"Bis zu 20 Prozent der Erdbeeren bleiben auf dem Acker", stellt Dr. Sabine Ludwig-Ohm klar. Sie ist Wissenschaftlerin am bundeseigenen Thünen Institut und hat eine Studie zu den Verlusten bei verschiedenen Obst- und Gemüseprodukten auf dem Feld durchgeführt. 20 Prozent – das sind bei einer Erntemenge von 142.000 Tonnen im Jahr (2018) fast 30.000 Tonnen Früchte.
Gründe sind unter anderem das Wetter sowie Lohnkosten und der Mindestlohn. Denn liegt der Gewinn, den Landwirte mit den Erdbeeren erzielen, unter den Lohnkosten für die Helfer, ist die Ernte unrentabel. Das heißt: Es ist dann billiger, die Erdbeeren auf dem Feld unterzupflügen und nicht zu ernten.
Lebensmittelverschwendung wegen optischer Mängel
Doch nicht nur diese Punkte sind ausschlaggebend: "Der Lebensmitteleinzelhandel hat in den letzten Jahren seine Anforderungen immer weiter in die Höhe geschraubt", kritisiert Sabine Ludwig-Ohm. Lidl, Aldi und Co. kaufen im konventionellen Anbau heute fast nur noch Früchte, die mindestens die Anforderungen an die "Klasse I" erfüllen. "Klasse II" hat nur noch im ökologischen Anbau eine gewisse Bedeutung.
Nach den obligatorischen "Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse" sind solche Erdbeeren "von höchster" oder "guter Qualität" und dürfen keine oder nur minimale Mängel wie etwa Formfehler oder kleine weiße Stellen aufweisen. Die Früchte müssen ein einheitliches Erscheinungsbild und auch eine bestimmte Größe haben: 25 Millimeter in der "Klasse Extra", 18 Millimeter in der "Klasse I".
Da setzt der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) aber meist noch eins drauf. Er fordere teils noch opulentere Früchte – Erdbeeren von mindestens 30 Millimeter Größe, so Sabine Ludwig-Ohm. Wenn die Früchte also zu klein oder zu hässlich für den Handel sind: Warum landen sie dann nicht einfach in Marmelade, Joghurt oder Erdbeer-Secco? Die Antwort ist so einfach wie absurd: Das rechnet sich nicht. Die Lohnkosten für die Erdbeerernte liegen um ein Vielfaches über dem Preis, den der Bauer von den Verarbeitern erhalten würde.
Bedeutet: Es ist auch hier billiger für die Landwirte, die Erdbeeren auf dem Feld unterzupflügen, als sie an Marmeladehersteller zu verkaufen. Denn die kaufen ihre Früchte in Polen, der Ukraine und in Spanien etwa, weil sie diese dort viel billiger bekommen. Der Mindestlohn beträgt in Polen zurzeit 17 Zloty – das sind 3,75 Euro.
Erdbeeren selber pflücken wird beliebter
Und das Selberpflücken? Das werde immer beliebter und sei eine gute Möglichkeit, Erdbeeren vor dem Unterpflügen zu retten, berichtet Jörg Hilbers, Geschäftsführer der Fachgruppe Obstbau im Bundesausschuss Obst und Gemüse in Berlin. Für die Höfe sei das eine gute Option, weil sie so einen Teil der Ernte direkt vermarkten können. Und das bringe bessere Erlöse. "Ob sich die Landwirte in Zeiten von Corona die Leute zum Selberpflücken allerdings auf den Hof holen wollen, ist offen", so Hilbers.
Durch die Corona-Krise hat sich diese gesamte Situation verschärft, und es wird deutlicher, welche absurden Folgen die Globalisierung hat und wie anfällig unsere Land- und Lebensmittelwirtschaft ist. Aufgrund der Corona-Pandemie dürfen viel weniger Helfer einreisen als bisher – und auch nur unter strengen Auflagen. Somit gibt es zu wenig Erntehelferinnen und -helfer, die Pflänzchen hegen, pflegen und die Beeren pflücken.
Zwar melden sich viele heimische Helfer, doch es bleibt abzuwarten, ob sie das gleiche Pensum schaffen, wie die Hilfskräfte aus den Nachbarländern. Ernten sie langsamer haben die Obstbaubetriebe mehr Kosten, weil dann insgesamt auch länger geerntet wird.
Heimische Erdbeeren werden mehr kosten
Und das schlägt sich auf den Preis nieder: Die Erdbeeren werden mehr kosten. Bereits jetzt finden sich hier und da Erdbeeren für fünf Euro das Pfund. Ein Problem, denn die spanische Konkurrenz ist deutlich billiger.
Ende März war das 500-Gramm-Schälchen aus Spanien für 1,11 Euro zu haben. Und weil die Spanier die Erdbeeren unter Folien anbauen und so weniger Erntehelfer brauchen, wird sich die Schließung der Grenzen bei ihnen vermutlich nicht im gleichen Maß auswirken wie bei uns.
Tipps gegen Lebensmittelverschwendung: Das kann jeder dagegen tun
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Heimische Erdbeeren kaufen. Obst und Gemüse aus regionalem Anbau ist zwar meist etwas teurer, es schmeckt aber auch aromatischer, weil es vollreif geerntet wird. Und ganz nebenbei trägt man dazu bei, dass möglichst viele Früchte und Gemüse vom Acker geerntet und verkauft werden.
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Bei Landwirten der Umgebung nachfragen, ob es möglich ist, dort selbst zu pflücken. Das ist auch günstiger: Das Kilo Früchte kostet meist nur etwa halb so viel wie im Laden.
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Aus Erdbeeren und anderem Obst selbst Marmelade kochen. Erdbeeren eignen sich auch für Kuchen, Rote Grütze, zum Einfrieren und als Obstkonserve im Glas.
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Gezielt nach Obst und Gemüse der "Klasse II" fragen. In Hofläden, auf Wochenmärkten und in Bio-Läden werden sie oft angeboten. Qualitativ sind sie ebenso einwandfrei wie "Klasse I" oder "Extra". Und auch krumme, zu kleine und große Früchte und Gemüse sind lecker, gesund und randvoll mit Vitaminen und Mineralstoffen.
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Möglichst Bio-Obst und -Gemüse kaufen. Das wird ohne Pestizide angebaut und nicht intensiv mit synthetischen Mitteln gedüngt. Da der Ertrag je Hektar geringer ist, ist Bio zwar etwas teurer. Aber es sind ehrliche Preise.
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Auch bei fertiger Marmelade, Tiefkühlobst und Konserven Produkte aus heimischem Obst und Gemüse bevorzugen. Leider wird das Herkunftsland der verarbeiteten Zutaten auf Packungen meist nicht deklariert. Wenn Hersteller heimische Früchte verwenden, werben sie aber oft auf den Produkten oder der Website damit.
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Wer sich als Erntehelfer engagieren möchte oder Hilfskräfte sucht, wird hier auf der Internetseite fündig.
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