Am Samstag werden in Deutschland die letzten drei Atomkraftwerke – Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg – abgeschaltet. Eigentlich sollte das schon Ende vergangenen Jahres passieren. Wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise entschied die Ampel-Koalition im vergangenen Jahr jedoch, die drei Meiler über den Winter weiterlaufen zu lassen.
Bis zum Schluss produzieren die Kraftwerke Energie: Das RWE-Kraftwerk Emsland beispielsweise wird von 1. Januar bis 15. April 2023 den Jahresstrombedarf von rund 500.000 Haushalten erzeugt haben. Nach dem Abschalten ist damit Schluss. Rund sechs Jahrzehnte lang werden deutsche Atomkraftwerke dann Strom produziert haben.
Für die Stromversorgung wird das Atom-Aus keine Folgen haben: Es steht genügend gesicherte Kraftwerksleistung aus anderen Anlagen bereit, um die Nachfrage auch nach dem Abschalten der AKWs zu decken, so die Bundesnetzagentur. Unter anderen wurden Kohlekraftwerke zurück in den Markt geholt, die wieder Strom liefern können. Weil die Gaspreise gesunken sind, können auch Gaskraftwerke wieder mehr bezahlbare Energie erzeugen.
2030 soll auch für Kohlestrom Schluss sein
Der Wegfall der Kernenergie zum 15. April macht sich schon deshalb nicht so stark bemerkbar, weil Atomstrom im Jahr 2023 gar keinen großen Beitrag mehr zum deutschen Strommix leistete. Im Januar und Februar hatte Atomenergie nach Angaben des Branchenverbandes BDEW nur noch einen Anteil von 4 Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland – in der Vergangenheit hatte dieser Anteil lange bis zu ein Drittel betragen. Das hat sich gründlich geändert. Zum Vergleich: Grüne Energie brachte es im vergangenen Jahr auf einen Anteil von 46,3 Prozent, Kohle auf 33,3 und Erdgas auf 11,4 Prozent.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) betonten nochmal die Bedeutung der erneuerbaren Energien. "In 2030 wollen wir 80 Prozent des Stroms hier in Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugen", sagte Habeck laut einer Mitteilung vom Donnerstag. Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland bleibe auch nach dem Abschalten der letzten drei Atomkraftwerke gewährleistet. Vor allem der massive Ausbau der erneuerbaren Energien sorge für Sicherheit.
Umweltministerin Lemke sagte, der Atomausstieg mache Deutschland sicherer, denn die Risiken der Atomkraft seien letztlich unbeherrschbar. "Mit dem Abschalten der letzten drei Atomkraftwerke brechen wir auf in ein neues Zeitalter der Energieerzeugung."
In diesem Zeitalter soll Kohle keine Rolle mehr spielen. Nach dem Atomausstieg strebt die Bundesregierung bis 2030 einen Ausstieg aus der Kohleverstromung an. Ab diesem Zeitpunkt sollen dann vor allem erneuerbare Energien wie Wind, Wasser und Sonne sowie klimaschonende Technologien wie wasserstofffähige Gaskraftwerke die deutsche Stromversorgung sicherstellen.
Kraftwerke wurden absichtlich länger betrieben
Die drei Kraftwerke, die nun vom Netz gehen, hätten eigentlich schon Ende 2022 abgeschaltet werden sollen. Aufgrund der Energiekrise waren die Kraftwerke aber über den geplanten Termin hinaus weiterbetrieben worden – eben bis zum 15. April 2023, der nun bevorsteht.
Der Weiterbetrieb sei hilfreich gewesen, da die Atomkraftwerke zur Versorgungssicherheit im vergangenen Winter beigetragen hätten, so Manuel Frondel vom RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Der Streckbetrieb habe überdies dazu geführt, dass teure Erdgaskraftwerke seltener zum Einsatz kamen, was die Strompreise gedämpft habe. Insgesamt seien die Effekte durch den Weiterbetrieb zwar überschaubar gewesen, aber nicht vernachlässigbar.
Umweltschützer kritisieren Streckbetrieb
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt bezeichneten die Laufzeitverlängerung hingegen in einer aktuellen Analyse als "politischen Irrweg". Das Urteil der Atomgegner: Die Kernkraft habe in den dreieinhalb zusätzlichen Monaten keinen relevanten Beitrag zur Energiesicherheit geleistet. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace und das Analyseinstitut Enervis wollen am morgigen Freitag eine Kurzstudie vorstellen, die ebenfalls Antworten auf die Fragen liefern soll, wie sinnvoll der Weiterbetrieb der Meiler gewesen sei.
Die Umwelthilfe begrüßte den bevorstehenden endgültigen Atom-Ausstieg ausdrücklich, forderte aber zugleich einen schnellen Rückbau der stillgelegten Reaktoren. Das steht den Forderungen beispielsweise einiger FDP-Vertreter entgegen, die die letzten drei Atomkraftwerke nicht sofort zurückbauen, sondern lieber in Reserve halten möchten, um sie im Notfall reaktivieren zu können.
Atom-Befürworter fordern Reserve-AKWs
Denn nicht alle sind mit dem Atom-Aus zufrieden: Die Abschaltung der letzten deutschen Kernkraftwerke sorgt auch für Proteste. So werden am Samstag nicht nur Kundgebungen von Umweltschützern erwartet, die den Atomausstieg feiern wollen, sondern auch Demonstrationen von Atom-Befürwortern: Sie wünschen sich einen Weiterbetrieb oder zumindest keinen Rückbau der letzten Kernkraftwerke.
Strompreise bleiben erst mal stabil
Und wie sieht es für Verbraucher aus? Hat der Ausstieg Auswirkungen auf die Preise? Ziemlich sicher nicht. Denn die Marktakteure haben sich längst auf die neue Situation eingestellt, da Strom mit langen Vorlaufzeiten von Wochen oder sogar Monaten gehandelt wird. Verbraucherzentralen, Vergleichsportale und andere Beobachter erwarten deshalb keine kurzfristigen Auswirkungen des Atomausstiegs auf die Energiepreise.
Ein Punkt, der die Gesellschaft noch lange beschäftigen wird, betrifft hingegen die Folgekosten von 60 Jahren deutscher Atomkraft. Denn: Allein die Menge hochradioaktiver Abfälle aus Brennelementen wird in Deutschland auf rund 10.500 Tonnen geschätzt. Ein Endlager in Deutschland gibt es noch nicht. In einer Broschüre für das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung heißt es, dass in Deutschland ein bis zwei Generationen von der Atomenergie profitiert hätten. Endlager hingegen beträfen das Leben von mehr als 33.000 künftigen Generationen.
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Mit Material von dpa