Motorsägen kreischen, Affen schreien in Panik, aufgeregt krächzen die Vögel in den Wipfeln. Dann ein Wimpernschlag der Ruhe, abgelöst von lang gezogenem Quietschen und Krachen: Der Baumriese fällt, reißt seine unscheinbaren Nachbarn mit und stürzt mit dumpfem Grollen zu Boden. Kaum ist das Beben verklungen, geht der Raubbau von vorne los: Eine schrille Begleitmusik zu den Feiern zum Jahr des Waldes 2011. Derzeit werden jährlich weltweit 130.000 Quadratkilometer Wald zerstört, kalkuliert die Welternährungsorganisation FAO. Das ist eine Fläche fast doppelt so groß wie Bayern.
Die Zerstörung trifft vor allem die tropischen Regenwälder: das größte Urwaldgebiet der Welt am Amazonas, und zunehmend das zweitgrößte am Kongo in Zentralafrika. Noch rigoroser schlagen die Holzfäller in Indonesien zu, wo der Dschungel prozentual die schlimmsten Verluste erlitten hat. Fast die Hälfte der so vernichteten Wälder hatte der Mensch zuvor kaum betreten. Dabei sind gerade die Tropenwälder besonders reich an Pflanzen- und Tierarten, von denen die Menschen zurzeit Tausende ausrotten, oft bevor sie überhaupt entdeckt wurden.
Regenwaldabholzung betrifft auch uns
Lange Zeit interessierten sich nur wenige Bürger der Ersten Welt für die Vernichtung der Regenwälder, die 300 Millionen Menschen als Heimat und Existenzgrundlage dienen. Wenn die Holzfällertrupps anrücken, vertreiben sie oft die Bewohner, insbesondere indogene Völker, denn die können ihre traditionellen Rechte meist nicht mit Urkunden belegen. Der Staat versteht sich als Eigentümer und überlässt Farmern, Plantagenbesitzern und Viehbaronen die Flächen. Vielfach gilt das Recht des Stärkeren, mancher sichert sich die Ländereien durch Bestechung. Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen machen seit Jahren diese Tragödie in der ersten Welt bekannt.
Zum Politikum wurde die Zerstörung der Tropenwälder in den wohlhabenden Ländern erst, als sich die Menschen selbst betroffen fühlten. Denn Wissenschaftler zeigen, dass der Raubbau am Wald den Klimawandel erheblich beschleunigt. Die Brandrodungen und die Verwertung der Bäume verursachen fast ein Fünftel des weltweiten CO2-Ausstoßes – und damit mehr als der gesamte Verkehrssektor. Diese Zahlen nannte schon Nicholas Stern in seiner 2006 für die britische Regierung erstellten Studie zum Klimawandel. Die frohe Botschaft lieferte der frühere Chefökonom der Weltbank gleich mit: "Indem wir die Waldvernichtung drosseln, können wir sehr kostengünstig und schnell den Ausstoß der Treibhausgase reduzieren."
Industriestaaten haben ihre Wälder bereits gerodet
Doch warum sollen die Schwellenländer und die Dritte Welt auf Rodungen verzichten? Zuerst mit dem Holz und danach mit den Agrarprodukten lässt sich gutes Geld verdienen - ob am Amazonas mit Sojabohnen, die in Europa als Viehfutter dienen, mit Fleisch oder Leder beziehungsweise in Südostasien mit Palmöl? Schließlich haben die Industriestaaten selbst bereits vor Jahrhunderten ihre Wälder gerodet. Zudem sind sie es, die mit der Verbrennung von Kohle, Erdöl und -gas am meisten Kohlendioxid (CO2) ausstoßen.
Professor Stern stellte denn auch klar: Wenn die Industriestaaten wollen, dass die Dritte Welt und die Schwellenländer zugunsten eines globalen Klimaschutzes den Wald schonen und damit auf mögliche Einnahmen aus der Landwirtschaft verzichten, müssen sie diese entschädigen. Das Konzept hat inzwischen einen Namen: REDD - Reducing Emissions from Deforestation and forest Degradation (Verringerung des CO2-Ausstoßes von Entwaldung und Waldschädigung) in Entwicklungsländern.
