Zurzeit grassieren nicht nur mehrere Atemwegserkrankungen zugleich; auch viele Medikamente – vor allem für Kinder – leiden unter Lieferengpässen. Da ließ ein Vorschlag aufhorchen, der vor einigen Tagen die Runde machte: Menschen sollten sich im Familien- und Freundeskreis mit Arzneimitteln aushelfen.
"Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben", wurde Ärztepräsident Klaus Reinhardt zitiert. Auch von einem nachbarschaftlichen "Flohmarkt" war die Rede; schnell wurde klargestellt, dass mit der unglücklichen Formulierung lediglich der Vorschlag gemeint war, nicht-verschreibungspflichtige, originalverpackte Arzneimittel (wie Fiebersäfte oder Schmerzmittel) an näherstehende Personen weiterzureichen.
Fremde Medikamente können gefährlich sein
Apotheker reagierten umgehend verschnupft auf die Idee, Arznei zu teilen, und nannten sie "unverantwortlich", "gefährlich" und "absurd". Die Pharmazeuten sind sich einig: Man sollte Medikamente nicht weitergeben, ob rezeptpflichtig oder nicht. Falsche Anwendungen, Verwechslungen und damit gesundheitliche Risiken seien die Folge.
Dafür werden mehrere Gründe angeführt:
1. Nicht alle Arzneimittel sind für alle Personen geeignet. Was Sie selbst problemlos vertragen, kann dem Freund oder der Freundin möglicherweise schaden. Einige Beispiele:
- Während zum Beispiel Kinder Paracetamol oder Ibuprofen in den allermeisten Fällen gut vertragen, könnten Erwachsenen mit Leber- oder Nierenprobleme Schwierigkeiten bekommen, so die Pharmazeutische Zeitung (PZ).
- Acetylsalicylsäure (ASS) wiederum darf laut PZ nicht bei Kindern unter zwölf Jahren zum Einsatz kommen, da es in seltenen Fällen schwere Nebenwirkungen haben kann. Hinzukommt, dass ASS für Laien leicht mit ACC (Acetylcystein) zu verwechseln ist, obwohl es sich um ganz unterschiedliche Medikamente handelt.
- Bei Antibiotika gilt: Nicht jedes Antibiotikum hilft bei jeder Infektion; über Dosierung und Anwendungsdauer kann nur ein Arzt entscheiden. Deshalb dürfen entsprechende Medikamente nicht an Fremde weitergereicht werden.
2. Die Dosierung könnte misslingen. Sie ist besonders dann wichtig, wenn es um Kinder geht. "Zur Dosiseinstellung wissen wir in der Apotheke, welche Tabletten welcher Firmen teilbar sind – und welche Tabletten vielleicht nur eine Schmuckkerbe haben", so die Apothekerin Gabriele Röscheisen-Pfeifer. Wer die bloße Tablette zugesteckt bekommt, weiß das womöglich nicht – und könnte das Medikament falsch dosieren.
Darum sollten Sie Arzneimittel nicht weitergeben
3. Medikamente können abgelaufen sein. Arzneimittel, die das Verwendbarkeitsdatum überschritten haben, sollten auf keinen Fall mehr verwendet oder weitergegeben werden. Sie sollten sie über den Hausmüll entsorgen – mehr dazu erfahren Sie in diesem Artikel:
4. In vielen Haushalten werden Medikamente nicht sachgerecht gelagert. Deshalb könnte es sein, dass eine Arznei, die Sie von jemandem bekommen, nicht mehr wirkt – selbst wenn das Mittel noch originalverpackt und nicht abgelaufen ist.
Denn: Arznei hat es gerne kühl, dunkel und trocken, wird aber oft im Bad aufbewahrt, wo es oft feucht und warm ist. Bei falschen Lagerbedingungen können Medikamente Schaden nehmen, warnen Apotheker: Die Wirkstoffe könnten sich zersetzen oder, im schlimmsten Fall, schädliche Abbauprodukte bilden. Wenn Arzneimittel nicht sachgerecht gelagert würden, sei auch das aufdruckte Verwendbarkeitsdatum kein Anhaltspunkt mehr.
