Am Anfang waren explodierende Dampfmaschinen. Die schnaufenden Ungetüme setzten in den Fabriken der Gründerzeit alle Räder und Maschinen in Bewegung. Weil Unfälle durch zerknallende Kessel jedoch regelmäßig hohe Schäden verursachten, gründeten die Firmenchefs Vereine, die sie mit der Prüfung ihrer Anlagen betrauten. So wollte man "Menschen, Umwelt und Sachgüter vor den nachteiligen Auswirkungen der Technik bewahren", wie es hieß. Ab 1866 schossen die "Dampfkessel-Überwachungs- und Revisions-Vereine" (DÜV) wie Pilze aus dem Boden - und erzielten beachtliche Erfolge. Weil die Zahl der Unfälle deutlich sank, befreite die Mitgliedschaft in einem solchen Verein bald sogar von staatlichen Inspektionen.
Gut 140 Jahre später gehört die Überprüfung von explosionsgefährdeten Anlagen noch immer zu den Aufgaben der "Technischen Überwachungsvereine", wie sie mittlerweile heißen. Das aber ist längst nicht mehr alles. Kontrolleure des TÜV inspizieren Aufzüge und Kraftwerke, bescheinigen Seilbahnen, Chemieanlagen und Millionen deutscher Autos die Betriebssicherheit. Und der TÜV ist, anders als der Name nahelegt, auch bei Weitem nicht mehr nur auf dem Gebiet der Technik tätig.
Mit den prägnanten drei Buchstaben lassen sich Supermärkte attestieren, dass in ihren Regalen nur frische Waren liegen; Wohltätigkeitsorganisationen lassen sich bescheinigen, dass sie effizient mit Spendengeldern umgehen; Küchenstudios, dass sie nett zu ihren Kunden sind. TÜV-Siegel gibt es für Computerprogramme, mit denen Kinder von unerwünschten Internetseiten ferngehalten werden sollen, ebenso wie für Farben, Fahrradkindersitze - oder aber Fondsanlagen.
Anders als die TÜV-Plakette in Fahrstühlen, sind die Siegel, wie sie etwa der TÜV NORD mehreren geschlossenen Fonds verlieh, allerdings nach Meinung von Finanzmarktexperten alles andere als vertrauenswürdig. Das Gütezeichen sei irreführend, fehlerhaft und "insbesondere für Anleger nicht verlässlich", lautete das harsche Urteil in einem im Oktober 2009 publizierten Gutachten, das der Arbeitgeberverband der finanzdienstleistenden Wirtschaft (AfW) in Auftrag gab. Bei den Fonds handelte es sich um Anlageprodukte vom grauen Kapitalmarkt, vor denen unter anderem das Anlegermagazin Börse Online auf seiner Grauen Liste warnte.
Die Experten des TÜV NORD hatten für die Geldanlagen dennoch gute bis ausgezeichnete Noten für "geprüfte Fondsplausibilität" vergeben. Diese Urteile nannte der AfW "nicht einleuchtend" und stellte der Prüforganisation ein vernichtendes Zeugnis aus: Deren Prüfer seien unqualifiziert, die Kriterien für die Prüfungen ungeeignet und die Ergebnisse unrichtig gewesen. Ein Gutachten für das "Deutsche Institut für Anlegerschutz" empfiehlt unverblümt: "Traue keinem TÜV-Siegel für geschlossene Fonds."
Anleger vertrauen auf fragwürdiges Gütesiegel
An solchen Bewertungen ändert der Umstand nichts, dass der TÜV mit seinem Siegel kein Urteil über den Renditeerfolg oder die Sicherheit der Geldanlage abgeben wollte - geprüft habe man, so wurde betont, anhand der von den Geldinstituten veröffentlichten Prospekte die Transparenz und Plausibilität der Fonds. Das freilich erfahren nur Anleger, die im Studium des Kleingedruckten geübt sind. Viele würden hingegen "irrtümlich annehmen", dass ein Fonds, der mit "gut" oder "sehr gut" benotet wurde, mehr Sicherheit und wirtschaftlichen Erfolg verspricht als andere, merkt der AfW an und warnt seine Mitglieder davor, mit dem TÜV-Siegel zu werben, damit sie nicht wegen irreführender Auszeichnung in Haftung genommen werden.
Und auch der Berliner Jurist Timo Gansel, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, hält es zwar für sehr vernünftig, dass der TÜV keine Aussagen zur Rendite oder den bei geschlossenen Fonds potenziell sehr hohen Risiken trifft: "Dazu wäre er auch gar nicht in der Lage." Anleger freilich würden diese Selbstbeschränkung erfahrungsgemäß kaum zur Kenntnis nehmen, fügt Gansel hinzu: "Sie sehen nur das Gütesiegel und vertrauen darauf."
Zumindest der TÜV NORD konnte sich allerdings trotz der geharnischten Kritik, die sich in zahlreichen unersprießlichen Medienberichten und Schlagzeilen wie "Anlegerfalle mit TÜV-Siegel" niederschlug, nur zu einem halben Rückzug entschließen. Während der TÜV Rheinland auf die Zertifizierung von Geldanlagen inzwischen verzichtet, ist man in Hannover lediglich bereit, die Vergabe von Noten zu beenden. Man wolle auf diese Weise "noch klarer verdeutlichen", dass man "keine Ratingagentur" sei, erklärte Ulf Theike, Geschäftsführer der Unternehmenstochter TÜV NORD Cert, im Dezember 2009.
Um den Anlegern zu verdeutlichen, dass es sich bei geschlossenen Fonds um riskante Anlageprodukte handelt, dürfe das Siegel zudem künftig nicht mehr allein, sondern nur noch mit einem TÜV-Zertifikat oder einem anderen Risikohinweis verwendet werden. Nachfragen von ÖKO-TEST unter anderem dazu, welche Informationen dieses Zertifikat enthalten sollte, wurden vom TÜV NORD nicht beantwortet.
Kritiker halten diese Korrektur freilich ebenso wenig für ausreichend wie die Einsetzung eines Fachbeirats, in den Wissenschaftler und Vertreter der Finanzbranche berufen wurden. Verbraucherschützer, die ebenfalls für den Beirat gewonnen werden sollten, konnten sich nicht dafür erwärmen. Auch ein "Finanzgipfel", auf dem über strengere Prüf- und Qualitätsstandards für Finanzdienstleistungen beraten werden sollte, fand wenig Beifall. Solche Standards seien sehr wohl nötig, sagt Fachanwalt Gansel. Er sieht in dieser Angelegenheit aber zuallererst den Staat in der Pflicht. Dieser müsse im Interesse des Anlegerschutzes endlich klare Kriterien für die Art und Intensität der Prüfung von Geldanlagen durch "beauftragte und befähigte Institutionen" festlegen - und notfalls auch Aktivitäten wie die des TÜV NORD im Finanzsektor "unterbinden".
Dass der Prüfverein bei der Suche nach neuen Geschäftsfeldern darauf verfällt, ausgerechnet Zertifikate für Geldanlagen am grauen Kapitalmarkt auszustellen, hält der Jurist für grotesk. "Das wäre so, als würde die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen auf einmal Kraftwerke auf ihren Sicherheitszustand prüfen", sagt er und zitiert ein Sprichwort: "Schuster, bleib bei deinem Leisten!"
Mit Siegeln lässt sich viel Geld verdienen
Dass sich die TÜV-Gesellschaften neuen Gebieten zuwenden und dabei auch schon einmal Finanzfonds ihr renommiertes Siegel aufdrücken, hat freilich naheliegende Gründe: Gerade in Bereichen wie der Geldanlage, wo Verbraucher nicht erst seit der Bankenkrise verunsichert sind und ein starkes Bedürfnis nach Orientierung und Hilfe erkennen lassen, lässt sich mit Zertifikaten gutes Geld verdienen und der eigene Umsatz erhöhen.
Nicht zuletzt der TÜV NORD hat diesbezüglich ehrgeizige Ziele: 2010 will die Aktiengesellschaft, die 2008 noch einen Umsatz von 830 Millionen Euro erwirtschaftete, endlich die Milliardengrenze knacken - als dritte deutsche TÜV-Gesellschaft neben dem TÜV SÜD, der im Vorjahr 1,4 Milliarden umsetzte, und dem zuletzt bei 1,1 Milliarden Euro angekommenen TÜV Rheinland.
