ÖKO-TEST hat mit Hans-Josef Fell über den Nutzen von Biosprit gesprochen. Fell war von 1998 bis 2013 Grünen-Bundestagsabgeordneter, ist Mitautor des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Gesetzes zur Steuerbefreiung von Biokraftstoffen. Außerdem ist er Gründer und Präsident der Energy Watch Group.
Tank oder Teller? "Beides!"
ÖKO-TEST: Gretchenfrage gleich zum Einstieg: Ist Sprit vom Feld wegen seiner CO₂-Bilanz sinnvoll, oder gilt der Satz: Lebensmittel gehören nicht in den Tank?
Hans-Josef Fell: Biokraftstoffe, wenn sie naturgemäß und richtig angebaut werden, sind gerade angesichts des Verzichts auf russisches Öl und Gas ein wichtiger Faktor für die Energieversorgung. Sie können einen erheblichen Beitrag zur Energiewende und zur Biodiversität leisten. Sie sind dabei ebenso wichtig für unsere Ernährungsversorgung. Denn Kraftstoffe machen immer nur einen Teil der Ernte von Ölpflanzen aus. Die Tank-oder-Teller-Frage stellt sich gar nicht. Wir bekommen beides vom Acker. Synergien sind durchaus da.
Wie das?
Wenn man vernünftige Anbaumethoden nutzt, bekommt man wunderbare Synergieeffekte. Ich kenne einen Bio-Bauern im südlichen Bayern, der betreibt seit Jahren Mischfruchtanbau. Das heißt, auf einem Acker wachsen mehrere Früchte gleichzeitig, zum Beispiel Erbse, Gerste und die Ölpflanze Leindotter. Sie werden biologisch angebaut, und die Gesamterträge der Äcker sind höher, weil die Pflanzen sich gegenseitig gesund halten.
Der Leindotter liefert dabei so viel Öl, wie zur Bewirtschaftung des Ackers notwendig wäre. Wenn man damit den Traktor fährt, gibt es keine Lebensmittelkonkurrenz und keine CO₂-Belastung, gleichzeitig erhöht man die Ertragsstabilität. Landwirte können durchaus solche Synergien heben. Daher steht nicht zu befürchten, dass wegen der Nutzung heimischer Biokraftstoffe aus Raps, Sonnenblumen und andere Ölpflanzen zu wenig Nahrung angebaut wird, wenn man es richtig anstellt.
Regenerative Landwirtschaft auf den Weg bringen
Der Agraralltag sieht aber oft anders aus …
Wir sehen in der Landwirtschaft leider auch Monokulturen, etwa beim Mais, der zum Lebensmittel oder Bio-Gas wird. Das ist nicht der richtige Weg. Vielmehr müssen wir für alle Anbauflächen eine kohlenstoffsenkende, das heißt regenerative Landwirtschaft auf den Weg bringen.
Das gilt nicht nur bei Biokraftstoffen, sondern auch bei der Ernährung und allen anderen Fasern und Stoffen. Die einseitige Betrachtung mancher Kritiker, dies nur für Biokraftstoffe zu fordern, läuft ins Leere. Deutschland sollte Vorbild werden im ökologischen Landbau.
Wie groß ist dann der klimatische Nutzen von Biosprit?
Es gibt im Grunde zwei Effekte: Neben dem Ersatz für fossiles Erdöl sind die Pflanzen wichtige Kohlenstoffsenken, wenn sie regenerativ angebaut werden. Diese Kohlenstoffsenken brauchen wir in großen Mengen, um die Atmosphäre von überschüssigem Kohlenstoff zu reinigen – sowohl mit der Lebensmittelproduktion als auch mit der Bioenergieproduktion.
Die Verkehrspolitik bewegt sich aber sehr in Richtung Elektromobilität. Wie groß schätzen Sie den künftigen Bedarf für Biokraftstoffe ein?
Da Pkws, Lkws und Busse weitgehend elektrisch werden, brauchen wir keine großen Mengen. Aber in einzelnen Bereichen, etwa für die landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Maschinen, ergibt Biokraftstoff großen Sinn. Dafür werden erhebliche Mengen benötigt.
