Stefan Rahmstorf: "Es geht hier darum, uns Menschen vor einer Katastrophe zu schützen"

Autor: Annette Dohrmann | Kategorie: Gesundheit und Medikamente | 04.08.2022

Hochwasser, Hitze, Trockenheit: Die Folgen sind Klimawandels sind deutlich spürbar.
Foto: M. Volk/Shutterstock

Klimaforscher Stefan Rahmstorf über knallharten Lobbyismus, Emotionen in der Klimadebatte und was ihm trotz düsterer Zukunftsaussichten Hoffnung macht.

Professor Stefan Rahmstorf ist einer der renommiertesten Klimaforscher weltweit. Er leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und ist Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam.

Neben seiner Arbeit als Wissenschaftler ist er ein gefragter und mehrfach ausgezeichneter Klimakommunikator. Wir haben mit ihm über die Klimakrise gesprochen: 

ÖKO-TEST: Herr Professor Rahmstorf, von Wissenschaft im Elfenbeinturm kann bei Ihnen keine Rede sein: Sie twittern, Sie bloggen und wurden mehrfach als Klimakommunikator ausgezeichnet. Das heißt, Sie lösen konsequent jene "Bringschuld der Klimaforscher" ein, von der Sie einmal sprachen. Was genau meinen Sie damit?

Stefan Rahmstorf: Ich bin der Meinung, dass wir als Wissenschaftler unsere Erkenntnisse nicht nur für unsere Fachkollegen in Fachzeitschriften publizieren sollten. Wir sind verpflichtet, sie auch der Öffentlichkeit zu erklären. So wie Mediziner: Wenn die erkannt haben, dass Rauchen schädlich ist, haben sie natürlich die Pflicht, das der breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.

Rolle der Wissenschaftler in der Klimadebatte

Als Wissenschaftler haben Sie dabei den Anspruch, sachlich und neutral zu bleiben. Müsste die Klimadebatte aber nicht viel vehementer und emotionaler geführt werden, um alle zu erreichen?

Rahmstorf: Natürlich braucht die öffentliche Diskussion auch eine emotionale Komponente. Sonst kommt sie bei den Menschen nicht an. Trotzdem glaube ich, dass das eher die Aufgabe von Journalisten, Künstlern oder auch Filmemachern ist. Denn es ist ja nicht unbedingt die Stärke von Physikern – und aus meiner Sicht auch nicht die Rolle des Physikers –, hier Emotionen zu vermitteln. Wir müssen einfach nüchtern die Fakten erläutern.

Sie erwähnen im Buch "3 Grad mehr" auch Ihre Kinder. Da ist es angesichts der bedrohlichen Zukunftsaussichten doch schwer, nüchtern zu bleiben …

Rahmstorf: Völlig richtig. Als Vater lässt mich das Thema natürlich nicht kalt. Aber im privaten Kontext denke, rede und fühle ich als Mensch und als Bürger – und in der Öffentlichkeit spreche ich als Wissenschaftler. Und da ist eben tatsächlich mein Rollenverständnis, dass ich den Stand des Wissens und der Fakten so sachlich und ausgewogen wie möglich darstelle.

Die Erderhitzung wird viele Jahrtausende mit uns sein.
Die Erderhitzung wird viele Jahrtausende mit uns sein. (Foto: nicostock/Shutterstock)

Das bringt mich zu Begrifflichkeiten. Es ist meistens vom "Klimawandel" die Rede – das klingt nach allmählichen Veränderungen, die uns nicht wehtun. Müssten wir nicht konsequent von Klimakrise sprechen – oder ist das Haarspalterei?

Rahmstorf: Ich glaube, Worte sind wichtig. "Klimawandel" wirkt in der Tat verharmlosend auf die meisten Menschen. Sie verstehen da nicht, worum es geht. "Klimakrise" ist insofern besser, weil es tatsächlich zeigt, dass es bedrohlich ist. Das Buch The Climate Crisis, das ich mit meinem Kollegen David Archer 2009 geschrieben habe, war eines der ersten, das den Begriff Klimakrise im Titel hatte.

