Zehn Jahre nach dem EU-weiten Teilverbot von drei bienenschädlichen Insektiziden mahnen Experten mehr Anstrengungen für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft an. "Es gibt eine Liste von dringlichen Wünschen", sagte der Berliner Neurobiologe und Bienenforscher Randolf Menzel der Deutschen Presse-Agentur. Grundsätzlich sollte jedes Insektizid nur bei einem akuten Schädlingsbefall eingesetzt werden - und nicht vorbeugend etwa mit dem Beizen der Samen, forderte der emeritierte Professor der Freien Universität Berlin.
Viele synthetische Pestizide vernichten auf dem Acker nicht nur unerwünschte Insekten oder Krankheitserreger, sondern nützliche oder zumindest unschädliche Organismen gleich mit. Neonikotinoide sind synthetisch hergestellte Insektizide, die dem Umweltbundesamt (UBA) zufolge die Weiterleitung von Nervenreizen stören. Sie wurden demnach verbreitet unter anderem als Beizmittel für Saatgut eingesetzt, um dieses vor dem Befall mit Schadinsekten zu schützen, können aber auch als Granulat in Böden ausgestreut werden.
Neonikotinoide schädigen Wild- und Honigbienen
Die EU-Staaten hatten am 29. April 2013 den Weg frei gemacht für ein teilweises Verbot der Neonikotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. Die Auflagen wurden 2018 nochmals verschärft. Seitdem dürfen diese Insektizide - wenn überhaupt - nur in Gewächshäusern, aber nicht mehr auf Äckern angewendet werden. Studien zufolge schädigen diese Neonikotinoide Wild- und Honigbienen erheblich.
Wenn wirklich mal ein Schaden auftritt, dann dürfe der Einsatz solcher Mittel nur nach strenger Kontrolle erlaubt werden, forderte Menzel. Neonikotinoide können Analysen zufolge etwa die Lern- und Orientierungsfähigkeit der Bienen beeinträchtigen und die für die Bestäubung wichtigen Tiere sogar lähmen und töten. Die Moleküle werden auch von Blüten und Pollen aufgenommen und verbreiten sich so in der Umwelt.
Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, erklärte, das Verbot der drei Wirkstoffe habe den Infektions- und Befallsdruck von Schadinsekten deutlich anwachsen lassen. Dies betreffe beispielsweise Zuckerrüben und Raps, teilte er mit. "Hier kommt es zu erheblichen Ertragseinbußen auf den befallenen Feldern." Zu den einst damit bekämpfen Schädlingen gehören etwa Maiswurzelbohrer und Rapsglanzkäfer.
Milde Winter verschärfen Problematik
Die immer milderen Winter verbesserten zusätzlich die Bedingungen für Insekten, die ein schädliches Virus übertrügen, erläuterte Krüsken. Die Problematik werde sich also tendenziell verschärfen. "Jeder Wirkstoff, der nicht mehr zur Verfügung steht, hinterlässt eine Lücke und muss ersetzt werden", mahnte er. "Durch die immer umfangreicheren Zulassungsverfahren werden die Lücken größer."
Wie der Neurobiologe Menzel erläuterte, werden in Deutschland nach wie vor neue Neonikotinoide entwickelt oder sind bereits auf den Markt gebracht. Diese wirkten zwar erst in höheren Dosen als ihre Vorgänger tödlich. Allerdings könnten sie auch bei niedrigeren Dosen sehr schädigend wirken - etwa auf die Brutentwicklung, die Navigation oder das Lernvermögen. "Dies sind wichtige Eigenschaften für bestäubende Insekten", betonte Menzel.
Nach seiner Einschätzung zählen aktuell rund die Hälfte der eingesetzten Insektizide zu den Neonikotinoiden. Diese Mittel sollten wegen ihrer Eigenschaft, sich in der Umwelt auszubreiten und sie extrem zu schädigen, möglichst komplett verboten werden, forderte der Neurobiologe.
Grundsätzlich seien viele Chemikalien für den Pflanzenschutz in der Landwirtschaft wie Insektizide oder Unkrautbekämpfungsmittel zu günstig, mahnte der Experte. Bei Monokulturen sei es für die Höfe oft wirtschaftlicher, mit der Spritzkanone über das Feld zu fahren - statt traditionell den Acker zum Schutz vor Schädlingsbefall umzugraben oder einen Fruchtwechsel einzuhalten.
Im Kampf gegen den Einsatz von Insektiziden in der Landwirtschaft sieht Menzel die größte Entscheidungsgewalt beim Verbraucher. "Wir müssen in einem größeren Ausmaß bereit sein, für Lebensmittel mehr Geld einzusetzen." Auf Landwirten rumzuhacken löse nicht das Problem. "Der Verbraucher muss den Bauern das teurere Bio-Produkt auch abnehmen."