Verwendbarkeitsdatum ist nicht Aufbrauchsfrist
Besonders problematisch sei die Haltbarkeit bei flüssigen Arzneimitteln wie bei den – zurzeit so nachgefragten – Fiebersäften, so die Apotheker. Ist die Flasche eines Fieber-, Schmerz- oder Hustensafts erst einmal geöffnet, so die Experten, gilt nicht mehr das aufgedruckte Verwendbarkeitsdatum, sondern eine Aufbrauchsfrist. Einige Säfte sollten dann sogar im Kühlschrank gelagert werden.
5. Zubehör könnte verunreinigt sein. Fieber- oder Schmerzsäfte, die mit einer Applikationshilfe (wie einer Dosierspritze) geliefert werden, sollten aus hygienischen Gründen nicht von einem Patient zum nächsten weitergegeben werden. Dies gilt besonders für angebrochene Nasensprays oder -tropfen, die auch nicht innerhalb der Familie weitergereicht werden sollten.
6. Der Beipackzettel könnte fehlen. Wird bei der nachbarschaftlichen Weitergabe nur die Blisterpackung oder Saftflasche weitergereicht, fehlen notwendige Informationen, etwa zur gewichts- und altersabhängigen Dosierung von Arzneimitteln für Kinder.
Medikamente weitergeben: Kein Risiko eingehen
Zusammengefasst: Pharmazeuten und Ärzte sprechen sich ausdrücklich dagegen aus, Medikamente weiterzugeben – selbst dann, wenn es sich um originalverpackte und nicht-verschreibungspflichtige Präparate handelt, die im näheren Kreis weitergereicht werden. Laien könnten die damit verbundenen Risiken nicht einschätzen. Die Gefahr, die von Verwechslungen, einer falschen Anwendung oder abgelaufenen Arzneimitteln ausgehe, sei zu groß.
Verschreibungspflichtige Mittel sollten auf gar keinen Fall geteilt werden. Sie wurden nach ärztlicher Untersuchung speziell für einen Patienten und einen bestimmten Zweck verordnet. Für Dritte könnten sie unbekannte Risiken bergen.
Kann ich Arzneimittel an Bedürftige spenden?
Angesichts von Krisen und Kriegen in der Welt – und angesichts eigener, oft überquellender Schränke – stellen sich viele Menschen zurzeit eine weitere Frage: Ist es sinnvoll und erwünscht, ungeöffnete und noch nicht abgelaufene Medikamente zu spenden? Damit sie beispielsweise an Bedürftige in anderen Ländern abgegeben werden?
Hier lautet die Antwort: Private Medikamentenspenden sind mit Sicherheit gut gemeint – werden aber von Experten ebenfalls abgelehnt. Die Gründe sind ähnlich wie die bereits genannten: Arzneimittel könnten bereits unbrauchbar sein; deutschsprachige Packungsbeilagen können in anderen Ländern nicht gelesen werden; selbst intakte Verbandsmaterialien dürfen medizinisch oft nicht mehr verwendet werden. Unsortierte Einzelspenden zu sichten und zu sortieren kostet Hilfsorganisationen außerdem mehr, als es nutzt. Zudem stehen privaten Medikamentenspenden einige rechtliche Gründe im Weg.
Zusammengefasst heißt das: bitte keine ungefragten Einzelspenden und keine alten Medikamente. Wer helfen will – und das mit medizinischen oder pharmazeutischen Mitteln –, sollte lieber gezielt Geld an Organisationen spenden, die mit Fachpersonal und -kenntnissen vor Ort aktiv sind, beispielsweise an "Apotheker ohne Grenzen" oder "Ärzte ohne Grenzen".
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Mit etwas Input von dpa