Claire Grauer und Anna Sundermann sind Promovierende in den Nachhaltigkeitswissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg. Wir haben mit Ihnen über Weihnachtsgeschenke für Kinder gesprochen. Geht Schenken auch nachhaltig?
ÖKO-TEST: Alle Jahre wieder beschleicht Eltern das Gefühl: Unsere Kinder haben doch schon alles – was sollen wir da bloß noch schenken?
Anna Sundermann: Einfach nur ihren Wunschzettel abarbeiten ist wenig ratsam. Besser ist es, in die Kinder hineinzuhören, um herauszufinden, was ihre wahren Bedürfnisse sind. Wenn sie etwas geschenkt bekommen, was sie sich wirklich wünschen, ist die Freude umso größer.
Schenken hat eine jahrhundertelange Tradition, die Hauptmotivation ist: die Beziehung zu stärken. Ein Geschenk muss nicht immer groß und superaufwendig sein. Ist es das richtige, findet der Empfänger auch ein kleineres gut. Ein ihm wichtiges Präsent erfährt sogar Abwertung, wenn der Schenkende ein weiteres hinzufügt, bloß um ein gewisses Soll zu erfüllen.
1-2 liebevoll ausgesuchte, besondere Geschenke
Claire Grauer: Uns Menschen wird früh anerzogen: Je mehr ich bekomme, desto wichtiger bin ich. Zugleich ist es eine Überforderung, wenn Kinder zu viele Geschenke auf einmal erhalten. Wenn sie am Weihnachtsabend zwanzig Päckchen aufreißen wie im Rausch, können sie sich am Ende gar nicht mehr richtig darüber freuen. Ein bis zwei liebevoll ausgesuchte, besondere Geschenke sind da die bessere Lösung. Dinge, die sich das Kind wirklich wünscht. Mit denen es dann auch gerne spielt und die nicht gleich in der Ecke landen.
Gelegenheitsgeschenke helfen keinem. Dann wird es am Ende doch wieder nur ein Gutschein. Das Gefühl, wir haben zu viele Dinge, ist übrigens auch ein Stressfaktor. Es setzt uns unter Druck, nach dem Motto: Ich habe doch schon so viele Bücher, ich komme doch gar nicht dazu, auch noch das neu geschenkte zu lesen.
Apropos Stress: Weihnachten soll doch eigentlich eine Zeit der Einkehr und Besinnung sein?
Grauer: Heutzutage nehmen viele Menschen die Feiertage aber eher als stressig wahr. Eine Möglichkeit dem entgegenzuwirken ist: sich statt materieller Konsumgüter Zeit zu schenken.
Sundermann: Ja, ein Zeitgutschein ist eine tolle Idee, also ein selbst gemachter Gutschein für eine gemeinsame Aktivität. Bei Kindern sollte das Event aber möglichst in zeitlicher Nähe liegen. Ein Zeitgutschein zu Weihnachten sollte nicht lauten: Wir gehen nächsten Sommer in den Zoo.
"Mehr Zeit mit der Familie ist Kindern äußerst wichtig"
Grauer: Mehr Zeit mit der Familie ist Kindern äußerst wichtig. Gerade das Weihnachtsfest bietet die Chance dazu. Kinder lieben es, miteinander Gesellschaftsspiele zu spielen oder gemeinsam Ausflüge zu machen. Im vergangenen Jahr befragten wir in einem Projekt Jugendliche dazu, wie sie sich während des Corona-Lockdowns im Homeschooling fühlten. Es war zwar eine schwere Phase für sie. Aber viele sagten auch, dass sie es schön fanden, mehr Zeit in der Familie zu verbringen, die sie sonst während der Woche kaum sehen.
In der Tat zeigt unsere Forschung zur Zeitgestaltung und zum nachhaltigen Konsum, dass Menschen eine geschenkte Stunde Zeit am liebsten mit Ausruhen, Freizeit oder eben mehr Zeit mit Familie und Freunden nutzen würden.
Spenden statt Schenken?
Weg vom Konsum: Ist Spenden statt Schenken da eine gute Idee?
Sundermann: Das funktioniert nicht bei jedem und hängt sehr stark von der Person ab. Die Hilfsorganisation, an die die Spende geht, muss dem Beschenkten wirklich ein Anliegen sein. Meinem Partner zum Beispiel gefällt es, wenn ich ein cooles Projekt für ihn gefunden habe, das er für unterstützenswert hält. Kindern ist es etwas schwerer vermittelbar – aber es ist machbar. Das Projekt, an das die Spende geht, darf für sie allerdings nicht zu abstrakt sein.
Grauer: Räumliche Nähe hilft da. Zum Beispiel, wenn die Spende an eine Organisation geht, die Jugendhäuser in sozialen Brennpunkten in der eigenen Stadt unterstützt. Man kann als Familie auch gemeinsam entscheiden, welchen Zweck man unterstützen möchte.
"Ein Geschenk muss nicht immer Neuware sein"
Haben Sie noch weitere Ideen für mehr Nachhaltigkeit auf dem Gabentisch?
Sundermann: Ein Geschenk muss nicht immer Neuware sein. Bis zu einem gewissen Alter ist es Kindern ziemlich egal, ob die Dinge neu sind oder nicht, sofern sie nicht völlig ramponiert sind. In meinem Bekanntenkreis schenkten die Eltern ihrem Sohn ein gebrauchtes Kettcar und er hat damit einen Riesenspaß.
Grauer: Eine weitere Idee ist, vor Weihnachten zu überlegen, welche Spielsachen vielleicht nicht mehr interessant sind. Diese könnten dann weiterverschenkt oder auf dem Flohmarkt verkauft werden. Es entwickelt sich bei Kindern oft erst später, dass sie sich trendige Sachen wünschen, die auch die anderen haben, zum Beispiel das neueste Handy- oder Sneakers-Modell.
Sundermann: Wir Erwachsenen sollten uns aber nicht aus der Pflicht nehmen. Wir leben unseren Kindern etwas vor. Die Kinder schauen sich von den Eltern ab, wie und über welche Geschenke sie sich freuen.
Positive Seiten von Nachhaltigkeit aufzeigen
Wie können Eltern dagegen steuern? Müssen sie das Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit bei ihren Kindern möglichst früh schärfen?
Sundermann: Nach Möglichkeit sollte man ihnen nichts vorschreiben, sondern die positiven Seiten, den Zugewinn aufzeigen. In der Bildung für nachhaltigen Konsum geht es nicht darum, den Zeigefinger zu erheben und zu sagen: Ihr müsst euch so und so verhalten.
Nachhaltigkeit bedeutet ja nicht, keine Freude mehr und nur noch Einschränkungen zu erleben. Es geht vielmehr darum, Menschen – junge wie erwachsene – dazu zu befähigen, ihre eigene Zukunft zu gestalten und ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Es darf nicht zu einer Überwältigung des Lernenden kommen, so bezeichnet es die Pädagogik, wenn Lehrende ihren Schülerinnen und Schülern ihre eigene Meinung oder sogar ihr Verhalten aufzwingen.
Was ist zu beachten, wenn die Familie sich für ein "anderes Weihnachten" entschieden hat?
Grauer: Man sollte die Veränderungen behutsam einbringen. Also nicht gleich das nächste Weihnachtsfest völlig anders feiern. Auch das setzt nur wieder unter Stress. Wichtig ist: Entstressen. Sundermann: Besser ist ein schrittweises Ausprobieren. Als Familie gemeinsam erst mal nur eine Sache überlegen, die man ändern möchte. Zum Beispiel: Wie wäre es, wenn wir uns dieses Jahr mehr Zeit schenken?
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