Was für vegane Kosmetik spricht – und warum vegan nicht gleich tierversuchsfrei ist

Magazin Januar 2025: Tofu | Autor: Michelle Sensel | Kategorie: Kosmetik und Mode | 09.01.2025

Der Anteil veganer Kosmetik nimmt zu, bis er den Markt beherrscht wird es aber noch lange dauern.
Foto: Pixel-Shot/Shutterstock

Im Veganuary versuchen viele, sich vegan zu ernähren. Doch auch Kosmetik enthält oft tierische Rohstoffe. Diese können jedoch wie Fleisch und Milch durch pflanzliche Alternativen ersetzt werden. Wie weit die Entwicklung veganer Kosmetik ist. 

Es klingt erst mal gut: Der Markt veganer Kosmetikprodukte wächst. Auf immer mehr Kosmetik tauchen Labels wie die Veganblume und das V-Label auf, die vegane Produkte als solche zertifizieren. Eine Analyse des Marktforschungsinstituts Mordor Intelligence prognostiziert in den kommenden fünf Jahren sogar ein durchschnittliches jährliches Wachstum von knapp 7 Prozent.

Folgt das große Aber: "Bis vegane Kosmetik den Markt bestimmt, wird es sicherlich noch etwas dauern", vermutet Isabel Brünecke von V-Label Deutschland und ist mit dieser Ansicht nicht allein. Laut dem Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e. V. (IKW), zu dessen Mitgliedern viele große Kosmetikfirmen gehören, überwiegt der Anteil nicht veganer Produkte noch deutlich.

"Die meisten Firmen haben mittlerweile zwar vegane Produkte, viele setzen aber leider immer noch tierische Rohstoffe ein", sagt auch Sabrina Engel, Biotechnologin und Fachreferentin für den Bereich Tierversuche bei der Tierschutzorganisation Peta.

Bienenwachs und Lanolin mit Tierquälerei verbunden

In unserem Handcreme-Test haben uns nicht alle Anbieter ohne Vegan-Auslobung geantwortet, welche Inhaltsstoffe tierischen Ursprungs sind. Mehrere gaben aber Bienenwachs an – auch laut Engel ein typischer nicht-veganer Inhaltsstoff in Kosmetik, oft auch in Naturkosmetik.

"Bienenwachs, Honig und Milch werden oft als tolle, natürliche Inhaltsstoffe beworben, dabei sind sie mit Tierquälerei verbunden", sagt sie. Peta kritisiert tierische Inhaltsstoffe in Kosmetik schon lange – unter anderem, weil sie als Nebenprodukte der Fleisch- und Milchindustrie ein nicht zu unterschätzender Absatzmarkt seien. Dass Tiere häufig unter qualvollen Bedingungen gehalten und getötet werden, werde laut Peta eben auch von solchen Nebenprodukten angekurbelt.

Um an ihr Wachs oder ihren Honig zu gelangen, werden Bienen beispielsweise oft massenhaft gezüchtet, wobei sie verletzt oder sogar getötet werden können. Lanolin, das oft als Grundlage für Cremes verwendet wird, wird aus dem Talgdrüsen- Sekret von Schafen hergestellt, das beim Scheren anfällt – was wiederum mit Schmerzen und enormem Leid verbunden sei. Für die Herstellung von Karmin, ein rotes Pigment, das beispielsweise für Lippenstifte oder Nagellack verwendet wird, werden Schildläuse getötet, getrocknet und zu Karmin verkocht.

Warum überhaupt tierische Rohstoffe?

Gründe, warum Unternehmen nicht ausschließlich als vegan ausgelobte Produkte anbieten, kann es viele geben. Ein Anbieter in unserem Handcreme-Test gab zum Beispiel an, dass man dem Produkt zwar keine tierischen Inhaltsstoffe zusetze. Wegen möglicher Kreuzkontaminationen in der Lieferkette könne man aber nicht garantieren, dass wirklich keine tierischen Inhaltsstoffe enthalten sind.

