Kurz vor Dienstschluss wird noch ein wichtiges Meeting anberaumt, das Postfach quillt über, die Kollegin hat auch noch was zu besprechen. Dabei warten die Kinder doch im Hort darauf, abgeholt zu werden. Endlich ins Auto, noch eben ein paar Einkäufe und schließlich durch den stockenden Stadtverkehr. Wenn dann noch das Handy klingelt und der Chef dran ist, steigt der Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen.
So oder ähnlich gestresst fühlen sich heutzutage viele. Die Technik hat den Alltag drastisch verändert. Per Handy sind wir dauernd erreichbar, das Internet überflutet uns rund um die Uhr mit Informationen. Einfach mal abschalten (auch die Geräte!): Das leistet sich heute kaum noch jemand. Dabei können viele Menschen nur schwer damit umgehen, ständig verfügbar, ständig flexibel sein zu müssen.
Stress beflügelt, macht aber auch krank
Wahr ist: Stress kann beflügeln, zu Höchstleistungen antreiben und – ist die Arbeit bewältigt – auch ein gutes Gefühl hinterlassen. Viele Schüler und Studenten können nur lernen, wenn ihnen der Prüfungstermin im Nacken sitzt, mancher Journalist läuft kurz vor Redaktionsschluss zu Bestform auf. Solchen Stress kann man (gerade noch) als positiven Stress nennen.
Wahr ist aber auch: Fehlt das Erfolgserlebnis, lässt der Druck über Wochen nicht nach, drängen ständig neue Termine und Probleme, dann leidet der Mensch unter negativem Stress. Der zermürbt und für viele Krankheiten (mit) verantwortlich ist.
Der Adrenalinschub: Relikt aus der Steinzeit
Unter Stress wird der Körper in Alarmbereitschaft versetzt. In den Nebennieren werden vermehrt das Hormon Adrenalin sowie das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet. Alle Abwehrkräfte des Körpers werden mobilisiert, alle nicht notwendigen Funktionen erst mal heruntergefahren: Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Atmung beschleunigt, die Muskeln sind angespannt. Auf der anderen Seite arbeiten Magen, Darm, Blase und sogar die Fortpflanzungsorgane langsamer als sonst.
Der Stressmechanismus stammt noch aus der Steinzeit: Auf drohende Gefahren musste blitzschnell reagiert werden. Fight or flight, Kampf oder Flucht – sich richtig zu entscheiden und zu handeln war überlebensnotwendig.
Der Adrenalinschub in stressigen Situationen ist uns erhalten geblieben, aber Flucht oder Kampf sind – glücklicherweise – nur noch in Ausnahmefällen nötig. Den nörgelnden Vorgesetzten einfach stehen lassen, den abgestürzten Rechner aus dem Fenster schmeißen, dem lahmen Kollegen einen Tritt versetzen: leider nur in Gedanken möglich. Wir ballen allenfalls die Hand in der Tasche oder beißen die Zähne zusammen, bis der Kiefer schmerzt.
Der dauernde Alarmzustand schadet dem Körper
Halten solche Anspannungen jedoch länger an, ohne dass es auch Phasen der Ruhe und Entspannung gibt, kann der Stress chronisch werden. Die Nerven liegen blank, man steht ständig unter Strom. Es genügen immer schwächere Reize, um ein Gefühl der Bedrohung auszulösen und den Körper in Alarm zu versetzen. Kein guter Zustand für Körper und Geist.
Selbstwertgefühl und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten schwinden, der Organismus reagiert erst mit kleineren, dann mit größeren Beschwerden. Die ständig steigende Anspannung kann auch zu einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen führen.
Allerdings macht das Immunsystem meist nicht in der allergrößten Hektik schlapp, sondern erst, wenn man zur Ruhe kommt. Jeder kennt das: Zwei Wochen vor dem Urlaub stapelt sich die Arbeit, Überstunden werden fällig. Man schuftet bis zum letzten Arbeitstag, endlich ist es geschafft. Die ersten Urlaubstage aber, auf die man sich so gefreut hat, verbringt man krank im Bett.
Schuld ist das Hormon Cortisol, das unter Stress vermehrt ausgeschüttet wird. Es hemmt zwar die körpereigene Abwehr – Krankheitserreger können leichter in den Körper eindringen und sich vermehren –, gleichzeitig unterdrückt es aber auch Schmerzen. Entstehende Infekte werden deshalb erst einmal nicht wahrgenommen – bis der Stress weniger wird und die Cortisolproduktion nachlässt.
