Die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles aus dem Pariser Klimaabkommen könnte noch schwieriger werden als bisher angenommen. Berechnungen mit neuen Daten und verbesserten Modellen kommen zu einem ungünstigen Ergebnis: Um dieses Ziel nicht zu verfehlen, darf die Menschheit demnach deutlich weniger Kohlendioxid (CO2) ausstoßen als noch im Sechsten Weltklimabericht der Vereinten Nationen geschätzt. Bei weltweiten CO2-Emissionen auf dem Niveau von 2022 wäre diese Menge in etwa sechs Jahren erreicht, schreibt eine Forschungsgruppe um Robin Lamboll vom Imperial College London im Fachjournal "Nature Climate Change".
Das Pariser Klimaabkommen von 2015 zielt darauf ab, die Erderwärmung einzudämmen: Eine Begrenzung der Treibhausgas-Emissionen soll dafür sorgen, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. In den vergangenen Jahren haben Klimaforscher immer wieder anhand von Computermodellen und Berechnungen geschätzt, welche Menge an CO2 zu einer Erwärmung von maximal 1,5 Grad führt. Im Sechsten Weltklimabericht von 2021 lag diese Schätzung bei 494 Milliarden Tonnen CO2.
Bei ihrer Neuberechnung kamen Lamboll und Kollegen nun zu einer verbleibenden CO2-Menge von nur noch 247 Milliarden Tonnen CO2 – also der Hälfte der früheren Schätzung. Allerdings bezog sich im Weltklimabericht die Restmenge auf die Zeit ab Anfang 2020, während die aktuelle Studie Bezug auf die Zeit ab Anfang 2023 nimmt.
Großen Anteil an dem Unterschied zur früheren Schätzung hat die Verwendung eines neuen Computermodells, das den durch Treibhausgase verursachten Klimawandel simuliert. Zudem verwendete das Forschungsteam aktuellere Daten über tatsächliche CO2-Emissionen und über tauende Permafrostböden. Denn nach dem Rückgang des Ausstoßes im ersten Jahr der Corona-Pandemie – also 2020 – lag die Menge der weltweiten CO2-Emissionen 2022 wieder auf Vor-Corona-Niveau bei rund 40 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Falls die Menschheit in den nächsten Jahren nicht mehr als 247 Milliarden Tonnen CO2 ausstößt, dann besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigt. Für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels wären es der Schätzung von Lamboll und Kollegen zufolge noch 1220 Milliarden Tonnen bei einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent.
In einem Kommentar, ebenfalls in "Nature Climate Change", schreibt Benjamin Sanderson vom Centre for International Climate and Environmental Research in Oslo: "Die Arbeit von Lamboll und Kollegen ist für politische Entscheidungsträger eine unangenehme Lektüre." Ihm zufolge verdeutlichen die Studienergebnisse, dass sich jede noch so strenge Berechnung mit überarbeiteten Daten und Erkenntnissen ändern könne.
Studie: als seriös eingeschätzt
Die Klimaforscherin Tatiana Ilyina von der Universität Hamburg hält die Resultate des Teams um Lamboll für seriös und belastbar. Die Studie zeige erneut, wie dringend eine schnelle Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen sei. "Wir werden voraussichtlich in diesem Jahr wieder die höchsten CO2-Emissionen aller Zeiten haben. Ich weiß nicht, was wir als Wissenschaftler noch tun sollen, damit die globale Politik sich wirklich anstrengt." Zwar gebe es immer weniger Klimawandelleugner; aber immer häufiger heiße es, man könne den Klimawandel ohnehin nicht verhindern, also könne man so weiterleben wie bisher. "Der Klimawandel lässt aber nichts wie bisher", betont Ilyina.
Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institutes in Köln, sagt, dass die Studienergebnisse keinesfalls so gedeutet werden sollten, dass Anstrengungen zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen aufgegeben werden könnten. Im Gegenteil: "Selbst wenn 1,5 Grad im mehrjährigen Mittel überschritten werden, ist es gut, vorher so viele Emissionen wie möglich eingespart zu haben, da jede eingesparte Tonne zu geringerer globaler Temperaturerhöhung führt und damit zu geringeren Schäden."
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