- Wer auch in seinem Urlaub aktiv sein möchte, für den ist ein Segelurlaub vielleicht genau das Richtige.
- Segelanfänger können zum Beispiel eine Mitsegel-Tour auf einem historischen Plattbodenschiff buchen.
- Solche Touren gibt es in unterschiedlichen Längen, vom Wochenentrip bis zur ganzen Woche.
Die Fassaden der noblen Bürgerhäuser rings um den Hafen leuchten im Abendlicht, Möwen schreien, Masten tanzen im kabbeligen Wasser. Kaum zu glauben, dass dieses verträumte Enkhuizen im 17. Jahrhundert eine Topadresse war.
Damals kontrollierte Holland den weltweiten Gewürzhandel, und über 1.000 Frachtensegler brachten Stoffe, Gewürze, Tee und Porzellan aus Fernost in die heimischen Häfen. Enkhuizen und das benachbarte Hoorn (Namensgeberin der Südspitze von Südamerika) waren neben Amsterdam die größten Umschlagplätze. Für die seichten Küstengewässer brauchte man seinerzeit Schiffe Modell schwimmende Badewanne, ohne Kiel und mit nur einem Meter Tiefgang. Mit diesen Plattbodenschiffen konnte man die Waren auch bei Niedrigwasser im Wattenmeer ans Ziel bringen. Heute sind die historischen Segler nur noch zum Vergnügen unterwegs.
Größte kommerzielle Segelflotte der Welt
Rund 400 Plattbodenschiffe kreuzen auf dem Ijsselmeer, auf Nord- und Ostsee mit zahlenden Passagieren – die größte kommerzielle Segelflotte der Welt. Unser Schiff heißt Avanti und war – wie Skipper Laurens zur Begrüßung im Salon erzählt – einst zwischen Friesland und Amsterdam unterwegs, beladen mit Torf und Zwiebeln, Kohlen und Kartoffeln.
Laurens und Lucinda kauften die Avanti 2006, bauten zwölf Zweibettkabinen ein, ließen eine Douglastanne für den neuen Mast aus Kanada kommen und investierten zahllose Arbeitsstunden in ihr historisches Schiff, das seither zur obersten Komfortliga gehört.
Urlaub auf dem Schiff: Von der Segeltheorie ...
Das Seglerleben beginnt am nächsten Morgen, als die meisten Gäste noch gemütlich in der Kombüse sitzen. Laurens und Lucinda haben Verstärkung an Bord geholt, denn die Avanti ist dieses Wochenende mit 24 Gästen ausgebucht. "Maat" Martina ist Anfang 20, wuchs auf einem Rheinfrachter auf und kann es rein stimmlich mit jedem Seebär aufnehmen. Ihr kehliges "Okäääijjj" schallt so laut über das Deck, dass alle Gäste augenblicklich die Tassen abstellen, und wer noch im Salon sitzt, kommt eilig hinauf ans Licht.
Wir haben abgelegt – vor der Reling ziehen die Bürgerhäuser, Brücken und Kirchtürme von Enkhuizen vorbei. Segeltheorie gab’s heute Morgen schon direkt nach dem Frühstück, als Martina bei der Schiffseinweisung Seile und Taue, Segel und Masten erklärte, außerdem die Winsch genannte Seilwinde und die tonnenschweren Seitenschwerter, die links und rechts wie Tischplatten am Schiffsbug klemmen, und – herabgelassen – den Kiel ersetzen.
... zur Praxis
Jetzt können wir zeigen, ob wir aufgepasst haben. Laurens hat den Zweimaster mit Motorkraft aus dem Hafen gesteuert, nun heißt es Segel setzen. Während die erste Gruppe das Besansegel aufzieht, damit sich die Avanti in den Wind dreht, stürzen wir uns auf die Persenning – jene Stoffplane, die das Großsegel fest verpackt zusammenhält, solange es nicht gebraucht wird. Dieses Tuch muss Knoten für Knoten gelöst und abgewickelt werden – und bekommt dabei ein Gewicht, als wäre es mit der Bleikante genäht.
Und dann beginnt die eigentliche Schufterei. Mit aller Kraft hängen wir uns in die Seile, zerren das schwere Segeltuch nach oben. An der Winsch kurbeln ächzend drei Herren, die sich in kurzen Intervallen abwechseln. Trotzdem klettert das Tuch nur in Zeitlupe den Mast hinauf, bis es endlich oben angekommen ist und der Wind knatternd hineinfährt. Fünf Segel hat unser Schiff, und sie zu setzen ist eine Plackerei, aber der Einsatz lohnt sich. Jetzt das linke Schwert runter, Motor aus – wir segeln!