Der Kosmetikhersteller Yves Rocher teilt auf seiner Website mit, man setze schon seit Jahren kein Karmin mehr ein und mehr als 600 Produktformeln seien bereits vegan. Aber: "Wenn keine ausreichend gute Alternative vorhanden ist, greifen wir jedoch auf gewisse natürliche Inhaltsstoffe tierischen Ursprungs zurück, deren Ernte die Integrität der entsprechenden Tiere nicht beeinträchtigt."

Bei der Naturkosmetik-Marke Dr. Hauschka scheint es eine grundsätzliche Entscheidung zu sein: "Unsere Kosmetik ist nicht immer vegan, weil sie ganz bewusst Inhaltsstoffe aus allen Naturreichen nutzt", heißt es auf der Website. "Je nach Pflegewirkung und Hautbedürfnis entscheiden wir für jedes einzelne Produkt, ob wir tierische Rohstoffe einsetzen."

Bienen werden oft massenhaft gezüchtet, um Bienenwachs zu gewinnen.
Bienen werden oft massenhaft gezüchtet, um Bienenwachs zu gewinnen. (Foto: Nicholas J Klein/Shutterstock)

Es gibt Alternativen

Für die Tierschutzorganisation Peta gibt es hingegen keine guten Gründe, tierische Inhaltsstoffe einzusetzen. Denn: "Für die allermeisten Stoffe gibt es bereits gute Alternativen", sagt Engel. Reichhaltige vegane Alternativen für Bienenwachs seien beispielsweise Carnauba- oder Candelillawachs. Lanolin lasse sich durch pflanzliche Fette oder einen veganen Ersatz aus pflanzlichen Öl- und Wachsgemischen ersetzen. Anstatt Karmin könne man rote Bete, mineralische Pigmente oder synthetische Farbstoffe einsetzen.

Hyaluronsäure, die früher aus Hahnenkämmen und Rinderaugen stammte, kann heute mithilfe von biochemischen Verfahren hergestellt werden. Und Phytokollagen kann aus Algen hergestellt werden – anstatt Kollagen aus dem Gewebe getöteter Tiere zu verwenden. "Und selbst wenn eine pflanzliche, mineralische oder synthetisch hergestellte Variante für einen Inhaltsstoff nicht zu 100 % die Eigenschaften aufweist wie das tierische Produkt, haben wir niemals das Recht, Tiere für unsere Zwecke auszubeuten", sagt Engel.

Wie erkennt man vegane Kosmetik?

Manche tierischen Rohstoffe erkennt man direkt am Produkt. Bienenwachs ist beispielsweise als E901 in der Inhaltsstoffliste zu finden. Viele Marken werben auch direkt auf den Produkten mit Honig oder Milch. Bei anderen sieht man hingegen nicht direkt, ob es sich um einen tierischen Stoff oder seine synthetische Alternative handelt.

Unter peta.de hat die Tierschutzorganisation eine Liste nicht-veganer Inhaltsstoffe, ihrer Bezeichnung in der Inhaltsstoffliste und ihren veganen Alternativen veröffentlicht, die beim Einkauf helfen soll. Auf den ersten Blick erkennt man vegane Produkte an Auslobungen wie "ohne tierische Inhaltsstoffe" oder an Vegan- Labels.

Tierversuche sind immer noch Thema

Vegan kaufen und den Tieren geht es gut? Das kann man so pauschal nicht sagen. "Viele Verbraucher setzen vegan und tierversuchsfrei gleich. Dabei heißt es noch lange nicht, dass ein Produkt tierversuchsfrei ist, nur weil es vegan ist", sagt Julia Radzwill, Diplom-Biologin und Kosmetikexpertin des Vereins Ärzte gegen Tierversuche.

Eigentlich gilt seit 2013 ein generelles Tierversuchsverbot für kosmetische Mittel in der Europäischen Union. "Das gilt aber nur für Inhaltsstoffe, die ausschließlich für Kosmetika eingesetzt werden und das sind je nach Zusammensetzung nur 10 bis 20 Prozent aller Inhaltsstoffe in einem Kosmetikprodukt", erklärt Radzwill.

