- Covid-19 kann schwerwiegende Langzeitfolgen haben – auch bei jungen Menschen ohne Vorerkrankung. Schätzungen zufolge haben etwa zehn Prozent mit Langzeitfolgen zu kämpfen, die unter den Bezeichnungen Post-Covid-Syndrom oder Long-Covid bekannt sind.
- Als Spätfolgen können laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Verlust des Geruchs- oder Geschmacksinns, Herzrasen und neurologische Beschwerden auftreten.
- Inzwischen gibt es Hinweise, dass eine Impfung gegen das Coronavirus die Long-Covid-Symptome lindern könnte.
Dieser Artikel wird regelmäßig aktualisiert. Letztes Update: 02. Februar 2022
Für viele Menschen ist eine Corona-Infektion nach wie vor nicht mehr als eine harmlose Erkältung. Doch auch wer nur einen leichten Verlauf hat, kann langfristig mit erheblichen Spätschäden zu kämpfen haben. Zahlreiche Mediziner und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnen vor einer Verharmlosung der Langzeitfolgen. Nach einer Studie, die in der Zeitschrift BMJ veröffentlicht wurde, leiden 14 Prozent der Menschen, die an Covid-19 erkrankt waren, an mindestens einer Erkrankung, die nach der akuten Phase der Krankheit medizinisch versorgt werden musste.
Corona-Langzeitfolgen: "Long Covid" und "Post-Covid-Syndrom"
Vorweg: Die Langzeitfolgen sind noch nicht ausreichend erforscht – dazu ist das Coronavirus zu neu. Einen Namen haben die Spätfolgen aber schon eine ganze Weile: In der Medizin ist von "Long Covid" oder vom "Post-Covid-Syndrom" die Rede.
"Wir erleben es immer wieder, dass sich Patienten besonders nach der stationären Entlassung nicht wieder so gesund fühlen wie vor der Covid-19-Erkrankung", beschreibt Prof. Dr. Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV am Universitätsklinikum Jena (UKJ), die besondere Situation. Die Liste der möglichen Langzeitfolgen ist lang, es gibt kein einheitliches Krankheitsbild. "Manche klagen über Lungen-, Herz- oder auch Darmbeschwerden, berichtet wird uns aber auch von Schlafstörungen, Konzentrationsmangel, Vergesslichkeit oder Depressionen. Viele Menschen fühlen sich allgemein krank, teils auch ohne klare Symptome", erläutert der Mediziner.
"Wir nehmen an, dass COVID-19 das Immunsystem nachhaltig verändert", erklärt Professor Professor Dr. Marius Hoeper, kommissarischer Direktor der Klinik für Pneumologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Wer entwickelt Spätfolgen?
Welche Patientengruppen auch Wochen und Monate nach ihrer Genesung mit Spätfolgen zu kämpfen haben, ist noch unklar. Wer auf einer Intensivstation lag, braucht in den meisten Fällen länger, um sich zu erholen. Über 80 Prozent der Schwerkranken haben auch nach drei Monaten noch Probleme, beobachtet Prof. Clemens Wendtner, Chefarzt Immunologie am Klinikum Schwabing in München: "Sie können sich weniger stark belasten, haben Konzentrationsschwächen und auch so etwas wie ein 'Foggy Brain'. Das heißt, man kann Dinge nicht so wahrnehmen, wie man sich das wünscht", so der Immunologe gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Eine Beatmung kann zu Folgeschäden wie beispielsweise einem verminderten Lungenvolumen oder bakteriellen Infektionen über die Schläuche im Körper führen.
Auch hohes Alter, Übergewicht und Vorerkrankungen scheinen Risikofaktoren für Long-Covid zu sein.
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Langzeitfolgen nicht nur bei schweren Verläufen
Aber unter den Patienten, die über Symptome des Post-Covid-Syndroms klagen, sind auch viele Patienten ohne schweren Verlauf. "Diese Spätfolgen zeigen sich nicht nur bei Patientinnen und Patienten, die schwer betroffen waren und stationär behandelt wurden, sondern auch bei solchen mit mittlerem oder mildem Krankheitsverlauf", erklärt Marius Hoeper. Häufig sind auch junge Patienten ohne Vorerkrankungen und Risikofaktoren betroffen.