Die Regenwaldzerstörung schreitet voran
Die Industriestaaten haben zugesagt, bis 2012 zunächst 30 Milliarden Dollar bereitzustellen. Danach wollen sie das Geld aufzustocken, bis ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar bereitstehen.
Solange die Diplomaten verhandeln, geht die Tortur der Wälder weiter. Sie beginnt damit, dass Sägetrupps die begehrten Edelhölzer fällen, in den Tropen etwa Mahagonibäume, die deshalb bereits auf der Liste der bedrohten Arten stehen. Für den Abtransport werden Schneisen in den Wald geschlagen, auf denen anschließend Siedler vordringen. Sie schlagen zunächst noch einige weniger begehrte Bäume. Erst jetzt kann die Sonne den gelichteten Regenwald so weit austrocknen, dass die verbliebenen Pflanzen abgebrannt werden können. Abschließend wird der Waldboden gepflügt, was zusätzlich Kohlenstoff, den die Bäume über ihre Wurzeln dort gespeichert hatten, in Form von CO2 freisetzt. Nun ist die Fläche bereit für die Landwirtschaft - und endet nicht selten nach wenigen Jahren als Brache, weil tropische Böden meist wenig Nährstoffe enthalten und deshalb nur bei sorgsamer Pflege auf Dauer Ertrag bringen.
Der Regenwald wird abgeholzt – für billiges Fleisch
Diesem Treiben konnten Umweltorganisationen nicht tatenlos zusehen. Mit Infokampagnen machen sie den Konsumenten seit Jahren klar, wie ihr Kaufverhalten zur Abholzung der Wälder und zu sozialer Ungerechtigkeit in der Dritten Welt führt. Einen nachhaltigen Erfolg erzielten die Umweltschützer Mitte 2006, als sie den größten Sojahändlern am Amazonas die Zusage abgerungen haben, zwei Jahre keine Bohnen anzukaufen, die von durch Rodung neu angelegten Feldern stammen. Sonst - so die Drohung - würde Greenpeace in Europa vor McDonald's-Filialen aufzeigen, wie der Burger-Konsum den Wald vernichtet. Die Kausalkette: Der Fleischhunger in den Industriestaaten lässt sich nur mit Massentierhaltung stillen; die braucht Futtermittel aus der Dritten Welt - und die wachsen, wo vor Kurzem noch Urwald stand. Die Sojaaufkäufer haben ihre Zusage seit 2008 jährlich erneuert.
Die Umweltstiftung WWF verfolgt seit 20 Jahren eine weitere Strategie, um die Naturzerstörung zu stoppen: Die Naturschützer setzten sich mit den Produzenten, Händlern und Verarbeitern an einen Runden Tisch und verabreden Verhaltensregeln, welche die Natur schonen. Wer die als Produzent einhält, darf seine Ware mit einem Gütesiegel versehen. Das Zeichen FSC des Forest Stewardship Council, dem Rat für nachhaltige Forstwirtschaft, bei dem auch Greenpeace mitwirkt, kennt längst fast jeder Konsument. Ein Gütesiegel für Soja soll an den Erfolg anknüpfen.
Gütesiegel trotz Waldrodung
Um solche Vereinbarungen zu schließen, müssen die Umweltschützer manchen problematischen Kompromiss mit den Produzenten schließen. Das zeigt sich auch bei RSPO, dem Roundtable of sustainable Palm Oil (Runder Tisch für nachhaltiges Palmöl). Der WWF ebenso wie die mitengagierte Menschenrechtsorganisation Oxfam und die indonesische Umweltvereinigung Sawit Watch mussten den Status quo anerkennen, um die Plantagenkonzerne für die Mitarbeit zu gewinnen: Pflanzungen, die vor dem 1. November 2005 angelegt wurden und nun nach den vereinbarten Regeln arbeiten, können das Gütesiegel erhalten, auch wenn für sie - wie fast immer - einst Regenwald gerodet wurde.
