Picky Eater: Was tun, wenn das Kind nicht essen mag?

Magazin Februar 2024: Orangensaft | Autor: Marieke Mariani | Kategorie: Kinder und Familie | 04.02.2024

Picky Eater: Was tun, wenn das Kind nicht essen mag?
Foto: Maria Sbytova/Shutterstock

Wählerisches Essverhalten ist bei Kleinkindern keine Seltenheit. Kritisch wird es, wenn Eltern um die Gesundheit ihres Kindes fürchten. Wir haben mit der Ernährungswissenschaftlerin Maria Flothkötter darüber gesprochen, bis zu welchem Punkt "picky eating" normal ist und wann sich Eltern Hilfe holen sollten.

  • Dass Kinder nicht alles essen mögen, ist laut der Ernährungswissenschaftlerin Maria Flothkötter, keine Seltenheit.
  • Eltern machen sich natürlich trotzdem Sorgen, wenn der eigenen Nachwuchs über eine längeren Zeitraum nur ausgewählte Nahrungsmittel zu sich nimmt.
  • Professionelle Hilfe ist dann sinnvoll, wenn das Kind zum Beispiel jede feste Nahrung verweigert, nie Hunger zu haben scheint und an Gewicht verliert. 

"Nur Nudeln, aber keine Soße und kein Gemüse!" Sätze wie dieser sorgen in vielen Familien für Spannungen. Wenn ein Kind ständig lustlos im Essen stochert oder grundsätzlich nur eine kleine Auswahl an Lebensmitteln zu sich nimmt, wird es oft als "picky eater" (auf Deutsch: wählerischer Esser) bezeichnet.

Doch für betroffene Eltern wirkt der Begriff schnell verharmlosend, denn mit jedem Tag, an dem nur nackte Nudeln, Toast ohne Belag oder Pommes den Weg ins Kind finden, wächst die Sorge, dass es nicht ausreichend Nährstoffe aufnimmt, die es für eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung braucht.

Das gemeinsame Essen wird zum Spießrutenlauf: Eltern versuchen verzweifelt, ihrem Kind gesunde Lebensmittel schmackhaft zu machen – doch mit der Verzweiflung der Eltern steigert sich häufig auch die Ablehnung des Kindes. Letztlich steht die ganze Familie dauerhaft unter Druck. Ein Teufelskreis. Ist dieser Stress wirklich nötig? Oder ist es nur eine der berühmt-berüchtigten Phasen im Kleinkindalter, die von selbst wieder endet?

Picky Eater: Nur eine Phase oder ernstzunehmendes Problem?

Maria Flothkötter ist Ernährungswissenschaftlerin und Leiterin des Netzwerks Gesund ins Leben, das – angegliedert an das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) – verschiedene Institutionen, Fachgesellschaften und Verbände zur Förderung der frühkindlichen Gesundheit vereint. Sie schätzt, dass 20 bis 30 Prozent der Familien, die mit Kindern im Kleinkindalter zum Kinderarzt gehen, irgendwann dieses Thema ansprechen. Und das nicht erst in jüngster Zeit, sondern bereits seit einigen Jahrzehnten. 

"Grundsätzlich kommt es häufig vor, dass Kinder nicht alles essen mögen. Häufig hat wählerisches Essverhalten mit Anpassungsschwierigkeiten zu tun, zum Beispiel beim Übergang zur Familienkost oder vom Füttern zum Selbstessen. Und diese Anpassungsschwierigkeiten gehen in der Regel von selbst vorüber", weiß die Ernährungswissenschaftlerin.

Doch spätestens, wenn das selektive Essverhalten des Kindes über mehrere Wochen oder sogar Monate anhält, sich möglicherweise bereits Mangelerscheinungen zeigen oder sogar der Verdacht einer organischen Ursache im Raum steht, wollen Eltern nicht mehr tatenlos zuschauen.

Kinder erleben Essen unterschiedlich 

"Für Eltern ist es ein biologisches Urbedürfnis, ihre Kinder zu ernähren und sicherzustellen, dass sie gesund aufwachsen und mit allem versorgt sind, was ein Kind dafür benötigt", sagt Flothkötter. Doch Kinder erleben Essen ganz unterschiedlich. Manche sind neugierig und wollen ständig Neues ausprobieren, andere tun sich eher schwer und brauchen mehrere Anläufe, um sich mit einem Lebensmittel anzufreunden.

Wenn Kinder nicht Essen wollen, sollten Eltern Geduld bewahren.
Wenn Kinder nicht Essen wollen, sollten Eltern Geduld bewahren. (Foto: Mark Umbrella/Shutterstock )

So schwer es fällt: Wichtig sei es, Geduld zu haben, gelassen zu bleiben und Ablehnung zu akzeptieren. "Je gelassener Eltern bleiben, je geduldiger sie sind, desto entspannter sind letztendlich auch die Kinder." Zwang, Belohnung und Bestrafung hingegen seien nicht sinnvoll und könnten womöglich sogar zu einer Verschlechterung des Essverhaltens führen, warnt die Ernährungsexpertin.

Ein Kind an den Tisch zu zwingen, bis es den Teller leer gegessen hat, führt also im Zweifelsfall zu noch mehr Ablehnung. "Ich empfehle Eltern ganz grundsätzlich, auch mal in die eigene Vergangenheit zu schauen, die Eltern oder Schwiegereltern zu fragen, was für ein Esstyp man denn selbst als Kind war. Vieles scheint da wiederkehrend zu sein."

