Ratgeber: Wohn- und Gewerbebau

Leuchtend wie die Sonne

ÖKO-TEST Februar 2010 | | Kategorie: Bauen und Wohnen | 29.01.2010

Ratgeber: Wohn- und Gewerbebau

Wie extrovertiert darf ein Haus sein, das so sehr im Licht der Sonne und der Öffentlichkeit steht? Jürgen Hoffmann und Tanja Rausch haben an einem exponierten Standort ihr Wohn- und Gewerbegebäude konsequent in Solararchitektur errichtet - bis hin zur Farbwahl. Das löst Diskussionen aus.

Bauen neben Aldi. Entweder macht man da etwas Besonderes, oder man geht unter. Da Mainstream, also das was alle anderen tun und denken, für Jürgen Hoffmann und Tanja Rausch eh ein Graus ist, haben sie auch beim Bau ihres Gebäudes fast alles anders gemacht als üblich. Das Resultat: Für dieses Ziel braucht man keine Wegbeschreibung und kein Navi. Knallgrün leuchtet es jedem entgegen, der die Ortseinfahrt von Pliezhausen passiert. Was in der kleinen Gemeinde südlich von Stuttgart für Aufregung und empörte Anrufe beim Bürgermeister sorgte, macht Jürgen Hoffmann glücklich: "Jedes Mal wenn ich über die Anhöhe fahre, freue ich mich über das satte Grün, das einer frischen Blumenwiese gleicht", erzählt der Bauherr, "vor allem im Winter wenn die Landschaft grau in grau ist." Mitten zwischen einem Aldi-Markt und Einfamilienhäusern mit klassischem Satteldach steht das zweigeschossige Gebäude mit dem markanten Obergeschoss, das der Inhaber eines Vertriebs für professionelle Audioanlagen zu zwei Dritteln als Büro und Lager nutzt.

Gezielte Standortwahl

Manches wirkt an dem 2009 fertiggestellten Gebäude auf den ersten Blick ungewohnt oder willkürlich, macht bei näherem Hinsehen aber durchaus Sinn, nicht nur die Farbe. Denn Jürgen Hoffmann und Tanja Rausch haben viel Zeit in die Planung und Ausgestaltung ihres Heims gesteckt, haben Dutzende Architektenhäuser unter die Lupe genommen und möglichst wenig dem Zufall überlassen.

Angefangen beim Standort, der für ihren Betrieb verkehrsgünstig nahe der Bundesstraße sein sollte, aber dennoch privat und wohnlich. Da macht das Baurecht für überwiegend gewerblich genutzte Immobilien strenge Auflagen: Nur Berufe, die kaum Krach machen und auch sonst wenig auffallen, dürfen sich unter Auflagen neben Wohngebieten ansiedeln. Allerdings sind Gewerbegebiete in den seltensten Fällen schön gelegen noch tatsächlich besonders ruhig. Nach langen Recherchen in der Region und bis in die Schweiz fiel die Entscheidung dann doch für das heimatliche Pliezhausen. "Wir haben an etlichen Tagen geprüft, woher der Wind kommt und ob er den Lärm der nahen Bundesstraße mitbringt, wie laut es nachts ist und wie wir uns gegen den Parkplatz des Discounters und den Verkehr abschotten können", berichtet Hoffmann.

Das Ergebnis: Trotz des angrenzenden, stark frequentierten Parkplatzes bot das Grundstück gute Bedingungen, vor allem da der im Sommer vorherrschende Westwind Geräusche und Gerüche des Einkaufsmarktes vom Haus fortträgt. Aber auch im Winter ist es recht still, obwohl der Nordostwind dann die Geräusche aufs Haus zu transportiert, denn dank der Lüftungsanlage können alle Fenster geschlossen bleiben. Im Haus ist vom Stop-and-go der Autos und den klappernden Einkaufswagen kein Ton zu hören. Nicht umsonst gibt sich das Haus in diese Richtung bis auf ein winziges Fenster überaus verschlossen, was auch dem Schutz vor kalten Nordwinden dient.