Anlagen, die nach dem Stichtag neu auf Waldgelände angelegt werden, können kein Gütesiegel erhalten, sehr wohl aber solche auf zuvor anderweitig genutztem Arealen. Hersteller wie Unilever, Body Shop oder Henkel nutzen mittlerweile für einen Teil ihrer Produkte RSPO-Palmöl und zahlen dafür etwas mehr als für unzertifizierte Ware.
Regenwaldabholzung: Hauptsache billig
Justus von Geibler, Tropenexperte am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie, sagt, warum Zertifizierungen trotz aller Einschränkungen Sinn machen: "Produzenten, Abnehmer und die Regierungsvertreter befassen sich damit, wie sich Pflanzenöl oder sonstige Agrarprodukte nachhaltig erzeugen lassen - und die Umweltexperten stellen sich der Praxis." Aber er weiß selbstverständlich: "Gerade beim Palmöl wird angesichts der starken Nachfrage auch unzertifizierte Ware noch lange ihre Abnehmer finden. Denen ist es egal, wie es erzeugt wurde - Hauptsache billig."
Das Prinzip gilt auch beim Holzeinkauf. Wegen dieser Mentalität können Kriminelle illegal geschlagene Bäume problemlos absetzen. Entsprechend spielt der Holzklau, den korrupte Politiker und Beamte im industriellen Maßstab ermöglichen, in vielen Teilen der Welt eine große Rolle. Die Weltbank schätzte 2005, dass den Staatkassen der betroffenen Länder dadurch jährlich 15 Milliarden US-Dollar an Einnahmen entgingen. Im Nordwesten Russlands stammte damals nach Schätzungen jeder fünfte geschlagene Baum aus dunkler Quelle, in Russisch-Fernost jeder zweite. 50 Prozent waren es auch in den Wäldern am Amazonas. Für Südostasien meldete damals die regionale UN-Organisation Unescap sogar 70 Prozent geklaute Bäume. Größter Abnehmer dort sei China. Ein Gutteil des Holzes wird dort verarbeitet und in Form von Spanplatten, Möbeln, Bodenbelägen oder Nippes in die wohlhabenden Staaten exportiert.
Das sagt der WWF zur Zerstörung des Regenwalds
"Seit Langem bezieht Deutschland zum Beispiel aus Indonesien jährlich für mehr als 150 Millionen Euro Hölzer, obwohl die Importeure von den dortigen kriminellen Verhältnissen wissen", berichtet WWF-Holzexperte Johannes Kirchgatter. "Bis heute verpflichtet sie kein Gesetz, die Herkunft ihrer Ware zu kontrollieren und dunkle Quellen zu meiden. Dabei zeigt der FSC, dass sich der Weg des Holzes vom Wald über das Sägewerk bis zum Verarbeiter lückenlos dokumentieren lässt."
Jahrelang galten solche Herkunftskontrollen den in Europa politisch Verantwortlichen als unmöglich. Erst als Ende 2008 in den USA ein Gesetz gegen den Import von geklautem Holz in Kraft trat, sah sich die EU in Zugzwang. 2010 erließ sie endlich eine entsprechende Verordnung, die ab März 2013 greifen soll. Holz und Holzprodukte dürfen dann nur noch eingeführt werden, wenn ein Dokument aus dem Herkunftsland belegt, dass die entsprechenden Bäume legal gefällt worden sind.