Kinder besitzen natürliche Hunger- und Sättigungsregulation

Flothkötter rät stattdessen zu mehr Vertrauen: "Das Tolle ist, dass Babys schon mit einer fertigen Hunger- und Sättigungsregulation auf die Welt kommen. Deshalb darf man darauf vertrauen, dass Kinder nicht verhungern werden. Denn ihr Körper signalisiert, wenn er Nahrung braucht."

Um der natürlichen Hunger- und Sättigungsregulation den richtigen Raum zu geben, sollte dennoch ausreichend Abstand zwischen den Mahlzeiten liegen. "Fünf Mahlzeiten am Tag sind für Kleinkinder genug, ein Abstand von zwei bis drei Stunden zwischen den Mahlzeiten ist sinnvoll. Dazwischen sollte es nichts geben, was den Blutzuckerspiegel erhöht und das Hungergefühl überlagert." Das gilt auch für süße Getränke und Milch.

"Früher sagte man: Hunger ist der beste Koch – und das ist insofern richtig, dass man weniger wählerisch ist, wenn man Hunger hat", sagt Maria Flothkötter. Ausgewogen und abwechslungsreich sollte das Nahrungsangebot trotzdem sein: Getreideprodukte und Kartoffeln gehören genauso dazu wie Gemüse und Obst sowie tierische Lebensmittel – mindestens Milchprodukte.

Keine Extrawürste für Picky Eater

Wichtig sei, dass die Eltern die richtige Nahrungspalette zusammenstellen, aber das Kind selbst entscheiden lassen, was und wie viel es davon isst. Aber, betont die Expertin auch: "Keine Extrawürste für die Picky Eater. Sie bekommen dasselbe Essen angeboten wie der Rest der Familie, und es gelten dieselben Regeln wie für alle anderen auch."

Um die Neugier für Lebensmittel zu wecken, spielt die Präsentation eine wichtige Rolle. Die Faustregel: appetitlich und kindgerecht. Dabei darf Essen durchaus auch gewürzt sein, Salz sollte allerdings in Mahlzeiten für Kinder nur sparsam eingesetzt werden. Und auch die individuellen Vorlieben des Kindes machen einen Unterschied: Isst es gern mit den Händen, findet es Fingerfood wie Gemüsesticks womöglich interessanter als ein Kind, das lieber mit Besteck isst. 

Gemeinsames Einkaufen kann die Neugier auf Lebensmittel fördern.
Gemeinsames Einkaufen kann die Neugier auf Lebensmittel fördern. (Foto: BlueOrange Studio/Shutterstock )

Kinder lernen bereits beim Einkaufen 

Ihren Anfang nimmt eine Mahlzeit aber schon weit, bevor sie auf dem Teller landet. Flothkötter rät, Kinder schon in den Entstehungsprozess einzubeziehen – etwa beim Einkauf: "Dort haben die Kinder die Möglichkeit, wenn sie im Einkaufswagen sitzen oder durch den Supermarkt gehen, die Lebensmittel in den Händen zu halten und auf das Kassenband zu legen.

Auch bei der Zubereitung können schon Kleinkinder helfen. Damit wird die sinnliche Wahrnehmung unterstützt – die Kinder lernen die Lebensmittel von einer anderen Seite kennen. Dadurch entsteht ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, das die Skepsis dem Essen gegenüber manchmal sogar überwiegen kann.

Auch Essen in Gesellschaft fördert die Akzeptanz bei Kindern deutlich. Das gemeinsame Essen am Familientisch, bei dem sie das Essverhalten anderer beobachten können, sei deshalb schon für ganz kleine Kinder schön und wichtig, unterstreicht Flothkötter. Eltern, Geschwister, Großeltern  – andere Menschen sind Vorbilder, auch wenn’s ums Essen geht.

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Picky Eater: Auf Warnsignale achten 

Aber nicht jede Mahlzeit muss dabei zum Event werden. "Gemeinsam essen ist natürlich total schön, und je mehr Leute am Tisch sitzen, desto besser. Aber gemeinsam essen heißt auch, schon zu zweit mit dem Kind zu essen. Manchmal lässt es sich nicht organisieren, dass alle zusammen am Tisch sitzen, und dann müssen Eltern auch kein schlechtes Gewissen haben. Eine Familie muss nicht perfekt sein, sondern nur hinreichend gut. Das heißt, man schafft einen klaren und verlässlichen Rahmen, und das reicht in der Regel."

Doch es gibt auch Fälle, in denen alle Versuche wirkungslos bleiben und es für Eltern irgendwann unumgänglich wird, sich Hilfe zu holen. Warnsignale sind für die Ernährungsexpertin zum Beispiel, "wenn feste Nahrung komplett verweigert wird, man das Gefühl hat, das Kind isst wirklich nie, es zeigt nie Hunger; wenn Kinder über längere Zeit deutlich an Gewicht verlieren, oder wenn Kinder anfangen, Essen hochzuwürgen, es auszuspucken oder sich permanent übergeben." Haben Eltern das Gefühl, die Essenssituation wird zur Dauerbelastung für die ganze Familie und es liegt mehr im Argen als nur ein phasenweise wählerisches Essverhalten, sind Kinder- und Jugendärzte die richtigen Ansprechpartner.

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