Long-Covid: Auch Spätschäden bei Kindern und Jugendlichen
Bei Kindern und Jugendlichen verlaufen Corona-Infektionen häufig problemlos und zum Teil sogar unbemerkt und ohne Symptome. Immer häufiger werden aber auch bei jungen Menschen Spätfolgen nach einer Corona-Infektion beobachtet. "Generell sind die Symptome nicht SARS-CoV-2-spezifisch. Das heißt, wir kennen solche anhaltenden gesundheitlichen Einschränkungen auch von anderen Virusinfektionen wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber", sagt Markus Hufnagel, pädiatrischer Infektiologe vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsklinik Freiburg gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Zum Krankheitsbild Long-Covid 19 bei Kindern zählen ebenfalls chronische Müdigkeit, Gelenk- und Muskelschmerzen, Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, Hautveränderungen und eine generelle Leistungsminderung. Aber auch Kopf-, Brust- oder Bauchschmerzen sowie Kreislaufprobleme können nach einer Corona-Infektion auftreten.
Uta Behrends, Professorin für Infektiologie und Immunbiologie und Post-Covid-Expertin, sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung: "Kinder und Jugendliche haben ein deutlich niedrigeres Risiko als Erwachsene an Long Covid zu erkranken, schwere Fälle sind wesentlich seltener. Auf Basis der international verfügbaren Daten rechnen wir aktuell insgesamt mit bis zu zehn Prozent Long Covid und etwa ein Prozent Post-Covid-Syndrom unter den infizierten Kindern und Jugendlichen. Psychische Folgen der pandemiebedingten Belastungen sind wesentlich häufiger."
Bei einigen Kindern und Jugendlichen wurden besonders gravierende Spätschäden nach einer Corona-Infektion beobachtet. Bei ihnen kam es zu Beschwerden, die mehrere Organe gleichzeitig betreffen: Die Symptome reichen von Fieber über Magen-Darm-Probleme, Hautausschläge, Bindehautentzündungen bis hin zu Herzproblemen und einem Abfall des Blutdrucks. Mediziner sprechen hier vom multisystemischen Entzündungssyndrom (MIS). Als Ursache für die zahlreichen Entzündungen sehen sie eine verzögerte überschießende Immunantwort auf eine Corona-Infektion.
Laut Robert Koch-Institut (RKI) infizieren sich derzeit besonders viele Kinder und Jugendliche mit dem Covid-19-Virus. Das könnte in einigen Wochen zu einem deutlichen Anstieg der Kinder und Jugendlichen führen, die unter den Spätfolgen einer Corona-Infektion leiden.
Wo finden Eltern Hilfe? In der Klinik für Kinder und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Jena gibt es inzwischen einen Long-Covid 19 Ambulanz für Kinder und Jugendliche. In München entsteht derzeit die erste Spezial-Ambulanz für betroffene Kinder und Jugendliche in Bayern.
In Großbritannien wurde die Selbsthilfe-Initiative "Long Covid Kids" gegründet, die Webseite gibt es auch in einer deutschsprachigen Version.
Covid-19 ist eine Systemerkrankung
Rund um das Coronavirus wird weltweit geforscht; das Wissen über das neue Virus nimmt stetig zu. Inzwischen weiß man: Das Virus greift nicht nur die Lunge an, sondern kann sämtliche Organe befallen und schädigen. Das Virus kommt über den Rachenraum in den Körper und verbreitet sich von dort aus.
Mediziner gehen davon aus, dass sich die Coronaviren über das Blut und über Nervenbahnen im gesamten Körper verteilen. In Untersuchungen konnten die Viren nicht nur in der Lunge, sondern auch im Darm, im Herz und im Gehirn nachgewiesen werden.
Welche Organe können bei Covid-19 betroffen sein?
Die WHO hat eine Liste der Organe veröffentlicht, die von Langzeitschäden betroffen sein können, sowie die Symptome der Langzeitschäden erfasst:
- Schädigung des Herzmuskels / Herzinsuffizienz
- Schädigung des Lungengewebes und restriktives Lungenversagen
- Verlust des Geruchssinns
- Herzinfarkt / Schlaganfall
- Beeinträchtigung des Gedächtnisses und der Konzentration
- Depression / Schlafstörungen
- Muskelschmerzen
- Müdigkeit
Hinweis: Da das Corona-Virus neuartig ist, gibt es bislang lediglich erste Studien zu den Langzeitschäden. Bei vielen der Untersuchungen handelt es sich derzeit noch um kleine, zum Teil nicht repräsentative Untersuchungen. Wir beziehen uns in diesem Beitrag ausschließlich auf Forschungsergebnisse, die wir als seriös einstufen.
