Adrenalin, Kortisol und andere Stresshormone schießen in die Adern, der Blutdruck schnellt in die Höhe, das Herz rast und die Muskeln sind angespannt. Stress versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Kurzfristig hilft uns das, schwierige Situationen und Anforderungen zu bewältigen. Wir sind hellwach und können so blitzschnell reagieren, angreifen oder wegrennen. Alle Sinne konzentrieren sich auf die drohende "Gefahr" - ob in einem sportlichen Wettkampf, einer wichtigen Klausur, einem Bewerbungsgespräch oder nachts allein auf dem Weg nach Hause.
Stress an sich ist also durchaus nicht immer ungesund. Es ist ähnlich wie mit Kaffee, Essen oder Sport: Auf die richtige Dosis kommt es an. Eine gewisse Menge Stress belebt und treibt zu Höchstleistungen an. Wenn psychische Belastungen aber zum Dauerzustand werden, sinkt die Leistungsfähigkeit rapide. Die Gesundheit leidet. In einer Forsa-Studie zum Thema Stress, die von der Techniker-Krankenkasse (TK) in Auftrag gegeben wurde, klagten drei Viertel derjenigen, die sich häufig gestresst fühlen, über Muskelverspannungen und Rückenschmerzen. In der Gruppe der Befragten mit niedrigem Stresslevel war es nur jeder Zweite. Ebenfalls stärker betroffen als der Durchschnitt sind die Vielgestressten von Magenbeschwerden, Übelkeit, häufigen Infekten, Kopfschmerz und Migräne. Laut TK-Studie greifen sechs Prozent der Gestressten sogar in den Medikamentenschrank, weil sie es nur mit Beruhigungs- oder Aufputschmitteln schaffen, den Anforderungen ihres Alltags standzuhalten. Das stellt eine weitere gesundheitliche Gefahr dar.
Stress: Positiver Ansporn oder negativer Druck?
Die Studie zeigte auch, dass für mehr als die Hälfte der Deutschen Stress alltäglich ist. Für jeden Fünften ist es fast ein Dauerzustand. Frauen sind stärker davon betroffen als Männer. Vor allem bei den 36- bis 46-Jährigen sind 80 Prozent im Stress. Es ist die sogenannte Sandwichgeneration, die Beruf und Familie unter einen Hut bekommen muss. Dieser Zustand ändert sich mit zunehmendem Alter. In der Altersgruppe von 50 bis 60 Jahren sagt jeder Zweite, er sei selten oder nie gestresst. Auch die Größe des Wohnorts spielt eine Rolle. Auf dem Land lebende Menschen sind nach den Ergebnissen der Befragung offenbar ausgeglichener. Einen Spitzenwert beim Stresslevel erreichen Großstädter, die in Metropolen mit über 500.000 Einwohnern leben.
Im Privatleben steigt der Stresspegel meist, wenn Paare eine Familie gründen. 71 Prozent der Menschen mit Kindern fühlen sich gestresst. Die Kinder selbst werden aber nicht als die größte Belastung empfunden. Die Eltern plagen sich durch den Beruf, private Konflikte, die Kinderbetreuung, hohe Ansprüche an sich selbst und finanzielle Sorgen - und zwar in dieser Rangfolge.
Der Job gilt als Stressfaktor Nummer eins. Der Stressreport Deutschland 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat untersucht, wo genau die Probleme im Berufsleben liegen: Es sind ständiger Termin- und Leistungsdruck, das sogenannte Multitasking, das heißt die Konzentration auf verschiedene parallel laufende Tätigkeiten, häufige Unterbrechungen, fehlende Pausen und das Arbeiten an der Grenze der persönlichen Leistungsfähigkeit. Ursachen dieser zunehmenden Belastungen sind häufig Veränderungen von Arbeitsprozessen und technische Neuerungen.
Allerdings werden bestimmte Situationen und Anforderungen von den Betroffenen unterschiedlich bewertet. Was der eine als puren Stress empfindet, ist für den anderen vielleicht eine Herausforderung und positiver Ansporn. Dieses Phänomen erklärt der US-amerikanische Psychologe Richard Lazarus so: "Stresssituationen sind komplexe Wechselwirkungsprozesse zwischen den Anforderungen der Situation und der handelnden Person. Nicht die Beschaffenheit der Reize oder Situationen ist für die Stressreaktion von Bedeutung, sondern die individuelle kognitive Verarbeitung des Betroffenen."
