Michael Spahn aus Frankfurt am Main ernährt sich seit vier Jahren vegan. Das wäre nicht weiter der Rede wert, wäre der 56-Jährige nicht ein Metzger, der diesen Beruf seit über 30 Jahren ausübt.
Als bei ihm Diabetes und Bluthochdruck festgestellt wurden, beschloss er, komplett auf Lebensmittel vom Tier zu verzichten, und nahm in der Folge 40 Kilo ab. Insulin spritzen musste er schon nach drei Monaten nicht mehr. Bei vielen seiner Kunden erregte sein Umschwung Neugier, von Kollegen wurde er aber auch angefeindet. Einer bezeichnete ihn in einem bösen Brief sogar als Nestbeschmutzer.
Wer wie Spahn auf Fleisch, Milch und Eier verzichtet, erntet zwar Bewunderung und Aufmerksamkeit, aber auch Spott oder gar harsche Kritik. Die Diskussionen und Streitereien haben Folgen: Nach einer aktuellen Umfrage des Marktforschers Yougov sind 35 Prozent der Deutschen vom Veganismus inzwischen nur noch genervt.
Vegane Ernährung: Viele Vorzüge, einige Nachteile
Grabenkämpfe erschweren die sachliche Auseinandersetzung mit einer Ernährungsform, die viele Vorzüge bietet, aber auch riskant sein kann. So ist veganes Essen oft …
- kalorienärmer,
- enthält kein Cholesterin und
- weniger gesättigte Fettsäuren.
Veganer nehmen aber auch …
- mehr Ballaststoffe,
- Vitamine,
- Mineralstoffe (Calcium, Eisen & Co.) und
- sekundäre Pflanzenstoffe zu sich.
- Auch die Zucker- und Fettzufuhr ist oft geringer; dies erleichtert es, das Körpergewicht zu halten.
Studien zeigen, dass das Diabetesrisiko nur etwa halb so hoch ist wie das von Fleischessern, so die Adventist-Health-Studie-2 aus den USA und Kanada mit mehr als 60.000 Menschen. Wer auf tierische Produkte beim Essen verzichtet, hat in der Regel auch einen niedrigeren Blutdruck, ein geringeres Risiko für Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und stirbt seltener an den sogenannten ischämischen Herzkrankheiten. Schließlich ist das Gesamtrisiko für Krebserkrankungen geringer als das von Fleischessern – laut der Adventist-Health-Studie-2 um erstaunliche 16 Prozent.
Die falsche vegane Ernährung kann schaden
Jedoch kann vegane Ernährung schaden, wenn sie nicht sachgerecht umgesetzt wird. "Auch wenn Veganer mit vielen Nährstoffen besser versorgt als Fleischesser sind, kann es bei bestimmten Nährstoffen zu einer unbefriedigenden Zufuhr kommen", gibt Dr. Markus Keller vom Institut für alternative und nachhaltige Ernährung (Ifane) in Biebertal bei Gießen zu bedenken. Er setzt sich seit Jahren wissenschaftlich mit veganer Ernährung auseinander und gibt sein Wissen in Kursen und auf Vorträgen weiter.
So sind Veganer oftmals schlecht mit Vitamin B12 (Cobalamin) versorgt, das fast nur in tierischen Lebensmitteln enthalten ist. Je nach Studie hätten zwischen 40 und 50 Prozent, teils sogar über 80 Prozent der Veganer einen Vitamin-B12-Mangel, so Markus Keller. Der Experte rät darum zu mit Vitamin B12 angereicherten Lebensmitteln, zu Zahnpasta mit Cobalaminzusatz und Nahrungsergänzungsmitteln.
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Wer vegan isst, braucht Vitamin B12
Keller entlarvt auch den Mythos, wonach bestimmte pflanzliche Lebensmittel angeblich nur so vor Vitamin B12 strotzen. Zwar können Sauerkraut, Bierhefe, Brotgetränke und Algen tatsächlich ein wenig Vitamin B12 enthalten. Jedoch sind die Mengen marginal – anders als in manchen Veganblogs und sogar auf Lebensmittelverpackungen behauptet wird. Die versprochenen Megamengen basieren auf Messungen nach einer veralteten Methode. Sie erfasst nicht nur das aktive, vom Körper nutzbare Vitamin B12, sondern auch sogenannte Analoga. Diese haben eine ähnliche chemische Struktur wie Cobalamin, aber eben keine Vitaminwirkung. Mehr noch: Sie blockieren die Aufnahme und den Stoffwechsel des aktiven B12.
