Baumaterialien recyclen: So kann die Baubranche Treibhausgase einsparen

Magazin August 2024: Rapsöl | Autor: Volker Lehmkuhl | Kategorie: Bauen und Wohnen | 11.08.2024

Baumaterialien recyclen: So kann die Baubranche Treibhausgase einsparen
Foto: Unkas Photo/Shutterstock

Die Bauindustrie verursacht weltweit 40 Prozent der Treibhausgase und 60 Prozent der Abfälle. Wiederverwertung ist für viele Akteure ein Fremdwort. Das ändert das junge Unternehmen Concular gerade. Es will zirkuläres Bauen in der Branche attraktiv machen.

  • In der Baubranche werden Baumaterialien bisher kaum weiterverwendet.
  • Das Unternehmen Concular möchte das ändern. Sie vermitteln Baumaterialien aus Abbruchhäusern für neue Bauprojekte und wollen so den  CO₂-Fußabdruck der Branche senken.
  • Dieser Trend ist auch als zirkuläres Bauen bekannt.

Jeder kennt das: Ein Haus wird abgerissen oder saniert, fast alle Materialien landen in riesigen Müllcontainern. Die werden mit Lkws oft über Hunderte Kilometer transportiert und  beanspruchen knappen Deponieplatz. Anstelle der alten Steine, Türen, Fenster kommen neue zum Einsatz. Aufwendig hergestellt, oft mit großem Einsatz von Energie und Rohstoffen. Viele der scheinbar ausgedienten Baustoffe sind noch einwandfrei und bereit für ein zweites Leben. Doch Altes noch mal zu nutzen, ist in der Branche nicht üblich.

Marc Haines, Dominik Campanella und Julius Schäufele ärgerte das schon immer. Der erfahrene Architekt Haines hatte viele Bauprojekte geleitet und viele Tausend Tonnen Material auf Deponien verschwinden sehen. 2012 gründeten er und die IT-­Experten Campanella und Schäufele Restado – heute der größte europäische Online-Marktplatz für private Bauherren und kleinere Unternehmen.

Beim zirkulären Bauen werden Baumaterialien aus Abrisshäusern in neuen Bauprojekten verbaut.
Beim zirkulären Bauen werden Baumaterialien aus Abrisshäusern in neuen Bauprojekten verbaut. (Foto: Lena Breitenborn)

Digitales Ökosystem ermöglicht zirkuläres Bauen

"Irgendwann haben wir gemerkt: Das reicht nicht, um die wirklich großen Player zu erreichen und eine spürbare Wirkung zu erzielen", sagt Dominik Campanella, heute Geschäftsführer des 2020 gegründeten und mittlerweile mit vielen Nachhaltigkeits- und Start­up-­Preisen ausgezeichneten Unternehmens Concular. Große Baukonzerne, Besitzer großer Immobilien und Architekturbüros brauchen mehr und bessere Informationen zu den verbauten Materialien, größere Mengen und eine Gewährleistung.

Das schwierigste Problem dabei: Bei fast allen bestehenden Gebäuden ist unklar, welche Materialien in ihnen stecken. "Wir haben dann eine Software entwickelt, mit der wir, schon bevor der Rückbau beginnt, sehr schnell die Bestandteile eines Gebäudes erfassen können", erklärt Campanella.

Das digitale Ökosystem, das Concular geschaffen hat, reicht von der Erfassung der Baustoffe über den Ausbau, die eventuelle Lagerung bis zum Einbau. Für die Vermittlung bekommt Concular eine Provision. "Das Ganze ist sehr arbeits-­ und beratungsintensiv und lohnt sich daher vor allem bei größeren Projekten", erklärt Campanella.

Alte Gebäude als "Organspender" für neue Projekte

Am liebsten vermittelt Concular deshalb Material, bevor es überhaupt ausgebaut ist, und lässt es direkt von Baustelle zu Baustelle transportieren. Bei über 350 Projekten in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat das bereits funktioniert.

So bekamen beispielsweise Trennwände für Büros, unzählige Leuchten, Waschbecken und Toiletten, eine komplette Sandsteinfassade oder die Sitze des Stuttgarter Fußballstadions ein zweites Leben. Bei der Herkunft der Materialien ist Concular nicht wählerisch: Neben zahlreichen Frankfurter Bürotürmen dienten eine Kirche, ein Supermarkt, ein Warenhaus, ein Schwimmbad und etliche Wohngebäude als "Organspender".

