Die Menschheit ist noch einmal davongekommen. Zumindest dachten wir das, als Wissenschaftler im Jahr 2003 Entwarnung gaben. Die Forscher der University of Alabama in Huntsville hatten Messdaten der vergangenen 20 Jahre ausgewertet. Zahlenmaterial, das drei Satelliten und drei Bodenstationen von der Ozonschicht gesammelt hatten. Demnach gab es erste Anzeichen, dass sich die löchrige Gashülle um die Erde tatsächlich erholte – der Wendepunkt schien erreicht. Das Ozonloch über der Antarktis schrumpfte. "Dies ist der Anfang einer Erholung der Ozonschicht", frohlockte damals Michael Newchurch, einer der beteiligten Forscher.
Ein Irrtum? Fakt ist: Schon drei Jahre später war das Loch in der Schutzhülle über dem Südpol 27,5 Millionen Quadratkilometer groß, eine Fläche, die größer ist als Nordamerika. Zwar weiß man schon seit Längerem, dass die Erholung der Ozonschicht kein kontinuierlicher Prozess ist, vielmehr schwankt die Größe des Ozonlochs in der Antarktis – bedingt durch unterschiedlich kalte Höhentemperaturen. Dennoch waren die Forscher enttäuscht. Sie hatten mit einem positiveren Trend gerechnet - gut 20 Jahre, nachdem mit dem Montreal-Protokoll ein internationales Abkommen in Kraft getreten war, in dem sich die meisten Länder verpflichtet hatten, künftig auf ozonschädliche Stoffe zu verzichten.
FCKW bedrohen Ozonschicht noch nach Jahrzehnten
Für den Ozonabbau sind Chemikalien wie die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) verantwortlich, die früher in Kühlschränken oder Spraydosen eingesetzt wurden. FCKW gelangen aufgrund ihrer chemischen Stabilität unzersetzt in die Stratosphäre, wo sie durch ein Zusammenspiel von Polarwirbel, Stratosphärenwolken und Sonnenlicht regelrecht aufgeknackt werden. Die Herstellung und Verwendung von FCKW und anderer Substanzen, die der Ozonschicht schaden, wurde daher 1987 verboten. Aufgrund der langsamen Austauschprozesse von oben nach unten war jedoch schon bei der Ratifizierung klar, dass es Jahrzehnte dauern würde, bis sich die Ozonschicht erholt. Das Maximum der FCKW-Konzentration in der untersten Luftschicht wurde Mitte der 1990er-Jahre erreicht. Der Chlorgehalt der Stratosphäre nimmt seit der Jahrtausendwende langsam ab, ist aber immer noch sehr hoch.
Über weiten Regionen der Südhalbkugel beträgt der Ozonverlust über Monate hinweg 60 bis 70 Prozent, an bestimmten Stellen über dem Pol ist gar kein Ozon mehr vorhanden. Die Folge: Schädliche UV-Strahlung kann ungebremst die Erdoberfläche erreichen. In Australien und Neuseeland gibt es zur Zeit des polaren Frühlings akute Warnungen, sich dem Sonnenlicht nicht ungeschützt auszusetzen. Über der Nordhalbkugel folgt dieser Prozess mit ein paar Monaten Zeitverschiebung, es kommt erst im Februar und März zur Ausdünnung des UV-Schutzschildes. An manchen Frühlingstagen gehört auch Europa zum Risikogebiet, bis nach Süddeutschland dringt die schädigende Kraft der UV-Strahlen. Das Bayerische Landesamt für Umwelt gibt an, dass der Ozongehalt über Bayern in den vergangenen 40 Jahren um zehn Prozent gesunken ist, im gleichen Zeitraum ist die UV-Strahlung um etwa 15 Prozent gestiegen. Wer die erste Frühlingssonne genießen will, kann deshalb eine unangenehme Überraschung erleben: einen Sonnenbrand nach wenigen Minuten.