Aber es gibt auch berechtigte Kritik daran, weil eine Krise wiederum suggeriert, dass man sie überwindet – und dann ist es vorbei. Aber die Erderhitzung wird viele Jahrtausende mit uns sein. Daher ist das keine Krise wie eine Wirtschaftskrise, die wir nach ein paar Jahren überwinden, sondern eine dauerhafte Verschlechterung unserer Lebensbedingungen auf unserem Planeten.

Menschliche Zivilisation ist durch Erderhitzung bedroht

Fällt das Wort "klimafreundlich" nicht auch in diese Kategorie?

Rahmstorf: Richtig. Ich sehe auch das Wort "klimafreundlich" kritisch, auch wenn ich es selber benutze. Wir schützen ja nicht das Klima, sondern es geht hier darum, uns Menschen vor einer Katastrophe zu schützen. Man muss es wirklich so sagen: Die menschliche Zivilisation, wie wir sie kennen, ist durch die Erderhitzung bedroht.

Liegt es auch an so verharmlosenden Begriffen, dass die Dringlichkeit des Problems bislang nicht auf breiter Ebene durchgedrungen ist?

Das mag eine kleine Rolle spielen. Ich glaube aber, dass es viel wichtigere Gründe gibt, weshalb das nicht durchdringt. Etwa Interessengruppen, die massiv Geld investieren, um die Öffentlichkeit über die Erderwärmung zu verwirren. Aber auch psychologische Gründe: Menschen wehren schlechte Nachrichten ab, die den eigenen Lebensstil und bisherige Glaubenssätze infrage stellen. Das erzeugt Widerstände und auch ein Gefühl von Ohnmacht, weil das Problem so riesig ist. Oder ein Gefühl der Scham, weil sie denken: Ach, ich hab’ ja ein Auto und trage auch dazu bei.

Als einen entscheidenden Grund für das Nichthandeln sehe ich aber den knallharten Lobbyismus. Außerdem gibt es aus meiner Sicht auch ein Versagen der Medien: Die haben die Klimaentwicklung nicht klar genug dargestellt und immer wieder abwegigen Außenseiterthesen eine Plattform gegeben, die versuchen, die Öffentlichkeit einzulullen.

Aber es ist doch inzwischen Konsens, dass die Erderhitzung menschengemacht ist …

Rahmstorf: Na ja, wenn wir Deutschland betrachten, bestreitet das nur noch die AfD. Ansonsten ist das, glaube ich, bei uns jetzt wirklich angekommen. Aber wenn wir in die USA schauen, sehen wir, dass es große Teile der Republikanischen Partei von Trump und auch der Wähler dieser Partei noch immer nicht verstanden haben, dass diese Frage seit Jahrzehnten wissenschaftlich geklärt ist.

"Wir können nicht aufgeben" 

Das Buch "Der Tollhauseffekt" Ihres Kollegen Michael E. Mann nimmt die Methoden und Argumente jener Interessengruppen und Wissenschaftsleugner auseinander – zugespitzt und mit schwarzem Humor. Ist Humor ein legitimes Mittel der Klimakommunikation?

Rahmstorf: Auf jeden Fall! Ohne Humor könnte man diese Debatte überhaupt nicht so lange überleben. Und durch Humor kann man eben auch innere Widersprüche sehr gut auf den Punkt bringen.

Anderes Stichwort: Hoffnung. "3 Grad mehr" zeigt, welche gigantischen Herausforderungen vor uns liegen. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass wir es noch in der Hand haben, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?

Rahmstorf: Dass es möglich ist, ist aus meiner Sicht einfach Fakt. Sowohl geophysikalisch als auch technologisch und finanziell ist es durchaus möglich, die Erderwärmung noch rechtzeitig zu stoppen. Wir haben die Mittel, das zu tun.

Woher ich die Hoffnung nehme? Obwohl es nicht gut aussieht, weil das Problem seit Jahrzehnten eben nicht angepackt worden ist? Wir müssen einfach hoffen. Wir können nicht aufgeben. Bei dem, was auf dem Spiel steht, können wir uns das nicht erlauben. Also bleibt eigentlich keine andere Wahl, als bis zuletzt zu hoffen und dafür zu arbeiten, dass es doch noch gut ausgeht.