Wer chronisch gestresst ist, kann in eine totale Erschöpfung rutschen. Davor zieht mancher heute die Reißleine, kündigt den anstrengenden Job und fängt zum Beispiel eine Ausbildung zum Yogalehrer an, wird Gärtner oder Koch. Es sind Menschen, die ihre zeitlichen Belastungen herunterfahren, um sich um andere Dinge kümmern zu können, die ihnen wichtig und sinnvoll erscheinen. Besonders ausgeprägt ist der Trend in Großbritannien, von dort kommt auch der Begriff Downshifter. Die britische Schriftstellerin und Journalistin Tracey Smith, eine prominente Vertreterin der Bewegung, ruft inzwischen zu einer jährlichen internationalen Downshifting-Woche auf. Während dieser sieben Tage sollen sich Menschen Zeit zum Innehalten nehmen und ihre Arbeits- und Lebenssituation überdenken.
Die Reißleine ziehen
In Deutschland wurde Angie Sebrich zur Downshifting-Ikone. Sie schmiss ihren aufregenden Job als Kommunikationschefin des Musiksenders MTV hin und leitet heute eine Jugendherberge in den Bayerischen Alpen. Warum sie diesen Schritt gemacht hat, verriet sie der Süddeutschen Zeitung: Sie wollte "back to the roots, etwas runter vom Gas, die Verbindung zwischen Herz, Kopf und Händen wiederherstellen". Die ersten zwei Jahre seien hart gewesen, gibt Sebrich zu, aber jetzt gehe es ihr richtig gut. "Ich vermisse nichts. Im Gegenteil: Mir ist bewusst geworden, was wirklich zählt im Leben."
Für solche Entscheidungen braucht es ein gutes Gespür für sich selbst, den Mut, auch mal zu möglichen Chancen Nein zu sagen und zu seiner Haltung zu stehen. Das kann jeder lernen, zum Beispiel in Achtsamkeitsseminaren oder Antistressprogrammen. Sie sollen helfen, den Teufelskreis aus objektiven Belastungen und den eigenen stressfördernden Denk- und Verhaltensmustern zu durchbrechen. Das ist die Voraussetzung, um wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen und die Auslöser stressiger Situationen zu vermeiden. Werden solche Seminare von Ärzten, Psychologen oder Pädagogen geleitet, gibt es von den meisten gesetzlichen Krankenkassen einen Zuschuss.
9 Tipps, wie Sie Stress reduzieren
Sie tappen immer wieder in alltägliche Stressfallen? Wir stellen Ihnen mehrere erprobte Möglichkeiten vor, wie Sie Ihren Stresslevel in verschiedenen Situationen effektiv reduzieren, bevor es zu spät ist.
1. Realistische Ziele setzen
Wer meint, dass er für jedes Problem immer eine perfekte Lösung finden muss, kann sich nie zufrieden geben. Das stresst. Fragen Sie sich, ob Ihre Ansprüche und Ideale mit Ihren Fähigkeiten und Ihrer Belastbarkeit wirklich zusammenpassen, ob der Perfektionismus wirklich nötig ist und welchen gesundheitlichen Preis Sie dafür zahlen. Manchmal kann es hilfreich sein, die Erwartungen an sich selbst herunterzuschrauben und sich auch mal mit einfachen Lösungen zu begnügen.
2. Zeitmanagement
Ein schlichtes Notizbuch kann helfen, den individuellen Zeitfressern auf die Spur zu kommen. Am besten beobachtet man zwei oder drei Wochen lang genau, wo bei der Arbeit die wichtigsten Stressfaktoren lauern. Sind es schlecht vorbereitete Besprechungen oder unzuverlässige Kollegen? Ist es das Internet, ein zu enger Zeitplan oder der persönliche Wunsch, sich zu profilieren oder es allen recht zu machen?
Auf der Basis dieser Erkenntnisse gibt es wichtige Tipps, um die Arbeit ökonomischer zu gestalten, zum Beispiel:
- Nicht versuchen, mehrere Ziele gleichzeitig zu erreichen.
- Prioritäten setzen: Was ist wichtig, was kann noch warten?