Zuverlässige Prognosen, wie sich die Ozonschicht zukünftig entwickeln wird, sind schwierig. Vor einigen Jahren hatten verschiedene Forscherteams noch vermutet, etwa ab Mitte des Jahrhunderts würde über der Antarktis nicht mehr alljährlich im Frühjahr ein Ozonloch entstehen. Jetzt rechnen Meteorologen dagegen damit, dass sich die Ozonschicht erst 2100 erholt. Dabei sind ihnen auch die Ungenauigkeiten bewusst, die solchen Prognosen anhaften. Diese reichen von Unsicherheiten in der Bilanzierung bestimmter Substanzen, die an der Ozonzerstörung beteiligt sind, bis hin zur Kopplung der Prozesse in der Stratosphäre an den Klimawandel. Denn auch das macht den Klimaforschern mittlerweile Sorgen: Der Treibhauseffekt verstärkt offenbar die ozonzerstörende Wirkung des Chlors in der oberen Atmosphäre.
Ozonloch im Vergleich zum Klimawandel
Zwar sind für die Entstehung des Ozonlochs vor allem die FCKW verantwortlich, während der Klimawandel durch Treibhausgase verursacht wird. Doch hat das eine Auswirkungen auf das andere. Offensichtlich bewirken Treibhausgase, die in Erdnähe für eine Aufheizung sorgen, in höheren Luftschichten das ganze Gegenteil: Die Stratosphäre kühlt ab. "Kältere Luft bedeutet aber, dass sich dort leichter die Stratosphärenwolken bilden können, die für die Entstehung des Ozonlochs so wichtig sind". Wenn im polaren Frühling Sonnenlicht auf diese Wolken trifft, werden an deren Oberfläche Chlorverbindungen aufgespaltet und für die Reaktion mit Ozon aktiviert: Ein lawinenartiger Abbau von Ozon setzt ein.
Neben der Antarktis wird auch die Arktis zum Sorgenkind. Bisher gab es hier geringere Probleme, denn nur selten sinkt die Temperatur über der Nordhalbkugel unter die kritische Grenze von minus 78 Grad Celsius, ab der Stratosphärenwolken entstehen. In diesem Frühjahr dann die Horrormeldung: Über der Arktis hatte sich erstmals ein Ozonloch gebildet, mit zwei Millionen Quadratkilometern etwa fünf Mal so groß wie Deutschland: Die Ozonschicht war um 80 Prozent zurückgegangen. "Wir hatten über der Arktis bisher starke Ozonverluste, aber nie ein Ozonloch. Dieses Ereignis hängt mit veränderten Temperaturstrukturen in der Atmosphäre zusammen", konstatiert Professor Thomas Peter von der ETH Zürich. Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung geht noch einen Schritt weiter: "Das Ozonloch über der Arktis war nicht nur das Ergebnis einer Kombination vergangener Umweltbelastungen durch Luftschadstoffe." Seine Entstehung hänge auch mit langfristigen Veränderungen im Klimasystem zusammen, heißt es in einer Pressemitteilung.
Auch die Arktis wird zum Sorgenkind
Die Schlussfolgerung ist klar: Wenn wir die Emissionen der Treibhausgase nicht senken, werden die Temperaturveränderungen auch in der Stratosphäre weiter voranschreiten, auch am Nordpol wird sie sich weiter abkühlen. Dann hätte zwar das Montrealer Protokoll sehr gut funktioniert, weil es die weitere Emission der ozonzerstörenden Gase unterbunden hat, analysiert Professor Peter, "aber trotzdem hätten wir ein Problem in Bezug auf die Ozonschicht in den hohen Breiten, weil wir das Kyoto-Protokoll und andere Klimaziele nicht umsetzen, sondern immer weiter CO2 in die Atmosphäre pumpen."
24 Jahre nach dem Montrealer Protokoll zeigt sich also: Auch eine ambitionierte Politik kann nicht garantieren, dass Umweltzerstörungen reparabel sind. Obwohl das Abkommen greift, obwohl die Industrieländer den Einsatz schädlicher Stoffe wie FCKW um 99 Prozent und die Entwicklungsländer um 60 Prozent reduziert haben: Das Ozonloch bleibt der Menschheit vorerst erhalten. Es ist ein Beleg dafür, wie langsam bereits entstandene Schäden rückgängig zu machen sind. Das gilt erst recht für das Problem der CO2-Klimaerwärmung. +++
Kompakt: Schutz und Gefahr – die zwei Seiten des Ozon
Das bodennahe Ozon, mit dem Menschen, Pflanzen und Tiere in direktem Kontakt kommen, ist ein aggressives Gas, das in höheren Konzentrationen die Atemwege reizt, die Lunge schädigt und auch zu Ernte- und Waldschäden beiträgt. Es bildet sich vor allem an Tagen mit intensiver Sonnenstrahlung und entsteht zumeist aus Stickstoffverbindungen, zu deren Hauptverursachern Autoabgase zählen. Während Ozon am Erdboden ein Reizgas ist, schützt die Ozonschicht in Höhen zwischen 25 und 45 Kilometern vor ultravioletter Strahlung.