Chronischer Stress mündet in einen Teufelskreis
Hält der Stress über Wochen und Monate an, wird man zunehmend gereizt und nervös, schläft schlecht und kann sich nicht mehr gut konzentrieren. Aus solchem Langzeitstress entsteht schnell mehr als eine harmlose Erkältung. Der Blutdruck steigt, die Muskeln sind angespannt, Magen- und Darmtrakt dagegen weniger aktiv.
Bleibt die Stressreaktion über einen längeren Zeitraum bestehen, kann die ständige Anspannung der Skelettmuskulatur Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen verursachen. Im Magen wird die Nahrung nicht gut mit Magensäure durchmischt – Verdauungsstörungen und Magenprobleme bis zur Magenschleimhautentzündung können die Folge sein. Der erhöhte Blutdruck schädigt die Gefäßwände und verstärkt so die Arterienverkalkung.
Hinzu kommt, dass die meisten Menschen unter Stress ungesund leben: zu wenig Bewegung, zu wenig Schlaf, hastiges Essen, zu viel Schokolade als "Nervennahrung", zu viele Zigaretten. Spätestens am Abend braucht man dann Alkohol, um überhaupt zur Ruhe zu kommen. Ein Mangel an gesunder Ernährung sorgt wieder dafür, dass der Körper dem anfallenden Stress schlechter gewachsen ist. Hält die Situation länger an, wird sie deshalb zum Teufelskreis.
Anti-Stress-Tipp 1: Prioriäten managen
Manchmal hilft es schon, die anfallenden Aufgaben besser einzuteilen, um mehr Ruhe in den (Arbeits-)Alltag zu bringen. Unbedingt nötig: Prioritäten setzen.
Nicht alle Termine, Aufgaben, Bitten und Wünsche sind gleichermaßen sinn- und wertvoll – schon gar nicht, wenn sie zulasten Ihrer Gesundheit gehen. Stellen Sie sich stets die Fragen: Was ist wichtig? Was kann vernachlässigt werden? Was lässt sich gegebenenfalls an andere delegieren?
Tipp: Nehmen Sie sich eine Stunde Zeit (und ein Blatt Papier) und sortieren Sie, welche Aufgaben der kommenden Woche tatsächlich wie wichtig sind.
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Prio A: Wichtig und dringend. Diese Aufgabe kann nur von Ihnen erledigt werden und muss sofort oder sehr bald getan werden. Setzen Sie sie ganz an die Spitze Ihrer To-do-Liste.
- Prio B: Ebenso wichtig, aber nicht ganz so dringend. Dabei handelt es sich oft um planerische, strategische oder kreative Arbeiten, die Sie persönlich erledigen sollten. Für diese sollten Sie mittelfristig einen ausreichenden Zeitblock einplanen.
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Prio C: Dringend, aber von untergeordneter Bedeutung. Diese Aufgaben müssen nicht unbedingt selbst erledigt werden. Delegieren Sie sie nach Möglichkeit – so gewinnen Sie Raum, den Sie selbst für Aufgaben der Priorität A und B aufwenden können.
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Prio D: Weder wichtig noch dringend. Dafür sollte einem die eigene Zeit zu schade sein. Lassen Sie entsprechende Aufgaben nach Möglichkeit fallen, sagen Sie vergleichbare Termine ab und nutzen Sie die Zeit für andere Dinge. Dabei kann es sich durchaus um Sport, kochen, spielen oder schlicht Nichtstun handeln.
Die Arbeit auf diese Weise nach Wichtigkeit zu ordnen, hat noch einen Vorteil: Sie wissen hinterher genau, wo Sie anfangen müssen. Denn wer vor einem Berg an unerledigten Aufgaben steht, verliert schnell den Überblick.
Beginnen Sie am besten mit etwas, das wichtig ist (Prio A oder B), aber trotzdem überschaubar und schnell zu erledigen erscheint. Das verschafft Ihnen nicht nur gleich zu Beginn ein motivierendes Erfolgserlebnis, sondern setzt Sie auch auf den richtigen Pfad: Ist der Anfang erst einmal gemacht, geht es meistens sehr viel leichter und (fast) von alleine weiter.
Anti-Stress-Tipp 2: Leerzeiten einplanen
Was hilft noch gegen das Gefühl, permanent unter Strom zu stehen? Lassen Sie bei der Tages- oder Wochenplanung bewusst Zeiträume frei, in denen nichts zu tun ist. Wer einfach mal eine halbe Stunde in der Sonne sitzt, einen kleinen Spaziergang macht oder im Buchladen stöbert, fühlt sich erholt, hat wieder Kraft und den Kopf frei.