Organisationen kämpfen gegen Regenwaldabholzung
Damit sich die Lage weiter bessert, helfen zum Beispiel Greenpeace und andere Organisationen indogenen Völkern am Amazonas und in Südostasien, ihr angestammtes Gebiet zu markieren und ihre Ansprüche rechtswirksam zu dokumentieren. Die indonesische Umweltgruppe Telapak konnte an mehreren Orten der Bevölkerung die Konzessionen für den umliegenden Wald verschaffen, den sie traditionell nachhaltig nutzen, Holzdiebe werden verjagt - ein Modell das sich auch in anderen Ländern sehr gut bewährt. Der Verein Rettet den Regenwald oder die evangelische Initiative Brot für die Welt helfen etwa in Indonesien altansässigen Bauern, ihre Rechte gegenüber Plantagenbesitzern vor Gericht zu wahren. Dabei nimmt die Rechtssicherheit zu. So erklärte etwa der Oberste Gerichtshof Indonesiens im September 2011 zwei gesetzliche Regelungen, welche die Landansprüche traditioneller Bewohner einschränken, für verfassungswidrig.
Für den Wald in Westafrika kommt die Besserung aber zu spät. "Ein großer Teil der Urwälder ist zerstört", berichtet Andrea Cederquist, Waldexpertin bei Greenpeace Deutschland. Auch in Ostafrika laufen die Motorsägen auf Hochtouren. So entfällt mehr als die Hälfte der Regenwaldfläche, die seit 1980 weltweit abgeholzt wurde, auf Afrika südlich der Sahara. Makaber: Glück im Unglück hatte Zentralafrika mit seinem 1,7 Millionen Quadratkilometern Regenwald im Kongobecken - ein Areal fast fünfmal so groß wie Deutschland. Wegen der anhaltenden Kämpfe zu Anfang dieses Jahrhunderts in der Demokratischen Republik Kongo (DRK), zu der das größte Waldstück gehört, mussten sich die industriellen Holzfäller zurückhalten.
Der Regenwald im Kongo ist das nächste Opfer
Doch die politische Lage hat sich - schlecht für den Wald - stabilisiert. "Die DRK ist das letzte Gebiet Afrikas, in dem sich der Holzeinschlag noch steigern lässt", erklärt die US-amerikanische Biologin Nadine Laporte. Anhand von Satellitenfotos errechnete sie, dass die Holzfäller bereits 52.000 Kilometer Pisten in den Kongowald geschlagen haben. "Aus dem Flugzeug sieht man die vielen Hauptstrecken von denen Seitenwege abgehen - wie ein Fischgerippe", sagt Andrea Cederquist, die das Gebiet mehrfach bereist hat. "Noch gibt es eine Chance, dass die intakten Wälder geschützt werden. Es darf sich am Kongo nicht wiederholen, was am Amazonas geschehen ist und noch geschieht."
Am Amazonas bedeckte der Regenwald einst die 1,5-fache Fläche der EU: 6,7 Millionen Quadratkilometer. 60 Prozent davon gehören zu Brasilien. Bis 1970 blieb der Dschungel weitgehend unberührt. Doch seitdem ist etwa ein Fünftel gerodet worden, ein weiteres Fünftel haben Holzfäller stark geschädigt. Hintergrund: Um die grüne Hölle wirtschaftlich zu nutzen, versprach die Regierung jedem Bürger rund einen Quadratkilometer Fläche als Privateigentum. Bedingung: Der neue Besitzer musste ein Fünftel davon roden und landwirtschaftlich nutzen. Aus allen Landesteilen zogen Interessenten an den Amazonas. Neben armen Landarbeitern, die dann als Kleinbauern primär für den eigenen Bedarf produzierten, kamen Rinderzüchter an den Amazonas, die heute 75 Prozent der gerodeten Fläche bewirtschaften. Seit Mitte der 1990er-Jahre erlangte daneben der Anbau von Sojabohnen, die vor allem als Viehfutter dienen, südlich des Amazonas wachsende Bedeutung.