Concular arbeitet unter anderem mit Baukonzernen und Architekturbüros zusammen. Aber auch Privatpersonen können das Angebot des Unternehmens nutzen.
Concular arbeitet unter anderem mit Baukonzernen und Architekturbüros zusammen. Aber auch Privatpersonen können das Angebot des Unternehmens nutzen. (Foto: photoschmidt/Shutterstock)

Durch zirkuläres Bauen sparen alle Geld 

Das Tolle daran: Statt Geld für die Entsorgung auszugeben, erhält der Eigentümer eines Abrisshauses oder eines Umbaus noch Geld für die ausgebauten Materialien. "Vom Kostenblock zum Wertblock" nennt Campanella das. Der Käufer spart gegenüber dem Kauf neuer Materialien ebenfalls, wenn auch nicht immer sehr viel. Denn die Logistik für Ausbau und Transport ist meist aufwendig und teuer. Dafür profitiert die CO₂-Bilanz des Bauprojekts durch den Materialkreislauf enorm. Denn die graue Energie und die Treibhausgase, die im Material stecken, muss man nicht noch mal einsetzen.

Dieses sogenannte zirkuläre Bauen ist derzeit in der Branche eines der Topthemen, und das Concular-­Team ist mittendrin. "Die Möglichkeiten, aber auch die Herausforderungen sind riesig", sagt Dominik Campanella. "Bislang wird höchstens ein Prozent der möglichen Materialien wiederverwendet."

Der Trend hilft Concular und ähnlichen Anbietern: Politik und Öffentlichkeit setzen die Bauindustrie und große Immobilienbesitzer massiv unter Druck, um ihren massiv klimaschädlichen Ausstoß an Treibhausgasen zu senken. Und: Je knapper und teurer der Platz auf immer weniger Deponien wird, umso notwendiger wird ein Umstieg. Wer schon mal Abbruchmaterial teuer entsorgen musste, kann davon ein Lied singen.

Warum eine kreislauffähige Bauwirtschaft wichtig ist 

"Allein die weltweite Betonherstellung produziert dreimal mehr Treibhausgase als der komplette weltweite Flugverkehr", rechnet Campanella vor. "Wir müssen endlich Kreisläufe schaffen, um diese immense Klimabelastung zu reduzieren. Würde die Baubranche nur wenige Prozent ihrer Emissionen einsparen, hätte das einen größeren Effekt, als wenn andere Wirtschaftszweige, zum Beispiel die Flugbranche, ihren CO₂-­Ausstoß um ein Drittel reduzieren."

Trotz einiger positiver Entwicklungen will sich das junge Unternehmen aber nicht allein auf die Politik verlassen. Die habe zwar den längsten Hebel, um Veränderungen zu einer kreislauffähigen Bauwirtschaft herbeizuführen, sei aber insgesamt zu langsam.

"Wir müssen und werden Wege finden, die die Wiederverwertung von Baumaterialien sowohl ökologisch als auch ökonomisch attraktiv machen", schildert Campanella einen der wichtigsten Lernprozesse der vergangenen Jahre. Nur so sei die vor allem am Geldverdienen interessierte Bau­ und Immobilienbranche für eine Änderung ihres Geschäftsmodells des konsequenten Wegwerfens zu gewinnen.

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Zirkuläres Bauen als Standard etablieren

Das haben auch große Unternehmen der Baubranche erkannt. Und so ist die österreichische Strabag SE, einer der größten Baukonzerne Europas, einer der wichtigsten Geldgeber, die das rasche Wachstum von Concular finanzieren. Ist Concular also nur ein grünes Feigenblatt, das die umweltschädlichen Aktivitäten der Branche verdeckt?

Entsprechende Fragen weist Dominik Campanella vehement zurück: "Der Klimawandel wird auf der Baustelle entschieden. Die Baubranche steht dabei vor der größten Transformation ihrer Zeit. So verpflichtet sich zum Beispiel die Strabag, bis 2040 klimaneutral zu sein – und damit auch alle von ihr verwendeten Bauprodukte. Die Marktkraft von Strabag und unseren anderen Investoren hilft uns, zirkuläres Bauen als Standard zu etablieren und damit auch diese großen Unternehmen bei der Transformation zu begleiten."

Schnäppchen und Retroausstattungen für Privatleute 

Übrigens: Auch Privatleute finden im Onlineshop von Concular beziehungsweise bei Restado Schnäppchen und Retroausstattungen. Nicht immer vor Ort, und vieles eignet sich wirklich nur für Büros oder Lagergebäude. Aber wer alte Ziegel, Holzdielen oder günstige Pflastersteine sucht, wird genauso fündig wie bei Zimmertüren, gebrauchten Fenstern oder zum Beispiel bei einem mehr als zwei Quadratmeter großen Spiegel für 39 Euro.

Abholung und Transport muss man selbst organisieren oder den Versand gesondert bezahlen. Bei Restado kann man auch selbstgebrauchtes Material anbieten.

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