Wer diese Woche beim Discounter Penny einkaufen geht, könnte beim Blick auf einige Preisschilder verwundert sein: Neun Produkte hat das Unternehmen mit den "wahren Preisen" ausgezeichnet. Dabei werden auch verdeckte Kosten etwa für Umweltverschmutzung bei der Produktion berücksichtigt.
Es ist ein gewaltiger Preisaufschlag: Wiener Würstchen kosten plötzlich 6,01 Euro statt 3,19 Euro. Der Preis für Mozzarella erhöht sich von 89 Cent auf 1,55 Euro und für Fruchtjoghurt muss 1,56 Euro statt 1,19 Euro bezahlt werden. In einem Experiment verlangt der Discounter Penny eine Woche lang (vom 31.07 bis zum 05.08.2023) für neun seiner Produkte die "wahren Preise" - also den Betrag, der bei Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden eigentlich berechnet werden müsste.
Was hat es mit den wahren Preisen auf sich?
Bei den "wahren Preise" werden neben den Herstellungskosten auch die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf Boden, Klima, Wasser und Gesundheit miteinbezogen. Sie wurden von Wissenschaftlern der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald berechnet.
"Wir lügen uns in die Tasche, wenn wir so tun, als hätte die heutige Lebensmittelproduktion keine versteckten Umweltfolgekosten", sagt Amelie Michalke, die an der Universität Greifswald die ökologischen und sozialen Effekte der landwirtschaftlichen Produktion untersucht. Diese Kosten spiegelten sich zwar nicht im Ladenpreis wider, doch fielen sie der Allgemeinheit und künftigen Generationen zur Last.
Die Berücksichtigung dieser versteckten Kosten erhöht den Produktpreis häufig beträchtlich. Die Mühlenhof Wiener Würstchen (400 g) etwa verteuern sich dadurch von 3,19 auf 6,01 Euro.
Nach den Berechnungen der Wissenschaftler kommen zum "normalen" Preis noch versteckte Kosten in Höhe von 2,82 Euro hinzu:
- 94 Cent für klimaschädliche Emissionen der Landwirtschaft wie Methan oder CO2
- 1,17 Euro für die Bodenbelastungen durch die intensive Landwirtschaft zur Futterproduktion
- 62 Cent für die Auswirkungen des Pestizideinsatzes und anderer Faktoren auf die Gesundheit der Landwirte
- 9 Cent für die Belastung des Grundwassers etwa durch Düngemittel
Versteckte Kosten nicht überall gleich
Doch ist der Preisaufschlag durch Einbeziehung der versteckten Umweltkosten nicht überall gleich. Deutlich geringer als bei Wiener Würstchen oder Joghurt fällt die Steigerung mit nur 5 Prozent bei einem veganen Schnitzel aus. Generell sei der notwendige Aufschlag bei rein pflanzlichen Produkten wegen der geringeren Umweltbelastung am niedrigsten, berichtet der Umweltökonom Tobias Gaugler von der Technischen Hochschule Nürnberg, der das Projekt begleitet. Deutlich höher sei er bei Milchprodukten und am höchsten bei Fleisch.
Neun Produkte und ihre wahren Kosten:
- Naturgut Bio-Fruchtjoghurt: alter Preis: 1,19 Euro / neuer Preis: 1,56 Euro
- Naturgut Käsescheiben: alter Preis: 2,19 Euro / neuer Preis: 3,70 Euro
- Naturgut Bio-Mozarella: alter Preis: 1,29 Euro / neuer Preis: 1,92 Euro
- Naturgut Bio-Würstchen: alter Preis: 3,29 Euro / neuer Preis: 5,36 Euro
- Penny Zukunftsbauer Fruchtjoghurt: alter Preis: 1,19 Euro / neuer Preis: 1,64 Euro
- Lindenhof Maasdamer Scheiben: alter Preis: 2,49 Euro / neuer Preis: 4,84 Euro
- San Fabio Mozarella: alter Preis: 0,89 Euro / neuer Preis: 1,55 Euro
- Mühlenhof Wiener: alter Preis: 3,19 Euro / neuer Preis: 6,01 Euro
- Food for Future Vegane Schnitzel: alter Preis: 2,69 Euro / neuer Preis: 2,83 Euro
Preise spiegeln Umweltkosten nicht wider
Penny will mit der Aktion ein Zeichen setzen: "Wir sehen, dass viele unserer Kundinnen und Kunden unter den unverändert hohen Lebensmittelpreisen leiden. Dennoch müssen wir uns der unbequemen Botschaft stellen, dass die Preise unserer Lebensmittel, die entlang der Lieferkette anfallen, die Umweltfolgekosten nicht widerspiegeln", sagt Penny-Manager Stefan Görgens. Mit der einwöchigen Aktion in allen 2.150 Filialen will das Unternehmen Problembewusstsein bei den Kunden schaffen.
Die Mehreinnahmen – also die Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem Wahre-Kosten-Preis – will die zur Rewe-Gruppe gehörende Kette für die Aktion Zukunfsbauer spenden. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt von Penny, der Molkerei Berchtesgadener Land, Landwirt:innen und Kund:innen mit dem Ziel, einen Beitrag zum Klimaschutz und zum Erhalt der familiengeführten Bauernhöfe im Alpenraum zu leisten.
Fragt sich nur, ob die Verbraucherinnen und Verbraucher angesichts der allgemeinen Preissteigerungen Verständnis für das Experiment haben. "Das ist ein mutiger Schritt - gerade in Inflationszeiten", meint der Marketing-Experte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Düsseldorf. Er prognostiziert: "Penny wird aller Voraussicht nach nicht viel von diesen Produkten verkaufen." Aber darum gehe es dem Unternehmen auch gar nicht. Es wolle Bewusstsein für Nachhaltigkeit schaffen und gleichzeitig die eigene Marke aufwerten, ist der Branchenkenner überzeugt.
Die Risiken der Aktion für den Discounter hält der Marketing-Fachmann für überschaubar - nicht zuletzt weil sie zeitlich befristet und auf wenige Produkte begrenzt ist. "Auch wenn die hohe Inflation zu großer Verunsicherung bei den Verbrauchern geführt hat: Ich glaube nicht, dass das die Aktion die Kunden vor den Kopf stößt - solange sie die Wahl haben, zu anderen Produkten zu greifen."
Umweltschützer drängen Politik zum Handeln
"Der Aktion im Supermarkt müssen endlich grundlegende Maßnahmen folgen. Die Supermarktketten sind dabei ebenso in der Pflicht wie die Bundesregierung", sagte am Montag der Landwirtschaftsexperte der Umweltorganisation Greenpeace, Matthias Lambrecht.
Auch der Bund Umwelt und Naturschutz und der Bundesverband der Verbraucherzentralen forderten bei einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur, das Problem der verdeckten Umweltkosten bei der Lebensmittelproduktion müsse endlich konsequent angegangen werden. Ein Weg wäre nach Einschätzung der Verbände die Senkung der Mehrwertsteuer auf in der Produktion weniger umweltbelastende Lebensmittel wie Obst und Gemüse.
Doch gab es auch Kritik an der Aktion. Für die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch etwa ist sie ein "reiner PR-Gag". Während Penny für gerade einmal neun seiner Produkte die "wahren Preise" verlange, drücke der Discounter gleichzeitig die Preise für etliche andere klima- und umweltschädliche Lebensmittel wie Fleisch aufs Minimum.
Weiterlesen auf oekotest.de: