Fragwürdige Werbeaussagen, unnötig hohe Dosierungen – und überflüssig sind die meisten Produkte noch dazu: Das haben die Verbraucherzentralen bereits vor rund drei Wochen an Nahrungsergänzungsmitteln kritisiert, die sich speziell an Kinder richten. Die Organisation warnte davor, den unnötigen Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln zu verharmlosen.
Nun hat sich auch das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Karlsruhe zu dem Thema Nahrungsergänzungsmittel geäußert: Das Amt veröffentlichte einen Bericht, für den zwischen 2021 und 2023 rund 30 Nahrungsergänzungsmittel für Säuglinge, Kleinkinder und Kinder untersucht worden waren. Die Ergebnisse: Viele Produkte waren laut Einschätzung der CVUA-Experten überhaupt nicht verkehrsfähig, hätten also in dieser Form nie verkauft werden sollen.
Untersuchungsamt: Nahrungsergänzungsmittel für Kinder besser meiden
Hier die wichtigsten Ergebnisse der Karlsruher Untersuchung im Überblick:
- Zwischen 2021 und 2023 untersuchte das Amt 31 Produkte, viele wurden bewusst direkt aus dem Internet bestellt.
- Bei vier Produkten wurde die als sicher bewertete Tageshöchstmenge zugesetzter Folsäure vollständig ausgeschöpft oder sogar überschritten. Von einer akuten Gesundheitsgefahr durch die Produkte sei aber nicht auszugehen, hieß es, eine überhöhte Zufuhr sollte jedoch vermieden werden.
- Auch andere Nährstoffmengen wurden voll ausgeschöpft oder lagen teils um ein Vielfaches über den Werten für die jeweiligen Altersgruppen, vor allem bei den Vitaminen B, C und K.
- In sechs Proben (19 Prozent) fanden die Experten Vitamingehalte, die von den Verpackungsangaben abwichen. Überdosierungen oder sogar Vergiftungen, vor allem bei jüngeren Kindern, könnten die Folge sein.
- 19 der 31 Proben (61 Prozent) waren ausdrücklich für Säuglinge und Kleinkinder bestimmt – und allesamt nicht verkehrsfähig, so die amtliche Einschätzung. Die Gründe: unter anderem irreführende Aufmachungen und nicht zugelassene Zusatzstoffe, so die Experten in ihrem Bericht.
Von Nahrungsergänzungsmitteln für Säuglinge und Kleinkinder sei grundsätzlich abzuraten, so das CVUA. Aber auch älteren Kindern sollten Eltern keine derartigen Präparate geben.
"Es wird empfohlen, auf natürliche Nährstoffquellen aus herkömmlichen Lebensmitteln durch ausgewogene Ernährung zu setzen und gegebenenfalls ärztlichen Rat einzuholen, sofern die Unterversorgung eines Nährstoffs befürchtet wird", so die CVUA-Experten. Im Allgemeinen gebe der Nährstoffstatus von Kindern keinen Grund zur Sorge. Über herkömmliche Ernährung seien sie in der Regel ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt.
Viele Nahrungsergänzungen sehen aus wie Süßes
Dennoch ist das Angebot an Nahrungsergänzungsmitteln, die sich an Kinder richten, in den letzten Jahren stark gestiegen. Diese Beobachtung haben die Verbraucherzentralen erst vor Kurzem (Mitte August) in einen Marktcheck veröffentlicht. Der Konsum dieser Mittel geschehe auch nach Ansicht der Verbraucherzentralen häufig ohne Grund, denn: In der Bevölkerung liegt keine allgemeine Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen vor.
Annette Dohrmann, Leiterin Magazin bei ÖKO-TEST, sagte dazu: "Das zeigt, wie gnadenlos erfolgreich die Werbung für solche Präparate ist, die uns seit Jahren Angst vor einem vermeintlichen Vitaminmangel einredet." Kein Wunder: Nahrungsergänzungsmittel kämen meist in Form von Tabletten, Kapseln oder Trinkampullen daher. "Das verleiht ihnen den Nimbus von Arzneimitteln und den Anschein medizinischer Notwendigkeit", so Dohrmann.
Der 20-seitige Marktcheck der Verbraucherzentralen hat gezeigt: Gerade an Kinder gerichtete Nahrungsergänzungen sind häufig zu hoch dosiert, enthalten unnötig Zutaten und ähneln oft eher Süßigkeiten als Nahrungsergänzungsmitteln, so die Autoren der Überblicksstudie.
Das waren die wichtigsten Ergebnisse des Verbraucherzentralen-Checks:
- 23 von 33 untersuchten Produkten überschreiten die Vitamin- und Mineralstoff-Referenzwerte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für Vier- bis Siebenjährige (bezogen auf die Gesamtzufuhr aus allen Quellen).
- 22 Produkte haben eine süßigkeitenähnliche Darreichungsform (Gummibärchen, Kaubonbons etc.) sowie einen fruchtig-süßen Geschmack. Dies könne sowohl zu Verwechslungen mit Süßigkeiten führen als auch zu überhöhtem Konsum – mit der Gefahr einer Überdosierung, so die Verbraucherzentralen: Reichern sich zum Beispiel Vitamin A oder D im Körper an, könne das zu Übelkeit, Kopfweh und Müdigkeit führen.
- Sieben der geprüften Produkte erreichen die vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vorgeschlagenen Höchstmengen für Nahrungsergänzungsmittel, die für Personen ab 15 Jahren vorgesehen sind.
- Weitere sechs Produkte überschreiten die zuletzt genannten Höchstmengen sogar, obwohl sie sich an Personen unter 15 Jahren richten.
ÖKO-TEST-Kritik an Nahrungsergänzungsmitteln
Auch ÖKO-TEST kritisiert seit Jahren, dass viele Anbieter ihre Nahrungsergänzungsmittel viel zu hoch dosieren, häufig um ein Vielfaches der empfohlenen Tagesdosis. So auch im Test von Vitamin B12-Präparaten, bei dem 21 der 24 untersuchten B12-Nahrungsergänzungsmittel die Höchstmengenvorschläge des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) teils drastisch überstiegen.
"Aber viel hilft nicht viel", sagt Annette Dohrmann. Im Gegenteil: "Im besten Fall scheidet der Körper aus, was er nicht braucht und produziert damit teuren Urin." Wissenschaftliche Studien haben für verschiedene Nahrungsergänzungsmittel gezeigt: Ein Zuviel des vermeintlich Guten kann der Gesundheit auf Dauer sogar schaden.
Das Problem mit den Nahrungsergänzungsmitteln
Nahrungsergänzungsmittel unterliegen keinen Zulassungsverfahren. Sie werden von den Behörden weder auf Sicherheit noch auf Wirksamkeit geprüft, bevor sie auf den Markt kommen. Das gilt auch für Nahrungsergänzungsmittel für Kinder. Die Verbraucherzentralen fordern entsprechend:
- Für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln sollten verbindliche Höchstmengen festgelegt werden.
- Diese Höchstmengen sollten nach Altersgruppen differenziert sein, um gesundheitliche Risiken zu vermeiden.
- Die Gesamtaufmachung der Produkte darf keinen überhöhten Konsum fördern.
- Dazu gehört auch, dass eine Verwechslungsgefahr mit Süßigkeiten ausgeschlossen sein sollte.
- Anbieter sollen nicht den Eindruck vermitteln dürfen, ihre Produkte seien harmlos, förderlich für Gesundheit, Konzentrationsfähigkeit, Intelligenz und/oder Lernleistung von Kindern.
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