Ab Juli dürfen Gurken wieder wachsen, wie sie wollen. Dann fallen die EU-Normen über die Größe und Form von 26 Sorten Obst und Gemüse. "Dies bedeutet einen Neuanfang für die krumme Gurke", kommentierte die zuständige EU-Kommissarin Mariann Fischer Boel. Bisher durfte eine Schlangengurke der Klasse Extra und I nämlich maximal eine Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimetern Länge aufweisen.
Wolfgang Ahlers von der Firma Univeg, einem führenden Unternehmen im Obst- und Gemüsehandel, hält gar nichts vom Neuanfang. "Das führt dazu, dass die Normierung auf die Marktbeteiligten verlagert wird", erklärt er und warnt vor einem regulatorischen Chaos, falls es der Branche nicht gelingt, sich auf ein einheitliches Nachfolgesystem zu einigen. Prof. Peter-Jürgen Paschold vom Fachgebiet Gemüseanbau in der Forschungsanstalt Geisenheim sieht das ähnlich. Er findet es zwar verwerflich, qualitativ hochwertige Gurken einfach wegzuschmeißen, nur weil sie krumm sind. "Anstatt die Norm aber gleich aufzuheben, hätte man sie besser lockern und einen höheren Krümmungsgrad zulassen sollen", ist seine Meinung.
ÖKO-TEST hat noch nie die maximal erlaubte Krümmung bei Gurken nachmessen lassen. Wir konzentrieren uns lieber darauf, möglicherweise enthaltene gesundheitsschädliche Pestizidrückstände zu finden. Denn Salatgurken sind diesbezüglich immer wieder aufgefallen. Seit unserem letzten Gurkentest sind knapp fünf Jahre vergangen, in denen sich die Situation nicht groß verändert hat. Ein Grund: Gurken sind schädlingsanfällige Sensibelchen. Pestizidmittel, die gegen Insekten und Pilzwachstum wirken, werden deshalb immer noch reichlich gespritzt, obwohl Handelsketten und Erzeuger das Problem der Rückstände erkannt haben und beackern. Bei Paprika beispielsweise hat sich die Rückstandssituation schon deutlich verbessert.
Hauptsaison haben die Gurken im Sommer. Doch gekauft werden sie unabhängig von Saison und Tradition. Sie wachsen in der kalten Jahreszeit hauptsächlich unter Plastikplanen im spanischen Almeria. Über riesige Flächen entlang der Küste ziehen sich die hässlichen Treibhäuser aus Gestänge und Folie, in denen nicht nur Gurken, sondern auch Tomaten, Paprika und Auberginen wachsen.
ÖKO-TEST hat 39 Gurkenproben, zwölf davon in Bio-Qualität, aus elf Ladenketten in die Labore geschickt und auf zirka 500 Wirkstoffe untersuchen lassen. Alle Schlangengurken kommen aus Spanien, die meisten aus Almeria.
Das Testergebnis
Das von uns beauftragte Labor fand in 39 Gurkenproben 20 verschiedene Wirkstoffe, bis zu sieben in einer Probe. Nur zwei von 27 konventionellen, aber neun von zwölf Bio-Gurken sind ohne nachweisbare Rückstände. Rewe heißt diesmal der Spitzenreiter bei konventioneller Ware, Netto Marken-Discount ist das Schlusslicht und hat leider sogar eine Überschreitung der zulässigen Höchstmenge zu verbuchen. Bei der Bio-Ware gibt es viele Bestnoten; Alnatura fällt diesmal allerdings unangenehm auf.
Seit September 2008 regelt ein neues EU-Recht die gesetzlichen Höchstmengen für Pestizidrückstände. Im Zuge des globalen Handels war eine gemeinsame europäische Vorgabe lange überfällig, denn vorher hatte jedes Land seine eigenen Bestimmungen. Nachteil der neuen Verordnung: Viele in Deutschland geltenden Höchstmengen sind mit der Harmonisierung heraufgesetzt worden. Einige wenige wurden aber auch herabgesetzt.
In einer Probe von Alnatura fand unser Labor gleich drei Rückstände über dem vom Bundesverband Naturkost Naturwaren empfohlenen Orientierungswert für Bio-Ware von 0,01 Milligramm pro Kilogramm (mg/kg). Zwei der gefundenen Pestizidrückstände sind sogar nach dem Bewertungsmaßstab für konventionelle Ware erhöht. Zudem sollten die gefundenen Wirkstoffe Bifenthrin und Thiacloprid nach Ansicht der schwedischen Zulassungsbehörde wegen ihrer Giftigkeit verboten werden. In einer weiteren Probe von Alnatura steckte ein Rückstand über dem Bio-Orientierungswert. Immerhin eine Gurke war völlig rückstandsfrei. Dennoch bekommt Alnatura insgesamt nur ein befriedigend.