Doch die Möglichkeiten zum Wachstum sind begrenzt. Zwar drängen vor allem die großen TÜV-Gesellschaften ins Ausland; der TÜV Rheinland beispielsweise meldete stolz, mit der Gründung einer australischen Tochter sei man nun auf allen Kontinenten vertreten. Doch im Inland wird es immer schwerer, den eigenen Anteil an dem auf 25 Milliarden Euro geschätzten Markt auszuweiten. Auf vielen klassischen Feldern ist Wachstum nur durch die Verdrängung der Konkurrenten möglich.
Dieser als fatal angesehenen "Kannibalisierung" suchte man durch Bündelung der Kräfte zu entgehen. Die in den vergangenen Jahren erwogenen Elefantenhochzeiten unter großen TÜV-Gesellschaften scheiterten aber an zu unterschiedlichen Vorstellungen oder an Einwänden des Kartellamts. Bleibt also nur die Möglichkeit, neues Terrain zu erschließen - indem beispielsweise Zertifikate in allen nur denkbaren Bereichen neu entwickelt und verkauft werden.
Über ein solches Beispiel berichtete ÖKO-TEST Ende 2009: ein TÜV-Siegel für Organisationen, die Spenden sammeln. In diesem Bereich gibt es bereits renommierte Gütezeichen: Neben dem Spendensiegel, das vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) vergeben wird, signalisiert auch das Logo des Deutschen Spendenrats, dass sich dessen Mitglieder zur Einhaltung bestimmter Grundsätze von Transparenz und Effizienz verpflichten.
Der TÜV Thüringen jedoch legte im Oktober 2009 ein eigenes Zertifikat für Spendenorganisationen auf. Geprüft werden für dessen Vergabe unter anderem die Arbeitsabläufe beim Fundraising, die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und eine "systematische Spendendankkultur". Was freilich zunächst nicht eigens geprüft wurde, war die Frage, wie die Mittel in den unterstützten Projekten verwendet werden und ob die Organisationen als gemeinnützig und seriös einzustufen sind - also genau die Fragen, die potenzielle Spender am meisten interessieren. Von ÖKO-TEST auf einen möglichen Missbrauch hingewiesen, erklärte der TÜV Thüringen, unseriöse Organisationen künftig aussieben zu wollen, und zwar durch eigene Recherchen - oder Anfragen beim DZI. Dass man auf dessen Expertise baut, legt freilich die Frage nahe, warum es überhaupt eines eigenen TÜV-Siegels bedurfte.
Kreativität beim Erfinden neuer Geschäftsfelder
Mit ihrer Kreativität beim Erfinden neuer Gütesiegel sind die Thüringer indes nicht allein. Äußerst einfallsreich, wenn es um Neuentwicklungen und die damit verbundene Erschließung weiterer Tätigkeitsfelder geht, ist auch der kleine TÜV Saarland. Über eine Bonner Tochter werden zum Beispiel maßgeschneiderte TÜV-Zertifikate im Bereich Telekommunikation angeboten, wobei es kaum eine Aktivität rund um Rechner oder Telefon gibt, die vor einem Siegel sicher wäre: Das auf der Internetseite vorgeschlagene Spektrum reicht von Siegeln für geprüften Viren- oder Datenschutz über eine "zertifizierte Archivierung" bis zu einem Signet, mit dem sich der Kunde eine vom TÜV überwachte "Hotline-Verfügbarkeit" attestieren lassen kann.
Die Geschäfte brummen: Laut Vorstandsbericht 2008 steigerte die Tochter ihren Umsatz um zehn Prozent. Generell, so die Unternehmensbilanz, sei beim TÜV Saarland die "Säule mit den neuen Geschäften" bereits deutlich stärker als die klassischen Geschäftsfelder Kraftfahrzeugwesen und Industriegeschäft.