Kleine Beiträge haben in Summe große Effekte 

Sie erwähnten das Gefühl der Ohnmacht: Wie kann es gelingen, dass die Menschen eben nicht in Schockstarre fallen? Oder resignieren, weil sie denken, als Einzelne eh nichts ausrichten zu können?

Rahmstorf: Natürlich kann ich als Einzelmensch nicht die Welt retten. Aber jeder Einzelne muss ja in seinem Umfeld auch nur einen kleinen Beitrag leisten. In der Summe hat das dann große Effekte. Ganz wichtig ist, sich dabei mit Gleichgesinnten zu vernetzen, im Freundes- und Bekanntenkreis darüber zu sprechen.

Dabei wird man merken, dass man doch ganz schön viel machen kann. Beispielsweise wie meine Familie: Wir erledigen den ganzen Alltagsverkehr mit dem Fahrrad. Wir besitzen kein Auto. Das können vielleicht nicht alle, je nach Wohnort. Aber oft ist das ja auch gar kein Verzicht.

Sie nehmen mir die nächste Frage aus dem Mund: Wäre es nicht wichtig, viel stärker die Vorteile in den Vordergrund zu stellen, die konsequenter Klimaschutz hätte?

Rahmstorf: Absolut! Solche Vorteile hätte sowohl die Allgemeinheit als auch jeder persönlich. Beispiel Verkehrswende. Wir könnten viel lebenswertere Städte bekommen, mit viel weniger Luftverschmutzung und Lärmbelastung. Neulich in Amsterdam habe ich gesehen, wie eine Stadt funktionieren kann, wenn man dem Fahrradverkehr Vorrang gibt.

Gesünder ist es auch: Ich glaube, dass ich auch deswegen mein Leben lang immer recht gesund war, weil ich mich jeden Tag an der frischen Luft bewege und nicht nur sitze zwischen Büro und Auto. Außerdem erspare ich mir viele der Probleme, die Menschen mit Auto oft haben: im Stau stehen oder es zur Reparatur bringen. Das ist für mich die bessere Lebensqualität.

Professor Stefan Rahmstorf (rechts) ist Klimaforscher und Mitautor des Buches "3 Grad mehr".
Professor Stefan Rahmstorf (rechts) ist Klimaforscher und Mitautor des Buches "3 Grad mehr". (Foto: Portrait von Felix Amsel)

Klaus Wiegandt (Hrsg.): 3 Grad mehr. Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern | Oekom 2022 | 352 Seiten | 25 Euro (E-Pub und PDF 19,99 Euro)

Das Problem auf allen Ebenen lösen 

"3 Grad mehr" beleuchtet eher die globalen Dimensionen, zeigt technologische oder naturbasierte Lösungsansätze in großem Maßstab auf, etwa Wiederaufforstung. Entbindet das nicht den Einzelnen von seiner Verantwortung?

Rahmstorf: Das glaube ich nicht. Wir müssen das Problem auf allen Ebenen lösen. In erster Linie sehe ich da die Regierung in der Pflicht mit klaren Emissionsminderungsregeln. Und die Wirtschaft. Aber die wird sich erst ändern, wenn es entsprechende Gesetze gibt.

Ich denke aber, dem Einzelnen macht es Mut zu sehen: Es passiert auch im Großen etwas, um das Problem in den Griff zu kriegen. Es motiviert die Leute, selbst aktiv zu werden. Denn nichts ist entmutigender als das Gefühl: Die Politik versagt, und niemand macht etwas.

Hat denn unsere Regierung Ihrer Ansicht nach erkannt, dass ein "Weiter wie bisher" in der Klimafrage keine Option ist?

Rahmstorf: Mein Eindruck ist, dass von der Regierung nur die Grünen das wirklich erkannt haben. Bei den anderen Koalitionsteilnehmern ist es, glaube ich, noch nicht wirklich im Inneren angekommen, was hier auf dem Spiel steht.

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