Ist das neue Mobilfunksystem 5G notwendig, um eine vernetzte Gesellschaft mit superschnellem mobilem Internet zu versorgen? Oder ist der geplante massive Ausbau ein riskanter Versuch, der uns alle betrifft, ohne dass wir dessen Folgen einschätzen könnten? 5G ist ein heikles Thema – umso mehr als die Mobilfunkindustrie jetzt konkrete Schritte unternimmt, um die neuen Handynetze zu starten. Hier lesen Sie die wichtigsten Fakten und Fragen zur Diskussion.
5G: Was ist das eigentlich?
5G ist ein Mobilfunkstandard – der fünfte seiner Art – und soll ab 2020 in Deutschland verfügbar sein. Die Technologie folgt auf die bisherigen Standards 2G (auch als GSM bekannt), 3G (UMTS) und 4G (LTE), die jeweils Weiterentwicklungen ihrer Vorgängern waren. LTE bescherte uns beispielsweise höhere Datenübertragungsraten.
5G soll Daten erneut schneller übertragen als zuvor. ZDF heute brachte zur Veranschaulichung folgenden Vergleich: Mit dem derzeitigen 4G-Netz lassen sich bis zu 100 Megabit pro Sekunde herunterladen – mit 5G wird es das Hundertfache sein. Im Ergebnis, so das Versprechen, sollen sich auch größere Datenmengen (fast) in Echtzeit austauschen lassen.
Was soll 5G an Fortschritt bringen?
Der neue Mobilfunkstandard bedeutet mehr als ultraschnelles Internet. Für die EU ist 5G vor allem ein "Schlüsselfaktor der europäischen Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt", so die Europäische Kommission. Die Technologie soll unsere Welt mehr vernetzen als je zuvor: Autonomes Fahren, smarte Industrieanlagen, ferngesteuerte Operationen oder Ampeln, die untereinander kommunizieren – alle möglichen Einsatzbereiche sind dank der Datenübertragung in Echtzeit denkbar.
Der gemeine Smartphone-Nutzer profitiert von diesen Innovationen zunächst wenig. Es ist vor allem die Politik, die mit 5G den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken möchte. Die Industrie erwartet entsprechend Investitionen: Laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom gibt jedes zweite Unternehmen an, dass ihm die künftige Verfügbarkeit von 5G wichtig sei.
Firmen und Netzbetreiber werben entsprechend euphorisch für den neuen Mobilfunkstandard: "5G wird tiefgreifende Veränderungen bringen, wie das Auto oder die Elektrizität", verspricht Chip-Hersteller Qualcomm. "Der 5G-Standard wird neue Maßstäbe setzen. Er gewährleistet die notwendigen Anforderungen der Zukunft hinsichtlich Datengeschwindigkeit, Netzkapazität, Reaktionszeit und Datensicherheit", glaubt die Telekom. Und Vodafone preist 5G mit einem emotionalen Video an – darin gelingt es einer blinden Ski-Sportlerin, alleine die Piste hinabzufahren, weil sie mit Hilfe der Mobilfunktechnik in Echtzeit Anweisungen erhält.
Welche Strahlung wird bei 5G verursacht?
Doch nicht alle Menschen vertrauen der Technologie so blind – und ihre Zweifel sind nicht unbegründet. Kritiker fürchten die gesundheitlichen Risiken durch die Strahlung. Aber um welche Strahlung geht es dabei eigentlich?
Mobilfunkstrahlung ist elektromagnetische Strahlung, die unterschiedliche Frequenzen haben kann – je höher die Frequenz, desto kürzer ist die Reichweite der Wellen. Bereiche von 100 Kilohertz bis 300 Gigahertz gelten als hochfrequent. Für 5G werden nur zum Teil neue Frequenzbereiche eingesetzt: Die Bundesnetzagentur hatte im Juni 5G-Frequenzen um 2,0 Gigahertz sowie 3,6 Gigahertz versteigert, die teils schon für den UMTS-Standard im Einsatz waren.