Bundesweit gut im Geschäft ist der TÜV Saarland auch mit einem Siegel namens Service tested, mit dem Dienstleistungsunternehmen sich eine hohe Kundenzufriedenheit bescheinigen lassen können. Das Gütezeichen wird seit sieben Jahren vergeben; derzeit tragen es rund 100 Unternehmen - von Kreissparkassen über Augenoptiker und Krankenkassen bis zu Möbelhändlern und Autohäusern. Sie alle bekommen auf diese Weise "exzellenten Kundenservice" attestiert - um damit um neue Kunden werben zu können: 56 Prozent der Deutschen, so preist sich die Prüforganisation, vertrauten schließlich "einer Werbeaussage mehr, wenn sie das Siegel TÜV Service tested trägt". Dieses lasse sich daher, heißt es in der Eigenwerbung unverhohlen, "optimal für Marketingzwecke nutzen".
Wie aussagekräftig das Siegel ist, muss freilich gefragt werden. Grundlage für die Vergabe ist eine repräsentative Kundenbefragung, die vom TÜV durchgeführt oder vom Bewerber mitgebracht und von den TÜV-Prüfern kontrolliert wird. Dabei wird die Zufriedenheit mit verschiedenen Serviceaspekten abgefragt; bei den fünf wichtigsten muss das Unternehmen mindestens "gut" sein, also einen Notendurchschnitt von 2,25 oder besser erreichen. Welche Kriterien als wichtig eingestuft werden, "entscheiden die Befragten in der Befragung selbst", sagt Thomas Fischmann vom Saarland-TÜV. Die Kunden selbst seien daher "gewissermaßen die Testinstanz".
Fachleute attestieren gewichtige Fehlleistungen
Freilich: Ihr Urteil geben nur Kunden ab, die einem Unternehmen die Treue halten, nicht aber die, die aus Frust oder Unzufriedenheit zu anderen Anbietern gewechselt sind, sagt Thomas Scheuer. "Gerade die wären aber interessant, um ein aussagekräftiges Gesamtbild zu erhalten", betont der Marketingberater aus Hannover.
Da sie nicht berücksichtigt werden, seien "gute Werte eigentlich keine Kunst". Er merkt auch an, dass der TÜV nur Zeugnisse mit den Noten "sehr gut" und "gut" ausstellt, aber nicht bekannt wird, welche Unternehmen bei der Zertifizierung durchfallen, für die je nach Unternehmen und Branche immerhin 7.500 bis 20.000 Euro zu berappen sind. Dass Bewerber durchrauschen, komme vor, heißt es bei der Prüfgesellschaft - wobei eingeräumt wird, dass mit dem Prüfverfahren bereits "eine gewisse Selbstselektion" verbunden sei: Wer wisse, dass sein Service zu wünschen übrig lässt, bewirbt sich erst gar nicht um das Gütesiegel.
Künftig sollen Interessenten immerhin prüfen können, aufgrund welcher wesentlichen Kriterien die TÜV-Zertifikate erteilt wurden: Im ersten Quartal 2010 werde eine Datenbank "mit umfangreichen Suchfunktionen" im Internet freigeschaltet, sagt Fischmann auf Anfrage. Dass allerdings eine Mehrzahl der Kunden eines Unternehmens dessen Service gut finden, muss nicht heißen, dass auch unabhängige Prüfer von den Qualitäten überzeugt wären.
So fiel die BIG Direktkrankenkasse, die vom Saarland-TÜV das Service-tested-Siegel mit der Note 1,62 erhalten hatte, bei einem Test der Stiftung Warentest durch - und zwar in den drei Bereichen Service, Beratung und Information. Auf Nachfrage verweist der TÜV auf die unterschiedlichen Prüfverfahren. Ein schlechtes Abschneiden in einem einzelnen Bereich schlage bei der TÜV-Zertifizierung beispielsweise nicht gravierend auf das Gesamtergebnis durch, wenn die Mehrheit der Kunden dem Kriterium nur eine nachgeordnete Bedeutung beimisst.
Während die TÜV-Gesellschaften ihre Prüfverfahren als hieb- und stichfest darstellen, melden Fachleute erhebliche Kritik an - und verweisen in diesem Zusammenhang auf "gravierende Fehlleistungen", wie es Werner Siepe formuliert. Der Finanzmathematiker und Fondsexperte ist Autor mehrerer Studien zum Thema, unter anderem für die Versicherungs- und Rentenberater AG (DVRAG). Dort verweist er auf Qualitätssiegel etwa für den Allfinanz-Vertrieb capital art, den Spezialvertrieb MEG oder den Finanzdienstleister Acoreus. Capital art war vom TÜV SÜD eine "geprüfte Beratungsqualität" attestiert worden, Siepe zufolge werden der Firma Falschberatungen vorgeworfen.