Warum das Ijsselmeer gar kein Meer ist
Tatsächlich rauscht die Avanti so kraftvoll dahin, dass man auch ganz ohne Spotify Rod Stewarts Hymne hört. "Sailing" wird der Ohrwurm dieses Wochenendes, den jeder im Sinn hat, obwohl er nirgendwo gespielt wird. 400 Quadratmeter Stoff treiben uns über das Ijsselmeer, angeschoben von einem fantastischen Wind. Ungeheuer, welche Masse diese unsichtbare Kraft bewegen kann. Mit breiter Bugwelle pflügt unser Schiff durch die steilen kurzen Wellen. Jeder an Deck hat den Kopf in den Nacken gelegt, schaut in die Takelage, in die geblähten Segel. Der Wind zerrt an den Haaren, die Sonne lässt den hellen Stoff gegen den Himmel leuchten.
Das Tauwerk knarzt, Gischt klatscht gegen den Bug, und die Welt ringsherum wird langsam zur blauen Scheibe. Dabei ist das Ijsselmeer gar kein Meer, sondern ein künstlich geschaffener Binnensee. 1898, als die Avanti vom Stapel lief, war das heutige Ijsselmeer noch eine riesige Nordseebucht, die Zuiderzee hieß. Erst 1932 verbannte ein 30 Kilometer langer und 90 Meter hoher Abschlussdeich die Gezeiten und das Salz der Nordsee. Aus der Meeresbucht wurde ein 1.200 Quadratkilometer großer, flacher Binnensee. Vier bis sechs Meter ist das Ijsselmeer nur tief und an manchen Stellen gerade mal 80 Zentimeter. Trotzdem ist es kein einfaches Revier, speziell bei starkem Wind.
Urlaub auf dem Schiff:
Wir machen inzwischen fast sechs Knoten (11km/h). Ringsherum sieht es aus wie im Wellenbad, und über den Himmel rasen zahllose Wattewölkchen mit einem feinen silbernen Rand. Während die Avanti elegant davonzieht, als liefe sie auf Schienen, sieht die Lage anderswo nicht so entspannt aus. Eine Minijacht nickt wie ein Wackeldackel durch die steilen Wellen, und ein kompakter Schlepper wühlt sich durchs Wasser wie ein Wildschwein durch die Schonung. Wenn der Blick weiter hinausgeht scheint die Welt grenzenlos, nur am Horizont erstrecken sich schmale Küstenstreifen. Möwen kommen zu Besuch, drehen eine Runde um den Mast und fliegen weiter.
Lucinda und Martina haben mittlerweile ein köstliches Buffet an Deck gezaubert; es gibt Krabbensuppe, heiße Fleischspießchen, diverse Brotsorten, eine vegetarische Gemüsequiche, etliche Käse, dazu Sonnenschein und diesen fantastischen Wind. Zwischen den Passagieren herrscht längst das Du, Sprachprobleme gibt es keine, ohnehin kommen die meisten Gäste aus Deutschland, die Lehrerinnen Ina und Tamara aus Krefeld, Jana, Psychotherapeutin vom Bodensee mit ihren beiden Kindern Noah und Kaia, Florian und Maren aus der Pfalz mit Sohn Tayo, Kostümbildnerin Simone aus Dresden, zwei Paare aus Utrecht und eine Joggingclique aus Soest.
1. Halt: Lemmer
Als wir am Nachmittag in Lemmer einlaufen, geht die Arbeit schon Hand in Hand – vier Leute bedienen die Fender, andere die Taue, der große Rest holt die Segel ein, die wieder korrekt verpackt werden müssen. Ordnung ist oberstes Gebot, und Martina ist erst zufrieden, wenn auch die letzten Taue perfekt und immer im Uhrzeigersinn aufgerollt wie flache Zimtschnecken an Deck liegen.
Erst am nächsten Tag wird weitergesegelt. Zeit genug für einen Rundgang durch enge Gassen und über Zugbrücken, vorbei an spitzgiebeligen Backsteinhäusern und Fischreihern, die reglos am Ufer stehen. Doch als die Nacht hereinbricht, hocken wir keineswegs in den Kneipen von Lemmer. Die Jungen sitzen mit Stirnlampen an Deck und klären zentrale Menschheitsfragen, übrigens ganz ohne Handy. Die Älteren lesen im Salon, Pfalz und Bodensee spielen Monopoly. Allen glühen die Wangen von so viel Frischluft, Sprachfetzen und Gelächter fliegen hin und her. Als um Mitternacht die Letzten in die Betten fallen, ist das Wasser glatt wie Klarsichtfolie.