Holzfirmen manipulierten die Konzessionen
Längst nicht jeder Siedler erhielt von den Behörden eine Eigentumsurkunde. Und mancher ließ sich gutgläubig auf einem Areal nieder, für das ein einflussreicher Bürger die Urkunde schon erhalten hatte, ohne das Land tatsächlich zu erschließen. Vielfach wurden Besitztitel gefälscht oder rechtmäßige Eigner darum betrogen. Rund 800 Menschen wurden im Rahmen solcher Konflikte ermordet. Als 2005 die Gewalt eskalierte, schickte die Zentralregierung das Militär und zusätzliche Beamte an den Amazonas.
Nun wurden zahlreiche Grundstücksrechte überprüft und Holzkonzessionen mit den Behördenunterlagen verglichen. Fazit: Viele Holzfirmen hatten die Belege massiv manipuliert, um mehr Bäume fällen zu können. Vom Jahr 2004, als der Kahlschlag mit 26.000 Quadratkilometern ein Langzeithoch erreicht hatte, sank er im Jahr 2006 auf 14.000 Quadratkilometer und von da an kontinuierlich weiter auf 7.000 Quadratkilometer in 2010. Um Schutzmaßnahmen zu finanzieren, gründete Brasilien 2008 einen Amazonasfonds, in den Organisationen wie die Weltbank, Stiftungen und Industriestaaten einzahlten.
Agrarunternehmer bestimmen über Naturschutz
Ob der Naturschutz tatsächlich vorankommt, bestimmen wesentlich die Agrarunternehmer, nachdem die Kleinbauern schon seit Jahren nur noch ein Drittel der Entwaldung besorgen. Die Besitzer der großen Ranches und Sojafarmen beeinflussen auch Regierungspläne. Ihr Primus ist Blairo Maggi, der 4.000 Quadratkilometer Farmland besitzt, als größter Sojaerzeuger der Welt gilt und jahrelang als Gouverneur des Bundesstaats Mato Grosso amtierte.
Eine umstrittene Person: Zum einen sitzt seine Firma mit dem WWF und Großabnehmern wie Unilever am Runden Tisch und half das Gütezeichen für umweltschonend angebaute Sojabohnen zu entwickeln. Zum anderen hat er sich für seinen Anteil an der Urwaldvernichtung die Goldene Kettensäge redlich verdient, die ihm Greenpeace 2005 als ironische Auszeichnung für sein zerstörerisches Lebenswerk verlieh.
Dem Regenwald drohen weitere Rodungen
Die Ketttensägen wollen viele Landbesitzer nun - nach Jahren sinkender Rodungen - wieder hervorholen. Sie hoffen auf ein neues Waldgesetz, wonach am Amazonas nicht mehr 80 Prozent der Privatfläche als Waldreserve erhalten bleiben muss, sondern nur noch 50 Prozent. Gewaltige Rodungen stünden an, wenn nach dem Unterhaus auch noch das Oberhaus das Gesetz verabschieden würde. Es würde auch vorab erfolgte illegale Rodungen legalisieren. Im März und April 2011 stieg aber bereits die Abholzung auf das Sechsfache des Vorjahreswerts. Auch das Morden begann wieder: Sechs Umweltschützer verloren ihr Leben, weil sie gegen das Waldgesetz demonstrierten. Die Befürworter des Waldgesetzes wollen nicht nur neue Flächen für den etablierten Sojaanbau und die Viehwirtschaft schaffen. Neu hinzukommen soll der Anbau von Ölplamen. Vielleicht stimmen die Abgeordneten des Oberhauses aber dennoch mit Nein, weil Brasilien weitere Zusagen für den Amazonas-Fonds nicht gefährden will oder auf REDD-Mittel hofft.