Die MEG, vom TÜV NORD für "geprüfte Kundenzufriedenheit" ausgezeichnet, ist seit Oktober 2009 insolvent. Acoreus, ein vom TÜV Saarland "geprüftes Inkasso", werde wegen dem Abmahnen verjährter Forderungen von Verbraucherschützern gerügt. Siepe kommt zu dem Schluss, dass viele der Siegel nur "Scheinsicherheit" vortäuschten und häufig "nichts als Etikettenschwindel" seien. Die TÜV-Gesellschaften, so sein Vorwurf, arbeiteten teilweise als "Werbe- und Marketingagentur für Finanzdienstleister".
Peinliche Panne beim Onlinebuchhändler
Der TÜV genießt dabei einen gewaltigen Vorteil: Er erfreut sich "höchster Bekanntheit und steht für Objektivität", sagt Marketingberater Thomas Scheuer - ein Vorteil angesichts der "Flut von Siegeln", die in den letzten Jahren gerade im Bereich Dienstleistungen zu beobachten seien und die Glaubwürdigkeit in den Keller hätten rutschen lassen: "Es weiß keiner mehr, welche die wirklich guten Siegel sind."
Den TÜV sehen viele Verbraucher dabei jedoch offenbar trotz der erwähnten Fehlleistungen als Institution, die, weil sie Autos und Chemieanlagen gründlich prüft, auf anderen Gebieten kaum danebenliegen kann. Umfragen bestätigen die Prüfgesellschaften in dieser Überzeugung. "Die Menschen", schreibt selbstbewusst der TÜV SÜD auf einer Internetseite, auf der er für sein Siegel s@fer shopping wirbt, "verbinden mit dem Namen TÜV Unabhängigkeit, Vertrauen, Neutralität, Kompetenz und Unbestechlichkeit".
Tatsächlich wird der TÜV dem makellosen Ruf freilich nicht immer gerecht, wie sich auch am Beispiel des Siegels s@fer shopping zeigte. Das Qualitätszeichen wird seit 2001 von den Münchner TÜV-Prüfern an Onlineshops vergeben; nach eigenen Angaben sind derzeit 130 Websites damit "ausgezeichnet". Die Botschaft des Signets, dessen Erscheinungsbild auffällig an die Kfz-Plakette des TÜV angelehnt ist: In den Onlineläden können Kunden laut Eigenwerbung "beruhigt einkaufen, da wir den Händler für Sie sorgfältig geprüft haben".
Noch prägnanter brachte ein TÜV-Verantwortlicher im März 2004 die gewünschte Botschaft des Siegels in einem Zeitungsinterview auf den Punkt. "Unser Logo sagt ganz einfach: Der TÜV war da!", heißt es dort: "Und es hat sich gezeigt, dass die Kunden dann durchaus bereit sind, auch höhere Beträge mit der Kreditkarte zu zahlen."
Die Kreditkarte sitzt indes womöglich nicht mehr ganz so locker, seit Ende Oktober 2009 bekannt wurde, dass beim großen Onlinebuchhändler Libri "Rechnungen Tausender Kunden ohne weitere Sicherheitsvorkehrungen im Netz" standen, wie "Spiegel Online" meldete - und auf einen Umstand als "besonders peinlich" hinwies: Der Internethändler Libri trägt das s@fer-shopping-Siegel des TÜV. Experten führten die Panne auf sogenannte Cross-Scripting-Lücken zurück, die generell eine Schwachstelle von Internetanwendungen darstellten, in vielen Fällen von Experten jedoch auffindbar sein müssten. Bei den vom TÜV geadelten Onlinehändlern, so fand ein Blogger im Anschluss heraus, gab es indes gleich mehrfach vergleichbare Lecks - die zu allem Überfluss selbst auf der TÜV-eigenen Seite auftauchten, die für das Siegel wirbt.
Hundertprozentige Sicherheit ist zweifelhaft
Zugute gehalten wurde dem TÜV, dass er mit einem grundsätzlichen Problem kämpft: Während das Siegel für ein Jahr verliehen wird, werden die Anwendungen im Internet in viel kürzeren Abständen erneuert; mit den geänderten Programmversionen jedoch können sich Fehler einschleichen. Im Fall Libri sei, erklärt Sprecherin Heidi Atzler vom TÜV SÜD, bei einem routinemäßigen Update eine "definierte Absicherung fehlerhaft installiert" worden. Eigentlich seien die Unternehmen gehalten, in den Fällen zu gewährleisten, dass sich keine Sicherheitslücken auftun. Als Konsequenz aus dem Vorfall sollen, so Atzler, künftig "verstärkt außerplanmäßige Sicherheitsprüfungen" erfolgen; zudem werde eine Meldepflicht für bestimmte Updates gerade "intensiv geprüft".
Ob damit tatsächlich ein sicherer Einkauf garantiert werden kann, bezweifeln Fachleute wie Martin Freiss, Geschäftsführer der Secunomic GmbH, die auf dem Gebiet der Informationssicherheit tätig ist und auch Unternehmen bei Zertifizierungen begleitet. "Hundertprozentige Sicherheit ist nicht zu gewährleisten", sagt er. Siegel wie das des TÜV oder das konkurrierende Signet Trusted Shops des gleichnamigen Unternehmens signalisierten vordergründig, dass ein Onlinehändler "vertrauenswürdig" sei, ob also die Ware zuverlässig geliefert oder gegebenenfalls umgetauscht werde.
Der TÜV selbst nennt dies ebenso wie die Handhabbarkeit des Internetauftritts als wichtiges Kriterium - verspricht aber auch die Prüfung der Sicherheit etwa bei der Zahlungsabwicklung. Vorsicht ist indes angebracht, warnt Freiss: "So etwas kann man nicht wirklich vollständig garantieren."
Kunden allerdings sehnen sich nach Sicherheit - und vertrauen deshalb Gütezeichen, auch wenn sie sich im Zweifelsfall nur selten erkundigen dürften, welche Kriterien für die Vergabe denn genau untersucht wurden. "Siegel sind dazu da, dass man ihnen plakativ glaubt", sagt Freiss. Das gilt auch für Signets, die von privaten Prüfunternehmen entwickelt werden und bei denen, anders etwa als bei den ISO-Normen, strenge gesetzliche Vorgaben fehlen. Im Bereich des sicheren Interneteinkaufens gibt es derzeit zwar eine Handvoll Gütesiegel, die von der Initiative D21 empfohlen werden, einem Zusammenschluss von Firmen der IT-Branche, die versuchen, Kriterien für mehr Sicherheit beim Einkauf im Internet zu etablieren. Neben drei weniger bekannten Siegeln etwa vom "Bundesverband des Versandhandels" gehören dazu das Logo von Trusted Shops sowie das markante blaue TÜV-Achteck. Die Einhaltung eines allgemein verbindlichen Normenkatalogs ähnlich einer Industrienorm aber garantieren die Siegel nicht. Den Unternehmen ist schließlich einerseits daran gelegen, dass Kunden dem Onlinehandel vertrauen. Gleichzeitig zeigt die Erfahrung aus anderen Bereichen aber, dass Firmen kaum dazu neigen, sich selbst übertrieben harte Bandagen aufzuerlegen.
Kritik an zu laxen Vergabekriterien
In einem ähnlichen Dilemma stecken die Prüfgesellschaften wie die TÜVs, wenn es um die Frage geht, wie hoch die Latte für die Vergabe der Siegel und Gütezeichen gelegt wird. Von einer "Zwickmühle" spricht Martin Freiss und weist darauf hin, dass Zertifizierung ein Markt sei, auf dem viel Geld verdient wird - allerdings auf längere Sicht nur, wenn die Kunden tatsächlich Zertifikate erhalten: "Wer zu oft durchfällt, kauft kein Zertifikat mehr." Prüfer dürften daher auf der einen Seite daran interessiert sein, viele Prüfkandidaten bestehen zu lassen, was böse Zungen von "Gefälligkeitssiegeln" sprechen lässt. Zugleich merkt Freiss an, dass zu laxe Kriterien und wiederholte Pannen aber den Ruf verderben - und zwar sowohl den des Gütezeichens als auch der Einrichtung, die es ausstellt.
