzepte forciert.
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