Inhaltsstoffe, die auch in anderen Bereichen verwendet werden, fallen nicht unter die Kosmetikverordnung der EU, sondern unter die Chemikalienverordnung. Und für diese sind Tierversuche nicht verboten. So ein Inhaltsstoff kann zum Beispiel Jojobaöl sein, das nicht nur in Kosmetik, sondern auch in der Industrie eingesetzt wird. Oder Lichtschutzfilter, die nicht nur in Sonnencremes, sondern auch in Plastikverpackungen verwendet werden. Entsprechend ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass ein Inhaltsstoff noch nie im Tierversuch getestet wurde.

Noch immer werden Inhaltsstoffe von Kosmetika in Tierversuchen getestet.
Noch immer werden Inhaltsstoffe von Kosmetika in Tierversuchen getestet. (Foto: PINA/Shutterstock)

Behörde kann Tierversuche anordnen

"Und selbst wenn ein Inhaltsstoff nur in Kosmetik eingesetzt wird, kann die europäische Chemikalienagentur (ECHA) in Ausnahmefällen Tierversuche anordnen", erklärt die Biologin. Zum Beispiel dann, wenn die Menschen geschützt werden sollen, die in großen Mengen mit den Rohstoffen arbeiten. "Hier muss ein Umdenken bei den Behörden stattfinden. Es gibt etliche richtig gute Alternativmethoden zu Tierversuchen, diesen wird es aber oft schwer gemacht und Validierungsprozesse dauern sehr lang", erklärt Radzwill.

"Sollten Behörden der Ansicht sein, dass die Sicherheit eines Inhaltsstoffs nicht mit tierversuchsfreien Methoden nachgewiesen werden kann, sollte dieser schlichtweg nicht verwendet werden, bis auch hierfür Technologien zur tierversuchsfreien Prüfung behördlich anerkannt sind", sagt Sabrina Engel von Peta dazu. "Es gibt unserer Ansicht nach keine Entschuldigung für die Verwendung tierischer Inhaltsstoffe in Kosmetika oder Tierversuche."

EU-Tierversuchsverbot dennoch wichtig

Trotz dieser Kritikpunkte sei das EU-Tierversuchsverbot aber ein wichtiger Schritt gewesen, sagt Julia Radzwill. Die Hersteller seien dadurch gezwungen gewesen, neue Testmethoden zu entwickeln. Laut Birgit Huber, stellvertretende Geschäftsführerin des Industrieverbands IKW, setze sich die Kosmetikindustrie auch aktuell dafür ein, dass neue Alternativen zu Tierversuchen in den europäischen Vorschriften anerkannt werden.

Eine positive Veränderung könnte derzeit auf dem Weg sein. "Die ECHA arbeitet gerade an einer Road Map, wie man in der Chemikalientestung aus Tierversuchen aussteigen kann", sagt Radzwill. Wann genau diese fertig ist, sei zwar noch nicht ganz klar. Das zeige aber, wie groß das Vertrauen in alternative Testmethoden sei.

Vegan und tierversuchsfrei: Auf diese Label achten

Julia Radzwill rät allen, die wissen möchten, ob ein Produkt tierversuchsfrei ist, auf unabhängige, anerkannte Label zu achten.

Wenn auf einem Produkt steht, dass es vegan ist, heißt das nicht automatisch, dass es auch tierversuchsfrei ist. Die "Veganblume" der Vegan Society, das "V-Label Vegan" und das Peta-Label "cruelty-free & vegan" bescheinigen einem Produkt beides. Das Label von Peta sagt zudem nicht nur aus, dass das Produkt vegan und tierversuchsfrei ist, sondern auch, dass die ganze Firma oder die Marke zertifiziert ist. Auf der Seite aerztegegen-tierversuche.de hat der Verein eine Übersicht gängiger Vegan- und Naturkosmetiklabel veröffentlicht.

(Foto: ÖKO-TEST )

Die Alternative: Einfach mal beim Hersteller nachfragen: "Ein Unternehmen, dem das Thema wirklich wichtig ist, fordert aktiv Belege bei seinen Rohstoffhändlern ein und kann dazu klare Aussagen treffen", sagt Julia Radzwill.

Weiterlesen auf oekotest.de: