Der Koalitionsvertrag steht und die kommende Bundesregierung macht darin gleich zu Beginn klar: "Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen, hat für uns oberste Priorität." Wichtige Eckpunkte im Koalitionsvertrag sind der Ausbau der Erneuerbaren Energien, ein vorgezogener Kohleausstieg "idealerweise" 2030 sowie der Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur und damit die Förderung der E-Mobilität. Auch die EEG-Umlage fällt 2023 weg.
Wir wollten wissen, wie sich diese Ziele konkret auf die Verbraucher auswirken werden und haben uns einzelne Punkte im Koalitionsvertrag genau angesehen.
Neu: Seit heute haben alle drei Ampelparteien dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Die Grünen nutzten dafür eine Urabstimmung, SPD und FDP stimmten dem Vertrag auf ihren jeweiligen Parteitagen zu. Damit kann der Koalitionsvertrag am morgigen Dienstag unterschrieben werden. Für Mittwoch ist die Bildung der neuen Bundesregierung sowie die Wahl von Olaf Scholz zum neuen Bundeskanzler geplant.
EEG-Umlage fällt 2023 weg: Sinken dadurch die Strompreise?
Eine wichtige Nachricht aus dem Koalitionsvertrag ist der Wegfall der EEG-Umlage ab dem 01. Januar 2023. Bislang war diese Finanzierung zum Ausbau der Erneuerbaren Energien Teil der Stromrechnung. Bereits zum 01. Januar 2022 wird die EEG-Umlage von 6,5 Cent auf 3,7 Cent sinken, doch nur wenige Stromanbieter geben diese Senkung an ihre Kunden weiter. Das wird sich ab übernächstem Jahr ändern, denn dann fällt die Umlage komplett weg und belastet nicht mehr den einzelnen Stromkunden, sondern wird aus Bundesmitteln bezahlt werden. Das dürften die Verbraucher auch auf der Stromkostenabrechnung bemerken.
Udo Sieverding, Bereichsleiter Energie bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, kritisiert die derzeitige Handhabung der Stromanbieter, die Senkung der EEG-Umlage nicht an die Kunden weiterzugeben. Gleichzeitig geht er von einer spürbaren Senkung der Strompreise ab 2023 aus. "Ich bin mir sicher, dass der vollständige Wegfall der EEG-Umlage auch bei den Verbrauchern ankommen wird", so Sieverding gegenüber ÖKO-TEST.
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss trotz Wegfall der EEG-Umlage finanziert werden. Künftig soll das über den Energie- und Klimafonds (EKF) geschehen. Der EKF wiederum wird mit dem CO2-Preis bezahlt, der schrittweise steigt. Udo Sieverding hält diese Rechnung "für finanzierbar".
CO2-Preis: Wer profitiert stärker – Verbraucher oder Klima?
Die CO2-Abgabe auf Benzin, Diesel, Heizöl und Gas führte die bisherige Bundesregierung bereits im Januar 2021 als Teil ihres Klimaschutzpakets ein. Der CO2-Preis funktioniert dabei wie eine Steuer und kostet aktuell 25 Euro pro Tonne CO2. Dieser Preis steigt von Jahr zu Jahr auf 55 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2025. Das Ziel hinter der CO2-Bepreisung: Fossile Brenn- und Kraftstoffe sollen unattraktiver werden – und der Umstieg auf klimaschonendere Alternativen dadurch erstrebenswerter.
Die Ampelparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag nun beschlossen, die CO2-Abgabe aufgrund der derzeit hohen Energiepreise aus sozialen Gründen nicht weiter zu erhöhen. Klimaschützer hatten eine ebensolche Anhebung CO2-Preises wiederholt gefordert, um die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zu gewährleisten.
Udo Sieverding hat dazu eine klare Meinung: "Aus Klimasicht wäre eine Erhöhung des CO2-Preises nötig gewesen, ich finde die Entscheidung aber unterm Strich in Ordnung. Die Gesellschaft muss zusammengehalten werden und die Kosten für Energie sind bereits sehr hoch. Sie noch weiter zu erhöhen, wäre gesamtgesellschaftlich problematisch."
Der CO2-Preis steigt also wie von der bisherigen Bundesregierung beschlossen und nicht stärker an. Die Energiekosten bleiben damit auf einem hohen Niveau. Einen sozialen Ausgleich soll ein sogenanntes "Klimageld" garantieren. Wie der soziale Kompensationsmechanismus aber genau funktionieren und bezahlt soll, müssen die Ampelparteien erst noch entwickeln.
CO2-Preis wirkt: "Verbraucher rennen Energieberatungen die Bude ein"
Die Sorge einiger Klimaschützer, dass ohne nachgebesserten CO2-Preis nicht genügend Verbraucher auf eine klimafreundlichere Energieversorgung umrüsten, teilt die Verbraucherzentrale NRW nicht. Im Gegenteil: "Bereits jetzt beobachten wir eine wahnsinnige Bewegung auf dem Energiemarkt, denn die fossile Energie wird bereits teurer. Bei der Energieberatung rennen uns die Leute regelrecht die Bude ein."
Der Energieexperte gibt außerdem zu bedenken, dass eine noch verstärktere Umrüstung im Moment nur schwer möglich sei. "Wir könnten uns gar nicht noch mehr leisten. Man darf nicht vergessen, dass wir einen großen Fachkräftemangel im Handwerk haben und die neuen Heizungen auch erst einmal verbaut werden müssen", so Sieverding gegenüber ÖKO-TEST.
Vorgezogener Kohleausstieg: Ist das realistisch?
Dass der Kohleausstieg kommt, hatte die bisherige Bundesregierung schon beschlossen. Bislang war 2038 das Enddatum für den Kohleausstieg. Nach dem Willen der Ampelkoalition soll aber "idealerweise" bereits 2030 Schluss sein mit der Kohle. Auch am Atomausstieg bis 2022 hält die neue Regierung fest.