Rund die Hälfte der konventionellen Proben und eine Bio-Probe enthalten Rückstände, die mehr als zehn Prozent der Höchstmengen ausmachen; zweimal fanden die Labore Mengen über 50 Prozent. In einer Probe von Lidl war auch die sogenannte Akute Referenzdosis (ARfD) für einen Wirkstoff zu knapp über 50 Prozent ausgeschöpft. Der ARfD-Wert ist die Substanzmenge, die über die Nahrung innerhalb eines Tages oder mit einer Mahlzeit aufgenommen werden kann, ohne dass daraus ein mögliches Gesundheitsrisiko resultiert. Als Beispielperson dient ein Kleinkind, das innerhalb kurzer Zeit eine größere Menge Gurke isst.
In einer Probe der Marina Gurken von Penny steckte ein Rückstand des Wirkstoffs Procymidon, der Pilzwachstum hemmt. Die derzeit gültige Höchstmenge für den Stoff ist 1 mg/kg. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schlägt allerdings vor, die Höchstmengen für diverse Kulturen zu senken, weil die derzeitig gültigen Werte nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht sicher sind. Zudem ist die Zulassung des Stoffes Mitte 2008 ausgelaufen. Für Gurken ist nun eine neue Höchstmenge von 0,02 mg/kg vorgeschlagen. Wenn dieser Vorschlag akzeptiert wird - was in der Regel geschieht -, wäre die Gurke demnächst dann nicht mehr "gut", sondern "ungenügend"! Da die Gesetzesänderung vor Redaktionsschluss nicht amtlich ist, bekommt die Gurke und damit auch die Handelskette Penny keine Bewertung.
Man findet nur, wonach man sucht. Die Pestizidanalyse ist Detektivarbeit und muss immer wieder auf die entprechend verwendeten Stoffe angepasst werden. Für den Salatgurkentest haben wir beispielsweise eine Einzelmethode für den Wirkstoff Fosetyl-Aluminium neu in das Untersuchungsspektrum aufgenommen, weil es Hinweise auf eine illegale Anwendung im Bio-Anbau gab - und wurden prompt auch in einer Probe von Alnatura und in einer von Edeka (Bio Wertkost) fündig.
So reagierten die Hersteller
Alnatura teilte uns mit, dass die Rückstände nicht durch direkte Anwendung in die Gurken gelangt sein können, sondern durch indirekte Kontamination wie Verwehungen in der landwirtschaftlichen Erzeugung oder Abrieb im Bereich der Lagerung, des Transports oder der Verpackung. Die erste Erklärung kommentiert Maria Roth, Leiterin des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Stuttgart so: "Wir haben Untersuchungen gemacht, in denen wir sehr gut nachweisen konnten, dass Abdrift als Grund der Verunreinigung in Größenordnungen über den gesicherten 0,01 mg/kg eher nicht infrage kommt." Die zweite entkräftet sie auch: "Nach den Vorgaben der EU-Ökoverordnung muss bei der Lagerung und Weiterverarbeitung ökologisch angebauter Lebensmittel darauf geachtet werden, dass weder Vermischung mit konventionellen Lebensmitteln stattfindet, noch Rückstände durch kontaminierte Anlagenteile bei Verpackung und Transport auf die Bio-Produkte übergehen."
Edeka teilte uns mit, dass der Erzeuger der belasteten Bio-Probe ausschließlich im kontrolliert ökologischen Landbau aktiv ist und bisher in keiner Weise auffällig geworden ist. Der Vorgang sei der zuständigen Kontrollstelle in Spanien gemeldet worden und werde geprüft.
Fragen rund um Pestizidrückstände
Ist das neue EU-Pestizidrecht besser oder schlechter?
Es ist besser, dass es nun endlich in Europa einheitliche Regeln gibt. Aus Sicht des vorbeugenden Verbraucherschutzes ist es schlechter, dass die Höchstmengen teilweise angehoben wurden; auch wenn dadurch aus Behördensicht keine gesundheitliche Gefahr besteht. Die EU hat einige hochtoxische Pestizide verboten.
Warum dürfen die teilweise noch jahrelang weiterverwendet werden?
