- Die aktuelle Biodiversitätskrise bedroht nicht nur die heimische Tier- sondern auch die heimische Pflanzenwelt.
- Mit einer App wollen Wissenschaftler der Universität Leipzig das Aussterben regionaler Pflanzen verhindern.
- Auf Basis der Roten Liste haben sie umfangreiche Informationen zu bedrohten Pflanzen der einzelnen Bundesländer gesammelt, die auch im heimischen Garten angepflanzt werden können.
Etwas gegen die Biodiversitätskrise zu tun, ist oft einfacher als gedacht: Man bestellt die Pflanze, die in der Natur stark zurückgeht, im Handel und schafft ihr im eigenen Garten ein Refugium. Sei es der Deutsche Ginster oder der Blaue Lein in Baden-Württemberg, die Graslilie, die Echte Bärentraube oder die Acker-Ringelblume in Hessen oder die Kalkaster und der Duft-Schöterich in Sachsen. Sie alle sind im jeweiligen Bundesland ausgestorben oder stark bedroht, doch sie alle sind von Hobbygärtnern gut kultivierbar und im Handel leicht zu bestellen.
"Aussterbeereignisse sind immer lokal – aber lokal kann man diesem Aussterben auch etwas entgegenwirken", sagt Ingmar Staude, Experte für spezielle Botanik und Biodiversität an der Universität Leipzig und assoziiertes Mitglied am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). Betroffen seien vor allem Arten, die ohnehin kleinere Verbreitungsgebiete haben, in Kulturlandschaften leben und die Pflege von Menschen benötigen, um fortbestehen zu können.
Conservation Gardening: Selbst auf Balkonen ist Platz
Daher seien die Gärten der Stadtbewohner bestens geeignet. "Obwohl der Naturschutz das oft nicht so wahrnimmt, sind unsere Siedlungsräume ebenso ein Teil der Natur, der einen wichtigen Beitrag zum Biodiversitätserhalt leisten kann", sagt der 31-jährige Biologe.
Auf seinem Balkon wachsen zum Beispiel Frühlingsprimeln, der Blutrote Storchschnabel und der Berglauch, der in Berlin sogar ausgestorben ist. Allein in der Hauptstadt seien mehr als 100 verschollene Arten für das Gärtnern geeignet und kommerziell erhältlich. Generell könnten auf privaten und öffentlichen Grünflächen mindestens 40 Prozent der rückläufigen und gefährdeten heimischen Pflanzenarten neue Lebensräume gegeben werden.
App liefert wichtige Informationen
Staude und eine Gruppe von weiteren Wissenschaftlern, Praktikern und Autoren haben anhand der Roten Listen aller 16 Bundesländer eine Web-App entwickelt, die bedrohte, in den Garten passende Pflanzen für alle Länder auflistet. Vermerkt sind dort auch ihre Gefährdung sowie ihr Bedarf an Licht, Wasser und Nährstoffen.
Sogar einige Produzenten und Gärtnereien, die auf Wildpflanzen spezialisiert sind und die genetische Vielfalt erhalten möchten, sind hinterlegt – als mögliche Einkaufsgelegenheit für die nächste persönliche Pflanzaktion.
Bisher war unklar, wie viele der rückläufigen Sorten für die Gartennutzung überhaupt taugen und ob sie verfügbar sind. Diese Wissenslücke haben die Experten gefüllt. "Was uns fehlt, sind mehr Hände vor Ort – Menschen, die sich um die Pflege und den Schutz der Arten kümmern. Die 900.000 Kleingärten und zig Millionen Privatgärten bieten ein riesiges Potenzial, mehr Menschen in den Artenschutz einzubeziehen", sagt Staude.
Viele Pflanzen sind anspruchslos
In Dortmund etwa wurden in einem 900 Quadratmeter kleinen Privatgarten 800 heimische, teils bedrohte Pflanzenarten angelegt und dadurch zugleich Lebensräume für mehr als 400 Insektenarten geschaffen. "Das Beispiel zeigt: Gärten und öffentliche Grünflächen könnten wichtige Orte sein, um gegen die Biodiversitätskrise aktiv zu werden."
Viele Kandidaten auf der Roten Liste sind sogar besonders anspruchslos, was ihre Düngung und den Wasserbedarf betrifft – sie lieben trockene, magere Böden. "Überdüngte Böden sind eher ungeeignet und ein Grund für ihr Verschwinden in der freien Natur, weil sich viele gefährdete Arten eher in karger Erde wohlfühlen", sagt Staude. Manche Böden müsse man daher mit Sand abmagern. Dafür könne man aber entspannt in den Sommerurlaub fahren, ohne dass die Pflanzen wegen Wassermangels eingehen.
Radikale Veränderungen nicht nötig
Auch der Einsatz von Pestiziden, um besonders ordentliche Beete zu pflegen, sei schädlich und überflüssig. Anstelle der üblichen Kräuter, die viele Gärten bevölkern, könnten heimische, weniger bekannte Kräuter wie Sand-Thymian, Süßdolde und Genfer Günsel gepflanzt werden. "Man kann viel experimentieren", sagt Staude. "Man sollte sich aber in unserer Liste über die Ansprüche der Pflanzen informieren." Oft brauche es keine radikalen Veränderungen, man könne klein anfangen.
So könnte schon ein kleiner Teil des Gartens von vielleicht zwei mal zwei Metern in ein Experimentierfeld umgewandelt werden. Dort könnte man 20 Zentimeter Natursand aufschütten, mit zwei Zentimetern Grünkompost mischen und verschiedene Arten ansiedeln. Anstelle von Forsythien und Liguster könnten auch Sträucher wie die Gewöhnliche Berberitze, der Zweigriffelige Weißdorn und verschiedene Ginsterarten, die viele Insekten anlocken, angepflanzt werden.
"Wir hoffen darauf, dass durch eine wachsende Nachfrage beim Conservation Gardening in Zukunft vielfältige, lokale Märkte für genetisch diverse Wildpflanzen aus lokaler Herkunft und ohne Massenproduktion genetischer Klons entstehen", sagt Staude. Damit könnte viel für die Biodiversität getan werden.
Die Pflanzen-Listen gibt es unter: conservation-gardening.shinyapps.io/app-de
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