Chronische Müdigkeit nach Covid-19-Genesung
Immer mehr Menschen klagen nach einer Corona-Infektion, sich nicht wirklich zu erholen und dauerhaft erschöpft zu sein. Mediziner sprechen hier von "Fatigue" oder "Chronic Fatigue-Syndrom", einer starken und krankhaften Erschöpfung, die über die normale Müdigkeit nach einer durchgemachten Erkrankung hinausgeht. Das Erschöpfungssyndrom ist wahrscheinlich eine Multisystemerkrankung, die das Nervensystem, das Immunsystem und den Energiestoffwechsel betrifft.
Die Erkrankung ist bislang noch wenig erforscht, möglicherweise wird sie durch eine Viren-Infektion ausgelöst. Mediziner forschen derzeit zu den Fragen, was beim Erschöpfungssyndrom im Körper passiert und welche Rolle Covid-19 spielt.
Gedächtnisschwund nach Corona-Infektion
Eine Studie der Universität Oxford zeigt, dass Menschen mit milden Verläufen und ohne sonstige Long-Covid-Symptome sechs bis neun Monate nach der Infektion Probleme mit einer verminderten Aufmerksamkeitsspanne und Gedächtnisverlust haben.
In anderen kognitiven Bereichen (z.B. Arbeitsgedächtnis oder Planung) hatten die Studienteilnehmer keinerlei Probleme. Eine zweite gute Nachricht der Wissenschaftler: Neun Monate später unterschieden sich Werte beim episodischen Gedächtnis und der Wachsamkeit wieder auf Normalwerte.
Atemnot durch Corona
Viele Patienten klagen nach ihrer Covid-19-Genesung über Probleme beim Atmen, über Kurzatmigkeit und Atemnot. Eine Langzeitstudie der Innsbrucker Universitäts-Klinik bestätigt nun jedoch, dass sich die Lungenschäden zumindest teilweise wieder zurückbilden.
Hirnschäden durch Corona-Infektion
Eine Studie der Regensburger Kuno Klinik St. Hedwig zeigt bei Patienten mit leichten bis mittelschweren Verläufen, "dass Covid-19 nicht nur die Lunge angreift, sondern auch neurologische Schäden verursacht", so Prof. Dr. Sven Wellmann, Chefarzt für Neonatologie in Regensburg.
Das neuartige Corona-Virus kann das Gehirn erreichen – jedoch ist nicht das Virus selbst, sondern die Immunantwort des Körpers für den Großteil der Veränderungen im Gehirn verantwortlich. Das geht aus einer Studie unter Leitung von Prof. Dr. Markus Glatzel, Direktor des Instituts für Neuropathologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), hervor.
"Neben Komplikationen in Lunge, Herz und Nieren kann es bei COVID-19 auch zu neurologischen Symptomen kommen. Diese weisen ein breites Spektrum auf und reichen von diffusen Beschwerden milder Ausprägung bis hin zu schweren Schlaganfällen. Bislang war aber noch unklar, ob und wie der Erreger ins Gehirn gelangt und sich dort auch vermehren kann. Wir konnten nun zeigen, dass nicht das neuartige Corona-Virus selbst das Gehirn schädigt, sondern die neurologischen Symptome vermutlich eine indirekte Folge der Virusinfektion sind", sagt Glatzel.
Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns durch Corona
Schon vor Monaten wurde der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns als Folge einer Corona-Infektion genannt. Mediziner gehen mittlerweile davon aus, dass diese Symptome mit dem Befall der Hirnzellen durch das Virus zusammenhängen.
Aus Befragungen von genesenen Covid-19-Erkrankten geht hevor, dass sich die Symptome bei den meisten Patienten nach der Heilung vollständig aufgelöst oder mindestens gebessert haben.
Herzprobleme nach Corona-Infektion
Eine Covid-19-Erkrankung kann auch zu einer Herzmuskelentzündung führen – "auch in Fällen mit leichten Symptomen und bei Menschen, bei denen keine Symptome auftraten", berichtet ein Beitrag auf Sciencemag.org. Bleibt eine Herzmuskelentzündung unerkannt, kann sie Auslöser lebensgefährlicher Herzrhythmusstörungen sein.
Psychische Probleme als Langzeitfolge von Corona
Nach einer Studie, die im Fachmagazin Lancet Psychiatry veröffentlicht wurde, hat knapp ein Drittel der untersuchten Patienten psychische Auffälligkeiten wie Psychosen, demenzähnliche oder depressive Störungen. Ob es sich bei den beobachteten Auffälligkeiten um Dauerschäden handelt oder ob sie wieder ausheilen, ist noch unklar.
Was können Patienten mit Post-Covid-Syndrom tun?