2. Halt: Urk
Am nächsten Morgen herrscht wie auf Bestellung wieder Windstärke sechs, Laurens lässt nur zwei Segel aufziehen. Trotzdem sind wir – in Windeseile – in Urk, einem uralten Fischerstädtchen, das schon in Urkunden aus dem 10.Jahrhundert auftaucht. Urk hat einen Fisch im Wappen, die Einheimischen sind bis heute Seeleute aus Tradition und haben mit Tourismus nichts am Hut. Die streng religiösen Urker halten den Sonntag heilig, erklärt Laurens, die ganze Gemeinde ist in der Kirche versammelt.
So spazieren wir durch stille Gassen, in denen Vögel zwitschern und sich kleine Windräder auf den Balkonen drehen. Die Hauswände sind mit Keramik-Seepferdchen geschmückt, keine Menschenseele ist zu sehen. Ein Ort wie aus der Welt gefallen.
Zurück an Bord ist das Buffet eröffnet, mit Hühnersuppe, frittiertem Käse, Hackfleischbällchen, Frühlingsrollen, Gemüse und frisch geschnitztem Obstsalat. Ein letztes Mal die Segel einholen. Das Schiff aufklaren – sprich: aufräumen. Eigentlich mag niemand von Bord gehen. Jetzt auf die Autobahn und morgen wieder vor dem PC sitzen? Die Vorstellung schmeckt keinem. Und was ist mit Laurens und Lucinda, wo wohnen die eigentlich? "Natürlich an Bord", grinst Laurens. In den Winterwochen liegen sie in Friesland im Hafen, mit Kühen vor dem Fenster und mit Freunden an Bord. Aber schon im Frühjahr sind sie mit dem Wind unterwegs "und jede Nacht in einem anderen Hafen".
Urlaub auf dem Schiff: Die Anbieter
Holland Sail ist eine Genossenschaft mit eigenem Buchungsbüro für traditionelle Segelschiffe, die auf dem Ijsselmeer, dem Wattenmeer und der friesischen Seenplatte fahren. Die Flotte besteht aus mehr als 30 Klippern. Mitsegeltörns gibt es wahlweise am Wochenende, als Miniwoche oder als ganze Woche, spezielle Segeltage für Familien, für Alleinreisende und Thementörns. Abfahrtshafen ist Enkhuizen. Anreise in Eigenregie, der Bahnhof ist in fußläufiger Nähe zum Hafen, Parkplätze sind kostenlos. Beispiel: Ostern für Alleinreisende, vom 29.3. bis 1.4., auf dem Ijsselmeer mit voller Verpflegung ab 398 Euro.
Info: hollandsail.de/mitsegeln
Nautic-Tours vermittelt Törns auf über 100 Plattbodenschiffen – von Seglern für 8 bis 12 Gäste bis zu Schiffen mit 30 Kabinen. Beispiel: Ostern, vom 29.3. bis 1.4., an Bord der Suydersee (9 Zweibettkabinen, 4 Vierbettkabinen) kosten pro Person 425 Euro, Kinder bis 12 Jahre zahlen 215 Euro. Eingeschlossen sind volle Verpflegung, Bettwäsche und alle Leistungen.
Info: plattbodenschiff.com/mitsegeln/ostern-ab-harlingen.html
Auch Törns mit der Avanti sind hier zu buchen: plattbodenschiff.com/enkhuizen/avanti-plattbodenschiff.html
Kerstin und Wijnand segeln als Familienunternehmen ihr eigenes Plattbodenschiff, die Tijdgeest, ein Zweimastklipper aus dem Jahr 1906, der seit 1986 als Passagierschiff unterwegs ist und 2012 von Grund auf renoviert wurde. Die Kabinen (6 Zweibett-, 3 Dreibettkabinen) haben Waschbecken, Heizung, Fenster oder Bullauge zum Öffnen, bequeme Matratzen und Leselampen. Der Wochenendtörn (Freitag bis Sonntag) kostet ab 225 Euro, der Kurzwochentörn (Montag bis Freitag) ab 440 Euro und der Wochentörn ab 680 Euro. Eingeschlossen sind alle Leistungen und volle Verpflegung. Fahrgebiet der Tijdgeest sind das Ijsselmeer, das Wattenmeer und die niederländischen Wasserwege.
Info: zeitgeist-info.de/home/tijdgeest, E-Mail [email protected]
Auch Elan-Sportreisen bietet sechstägige Familiensegeltouren auf dem Ijsselmeer an; alle gehen von Samstag bis zum folgenden Freitag, Preisbeispiele: Pfingsten, vom 18. bis 24. Mai, kostet für Erwachsene 614 Euro, Jugendliche (13 bis 17 Jahre) zahlen 574 Euro, Kinder (4 bis 12 Jahre) 524 Euro. Für die Verpflegung kommen pro Tag und Person 10 Euro in die Bordkasse.
Info: elan-sportreisen.de/familienurlaub/familientoern-ijsselmeer/
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