Auch im interkontinentalen Flugverkehr und für Containerschiffe, die Tausende Kilometer über die Meere fahren, werden wir nachhaltig angebaute Biokraftstoffe in großem Stil benötigen. Da stehen wir noch vor enormen technologischen Herausforderungen.
"Raps liefert uns viel mehr als Strom"
Kritiker sagen, Solarkraftwerke könnten auf denselben Flächen mehr Energie liefern als Agrosprit?
Wenn man den reinen Ölertrag des Rapses in der Energiegewinnung mit einer Solaranlage auf dem gleichen Acker vergleicht, kommt man zum Ergebnis, dass die Energieeffizienz der Solaranlage wesentlich höher ist. Aber das ist ein Unsinnsvergleich.
Denn der Raps liefert uns viel mehr als Strom. Dazu gehört der Presskuchen, der bei der Herstellung von Pflanzenöl bei der Kaltpressung entsteht. Zwei Drittel des Rapses sind ja Eiweiß, das geht ins Viehfutter und damit in die menschliche Ernährung. Raps ist außerdem ein wichtiger Honiglieferant. Er wird dringend gebraucht, weil Deutschland ein Honigimportland ist.
Darüber hinaus schafft Raps, wenn man ihn richtig anbaut, Kohlenstoffsenken und damit neuen Humusaufbau. Er bringt uns zudem Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen. Das alles sind Nebenprodukte, die extrem wichtig sind, die uns aber keine Solaranlage bieten kann.
All das spricht nicht gegen die Solaranlage – aber für den Raps und andere Ölpflanzen wie die Sonnenblume. Die Energieeffizienz wird dabei in Zukunft mit Agri-Photovoltaik noch einmal deutlich erhöht, wenn man auf den Äckern Solaranlagen baut und gleichzeitig Energiepflanzen einsetzt. Besser, als die Felder doppelt zu nutzen, geht es kaum.
Ist Biokraftstoff auch eine Chance zum ökologischen Heizen?
An meinem Haus beispielsweise habe ich eine komplett energieautarke Energieversorgung: Neben der Solaranlage und Batterien im Keller gehört dazu ein kleines Blockheizkraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung, das mit Pflanzenöl betrieben wird.
Das Pflanzenöl kommt vom Bauern um die Ecke. Das ist gespeicherte Energie, die im Sommer vom Sonnenüberschuss geerntet wird und im Winter in Sekunden zuschaltbar ist. Und der Bauer ist glücklich, dass ich bei ihm Pflanzenöl kaufe. So hat er wieder Presskuchen als Eiweißfutter für sein Vieh. Das ist dezentrale Wertschöpfung.
Dem Biosprit an der Tankstelle wird allerdings vorgeworfen, dass große Anteile aus Tropenwäldern stammen – mit entsprechenden Klimafolgen!
Man darf dabei Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Erst der Rückgang der Bio-Ölnutzung hierzulande hat zum Abholzen von Tropenwäldern geführt. Untersuchungen zeigen, dass mit dem Niedergang der Pflanzenölproduktion in Deutschland für die energetische Verwertung gleichzeitig die Eiweißproduktion so stark gesunken ist, dass diese Lücke mit Importen geschlossen werden muss, vor allem mit Sojaimporten aus Brasilien.
In der gleichen Größenordnung, wie der Anbau bei uns zurückgegangen ist, sind tropische Wälder in Brasilien, Afrika und Südostasien abgeholzt worden, statt auf zertifiziertes und nachhaltiges Pflanzenöl und Eiweiß aus regionaler Produktion zurückzugreifen. Ein Ende der Biokraftstoffproduktion hierzulande schadet also dem Regenwald. Ein Unding!
Ökonomische Chance durch Biokraftstoff
Umweltministerin Steffi Lemke und Agrarminister Cem Özdemir von den Grünen möchten allerdings den Spritanteil bei Nahrungspflanzen auf null herunter fahren, SPD-Entwicklungsministerin Svenja Schulze will den Anbau von Biokraftstoffen verbieten, um den Hunger zu stoppen …
Viele Menschen denken, dass Biokraftstoffe automatisch eine Konkurrenz zu Lebensmitteln darstellen und unökologisch angebaut werden. Aber es geht ganz anders: indem wir beispielsweise in trockenen, heißen Regionen der Welt wie der Sahelzone mit guten Programmen Ölpflanzen wie Jatropha, Rizinus, Jojoba und andere Pflanzen aufforsten. Sie kommen mit sehr wenig Wasser aus und gelten als gute Pionierpflanzen für Begrünungen.
Pflanzen wie die Jatropha kann man in Ölmühlen auspressen und daraus in Bioraffinerien Flugbenzin herstellen. Damit bekommt man einen Biokraftstoff für den interkontinentalen Flugverkehr, der zugleich eine Kohlenstoffsenke ist. Und wir bekommen viele weitere positive Effekte: Sich ausbreitende Wüsten werden zurückgedrängt, die Menschen erhalten neue Lebensmittelräume, mehr Biodiversität, neue Arbeitsmöglichkeiten und neue Wertschöpfung. Solche Synergien müssen wir schaffen – nicht nur in der Sahelzone, sondern auch im Nordosten Brasiliens, in weiten Teilen Südostasiens, in Indien und in anderen Regionen.
Verbote von Biokraftstoff würden uns diese ökonomische Chance nehmen. Wir brauchen die sauberen, klimaschützenden, kohlenstoffsenkenden Anbaumethoden.
Bislang hat die Mineralölwirtschaft allerdings wenig Interesse an Biokraftstoffen gezeigt.
2003 haben wir im Bundestag mit einer Gesetzgebung reine Biokraftstoffe steuerfrei gestellt. Dieser Durchbruch hat zu einem enormen Hochlauf geführt und den bisher einzigen nennenswerten Effekt an Emissionsreduktionen im Verkehrssektor gezeigt. Wir hatten schon 1.000 Pflanzenöl-Traktoren auf unseren Äckern, die mit eigenem, naturbelassenem Kraftstoff gefahren sind. Die Landwirte haben den Raps und die Sonnenblumen angebaut, ausgepresst, das Öl gefiltert, gereinigt und in umgerüsteten Motoren genutzt.
Doch die Entwicklung wurde 2007 gestoppt und ins Gegenteil verkehrt. Mit einer Umstellung der Gesetzgebung wurde die Steuerfreiheit der Biokraftstoff-Beimischung geändert und der Beimischungszwang in die Mineralölprodukte gebracht. Damit ist die dezentrale ökologische Entwicklung zugrunde gegangen.
Wie kam das?
An der dezentralen Versorgung war kein Mineralölkonzern beteiligt – und das war den Unternehmen ein Dorn im Auge. Sie haben bei der Politik lobbyiert nach dem Motto: "Das machen wir doch besser! Verzichtet nicht auf die Steuereinnahmen, macht Beimischungszwang und dann dürft ihr voll besteuern." So wurde Mineralöl-Diesel steuerbegünstigt und Pflanzenöl-Diesel für die Landwirte besteuert. Eine absurde Entwicklung.
Und dann haben die großen Konzerne der Landwirtschaft gesagt: Wir kaufen bei euch nur, wenn ihr Riesenmengen anbaut. Das könnt ihr nur mit Intensivlandwirtschaft. Und so ist es geschehen statt mit ökologischen Anbaumethoden.
Wie viele Mitstreiter haben Sie heute an Ihrer Seite, um Ihre Ideen zu realisieren?
Leider viel zu wenige, aber es gibt sie. Die ersten Konzerne gehen in diese Richtung. Der italienische Mineralöl- und Energiekonzern Eni versucht sogar, mit dezentral erzeugten Pflanzenölen, mit Wiederbegrünung und genossenschaftlichen Strukturen eine Produktion aufzubauen. Und der finnische Mineralölkonzern Neste, der seine CO₂-Emissionen ebenfalls aus seinen Produkten beseitigen will.
Kurios ist, dass die klimaschädliche Mineralölwirtschaft bisher für ihre Ölbohrtürme ganz selbstverständlich Urwälder abholzt, Flüsse verseucht, Lebensräume zerstört und Raubbau betreibt – und viele dieses Treiben einfach hinnehmen, während man der klimaneutralen Pflanzenölproduktion einen Vorwurf macht. Das große Ziel der CO₂-Neutralität auch für Mineralölkonzerne wird diesem zynischen Treiben hoffentlich ein Ende setzen.
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