Auch bei Kalzium, Eisen, Vitamin B2, Jod und Vitamin D sei die Versorgung von Veganern häufig schlecht, weiß Keller. So erreichen Veganer die empfohlene Menge von 1.000 Milligramm Kalzium pro Tag oft nicht. Deshalb haben viele Veggies eine geringere Knochendichte und damit ein erhöhtes Risiko für Osteoporose. Ein leichter Eisenmangel zeigte sich bei 40 Prozent der jüngeren Frauen, die auf tierische Produkte verzichteten.
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Um die Vorzüge der tierfreien Lebensweise zu bestätigen, wird bis heute die sogenannte Chinastudie zitiert. Autor Colin Campbell empfiehlt, den Verzehr von tierischem Eiweiß stark zu drosseln oder, besser noch, ganz auf null zu setzen. Der inzwischen emeritierte US-amerikanische Professor, der die Chinastudie in den 70er- und 80er-Jahren leitete, begründete seine Empfehlung mit der Erkenntnis, dass viele Zivilisationskrankheiten mit dem Verzehr von Milchprodukten und anderen tierischen Lebensmitteln einhergehen. Dieser Zusammenhang wird auch heute so von vielen Ernährungswissenschaftlern gesehen.
Rein vegane Ernährung wird nicht empfohlen
Jedoch raten die meisten nicht zum kompletten Verzicht auf tierische Produkte. Sie empfehlen den moderaten Verzehr im Sinne der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die rät zu reichlich Gemüse, Obst, Kartoffeln und Hülsenfrüchten, empfiehlt aber auch mäßig Fleisch, Eier, Fisch und Milchprodukte. Der Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB) rät zu einer überwiegend vegetarischen Kost, die aber auch sehr geringe Mengen an Fleisch, Eiern und Fisch gestattet.
Rein veganes Essen lehnt die DGE ab. Die ausreichende Versorgung mit Nährstoffen sei nur schwer zu gewährleisten, heißt es. Besonders für Kinder und Jugendliche, aber auch Schwangeren und Stillenden will die Ernährungsgesellschaft vegane Kost nicht empfehlen.
An veganen Kindern scheiden sich die Geister
"Da sich mit dem Verzicht auf jegliche tierische Lebensmittel das Risiko für Nährstoffdefizite und damit das Risiko auf Gesundheitsstörungen erhöht, wird eine vegane Ernährung in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie im gesamten Kindes- und Jugendalter von der DGE nicht empfohlen", heißt es in dem Positionspapier von 2016. Auch das Netzwerk Gesund ins Leben und die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin halten eine vegane Kost für ungeeignet, weil es schwierig ist, in diesem Alter die Nährstoffversorgung zu sichern.
Tatsächlich ist es einfacher, Kinder ausgewogen zu ernähren, wenn sie vegetarisch essen oder auch etwas Fleisch und Fisch erhalten. Jedoch ist eine vegane Ernährung möglich, sofern ein paar Regeln strikt eingehalten werden. Wichtig sei es, dass der Nachwuchs regelmäßig Vitamin-B12-Präparate erhalte, Gemüse, Obst, Vollkornprodukte sowie Hülsenfrüchte akzeptiere und regelmäßig dem Kinderarzt vorgestellt werde, betont die Ernährungsberaterin Edith Gätjen aus Bergisch-Gladbach. Die aktuelle Ve-Chi-Studie (Vegetarian and Vegan Children Study) von Ifane hat 1.140 vegan ernährte Kinder und Jugendliche untersucht. Die Daten zeigen, dass die Mehrheit ein normales Gewicht und eine übliche Größe hat. Ein Achtel bzw. ein Sechstel der Kinder unter zwei Jahren sei etwas zu klein oder zu leicht.
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Nicht alle Ersatzprodukte sind empfehlenswert
Fleischersatzprodukte wie Tofuwürstchen sind nicht die Lösung, Kinder gesund vegan zu ernähren. Wenn Kinder sie unbedingt wollen, dann können sie ein-, höchstens zweimal die Woche auf den Tisch kommen. Denn auch wenn veganer Käse oder Seitanschnitzel in Veganblogs, auf Messen und natürlich seitens der Hersteller als gesunde Alternative zu Fleisch und Wurst beworben werden: Sie sind nicht das Gelbe vom Ei. Das zeigte ein ÖKO-TEST von Fleischersatzprodukten: Die Mehrheit der 20 untersuchten Lebensmittel enthielt zu viel Salz, viele waren mit Aromastoffen oder Hefeextrakt angereichert.
Und eigentlich sind Fleischersatzprodukte auch gar nicht nötig, wie die zahlreichen Rezepte in Veganblogs und Kochbüchern zeigen. Denn auch ohne sie geht es in der fleischlosen Alltagsküche heute abwechslungsreich und bunt zu. Und eben auch gesund.
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