Die gute Nachricht lautet: Die meisten Patienten werden wieder ganz gesund. "Wenn nach sechs bis acht Wochen noch Atemnot vorherrscht, sollte das unbedingt untersucht werden", rät Professor Dr. med. Claus Vogelmeier, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lungenstiftung e. V. (DGK).
Für die Patienten, die nicht mehr an Covid-19 erkrankt sind, sich aber noch nicht wieder gesund fühlen, gibt es immer mehr neue Anlaufstellen. So gibt es beispielsweise an der Medizinischen Hochschule Hannover und am Universitätsklinikum Jena mittlerweile Post-Covid-Ambulanzen. Da es sich bei den Langzeitfolgen um ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren handelt, betreut in den neu eingerichteten Ambulanzen ein Team aus Neurologen, Kardiologen, Pneumologen, Psychiatern, Gastroenterologen und Arbeitsmedizinern die Patienten.
Medikamentös können die Mediziner den Long-Covid-Patienten in den meisten Fällen jedoch nicht viel anbieten, erklärt Dr. Isabell Pink, Leiterin der Covid-Ambulanz für Genesene an der Medizinischen Hochschule Hannover. In den Ambulanzen werden die Patienten mit ihren zahlreichen Beschwerden in jedem Fall ernst genommen. "Wir können ihnen nur raten, auf ihren Körper zu hören, insgesamt einen Gang runterzuschalten und gegebenenfalls eine ambulante Reha zu beantragen."
Die Neurologin Kathrin Reetz von der Neurologischen Klinik der RWTH Aachen empfiehlt Betroffenen, ein Symptom-Tagebuch zu führen. Gegenüber der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) erklärt sie: "Der Verlauf von Beschwerden, gerade auch, wenn sie schwankend sind, lässt sich damit besser nachvollziehen." Das Festhalten der Symptome und ihrer Entwicklung kann den behandelnden Ärzten bei der Einschätzung helfen, und man selbst kann eine Verbesserung so schneller feststellen.
Neuer Fachverband zur Behandlung von Spätfolgen
Mit einem neuen Fachverband soll die Behandlung von Corona-Spätfolgen verbessert werden. Jördis Frommhold, Mitinitiatorin und Chefärztin der Median-Reha-Klinik Heiligendamm, unterscheidet unter den Patienten mit Corona-Spätfolgen zwischen denen, die nach einem schweren Verlauf und Aufenthalt auf der Intensivstation noch unter Beschwerden leiden (Post-Covid) und jenen, die nach einem eigentlich milden Corona-Verlauf mit teils schweren Beeinträchtigungen kämpfen (Long-Covid).
Für Letztere gebe es noch keinen auf ihre Bedürfnisse abgestimmten Therapieansatz, auch wenn erste Studienergebnisse zeigen, dass die individuell angepasste Rehabilitation statistisch signifikante positive Effekte hat. Deshalb hält Frommhold einen stärkeren interdisziplinären Austausch für nötig. Es gelte, allgemeingültige Handlungsempfehlungen für die Reha bei Post- und Long-Covid-Patienten zu entwickeln.
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Fachrichtungen will Frommhold einen neuen Fachverband ins Leben rufen, um besonders für Long-Covid-Patienten Fortschritte zu erreichen. Neben der Vernetzung der unterschiedlichen medizinischen Disziplinen soll der Fachverband auch im Bereich der beruflichen Wiedereingliederung und der ambulanten Nachsorge aktiv werden und die Akzeptanz des Krankheitsbildes in der Gesellschaft verbessern.
Laut Frommhold treten bei Long-Covid häufig Symptome ähnlich einer Fatigue-Erkrankung (Erschöpfung) auf. Die Medizinerin spricht von einer bleiernen Müdigkeit, die schon das morgendliche Aufstehen und die Vorbereitungen für den Tag zu schweren Aufgaben werden lasse. Die Müdigkeit sei alltagsbestimmend und ein Grund dafür, dass viele Betroffene arbeitsunfähig seien und vielleicht auch dauerhaft erwerbsunfähig sein werden. Zudem träten oft Konzentrationsstörungen, kognitive Einschränkungen und Wortfindungsstörungen bis hin zu Symptomen auf, die einer Demenz ähneln.
Impfung gegen Coronavirus kann vor Long-Covid-Symptome schützen
Eine im Fachmagazin "The Lancet Infectious Diseases" veröffentlichte Studie zeigt, zweifach geimpfte Menschen im Fall einer Corona-Infektion ein um 47 Prozent geringeres Risiko haben, an Long-Covid zu erkranken.
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