Ober sie verstehen die beiden Dürrejahre 2005 und 2010 als Warnzeichen: Ein Drittel oder gar die Hälfte des Regenwalds litt furchtbar, manche Nebenflüsse des Amazonas waren ausgetrocknet. Vor solchen Entwicklungen hatten Klimaexperten schon seit Jahren gewarnt. Professor Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, erklärt, was langfristig droht: "Als Folge der Erderwärmung treiben vermutlich weniger Wolken von außen in das Amazonasbecken. Weil es zu wenig regnet, könnte der Urwald bis zum Ende des Jahrhunderts austrocknen und sich eine Steppe bilden. Diese Gefahr steigt noch, wenn weiter gerodet wird." Denn dann fehlen zusätzlich die Wolken, die sich derzeit über dem Wald durch Verdunstung bilden und wieder abregnen. Die Versteppung würde viele Milliarden Tonnen CO2 freisetzen, welche die Erderwärmung weiter verstärken.
Regenwaldabholzung in Südostasien
Solche dramatischen Wetterentwicklungen werden für Südostasien nicht erwartet, obwohl dort der Waldverlust prozentual noch höher ist als in Brasilien. Das asiatische Inselreich Indonesien besitzt in seiner Region die bei Weitem größten Waldflächen, fast 900.000 Quadratkilometer, was der Größe von Deutschland und Frankreich zusammen entspricht. Allerdings war es vor 20 Jahren noch ein Viertel mehr. Die Korruption macht es möglich.
Seit Mitte des Jahrzehnts hat sich die Lage etwas stabilisiert. Es werden weniger Bäume gestohlen, der Holzschmuggel in die Nachbarländer ging zurück. Aber der Raubbau im Wald ist weiterhin eine wichtige Triebfeder der indonesischen Wirtschaft. Schon die Papierfabriken des Landes brauchen zu ihrer Auslastung mehr Holz, als die Wälder nachhaltig liefern können. Dabei geht noch viel indonesisches Holz in den Export. Die Rodungen sollen aber nicht nur Holz gewinnen, sondern auch Platz schaffen für den Anbau von Ölpalmen. Längst ist Indonesien Marktführer und liefert 50 Prozent des weltweiten Palmölangebots.
Regenwaldzerstörung setzt CO2 frei
Fatal: Die in den Tropen üblichen Brandrodungen sind unter Klimaaspekten in Indonesien besonders schädlich, denn dort steht der Dschungel vielfach auf meterdickem Torfboden. Er entzündet sich mit, wenn die Vegetation abgefackelt wird, schwelt wochenlang und setzt Unmengen CO2 frei. Folge: Das Inselreich ist der drittgrößte CO2-Emittent der Welt nach China und den USA. Doch Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yodhyono hat im Oktober 2009 verkündet, sein Land werde bis 2020 die Emissionen um 26 Prozent gegenüber der Menge zu reduzieren, die ohne weitere Maßnahmen anfallen würde. Daraufhin kam eine REDD-Vereinbarung mit Norwegen zustande, wonach Djakarta von Oslo innerhalb der nächsten acht Jahre insgesamt eine Milliarde US-Dollar erhalten sollte, wenn bestimmte Ziele erreicht würden.
Doch als im Mai 2011 Indonesiens Präsident endlich Anweisung gab, keine neuen Holzkonzessionen mehr auszustellen, sah sich Norwegen getäuscht. Denn das Moratorium galt nur für unberührte Regenwälder, nicht für die übrigen umfangreichen Wälder. Auch andere Zusagen Indonesiens erschienen Oslo bei näheren Hinsehen nicht ausreichend, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Damit war der REDD-Deal geplatzt.
Die Hausaufgaben der Geberländer
Das Scheitern macht deutlich, wie schwer es generell fallen wird, REDD-Konzepte umzusetzen. Denn die Industriestaaten wollen sicher sein, dass ihre Milliardengaben tatsächlich den CO2-Ausstoß aus der Waldzerstörung dramatisch senken - und zwar dauerhaft. Das setzt voraus, dass die Regierungen der Entwicklungs- und Schwellenländer Pläne erstellen, wie sie ihre Waldgebiete nutzen wollen, die meist als Staatsbesitz gelten. Wie viel soll für die Landwirtschaft gerodet werden, wo sollen sie als Wirtschaftswald nachhaltig Erträge liefern oder als Naturschutzgebiete erhalten bleiben? Wo stehen die Urwälder den traditionellen Einwohnern zu?