Die Frage danach, wie streng die Kriterien für Zertifizierungen sein sollen und müssen, stellt sich auch bei einem Siegel, nach dem viele Käufer von Bohrmaschinen und Spielzeugautos, Leuchten und Waschmaschinen Ausschau halten: dem GS-Zeichen. Das Signet steht für "geprüfte Sicherheit" und garantiert, dass die Produkte den Anforderungen des "Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes" entsprechen und von einem staatlich anerkannten Prüfinstitut untersucht wurden.
Welches das war, ist aus dem am Produkt angebrachten Logo ersichtlich. Unter den 86 derzeit akkreditierten GS-Stellen sind auch mehrere TÜV-Unternehmen. Das Siegel wird seit 1977 vergeben und ist, im Unterschied zu den zahlreichen von Prüfverbänden, Unternehmen, Testinstituten oder Zeitschriften selbst entwickelten Gütesiegeln, das einzige in Europa gesetzlich geregelte Prüfzeichen.
Bei Vergleichstests freilich fallen immer wieder auch Produkte, die das GS-Zeichen tragen, durch Mängel auf - und zwar auch solche, die vom TÜV getestet wurden. Nicht zuletzt bei Prüfungen von ÖKO-TEST gerieten wiederholt Produkte in die Kritik, denen von TÜV-Gesellschaften zuvor die "geprüfte Sicherheit" attestiert worden war: Mal hielt das Rückschlagventil einer Schwimmhilfe nicht ausreichend dicht, mal erfüllte ein Holzpuzzle nicht alle für das Siegel notwendigen Anforderungen.
Bei einem großen Test von Kinderfahrradsitzen entsprachen bei acht von verschiedenen TÜV-Instituten untersuchten Produkten die Maße nicht der aktuellen Norm. Und bei einem Test von Kinderfahrrädern im Mai 2009 schnitten zwei Räder, die das GS-Zeichen des TÜV trugen, schlecht ab. Bitteres Fazit: "Geprüfte Sicherheit muss kein Qualitätsmerkmal sein."
Dass nicht zuletzt über technische Produkte, die vom TÜV geprüft wurden, solche Urteile gefällt werden, verwundert angesichts der langjährigen Expertise der Prüforganisation zunächst. Eine der möglichen Ursachen ist indes weniger bei den Prüfern, sondern vielmehr in den Rahmenbedingungen für die Prüfungen zu suchen.
Um ein GS-Zeichen zu erhalten, müssen Hersteller ein Produktmuster zur Untersuchung einreichen; zudem werden Fertigungsstätten kontrolliert. Denkbar ist aber, dass besonders sorgfältig hergestellte Produkte eingereicht oder Produkte nach Erteilung des Siegels verändert werden. Zwar sind die Prüfer gehalten, Stichproben aus der laufenden Produktion zu ziehen - die Frage ist aber, wie häufig das geschieht und in welchem Umfang davon auch Werke im Ausland betroffen sind.
Zudem entstehen die Prüfnormen in der Regel unter Beteiligung der Industrie und legen oft nur einen Mindestkatalog von Anforderungen fest. Daher stellt sich freilich die Frage, wie hoch verschiedene Prüfinstitute die Messlatte für die Erteilung des GS-Zeichens legen. Für die Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS), zuständig für die Akkreditierung und Kontrolle der GS-Prüfer, ist das kein Thema.
"Das Leistungsniveau der GS-Stellen ist vergleichbar", betont Sprecherin Nadine Leinfelder auf Anfrage. Sie verweist nicht nur auf die Überwachung durch die ZLS, die sicherstellen soll, dass verschiedene Institute gleiche Grundlagen für die Prüfungen anwenden und diese auch identisch interpretieren. Daneben würden auch Ringtests durchgeführt - Kontrollen, bei denen verschiedene Institute das gleiche Produkt auf bestimmte Merkmale hin testen und die Ergebnisse anschließend verglichen werden.