Dreh zur Sonne

Eine weitere Besonderheit: Das 130 Quadratmeter messende, grüne Wohngeschoss ist gegenüber dem weißen Büro- und schwarzen Lagersockel gedreht, das optimiert die Lage zur Sonne, weicht dem Schatten des Nachbargebäudes aus und nutzt konsequent die Sonneneinstrahlung. Auf der Terrasse gedeiht auch deshalb eine Sammlung mediterraner Kübelpflanzen. "Den Dreh haben wir vorab mit Taschenlampe und einem Modell simuliert", so Hoffmann. Die Morgensonne erhellt das bewusst in Richtung Südosten platzierte Bad: "Wenn wir aufstehen, wollen wir das Licht des Tages genießen und uns nicht in einem dunklen Nordbad verstecken", erklärt die Textildesignerin Tanja Rausch. 70 Prozent der Fensterfläche weisen Richtung Süden, nach Westen und Osten ist sie deutlich kleiner. "Sonst überhitzt die tief stehende Sonne am Vormittag und am Abend das Haus."

Apropos Dämmung: Sie gleicht die energetischen Nachteile der nicht optimalen Hausform mit ihren Vor- und Rücksprüngen aus. Auf der Nord- und Ostseite ließ Architekt Phillippe Werb 32 Zentimeter starke Dämmplatten aus Polystyrol mit einer Grafitbeimischung installieren, das verbessert die Dämmwirkung noch mal. An den anderen Hauswänden ist die Isolierung immerhin 16 Zentimeter stark. Die Dämmplatten überdecken fast vollständig die Rahmen der Wärmeschutzfenster und minimieren so die dort auftretenden Wärmeverluste. "Und die leuchtend grüne Farbe weist genau den richtigen Hellbezugswert auf", erklärt der Architekt, also den idealen Reflexionsgrad des Farbtons, damit sich im Sommer die Dämmschicht nicht zu stark erhitzt und dadurch reißt. Auf teure, dreifach verglaste Passivhausfenster haben die Bauherren verzichtet, da diese weniger Licht ins Haus lassen als Fenster mit zwei Scheiben.

Auch beim Wandmaterial geht das Gebäude ungewohnte Wege. Statt Holz oder Mauersteine wählten Jürgen Hoffmann und Tanja Rausch Beton, den sie bei Besuchen in der Schweiz lieben gelernt hatten. "Wir standen im Betonwerk vor einem roten Musterstück und haben gesagt: Das ist es", berichten die nach wie vor begeisterten Bauherren. Der Beton ist zur besseren Wärmedämmung mit Tonkügelchen versetzt und wurde im Werk Stück für Stück inklusive aller Leerrohre für die Elektroinstallation vorgefertigt. Beigemischte Pigmente aus Eisenoxid verleihen dem ansonsten optisch eher abweisenden Baustoff einen warmen, wohnlichen Farbton. Ein zusätzlicher Wandbelag wie Putz oder Tapeten ist nicht notwendig, denn eine hundertprozentig glatte, einheitliche Oberfläche war sowieso nicht beabsichtigt.

In insgesamt vier Tagen stellte ein Trupp des Betonwerks den kompletten Rohbau auf. "Das war schon sehr spannend, ob alle Anschlüsse passten", erinnert sich Jürgen Hoffmann. "Aber bis auf einen falsch dimensionierten Träger im Eingangsbereich und zusätzliche, luftdichte Abdichtungen am unteren Ende der Fertigteile, die in Eigenleistung ergänzt wurden, hat alles wunderbar geklappt."

Robuste Technik

Beheizt wird das Haus von einer elektrischen Wärmepumpe. Zunächst stand die effizienteste, aber auch am teuersten zu erschließende Wärmequelle zur Diskussion, der Erdboden. Angesichts des geringen Energieverbrauchs des Hauses eine Investition, die sich bei genauerem Nachrechnen erst nach Jahrzehnten amortisiert hätte. So entschied sich Jürgen Hoffmann für eine wirksame, robuste schwedische Luftwärmepumpe, die ohne komplexe elektronische Steuerungsprogramme auskommt. Verteilt wird die Wärme über eine Fußbodenheizung, die unter dem von Hand eingebrachten und glatt gescheibten Estrich verlegt ist.

Die zweite wichtige Komponente der Haustechnik ist eine Lüftungsanlage, die rund 90 Prozent der in der abgesaugten Luft enthaltenen Wärme zurückgewinnt und an die mehrfach gefilterte Zuluft abgibt. Zwei recht dünne, aber jeweils 37 Meter lange auf dem Grundstück vergrabene Erdwärmetauscher wärmen die Luft im Winter auch bei strengem Frost auf acht Grad Celsius vor. Im Sommer gelangt die Frischluft am Wärmetauscher vorbei maximal mit angenehmen 18 Grad ins Haus. Optisch sind die im Wohnraum frei schwebenden Lüftungsrohre mit den aufgesetzten Weitwurfdüsen für die Frischluft nicht jedermanns Geschmack. Hier passt die auf die nackte Funktion reduzierte Optik aber ins Gesamtbild. Auf eine elektronisch steuerbare Elektroinstallation wurde ebenso verzichtet, wie auf programmierbare Beleuchtungsszenen. Lediglich für die vielen Lautsprecher im Demostudio des Audiovertriebs liegen stärker abgesicherte Kabelstränge getrennt von der übrigen Installation in den Wänden.

Photovoltaik flachgelegt

Entgegen herkömmlicher Vorstellungen ist auch die Photovoltaikanlage ausgerichtet, die das Flachdach bis auf einen Gang für Wartungsarbeiten fast völlig überdeckt. Statt die polykristallinen Module wie üblich mit einer Neigung von 30 Grad zu montieren, liegen diese mit zehn Grad beinahe waagrecht auf ihren Montagegestellen. Die Anordnung widerspricht der Erfahrung vieler Experten, denn sobald in der Übergangszeit die Sonne flacher steht, sinkt der Stromertrag. Steiler stehende Module ernten dagegen in dieser Zeit noch immer einiges an Sonnenstrom. Deren Nachteil: Stehen die Modulreihen zu eng hintereinander, verschatten sie sich gegenseitig mit dem Effekt, dass ein verschattetes Modul überhaupt keinen Strom produziert. "Durch die flache Anordnung konnten wir deutlich mehr Module installieren lassen. Statt sieben Kilowatt hat die Anlage nun eine Leistung von 17,5 Kilowatt", erläutert Jürgen Hoffmann seine Idee. Mit ihrem Strom lassen sich immerhin vier Vierpersonenhaushalte ein Jahr lang versorgen. Die Ertragsstatistik der im Mai 2009 in Betrieb gegangenen Anlage gibt dem schwäbischen Tüftler bislang recht. Im Sommer, wenn die Sonne steiler steht, produzieren die 90 Module aus deutscher Fertigung deutlich mehr Strom als andere Anlagen, im Herbst war der neigungsbedingte Minderertrag kaum spürbar.

"Die guten Werte im Sommer hängen auch mit einem eingebauten Kühleffekt zusammen", sagt Michael Süßer, dessen Unternehmen die Photovoltaikanlage installiert hat und der anfangs durchaus skeptisch an den unüblichen Auftrag herangegangen war. "Die warme Luft streicht an der Unterseite der Module entlang nach oben und zieht kühlere Luft nach. Dadurch wird der bei hohen Temperaturen übliche Leistungsabfall der Solarzellen gemindert", hat sich der Solarexperte überzeugen lassen. Ein weißes Vlies auf der Dachfolie verhindert zusätzlich, dass die Sommersonne die Luft unter der Solaranlage aufheizt. Angenehmer Nebeneffekt: Anlage und Vlies schützen die Kunststoffhaut des Flachdachs vor der zermürbenden UV-Strahlung und senkten im heißen Sommer 2009 die Spitzentemperatur im Oberschoss schlagartig um 0,5 bis ein Grad. Noch fehlt der jungen Anlage ein vollständiges Betriebsjahr. Aber die bisherigen Ergebnisse lassen Jürgen Hoffmann und Tanja Rausch auf eine überdurchschnittliche Sonnenernte hoffen. Die soll in wenigen Jahren dann ein Elektroauto mit Strom füttern und die Familie wieder ein Stückchen voranbringen, weg vom Mainstream, hin zu solarer Mobilität.