Die Geberländer müssen allerdings ebenfalls noch schwierige Hausaufgaben erledigen. Denn es blieb bislang offen, wie viel die einzelnen Staaten von den im Prinzip ab 2020 für REDD zugesagten jährlichen 100 Milliarden Dollar aufbringen müssen - und wie sie das Geld angesichts leerer Staatskassen beschaffen. Allerlei neue Geldquellen stehen zur Diskussion, etwa die Erlöse aus der Versteigerung von CO2-Zertifikaten beziehungsweise neuer Abgaben auf Kapitaltransaktionen oder auf den Luft- und Seeverkehr. Andere Konzepte wollen zusätzliche Belastungen vermeiden und propagieren vereinfacht, dass die Industrie nicht den CO2-Ausstoß ihrer Werke drosselt, sondern den der Dritten Welt, wo die gleichen Einsparungen billiger zu erreichen wären. Doch das stößt auf energischen Widerspruch.
"Wenn wir den Klimawandel begrenzen wollen, brauchen wir beides: Einsparungen im reichen Norden und zusätzlich REDD im Süden des Globus", stellt Alixair Dixon klar, Klimaexperte von Greenpeace international. Dabei konnten sich die Industriestaaten nicht einmal darauf einigen, wie sie die laufenden Maßnahmen zur Senkung ihres Energieverbrauchs inklusive dem Handel mit CO2-Zertifikaten fortsetzen wollen. Denn die basieren auf dem 1997 in Kyoto geschlossenen Vertrag zur Emissionseinsparung, der 2012 ausläuft.
CO2-Neutralität ist eine Lüge
Völlig ungenügend sind die bisher von den Industrieländern geplanten Maßnahmen zur CO2-Minderung. "Selbst wenn alle Selbstverpflichtungen umgesetzt würden, steigt die globale Mitteltemperatur noch in diesem Jahrhundert um drei Grade Celsius", erklärt Malte Meinshausen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der die Ländermeldungen analysiert hat. Zwei Grad plus gelten als Maximum, bis zu dem die Klimaänderung noch beherrschbar gilt.
Selbst um diese ungenügenden Versprechen einhalten zu können, ergreifen die Industriestaaten teils Maßnahmen, die unterm Strich dem Weltklima schaden und in der Dritten Welt direkt die Waldzerstörung vorantreiben. Das dramatischste Beispiel: Der Ersatz fossiler Brennstoffe durch Bio-Masse. Deren Einsatz galt zunächst als CO2-neutral, weil bei der Verbrennung nur so viel des Klimagases frei wird, wie die Pflanzen im Wachstum aufgenommen hatte. Deshalb förderte Deutschland den Betrieb von Blockheizkraftwerken mit Pflanzenöl.
Schon beim Einsatz von heimischem Rapsöl stimmt die Aussage von der CO2-Neutralität nicht, weil bei Anbau und Verarbeitung erhebliche Mengen des Klimagases aufsteigen. Doch anders als es die Politiker erwartet hatten, setzten die Betreiber zunehmend billigeres Palmöl ein. Die steigende Nachfrage regt im Tropengürtel dazu an, Regenwald zu roden und weitere Ölplantagen anzulegen. Fazit: Im Süden des Globus steigt der Ausstoß an Klimagas hundertmal stärker, als er im Norden sinkt.
Vergangene Rodungen bleiben ungesühnt
Erst als Umweltverbände gegen diesen Irrsinn protestierten, änderte Berlin die Steuerregeln: Der Einsatz von Pflanzenöl in Kraftwerken wird inzwischen nur noch gefördert, wenn so unterm Strich mindestens 35 Prozent weniger CO2 ausgestoßen wird, als beim Einsatz fossiler Brennstoffe. Bei einheimischer Bio-Masse wird das vereinfachend unterstellt, Importware muss es seit 2010 mit einem Zertifikat nachweisen.
