Arjun hockt dort barfuß - inmitten eines Meeres aus Granitstücken. Immer wieder schlägt der Achtjährige zu. Der Hammer ist zu schwer, der Meißel zu groß für seine Kinderhand. Es ist 12.30 Uhr in einem Steinbruch irgendwo in der indischen Provinz Rajasthan. Und während Arjun einen Pflasterstein in Form schlägt, gehen am anderen Ende der Welt, in Deutschland, die Achtjährigen zur Schule. Vielleicht gehen sie auch über einen Pflasterstein, den Arjun geschlagen hat.
So oder ähnlich beginnen Berichte über Natursteine und deren Produktionsbedingungen. Der Einstieg soll uns Leser berühren. Der Einstieg führt aber weg vom grundlegenden Problem, indem er dessen grausamstes Symptom - die Kinderarbeit - betont. Deswegen ist es ein schlechter Einstieg. Das grundlegende Problem lautet doch: Was ist von einem globalen Wirtschafts- und Handelssystem und dessen Beteiligten zu halten, die spottbillige Waren akzeptieren, die deswegen spottbillig sind, weil Menschen ausgebeutet, grundlegende Arbeitsnormen nicht angewendet und Arbeitsschutzmaßnahmen nicht getroffen werden? Ein System, das den Ärmsten der Armen dabei zusieht, wie ihre Kinder arbeiten müssen, damit der "Lohn" zum Überleben aller reicht.
Es sind vor allem zwei Länder, die in den Fokus geraten, wenn Granitpflastersteine oder Granitplatten in Deutschland zum "Supersommerschnäppchenpreis" angeboten werden: China und Indien. Laut dem Internazionale Marmi e Macchine Carrara research office ist China der weltweit größte Exporteur bearbeiteter Granitprodukte. 48,9 Prozent aller Granitplatten, weiterverarbeiteten Pflastersteinen und Küchenplatten stammten im Jahr 2012 aus dem Warenreich der Mitte. Indien dagegen ist ein Top Player beim Export des unbearbeiteten Granitsteins. 42 Prozent betrug der Exportanteil Indiens am Weltmarkt für Rohgranit in 2012. Eine dritte Zahl führt die Länder zusammen: Indien exportierte im Jahr 2012 rund 71 Prozent seines Granits nach China. Auch China baut Steine in Steinbrüchen ab. Schwerpunkt laut dem Fachmagazin Naturstein ist jedoch der Handel von Halb- oder Fertigprodukten aus chinesischen Materialien und von Fertigprodukten aus Importmaterialien. Der Preisvorteil, der sich beim Kauf von in China produzierten Waren erzielen lässt, ergibt sich laut Magazin "aus meist manueller Fertigung bei niedrigen Löhnen".
Und worin besteht der Preisvorteil für chinesische Händler, wenn sie Granitblöcke aus Indien importieren? Wohl auch in den noch niedrigeren Löhnen Indiens. Denn die senken die Produktionskosten der indischen Anbieter und vergrößern damit ihren Spielraum, den Verkaufspreis zu reduzieren, ohne die Margen zu schmälern. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen in Indien liegt laut Auswärtigem Amt bei rund 810 Euro. Nur acht Prozent aller Beschäftigten stehen in einem vertraglich geregelten Arbeitsverhältnis. Die übrigen 92 Prozent werden dem "informellen Sektor" zugerechnet: Sie sind weder gegen Krankheit oder ...