Erneuerbare Energien und moderne Gaskraftwerke müssen massiv ausgebaut werden, um den Strom- und Energiebedarf decken zu können. Denn bis 2030 soll der Strom zu 80 Prozent aus Solar-, Wind- und Wasserkraft erzeugt werden. SPD, Grüne und FDP haben dazu auch konkrete Maßnahmen benannt: Beispielsweise sollen für die Windenergie an Land zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden, auf Dächern neuer Gewerbebauten werden Solaranlagen verpflichtend sein, bei Privathäusern sollen sie "die Regel werden" und der Ausbau der Offshore-Windenergie wird beschleunigt.
Je schneller die Erneuerbaren Energien ausgebaut und je stärker sie gefördert werden, desto schneller wird Kohle unwirtschaftlich. Udo Sieverding äußert hierbei viel Verständnis für die künftige Ampelkoalition: "Ich halte Ziel und Zeitpunkt für den Kohleausstieg für sehr vernünftig." Auch den Begriff "idealerweise" findet Sieverding gut gewählt, auch wenn die Ampelparteien dafür von vielen Seiten Kritik einstecken mussten. "Es ist doch so: Die Erneuerbaren Energien werden massiv ausgebaut, im Koalitionsvertrag wurden Maßnahmen für Solarenergie sowie Windenergie an Land und auf See definiert. Wir müssen 2030 einfach sehen, wie weit wir dann schon sind. Denn einen Versorgungsengpass können wir nicht riskieren", so der Experte weiter.
Was bedeutet der Ausbau der E-Mobilität für Verbraucher?
Auch bei der E-Mobilität hat die Ampelkoalition große Pläne und möchte unter anderem bis 2030 15 Millionen vollelektrische PKW auf die Straßen bringen. Außerdem soll Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität sowie ein Innovationsstandort für autonomes Fahren werden. Um diese Ziele zu erreichen, will die Ampelkoalition unter anderem den Ausbau der E-Ladesäulen massiv beschleunigen.
Bereits jetzt nehmen die Zulassungen von E-Autos kontinuierlich zu. Udo Sieverding hält die Zahl von 15 Millionen E-Autos bis 2030 deshalb für realistisch. "Die Umstellung im Markt ist bereits da und es werden weitere technische Fortschritte hinzukommen", ist er sich sicher. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: "Für mich persönlich wäre die Zahl von 15 Millionen E-Autos bis 2030 sogar verzichtbar gewesen, denn der Markt regelt das von selbst."
Für eine Verkehrswende reicht ein Ausbau der Elektromobilität alleine aber nicht aus, Faktoren wie der Ausbau des ÖPNV sind ebenfalls entscheidend. Die Ampel will den ÖPNV deshalb fördern und Investitionen verstärkt ins Schienennetz der Bahn statt in den Ausbau der Straßen stecken. Udo Sieverding hat eine weitere Idee: "Man könnte auch das Dieselprivileg, also die die steuerliche Begünstigung von Dieselkraftstoff gegenüber Benzin, abschaffen, da sie absolut nicht mehr zeitgemäß ist." Im Koalitionsvertrag wurde das so noch nicht beschlossen, das Dieselprivileg soll aber überprüft werden.
"Ziele für E-Mobilität sind realistisch, können im Einzelnen aber schmerzhaft sein"
Bei der Förderung der Elektromobilität sollte man jedoch nicht vergessen, dass sich nicht jeder Verbraucher ein neues E-Auto leisten kann und will. Noch immer fahren viele Verbraucher Autos mit Verbrennermotoren. Wir haben Udo Sieverding deshalb auch gefragt, welche zusätzlichen Kosten die Besitzer von Autos mit Verbrennermotoren fürchten müssen. "Je neuer und effizienter die Verbrennerautos sind, desto weniger werden die Verbraucher die CO2-Abgabe auf Benzin oder Diesel merken. Aber natürlich kann so ein Umstieg oder vielmehr ein Umbruch in der Autoindustrie schmerzhaft sein."
Fazit des Koalitionsvertrags: Klimaschutz wird mit Maßnahmen ausgestaltet, Finanzierung teils noch offen
Insgesamt schreiben die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP den Klimaschutz im Koalitionsvertrag groß. Die Parteien selbst bezeichnen ihre Ziele folgendermaßen: "Es gilt, die soziale Marktwirtschaft als eine sozialökologische Marktwirtschaft neu zu begründen. [...] Wir bringen neues Tempo in die Energiewende, indem wir Hürden für den Ausbau der Erneuerbaren Energien aus dem Weg räumen. Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen und die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen."
Im Koalitionsvertrag sind bereits wichtige Maßnahmen festgehalten, wie Energiewende und Verkehrswende gelingen können. Wie sich die Investitionen auf längere Sicht finanziell auf die einzelnen Verbraucher auswirken, ist noch nicht im Detail abzusehen.
Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW zieht aus Verbrauchersicht insgesamt ein positives Fazit aus dem Koalitionsvertrag. "Einerseits wird klar aufgezeigt: Es geht nicht mehr nur mit Zielen, sondern mit konkreten Maßnahmen Richtung Klimaneutralität. Andererseits gibt es auch das kurzfristige Signal, dass beispielsweise Gasheizungen nicht mehr verbaut werden sollen und deshalb auch nicht mehr gefördert werden. Gleichzeitig gibt es Alternativen und Fördermittel. Der größte Flaschenhals ist aus meiner Sicht der Fachkräftemangel, den die neue Bundesregierung dringend angehen sollte. Auch die Lieferkettenengpässe werden uns noch ein bis zwei Jahre beschäftigen."
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