Allerdings sollen in den kommenden Jahren erstmals höhere Frequenzbereiche um 26 Gigahertz folgen. Damit verbunden sind kürzere Reichweiten. Das bedeutet: Mehr Antennenanlagen werden nötig, darunter in den Städten Minisender, die näher an den Menschen platziert sein werden.
Diese neuen Sender verwenden allerdings auch eine andere Technik, die niedriger und gezielter sendet. Zudem werden alte Frequenzbereiche teilweise zugunsten von 5G abgeschaltet – die Gesamtstrahlung erhöht sich also nicht zwangsläufig. Wie genau sich damit die Strahlen-Immission durch 5G verändern wird, und wie diese Faktoren aufeinander einwirken, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.
Was sagen 5G-Gegner?
Die Kritiker von 5G sind laut, und es sind viele. Mehr als 200 Wissenschaftler, Mediziner und Umweltschutzorganisationen warnen mit einem internationalen Appell vor dem Mobilfunknetz-Ausbau – und mehr als 134.000 Menschen (Stand: 2. August 2019) haben bereits unterzeichnet.
In der Petition heißt es: "Der Einsatz von 5G bedeutet ein Experiment mit der Menschheit und der Umwelt" – und das sei ein Verbrechen. Durch die 5G-Pläne würden ernste, irreversible Konsequenzen für die Menschheit und die Ökosysteme der Erde drohen. 5G führe in Sachen Strahlung zu einer "massiven Zunahme der Zwangsexposition, der man nicht entfliehen kann". Im Appell werden etliche Studien herangezogen, die unter anderem Zusammenhänge zwischen elektromagnetischen Feldern und Erbgutveränderungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs untersuchten.
Was sagt die Wissenschaft?
"Aufgrund der weitverbreiteten Handynutzung würde selbst ein nur leicht erhöhtes Krebsrisiko ernste Folgen für die öffentliche Gesundheit haben", zitiert der Spiegel den Toxikologen Ronald Melnick. Der Forscher war auch an einer Studie (PDF) des National Toxicology Program (NTP) des US-Department of Health and Human Services beteiligt. Sie ist eine von zwei Langzeitstudien, die bislang die Auswirkungen von Mobilfunkwellen untersucht haben. Die zweite ist eine Studie des Ramazzini-Instituts in Italien.
Für beide Studien arbeiteten Forscher mit Ratten oder Mäusen, setzten sie über mehrere Jahre für mehrere Stunden am Tag Handystrahlung aus. Diese Tierversuche ergaben, dass männliche Ratten ein höheres Risiko besitzen, Tumore am Herzen zu entwickeln – und möglicherweise auch Hirntumore. Allerdings sind die Ergebnisse nicht eins zu eins auf den Menschen übertragbar. Nicht nur, weil es sich um Tierversuche handelte. Es wurde etwa auch kritisiert, dass die Stärke der Strahlung zu hoch gewählt worden sei, um sie mit der tatsächlichen Exposition in unserem Alltag vergleichen zu können.
Mehrere seit 2016 veröffentlichte Langzeitstudien aus Schweden, England und Australien konnten zudem nicht belegen, dass die Zahl der Hirntumore weltweit – parallel zur Entwicklung der Smartphone-Nutzung – drastisch gestiegen wäre. Was andere Gesundheitsschäden betrifft, so kommt eine britische Meta-Studie von 2014 zu dem Ergebnis, dass Handystrahlung die Spermienqualität mindern könnte – allerdings höchstens um 10 Prozent. Dabei könnten noch andere schädliche Faktoren eine Rolle gespielt haben, darunter Stress, Übergewicht und Rauchen.
Welche Risiken birgt 5G?