Kritiker weisen dagegen auf den Umstand hin, dass sich unter den GS-Stellen kleine Spezialinstitute finden, die jahrelange Erfahrung mit der Prüfung eines bestimmten Produkts haben, daneben aber auch Generalisten wie die TÜV-Institute, bei denen von Fahrrädern über Wandfarben bis zu Schwimmringen fast alles auf den Prüfstand kommt. Es sei ein "offenes Geheimnis", dass die Anforderungen in verschiedenen GS-Prüfstellen "nicht einheitlich" sind, sagt ein Kenner der Materie. In einem kleinen Prüfinstitut heißt es, dass in den spezialisierten Labors fundierter getestet werde, während die großen Konzerne vor allem mit den hohen bürokratischen Anforderungen besser zurechtkämen: "Wir prüfen besser, die füllen die Formulare besser aus."
UN sperren TÜV SÜD aus
Die Vereinten Nationen haben den TÜV SÜD Ende März diesen Jahres von der Bewertung von Klimaschutzprojekten ausgeschlossen. Der TÜV zeigte sich "enttäuscht über das harte Vorgehen". Nach eigenen Angaben hat der TÜV SÜD in den vergangenen sieben Jahren über 1.000 Projekte nach dem Clean Development Mechanism (CDM) zertifiziert, also auf Wirksamkeit für den Klimaschutz und die sinnvolle Verwendung von Fördergeldern geprüft.
Die verantwortliche UN-Behörde, das Executive Board des CDM wirft dem TÜV nun vor, Projekte trotz Zweifeln genehmigt zu haben. Man nehme "diese Kritik sehr ernst", so der TÜV. Allerdings gebe es eine "auffällige Häufung von Suspensierungen". Der TÜV sei "bereits die dritte namhafte" Prüforganisation, die von der UN gesperrt wurde. Das zeige, dass die Vorgaben für die Prüfer "nicht klar genug gefasst sind".
Daher habe der TÜV inzwischen Verbesserungsvorschläge gemacht. Ob und wann die Suspendierung aufgehoben wird, ist derzeit noch unklar.
Drei Große, drei Kleine - die TÜVs in Deutschland
Ganz unbescheiden als starke Marke bezeichnet man beim TÜV das eigene Kürzel, bei dem es sich um ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der Bezeichnung "Technischer Überwachungs-Verein" handelt. Die Marke ist umfassend geschützt und darf nur von den TÜV-Gesellschaften und deren Töchtern verwendet werden. Streng genommen darf die Bezeichnung, wie der TÜV SÜD auf seiner Homepage betont, nicht einmal in politischen und gesellschaftlichen Debatten auftauchen, wo, wenn es um die Sicherung von Qualität geht, dennoch gern vom Schul- oder Bürokratie-TÜV und Ähnlichem gesprochen wird.
Heute gibt es in Deutschland nach einer Welle von Zusammenschlüssen sechs TÜV-Organisationen. Neben den drei großen Aktiengesellschaften TÜV SÜD, TÜV NORD und TÜV Rheinland sind das der TÜV Thüringen und der TÜV Saarland (beide in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins) sowie der TÜV Hessen, eine GmbH, an der neben dem Land Hessen zu 55 Prozent der TÜV SÜD beteiligt ist.
Unabhängig von ihrer Größe stehen hinter den Gesellschaften eingetragene Vereine als Selbsthilfeorganisationen der Wirtschaft. Diese führen im Auftrag des Staates hoheitliche Aufgaben aus. Daneben haben sich die TÜVs zahlreiche weitere Tätigkeitsfelder in den Bereichen Beraten, Testen, Zertifizieren und Ausbilden erschlossen. Auf vielen Gebieten stehen sie dabei untereinander in einem harten Wettbewerb.
Zuletzt gab es zwei Anläufe zu Fusionen. Zunächst kam jedoch ein Zusammenschluss von TÜV SÜD (Jahresumsatz 1,4 Milliarden Euro, 14.850 Mitarbeiter) mit dem TÜV NORD (Ziel für 2010: eine Milliarde Euro Umsatz, 8.400 Mitarbeiter) nicht zustande. Im Sommer 2008 scheiterte dann die Vereinigung von TÜV SÜD und TÜV Rheinland (1,1 Milliarden Euro Umsatz, 13.300 Mitarbeiter) am Einspruch des Kartellamtes. Der geplante Konzern wäre nach der Schweizer SDS zum weltweit zweitgrößten Prüfunternehmen geworden. Nun, heißt es in der Chefetage des TÜV SÜD, sei das Thema Fusionen vorerst "vom Tisch".