- Tages- und Wochenpläne aufstellen, und schon am Abend den folgenden Tag planen.
- Mit Aufgabenlisten arbeiten.
- Zeitpuffer für Unerwartetes vorsehen.
- Überflüssigen Kleinkram delegieren.
- Ordnung halten.
- Den eigenen Arbeitsplatz sinnvoll organisieren.
3. Sich ein Hobby zulegen
Wer gestresst ist, denkt oft in einer Endlosschleife an unerledigte Dinge auf der Arbeit oder zu Hause. Das bringt nicht nur rein gar nichts, es stresst auch noch mehr. Wer sich ein Hobby zulegt, bekommt den Kopf frei, zum Beispiel ein Instrument oder Töpfern lernen, im Chor singen, einen Tanzkurs machen oder einen Goldschmiedekurs belegen.
4. Sport treiben
Sport ist der ideale Ausgleich für einen stressigen Arbeitstag. Zugegeben, es ist verführerisch, nach einem anstrengenden Arbeitstag das vereinbarte Tennismatch abzusagen und sich einfach vor die Glotze zu hauen. Wer sich trotzdem aufrafft und in die Sportklamotten zwingt, wird jedoch schnell merken, wie durch Bewegung und körperliches Training alle Müdigkeit verfliegt. Sport baut Stress ab, sorgt für eine positive Selbstwahrnehmung, fördert soziale Kontakte und stärkt die eigene Belastbarkeit.
5. Genussmomente schaffen
Genuss vertreibt Verdruss. Sorgen Sie regelmäßig für Momente und Erlebnisse, auf die Sie wirklich Lust haben, in denen Sie sich entspannen und Ihre Batterien wieder aufladen können: ein Bad bei Kerzenlicht, ein Spaziergang im Wald, Musikhören, Kartenspielen in trauter Runde oder ein Kurztrip in eine interessante Stadt. Pflegen Sie Ihr Privatleben, halten Sie Kontakte zu Freunden und verabreden Sie sich regelmäßig. Genießen Sie die schönen Dinge des Lebens ganz bewusst.
6. Offline sein
Nicht nur am Arbeitsplatz ist es wichtig, zwischendurch abzuschalten. Paradoxerweise sind es nämlich gerade die modernen Zeitsparer wie Handy, Laptop oder Smartphone, die für ständige Verfügbarkeit sorgen und uns daran hindern abzuschalten. Nach Feierabend und am Wochenende sollten wir unserem Gehirn eine echte Pause gönnen und die elektronischen Medien für eine bestimmte Zeit zur Seite legen. Auch Fernseher, Facebook oder Computerspiele verhindern, dass wir uns wirklich entspannen können.
7. Positiv denken
Manche Menschen nehmen ihre gesamte Umwelt durch eine Negativbrille wahr. Ob zu Hause, im Urlaub oder im Beruf - überall fühlen sie sich vom Pech verfolgt. Der Ärger ist quasi vorprogrammiert. Sie sind ständig nervös, weil sie immer das Schlimmste erwarten. Versuchen Sie, die positiven Dinge zu sehen und Aufgaben mit einer Portion Optimismus anzugehen. Sagen Sie sich selbst: Ich kann es schaffen!
8. Die Dinge mit Humor sehen
Nicht ohne Grund heißt es: Lachen ist gesund. Humor ermöglicht es, auch belastende Situationen aus einer distanzierteren, heiteren Perspektive zu betrachten. Das kann ungeheuer erleichternd sein. Zum Humor gehört auch, dass wir über uns selbst lachen können. Eigene Haltungen, Anwandlungen von Verbissenheit oder übertriebenem Perfektionismus werden relativiert und innere Spannungen abgebaut.
9. Kommunizieren
Sprechen Sie Konflikte offen an und bitten Sie Ihren Gesprächspartner, die Probleme aus seiner eigenen Sicht zu schildern. Forscher haben herausgefunden, dass die Fähigkeit zum richtigen Kommunizieren bei der Stressprävention eine entscheidende Rolle spielt. Es ist auch erlaubt, mal richtig Dampf abzulassen und dem Ärger freien Lauf zu lassen. Das befreit. Allerdings sollte man sich so weit kontrollieren, dass man sich nicht schadet und neuen Stress verschafft.
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