Kompakt: Lobbyisten: Alles Lüge?
Es gibt den Klimawandel, und es gibt jene sogenannten Klimaskeptiker, die einen menschengemachten Zusammenhang mit der globalen Erwärmung bestreiten. Solche Zweifel haben ihre Geschichte: Auch die Rettung der Ozonschicht wurde gegen heftige Widerstände in Politik und Wirtschaft durchgesetzt. Unter den Skeptikern von damals finden sich etliche der Gegenwart wieder. Der wohl bekannteste ist der heute 87-jährige US-amerikanische Physiker Fred Singer. Er bezweifelte die Rolle der FCKW beim Ozonabbau und stellt heute die These auf, dass anthropogene CO2-Emissionen keine nennenswerte Auswirkung auf den Treibhauseffekt haben. In mehreren Veröffentlichungen wurde Singer vorgeworfen, er ließe sich von der Industrie finanzieren. Unter anderem soll er als Berater für die Tabakindustrie und den Mineralölkonzern Exxon gearbeitet haben. Singer bezweifelt im Übrigen auch einen Zusammenhang zwischen Passivrauchen und Lungenkrebs.
Interview: "Wir hatten unglaubliches Glück"
Stefan Rahmstorf ist einer der renommiertesten Klimaforscher Deutschlands. Er arbeitet am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
ÖKO-TEST: Herr Rahmstorf, ist das Ozonloch ein Beispiel dafür, dass die Menschheit es immer wieder schafft, Umweltkatastrophen zu entgehen?
Stefan Rahmstorf: Ich glaube, man kann von einem Fall nicht verallgemeinern. Der Ozonloch-Erforscher Paul Crutzen hat deutlich gesagt, dass wir ein unglaubliches Glück hatten, das Ozonproblem rechtzeitig erkannt und gelöst zu haben. Hätten die Entwickler der FCKW damals nicht auf Chlor-, sondern auf Brombasis gearbeitet, wäre der Ozonabbau um ein Vielfaches schneller vorangeschritten. Die Ozonschicht wäre wahrscheinlich weg gewesen, bevor die Wissenschaft das Problem überhaupt erfasst hätte. Die Menschheit ist da ganz knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Auch beim Klimawandel ist es so, dass wir die Grundzüge verstehen und wissen, wie das Kohlendioxid eine Erwärmung verursacht. Aber trotzdem muss man mit Überraschungen im Klimasystem rechnen. Wenn wir das Klima weg von seinem stabilen Gleichgewicht der letzten Jahrtausende treiben, können wir nicht alle Auswirkungen vorhersagen. Es ist ein gefährliches Spiel, das wir da treiben.
ÖKO-TEST: Haben Ozonloch und Klimawandel überhaupt etwas miteinander zu tun?
Rahmstorf: In erster Linie nicht. Das wird häufig in den Medien durcheinandergebracht. Es gibt natürlich ein paar Verbindungen zwischen der Ozonloch- und der Klimaproblematik. Es sind zum Beispiel dieselben Gase an beiden Phänomenen beteiligt. Fluorchlorkohlenwasserstoffe verursachen das Ozonloch und heizen das Klima auf. Deshalb ist das Montreal-Protokoll, durch das der Einsatz von FCKW stark eingeschränkt wurde, bislang die erfolgreichste Klimaschutzmaßnahme. Durch die Verringerung von FCKW ist wesentlich mehr an Erderwärmung verhindert worden als durch das Kyoto-Protokoll.
ÖKO-TEST: Können wir den Klimawandel genauso abwehren wie das Ozonloch?