Sarah Drießen vom Forschungszentrum für elektromagnetische Umweltverträglichkeit an der RWTH Aachen sagte dem ZDF: "Da die jetzt versteigerten Frequenzen in ähnlichen Bereichen wie 4G und 3G liegen, sind diese 5G-Frequenzen gesundheitlich nicht anders zu bewerten." Das Problem dabei: Auch die gesundheitliche Bewertung der Handystrahlung, der wir heute ausgesetzt sind, ist unbefriedigend. So kam die International Agency for Research on Cancer (IARC) 2011 nach der Auswertung zahlreicher Studien zum Ergebnis, dass hochfrequente elektromagnetische Felder, also auch Mobilfunk, "möglicherweise krebserregend" seien.
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) nimmt zwar trotzdem grundsätzlich keine Gesundheitsgefährdung durch Mobilfunk an, räumt jedoch unklare Ergebnisse bei sehr intensiver Handynutzung und Unsicherheiten beim Thema Langzeitwirkungen ein. "Zusammengefasst besteht nach derzeitigem Kenntnisstand unterhalb der empfohlenen Grenzwerte kein gesundheitliches Risiko dieser hochfrequenten Felder", sagte Sarah Drießen von der RWTH Aachen. Eine Auffassung, die das BfS teilt – und daher keinen Grund sieht, den Fortschritt des 5G-Ausbaus wegen gesundheitlicher Bedenken einzuschränken.
Anders fällt die Einschätzung für die höheren Frequenzen über 20 Gigahertz aus, die für die Zukunft geplant sind. Dann würde auch mehr Energie von der Körperoberfläche des Smartphone-Nutzers absorbiert, und die Studienlage – zum Beispiel zu Auswirkungen auf Haut und Augen – ist hier noch dünner. Das BfS mahnt daher zur Vorsicht und zu einem umsichtigen Ausbau: "Zwar ist davon auszugehen, dass auch in diesen Bereichen unterhalb der bestehenden Grenzwerte keine gesundheitlichen Auswirkungen zu erwarten sind. Da für diesen Bereich bislang jedoch nur wenige Untersuchungsergebnisse vorliegen, sieht das BfS hier aber noch Forschungsbedarf."
Was sind die größten Probleme?
Halten wir fest: Die aktuell für 5G versteigerten Frequenzen liegen in einem Bereich, für den nicht bewiesen ist, dass die Gesundheit des Menschen Schaden nimmt – aber auch nicht, dass er harmlos ist. Für die höherfrequenten Bereiche existieren nicht einmal größere Studien, die das Risiko einschätzen.
Was entsprechende Untersuchungen und klare Einschätzungen erschwert: Die Technologie ist noch jung, Krebserkrankungen entwickeln sich aber über Zeiträume von 20 bis 30 Jahren. Außerdem gibt es praktisch keine unbelastete Kontrollgruppe mehr, weil Mobilfunkwellen mittlerweile allgegenwärtig sind. Laut Spiegel hat das BfS bereits mehrere neue Studien auf den Weg gebracht. So soll unter anderem bis 2021 eine Bewertung der "Gesamtexposition des Menschen durch zusätzliche 5G-Mobilfunktechnologie" vorliegen.
Die Frage ist, ob die Forschung mit der technischen Weiterentwicklung Schritt halten wird, da der Startschuss für 5G längst gefallen ist. Und: ob man nicht von vornherein alles daran hätte setzen sollen, um die Technologie auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen – um Klarheit darüber zu haben, wie sich der neue Mobilfunkstandard auf unsere Gesundheit auswirkt.
Wie kann man sich vor Strahlen schützen?
Die Strahlung der Mobilfunk-Basisstationen können wir kaum beeinflussen – allerdings ist auch die Immission durch unser eigenes Smartphone nicht zu unterschätzen. Und das gilt bereits jetzt. Das BfS rät deshalb, bei der Auswahl des Handys auf den SAR-Wert zu achten (je niedriger, desto strahlungsärmer ist das Gerät) sowie auf Abstand zwischen Smartphone und Körper. Headsets und Freisprecheinrichtungen seien dazu sinnvoll.
Auch den Einfluss anderer Strahlenquellen wie Schnurlostelefone oder dem heimischen WLAN haben Menschen bis zu einem gewissen Grad selbst in der Hand. Weitere Tipps gibt es auf der Webseite des BfS.
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