Fortpflanzungsgefährdende, krebserregende, erbgutverändernde und hormonell stark wirksame Substanzen sowie solche, die besonders umweltschädlich sind, sollen auf die Verbotsliste kommen. Sie haben in der Vergangenheit dennoch eine Zulassung erhalten, weil nach Einschätzung der zuständigen Behörden ein als sicher geltender Schwellenwert nicht überschritten wird. Der neue Beschluss, besonders toxische Stoffe mengenunabhängig zu verbieten, ist ein Schritt zu mehr Verbraucher- und Umweltschutz. Industriefreundlich sind hingegen lange Übergangsphasen, bis die neue Bestimmung auch greift. Zulassungen für Wirkstoffe werden jeweils für zehn Jahre vergeben, das bedeutet, dass einige Stoffe trotz Verbot noch bis 2018 in Gebrauch sein dürfen, weil sie erst vor Kurzem zugelassen wurden. Entsprechende Negativlisten der Handelsketten greifen hoffentlich schneller.
Ist eine Überschreitung der gesetzlichen Rückstandshöchstmenge sofort gesundheitsschädlich?
In der Regel nicht. Aber die Überschreitung einer Höchstmenge verstößt gegen geltendes Recht. Die Ware darf nicht mehr verkauft werden. Automatisch gesundheitsschädlich ist sie deswegen nicht, denn die Höchstmengen sind keine toxikologischen Werte, sondern werden aus Feldversuchen hergeleitet. In den meisten Fällen liegen sie weit unter der toxikologisch relevanten Menge. Manchmal hat sich aber erst nach Jahren herausgestellt, dass die festgesetzten Höchstmengen nicht ausreichen. Bis zum Jahr 2000 wurden sie beispielsweise nur auf der Grundlage langfristiger, durchschnittlicher Verzehrsmengen beurteilt und nicht bezüglich ihrer akuten Giftigkeit, wenn einmalig große Mengen verzehrt werden.
Was sind toxikologische Höchstmengen?
ADI steht für Acceptable daily Intake (duldbare tägliche Aufnahmemenge) und gibt die Menge eines Stoffes an, die ein Verbraucher täglich ohne erkennbares Gesundheitsrisiko aufnehmen kann. Mit dem ADI wird ein mögliches chronisches Risiko beurteilt. Die Akute Referenzdosis (ARfD) hingegen ist die Substanzmenge, die bei einmaligem Verzehr größerer Mengen nicht überschritten werden sollte. Beide Werte werden durch Tierversuche experimentell bestimmt. Sie gelten jeweils nur für Einzelstoffe und berücksichtigen das Problem der Mehrfachrückstände nicht.
Aktiv gegen Rückstände
Auch die Handelsketten sind strenger als der Gesetzgeber und haben eigene Qualitätskriterien. Die Lieferanten von Edeka haben beispielsweise kürzlich eine Wirkstoffrisikoliste für den Gebrauch von Pestiziden im Obst- und Gemüseanbau bekommen. Sie ist nach den Kategorien "unbedenklich", "kritisch" und "besonders kritisch" unterteilt. Für Lieferanten der Edeka-Eigenmarken gilt zudem bereits seit Jahren, dass die Produkte maximal 50 Prozent der geltenden Rückstandshöchstmengen ausschöpfen dürfen.
Minimierung
Ähnliche Kriterien haben alle anderen Handelsriesen auch. Aldi Süd fährt zum Beispiel seit Jahren ein mehrgleisiges System, das auf Erfahrungen der eigenen Qualitätssicherung aufbaut. Es gibt Vorgaben für die maximale prozentuale Auslastung von Höchstmengen (70 Prozent), für die maximale Auslastung der Akuten Referenzdosis (80 Prozent), die maximale Anzahl von Wirkstoffen (5) und einige kritische Wirkstoffe, die ausgeschlossen sind. Die übrigen Handelsketten fahren mit Abweichungen im Detail vergleichbare Strategien. Bei Höchstmengenüberschreitungen müssen die Lieferanten bei allen mit Auslistung und zeitweiligem Lieferstopp rechnen; manchmal gibt es schon vorher Sanktionen.
Sonderfall Lidl
Lidl tanzt aus der Reihe und lässt nur ein Drittel der gesetzlichen Höchstmenge zu. Als Beurteilungsgrundlage dienen sowohl die neue EU-Verordnung wie die bis September 2008 geltende deutsche Verordnung, je nachdem welche Höchstmenge geringer ist. Prinzipiell eine gute Idee, doch praktisch muss sich zeigen, ob sie umsetzbar ist. Die Festsetzung von Höchstgehalten ist ein kontinuierlicher Prozess, an dem Erzeuger sich orientieren. Sie müssen dann nicht nur die neuen, sondern auch die alten Regelungen kennen.