Rahmstorf: Ich denke schon. Das ist allerdings um eine Größenordnung schwieriger, weil es bei den FCKW um Stoffe ging, die eine überschaubare industrielle Anwendung hatten. Sie sind leichter zu ersetzen als die fossilen Brennstoffe, die letztlich im Kern unseres gesamten Energie- und Wirtschaftssystems stecken. Trotzdem gibt es auch hier Ersatzmöglichkeiten, insbesondere durch wesentlich höhere Energieeffizienz und durch die erneuerbaren Energien. Wir müssen bedenken, dass ständig 8.000-mal mehr Energie von der Sonne auf die Erde strahlt, wie wir als Menschheit insgesamt brauchen. Das heißt, eigentlich haben wir einen unerschöpflichen Energienachschub. Es muss uns nur gelingen, diese Energie für uns auf wirtschaftliche Weise nutzbar zu machen.
ÖKO-TEST: Sie haben das Montreal-Protokoll erwähnt: Wie müsste ein ähnlicher Vertrag aussehen, um den Klimawandel aufzuhalten?
Rahmstorf: Er müsste letztlich alle Nationen der Erde verpflichten, ihre Emissionen stark herunterzufahren. Doch die Diplomatie ist zu langsam - auf ein verbindliches globales Abkommen können wir nicht warten, wir müssen sofort handeln. Noch können wir den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad begrenzen, wie es der Klimagipfel in Cancun im letzten Jahr beschlossen hat. Das setzt aber voraus, dass die CO2-Emissionen in den nächsten Jahren rasch zu sinken beginnen und weltweit bis 2050 um 80 Prozent reduziert werden. Dass dies technisch und wirtschaftlich machbar ist, hat die Wissenschaft inzwischen gezeigt. Ob allerdings der politische Wille da ist, da bin ich weniger optimistisch.
Extra: Von der Entdeckung des FCKW zum Protokoll von Montreal
Als der US-Chemiker Thomas Midgley im Jahr 1929 erstmals fluorierte Chlorkohlenwasserstoffe (FCKW) für die industrielle Nutzung herstellte, wurde er noch gefeiert. FCKW waren ein Wundermittel, vielfältig einsetzbar: als Kältemittel in Kühlschränken, als Treibgas in Sprühdosen, bei der Herstellung von Schaumstoffen, als Reinigungs- und Lösungsmittel. Eine geruchlose Verbindung, ungiftig, nicht entzündlich, leicht zu handhaben und langlebig. Ab 1930 wurden FCKW technisch hergestellt, und einem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass die Welt überhaupt noch eine Chance auf Rettung hatte: Midgley entschied sich dafür, Chlor in den neuen Kohlenstoffverbindungen einzusetzen anstatt Brom. Brom hätte denselben Zweck erfüllt wie Chlor, den Ozonabbau aber schneller und aggressiver vorangetrieben. Wäre Brom zum Einsatz gekommen, hätte es schon Mitte der 1970er-Jahre ein riesiges Ozonloch gegeben, nicht nur über der Antarktis, sondern über der ganzen Welt. Die Ozonschicht wäre nicht mehr zu retten gewesen. Im Jahr 1970 entdeckte der Meteorologe Paul Crutzen, dass Stickoxide die Ozonschicht schädigen können. Er entwickelte ein Modell über das Verhalten der Chlorchemie in der Atmosphäre. 1974 wiesen die US-Wissenschaftler Sherwood Rowland und Mario Molino den Einfluss von FCKW auf die Ozonschicht nach. Für ihre Forschungen erhielten Crutzen, Rowland und Molina 1995 den Nobelpreis für Chemie. Ihre Forschungen wurden 1985 auf dramatische Weise bestätigt: Britische Wissenschaftler entdeckten das Ozonloch.
Die Politik reagierte schnell: Am 16. September 1987 unterzeichneten 24 Staaten und die Europäische Gemeinschaft das Protokoll von Montreal über Stoffe, die zum Abbau von Ozon führen. Ziel des Abkommens: Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) und andere ozonschädigende Substanzen sollen durch unschädliche Stoffe ersetzt werden. In mehreren Verhandlungen verschärften die Vertragsstaaten die Regelungen zum Ausstieg. Bis heute haben 195 Staaten das Montrealer Protokoll ratifiziert. Das Abkommen ist ein Meilenstein, niemals zuvor oder danach hat die internationale Politik so schnell auf ein Umweltproblem reagiert und die Industrie zu solch weitreichenden Konzessionen gezwungen.