Wohnen im Gewerbegebiet

Wohnen im Gewerbegebiet bietet ganz neue Entfaltungsmöglichkeiten. Allerdings ist die Wohnnutzung nur in Ausnahmefällen zulässig und muss der gewerblichen Nutzung untergeordnet sein. Anders sieht es im Mischgebiet aus, wo Wohnen und Arbeiten gleichberechtigt sind und die Betriebe nicht störend sein dürfen. Gast- und Vergnügungsstätten sind hier aber zum Beispiel erlaubt.

Ziel der laut Baunutzungsverordnung ausgewiesenen Gewerbe- und Mischgebiete ist es, Beeinträchtigungen durch Lärm, Licht und Emissionen von Wohngebieten fernzuhalten. Erlaubt sind deshalb in Gewerbegebieten unter anderem Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze, öffentliche Betriebe, Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, Tankstellen und Anlagen für sportliche Zwecke.

Vor der Entscheidung fürs Leben und Arbeiten an einem Ort, sollte man sich bei der Gemeinde erkundigen, welche Firmen in der Nachbarschaft angesiedelt sind und sich in Zukunft ansiedeln werden. Besuche zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten bieten einen Eindruck über das Umfeld. Eine Garantie, dass die Situation so bleibt, hat man allerdings nicht.

Rechnen muss man zum Beispiel mit deutlich mehr Lärm: In reinen Wohngebieten sind tagsüber Geräusche bis 50 dB(A) und nachts bis 35 dB(A) zulässig, in einem Gewerbegebiet 65 dB(A) tagsüber und 50 dB(A) nachts. In einem Mischgebiet sind es immerhin noch 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts. Was sich nach einem geringen Unterschied anhört, bedeutet in der Realität deutlich mehr Lärm: Eine Steigerung um 10 dB(A) entspricht einer Verdoppelung der Lautstärke.

Zusätzlich zum Architekten sollte man auch den Steuerberater konsultieren, da das Finanzamt ein genaues Auge auf die Aufteilung zwischen gewerblichem und privatem Aufwand wirft.

Bautafel

Baujahr: 2008/2009

Bauweise: Leichtbetonfertigteile mit Wärmedämmverbundsystem.

Wohnfläche: 130 m², Nutz-/Gewerbefläche 220 m².

Primärenergiebedarf: 39 kWh/m²a (inkl. Warmwasser bei 21/22 °C Raumtemperatur /DIN 19 °C)

Wandaufbau: (von innen nach außen) 20 cm Leichtbetonfertigteile, 16/32 cm Polystyrol-Wärmedämmverbundsystem mit Grafitbeimischung, zweilagiger mineralischer Außenputz. U-Wert: 0,18 - 0,09 W/m²K.

Dachaufbau: (von innen nach außen) Flachdach mit Betondecke, 32 cm Polystyroldämmung und Folienabdichtung. U-Wert: 0,14 W/m²K.

Haustechnik: Luft-Wasser-Wärmepumpe, 8 kW, Fußbodenheizung, Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und 2 x 37 m Erdwärmetauscher, Photovoltaikanlage 17,5 kW.

Architekt:

Phillippe Werb, Architekturbüro Jörg Ullmann, Aspenhaustraße 5, 72770 Reutlingen, Tel. 07121/915216, www.architekt-ullmann.de