Und wer die Glotze abends einfach auslässt und stattdessen ein Buch liest, Sport treibt, mit Freunden kocht oder (sofern die Coronasituation es wieder zulässt) ins Theater geht, bekommt gleich ein ganz anderes Lebensgefühl.
Anti-Stress-Tipps 3 bis 9, um Ruhe zu gewinnen
3. Eine Viertelstunde früher aufzustehen wirkt manchmal Wunder. Es bekommt Körper und Geist, sich nicht sofort nach dem Aufstehen abhetzen zu müssen oder schon auf dem Weg zur Arbeit unter Zeitdruck zu stehen. Wer in Ruhe gefrühstückt hat, startet auch gelassener in die täglichen Pflichten. Lesen Sie dazu auch: Gesundes Frühstück: So starten Sie ausgewogen in den Tag
4. Eins nach dem anderen. Der Versuch, mehrere Arbeiten gleichzeitig zu erledigen, erzeugt Stress und verschlechtert die Ergebnisse, wie Studien immer wieder erwiesen haben. Am besten eine Aufgabe zu Ende bringen – und dann erst die nächste angehen.
5. Gönnen Sie sich die Zeit für ein Mittagessen. Ein hinuntergeschlungenes Brötchen liegt schwer im Magen – eine Mahlzeit, die in Ruhe eingenommen wird, kann hingegen neue Kraft geben.
6. Ein kurzer Spaziergang, am besten im Grünen, beruhigt die Sinne und gleicht einseitige Körperhaltungen während der Arbeit aus. Hinzukommt: Mit dem Abstand, den das Spaziergehen schafft, lassen sich manche Aufgaben anschließend besser bewältigen. Lesen Sie auch: Ergonomie am Arbeitsplatz: Tipps für ein gesundes Arbeiten im Home-Office
7. Es bringt nichts, Freunde zu vernachlässigen, um mehr arbeiten zu können. Im Gegenteil: Wissenschaftler haben festgestellt, dass gut funktionierende soziale Beziehungen ein wichtiger Anti-Stressfaktor sind.
8. Sobald die Pandemie vorüber ist, wird es wieder erstaunlich einfach, Stress im Stau zu vermeiden: einfach auf Bus und Bahn setzen oder beim Fahrrad bleiben. Wenn Sie den Drahtesel nehmen, haben Sie einen zusätzlichen Vorteil: Durch die körperliche Bewegung bauen Sie Anspannung und Nervosität ab und kommen abends entspannter zu Hause an.
9. Durch Entspannungs- und Bewegungstechniken aus dem asiatischen Kulturraum lernen Sie, Ihren Körper bewusster wahrzunehmen und generell achtsamer zu leben. Lesen Sie dazu: Yoga, Tai-Chi & Qigong: Entspannung und Ruhe für den Körper
Bonus: 5x Stress abbauen im Alltag
Zum Abschluss fünf effektive Tipps, wie Sie sich zwischendurch kurze Auszeiten vom stressigen Geschehen um Sie herum nehmen können:
- Erste Hilfe: ein paar tiefe Atemzüge. Sie signalisieren dem Gehirn: raus aus dem Stress-, rein in den Ruhemodus. Die Konzentration auf den eigenen Atem schafft Distanz zum Gedankenkarussell.
- Verrichten Sie alltägliche Dinge so, als wäre es das erste Mal. Statt in Gedanken schon die To-do-Liste des Tages durchzugehen, nehmen Sie bewusst Ihren Körper beim Aufwachen wahr oder das warme Wasser unter der Dusche. Über den Tag verteilt gibt es viele Gelegenheiten für solche achtsamen Auszeiten.
- Nehmen Sie sich eine Auszeit von den Geräuschen, die Sie umgeben. Suchen Sie einen Ort der Stille auf – ohne Handy oder andere Ablenkungen. Tun Sie nichts, als auf die Stille zu lauschen.
- Kurze Gehmeditation: Gehen Sie achtsam zehn Schritte in eine Richtung, dann wieder zurück. Achten Sie dabei genau auf den Ablauf – Fuß anheben, vorschieben, aufsetzen, abrollen –, die Verlagerung des Körpergewichts und das Gefühl an der Fußsohle.
- Nehmen Sie beim Essen bewusst den Geschmack der Speisen wahr, ihren Geruch, die Konsistenz. Wer achtsam isst, unterbricht den Teufelskreis, bei Stress wahllos etwas in sich reinzustopfen, um das jeweils nächste Problem (vermeintlich) besser lösen zu können.
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