Dazu ließ das Bundesumweltministerium eigens ein neues Prüfsystem für Bio-Masse entwickeln: ISCC (International Sustainability and Carbon Certification, also Nachhaltigkeits- und Kohlenstoff-Bescheinigung). ISCC prüft die Herkunft und Produktion der Bio-Masse. Denn die 35 Prozent CO2-Vorteil sind schnell dahin, wenn beim Anbau des Agrarrohstoffs umfangreich Chemieprodukte oder spritfressende Maschinen eingesetzt werden. Extrem klimaschädlich wäre es, wenn für die Anbaufläche Wald gerodet wurde.
In der Theorie sind diese Kriterien vertretbar, doch alles wird dadurch entwertet, dass ISCC eine Rodung vor dem 1. Januar 2008, als Berlin die Regelung einführte, nicht berücksichtigt. Eine Rückwirkung erlauben die internationalen Handelsvereinbarungen nicht, auch Klimasünder genießen für ihre Investitionen Vertrauensschutz.
Indigene Rechte respektieren
Statt aus ihrem Fehler zu lernen, wollen die EU-Länder in den kommenden Jahren noch mehr Bio-Masse einsetzen - nämlich verstärkt Holz zur Stromerzeugung. Die Umweltorganisation Fern (englisch für Farn), analysierte die entsprechenden Pläne, welche die EU-Staaten für die Zeit bis 2020 erstellt haben. Nach den Angaben des Bundesernährungsministerium kann das waldreiche Deutschland den Mehrbedarf durch verstärkten Einschlag nachhaltig decken. Auch Skandinavien könnte mehr liefern. Doch Fern urteilt, dass dies nicht ausreicht: "Innerhalb der Gemeinschaft ist der Mehrbedarf nicht zu decken. Mit ihrer steigenden Importnachfrage zerstört die EU die Ökosysteme in anderen Teilen der Welt."
Kapitalstarke Investoren wetten bereits darauf, dass die Industriestaaten nicht umlernen und die Nachfrage nach Agrarprodukten, gerade auch für die Energieerzeugung, weltweit weiter wächst. Deshalb sichern sie sich in der Dritten Welt - vor allem in Afrika - ganze Landstriche auf bis zu 99 Jahre, um Plantagen anzulegen. "Bei den einzelnen Verträgen geht es teils um Flächen von mehr als einer Million Hektar", berichtet Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation Fian. Häufig sind die Flächen zumindest teilweise von Wald bedeckt, der nach dem Landgrapping, dem Landraub, gerodet wird.
Die Politik hat es in der Hand – und wir alle
Für die Ernährung der Welt ist es nicht nötig, die Fläche von Äckern und Weiden zulasten des Waldes auszudehnen und Großbetriebe zu bilden. Das belegte der britische Agrarprofessor Jules Pretty von der Universität Essex mit einer Untersuchung von 286 Projekten in 57 Staaten Asiens, Schwarzafrikas und Südamerikas. Die Produktion stieg - ganz ohne Kunstdünger und genverändertem Saatgut - im Schnitt um 79 Prozent, wenn man den Kleinbauern half, ihre traditionellen Methoden zu verbessern. In Ländern wie Brasilien und Indonesien liegen derzeit große Flächen brach, die vor Jahren gerodet und landwirtschaftlich genutzt wurden. Der Boden ist zwar ausgelaugt, ließe sich aber regenerieren. Dagegen spricht nur eins: Derzeit ist es profitabler, dem Urwald neue Flächen zu entreißen.
Die Politiker in den Industriestaaten wie in den Entwicklungsländern haben es in der Hand, durch schnelles und entschlossenes Handeln die Regenwälder zu bewahren. Gelingt das nicht, verschwindet der Silberstreif, der derzeit am Horizont über dem bedrohten Wälder zu erkennen ist, bald im Rauch der wieder zunehmenden Brandrodungen.
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