An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett und Salz soll nach Plänen von Ernährungsminister Cem Özdemir gesetzlich beschränkt werden. "Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder gesünder aufwachsen können", sagte der Grünen-Politiker am Montag in Berlin. Bisherige freiwillige Selbstverpflichtungen hätten beim Kinderschutz versagt. Unter anderem sollen mit Blick auf Unter-14-Jährige Werbeverbote in "allen für Kinder relevanten Medien" kommen.
Um Kinder zu schützen, ist Folgendes geplant:
- Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt soll von 6 bis 23 Uhr unzulässig sein, wenn sie regelmäßig auch von Kindern wahrgenommen werden kann.
- Unzulässig werden soll auch Außenwerbung auf Plakaten für solche ungesunden Produkte im Umkreis von 100 Metern um Schulen, Kitas, Spielplätze und Freizeiteinrichtungen für Kinder.
- Verboten werden soll außerdem an Kinder gerichtetes Sponsoring für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt.
Die Feststellung eines zu hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehaltes soll sich an Nährwertberechnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientieren.
Verbraucher- und Medizinverbände drängen seit längerem zum Handeln beim Marketing für Kinderprodukte. SPD, FDP und Grüne haben im Koalitionsvertrag vereinbart: "An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben." Eine Einschränkung der an Kinder gerichteten Werbung ist auch in Özdemirs Eckpunkten für eine Ernährungsstrategie genannt, die das Bundeskabinett kurz vor Weihnachten gebilligt hatte.
92 Prozent der Werbung vermarktet Fast Food, Snacks und Süßes
Laut einer Studie der Universität Hamburg sieht jedes Kind zwischen drei und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel. 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, vermarktet Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Allein die Süßwarenindustrie hat 2021 über eine Milliarde Euro für Werbung ausgegeben – so viel wie in keinem anderen Jahr zuvor.
Kinder essen etwa doppelt so viel Süßigkeiten, aber nur halb so viel Obst und Gemüse wie empfohlen. Aktuell sind etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Übergewicht und sechs Prozent sogar von starkem Übergewicht (Adipositas) betroffen. Ihnen drohen im späteren Leben Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Jeder siebte Todesfall in Deutschland ist laut Daten der OECD auf ungesunde Ernährung zurückzuführen.
Ärzteverbände, Krankenkassen und zahlreiche andere zivilgesellschaftliche Organisationen - darunter auch foodwatch - fordern bereits seit Jahren die an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit zu viel Fett, Zucker und Salz einzuschränken.
Foodwatch: "Meilenstein im Kampf gegen Übergewicht"
Zu den heute von Bundesernährungsminister Cem Özdemir vorgestellten Plänen für eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Lebensmittelwerbung erklärt Luise Molling von der Verbraucherorganisation foodwatch: "Die heute auf den Weg gebrachten Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel sind ein Meilenstein im Kampf gegen Fehlernährung und Übergewicht. Ernährungsminister Cem Özdemir macht endlich Schluss mit dem von der Bundesregierung jahrelang vorgelebten, erfolgslosen Prinzip der Freiwilligkeit."
Luise Molling betont zudem, wie wichtig es sein, dass "auch Influencer adressiert werden, die für Kinder Idole und ‚beste Freunde‘ zugleich sind." Wichtig sei zudem, dass das Gesetz nicht nur klassische Kindersendungen umfasse: "Denn unter den bei Kindern beliebtesten Sendungen ist jede dritte ein Familienformat, also etwa eine Unterhaltungsshow oder ein Fußballspiel."
ÖKO-TEST: "Das Ende für dreiste Werbung auf ungesunden Kinderlebensmitteln ist überfällig"
ÖKO-TEST-Chefredakteurin Kerstin Scheidecker meint zu den Plänen von Özdemir: "Es ist höchste Zeit, dass die Politik Kinder und Familien schützt, indem sie klare Gesetze für die Lebensmittelindustrie schafft. Appelle genügen nicht – das haben unsere Tests von ungesunden Kinderlebensmitteln immer wieder gezeigt. Kinderlebensmittel mit zu viel Fett, Zucker oder Salz sollten gar nicht erst erlaubt sein – aber ein Werbeverbot ist ein großer Schritt nach vorne. Gut so! Allerdings richtet sich das geplante Verbot ausschließlich gegen Werbung in den Medien. Was den Plänen nach erlaubt bleibt, ist, dass die Hersteller mit ihren Tricks direkt auf den Verpackungen ungesunder Kinderlebensmittel werben dürfen – etwa mit bunten Comicbildchen und vermeintlich gesunden Wirkungen von Lebensmitteln, die in erster Linie Zucker enthalten. Auch das ist ein Problem – und darf nicht erlaubt bleiben."
Kinderlebensmittel im Test
In der März-Ausgabe des ÖKO-TEST Magazins haben die Verbraucherschützer Zucker in Kinderlebensmitteln zum Thema. Dabei beleuchten sie die Lebensmittelindustrie und ihre oftmals dreiste Werbung, die gezielt Eltern und Kinder anspricht. Bisher gibt es keine klaren Rahmenbedingen für die Hersteller, die sich die Gesetzeslücke zunutze machen. Auch der Produkttest spiegelt das wider: In 29 von 40 Produkten ist der Zuckergehalt aus ÖKO-TEST-Sicht "zu hoch". Auf insgesamt 33 Produkten bewertet ÖKO-TEST die Werbung als "problematisch". Hier erfahren Sie mehr: