Wer sich gesund und ausgewogen ernährt, dem fehlt nichts. Aber Hand aufs Herz: Wer kann von sich behaupten, so viel Gemüse zu essen, wie empfohlen wird? Wer macht wirklich um jeden Fast-Food-Tempel einen großen Bogen? Und wer lässt für einen Apfel jeden Schokoriegel links liegen?
Das schlechte Gewissen sitzt immer mit am Tisch. Und das ist die beste Grundlage für Lebensmittelhersteller, ausgewählte Produkte als ganz besonders gesund zu bewerben - quasi als Ausgleich für kleine Sünden. "Health Claims" heißen die gesundheitsbezogenen Behauptungen, die da auf den Packungen stehen. Aber stimmt auch jede dieser Behauptungen? Das wollte die EU eigentlich prüfen. Und wenn der Zeitplan nicht so völlig aus dem Ruder gelaufen wäre, gäbe es längst eine Liste mit zugelassenen Aussagen. Alles andere wäre verboten. Doch die zuständigen Behörden wurden mit Anträgen geradezu bombardiert, sodass einer Verspätung die nächste folgte.
Fest steht aber schon jetzt, dass die meisten der mehr als 4.000 eingereichten Claims schon der ersten Prüfung nicht standgehalten haben. Erst 19 Claims sind derzeit definitiv abgesegnet. Daneben existiert eine weitere Liste mit 222 Claims, deren Zulassung unmittelbar bevorsteht, sobald diese sogenannte Gemeinschaftsliste das Europäische Parlament passiert hat.
Eigentlich ist das reine Formsache. Doch einzelne Parlamentarier unterschiedlichster Lager haben für die Abstimmung Mitte April schon jetzt Widerstand angekündigt. Viel zu streng sei die Prüfung gewesen. Ansonsten sind die Fraktionen aber einig darüber, dass die arbeitsintensive Liste keinesfalls in die Tonne getreten werden darf - auch wenn man damit nicht so richtig glücklich ist: "Der Grundansatz ist richtig", erklärt etwa die deutsche SPD-Parlamentarierin Dagmar Roth-Behrendt. Es sei wichtig, dass "der ganze Wildwuchs mit Aussagen, von denen viele nicht haltbar sind, jetzt beendet wird". Trotzdem ist sie "nicht ganz zufrieden" angesichts der vielen Produkte, die mit überflüssigen Vitaminen angereichert sind: "Wir wollen das nicht verbieten. Aber wenn man reflektiert ist, kauft man solche Produkte eigentlich nicht", erklärt die Verbraucherschutzexpertin. Auch die Agraringenieurin Dr. Renate Sommer (CDU) sieht eine "Übervitaminisierung der Bevölkerung" kritisch, weiß aber, dass ein Veto kaum eine Chance hätte.
Mit offiziellem Segen entsteht nun eine ellenlange Liste mit erlaubten Aussagen, die kaum Herstellerwünsche offenlässt. Jeder kann nun behaupten, sein Produkt stärke das Immunsystem, schütze die Zellen oder beuge Blähungen vor. Es müssen nur die richtigen Vitamine und Mineralstoffe zugesetzt werden.
Bleibt die Frage, ob das der Volksgesundheit etwas bringt. Die für die Beurteilung der Claims zuständige Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa jedenfalls hat in ihren Stellungnahmen gebetsmühlenartig darauf hingewiesen, dass die Studienlage eben nicht zeigt, dass in der EU irgendein Mangel...