- Verbraucherinnen und Verbraucher zeigen großes Interesse an tiergerechteren Haltungsformen und erklären in Umfragen häufig ihre Bereitschaft, erheblich mehr Geld für entsprechende Produkte auszugeben – entscheiden sich beim Einkaufen aber meist für Produkte aus der industrialisierten Tierhaltung.
- Bei der Entscheidung gegen Produkte aus tiergerechten Haltungsformen spielen die höheren Kosten oft eine Rolle.
- Verbraucherinnen und Verbraucher verdrängen nicht selten, welche Konsequenzen ihr eigenes Kaufverhalten hat. Daher müssen die Zusammenhänge zwischen Milch und Kalb, Ei und Huhn, niedrigem Preis, Überdüngung und anderen Umweltbelastungen immer wieder in Erinnerung gerufen werden.
Für Verbraucher hat das Wohlbefinden von Tieren eine große Bedeutung. Diverse wissenschaftliche Studien und repräsentative Umfragen unterstreichen dies seit Jahren, sei es auf EU-Ebene oder im Rahmen des jährlichen Ernährungsreports der Bundesregierung.
Höhere Tierhaltungsstandards werden als bessere Qualität wahrgenommen, und laut den Umfragen ist die Mehrheit der Konsumenten bereit, dafür deutlich mehr Geld auszugeben. Viele Befragte legen außerdem Wert auf umweltschonende Produktionsmethoden und die regionale Herkunft ihrer Lebensmittel.
Dazu passt auf den ersten Blick, dass der Marktanteil ökologisch erzeugter Lebensmittel in den vergangenen Jahren in Deutschland kontinuierlich gewachsen ist. Im Coronajahr 2020 stieg der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland gegenüber dem Vorjahr sogar um rund 22 Prozent. Der gesamte Umsatz mit Bio-Lebensmitteln summiert sich inzwischen auf 15 Milliarden Euro. Das klingt nach Erfolgsgeschichte.
Bio-Marktanteil liegt nur bei 6,4 Prozent
Allerdings: Trotz der beachtlichen Zunahmen machen Bio-Lebensmittel insgesamt gerade mal 6,4 Prozent des gesamten Umsatzes mit Lebensmitteln aus. Zwar stammt in Deutschland inzwischen jedes achte Ei von einer Bio-Henne, und weitere 20 Prozent aller Eier werden von Hühnern in Freilandhaltung gelegt. Aber: Der Marktanteil von Bio-Fleisch ist nach wie vor gering, obwohl pandemiebedingt deutlich mehr Bio-Produkte gekauft wurden.
Weniger als vier Prozent der gesamten Fleischmenge stammen aus der ökologischen Landwirtschaft. Nur rund ein Prozent aller Verkaufserlöse beim Schweinefleisch entfällt auf ökologisch erzeugte Produkte, und auch beim Geflügelfleisch ist der Bio-Anteil mit 2,8 Prozent der Erlöse noch immer bemerkenswert klein.
Kluft zwischen Umfrageergebnissen und Kaufverhalten
Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf: Wie kommt es, dass die Bürger großes Interesse an tiergerechteren Haltungsformen bekunden und ihre Bereitschaft erklären, erheblich mehr Geld für entsprechende Produkte auszugeben – sich dann aber offensichtlich anders entscheiden? Es entsteht eine deutliche Kluft zwischen den Umfrageergebnissen und dem tatsächlichen Kaufverhalten der Menschen.
Seit mehr als 50 Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler mit diesem Phänomen. Gerade beim Fleischkonsum und bei Bio-Produkten hat sich dafür die Bezeichnung Consumer-Citizen-Gap, also Konsumenten-Bürger-Lücke, eingebürgert. Diverse Studien zeigen mehrere Gründe für diese Diskrepanz, die am Ende nicht nur die Bio-Branche trifft, sondern auch anspruchsvollere Markenfleischprogramme mit hohen Tierhaltungsstandards wie "Neuland" oder "Hofglück". Sie alle haben es bislang nicht geschafft, ihr Nischendasein zu überwinden.
Kosten spielen offenbar eine große Rolle
Als Grund für die Konsumenten-Bürger-Lücke gilt etwa, dass Menschen in Befragungen Antworten geben, die mit kulturell und sozial akzeptierten Werten übereinstimmen, auch wenn diese nicht ihrer tatsächlichen Meinung entsprechen.
Ein weiterer wichtiger Auslöser sind offenbar die großen Preisunterschiede zwischen Fleisch, Wurst und Käse aus der industrialisierten Tierhaltung und den Produkten aus tiergerechteren Haltungsformen. Dies legen zumindest jüngere Studien nahe, in deren Rahmen Forschende das konkrete Einkaufsverhalten untersuchten und dafür Waren aus verschiedenen Kategorien anboten.
Dabei zeigte sich beispielsweise, dass nur ungefähr jeder sechste Kunde aus eigenem Antrieb Fleisch aus besserer Tierhaltung mit etwas höherem Preis wählt. Am Ende siegt offensichtlich häufig der Wunsch, Geld zu sparen, obwohl der Wille besteht, andere Tierhaltungsformen zu unterstützen.
Manche Beobachter sehen darin eine regelrechte kognitive Dissonanz, also einen psychischen Spannungszustand, den Kunden vermeiden wollen, indem sie bestimmte Informationen ausblenden, beispielsweise zum Leid der Tiere oder den Umweltbelastungen durch die industrialisierte Landwirtschaft. Möglicherweise trägt aber auch schlichte Überforderung zur fehlenden Konsequenz der Konsumenten bei.
Niedrigpreise versus Tierwohl
Inzwischen ist bekannt, dass eine tiergerechtere Haltung Aufpreise von durchschnittlich 40 bis 60 Cent pro Kilogramm Fleisch notwendig macht, zum Beispiel in Form einer Tierwohlabgabe. Damit ließen sich der höhere Arbeitsaufwand und andere Ställe finanzieren.
Außerdem lässt sich zeigen, dass die wirklichen Kosten, die sich hinter den niedrigen Preisen für konventionell erzeugte Ware verbergen, ohnehin viel höher sind, etwa wegen der Gewässerbelastungen oder der Klimafolgen. Würden diese Kosten, die zurzeit auf die gesamte Gesellschaft umgelegt werden, in den Preis einfließen, dann wären gerade die Produkte aus der konventionellen und industrialisierten Landwirtschaft viel teurer als der aktuelle Ladenpreis.
Insofern kann man zu der Schlussfolgerung kommen, dass die niedrigen Lebensmittelpreise zahllose Konsumenten zu Mittätern an fragwürdigen Tierhaltungen und Produktionsmethoden machen.
Zusammenhang zwischen Verbrauch und Nebenprodukten
Eine weitere Ursache für die geschilderte Kluft zwischen Absicht und Umsetzung beim Kauf von Lebensmitteln ist wahrscheinlich aber auch: Vielen Menschen ist der Zusammenhang zwischen ihrem eigenen Verbrauch von Eiern, Milch oder Käse und den dabei übrig gebliebenen Bullenkälbern oder Suppenhühnern nicht mehr präsent.
Wer regelmäßig Eier isst, müsste konsequenterweise mindestens einmal im Jahr ein Suppenhuhn verzehren, das als Nebenprodukt der Eiererzeugung anfällt und am Ende seines Lebens häufig verramscht wird.
Ähnliches gilt für Milch und Milchprodukte. Rein rechnerisch sollte jeder, der circa 80 Liter Milch – oder ungefähr acht Kilogramm Käse – konsumiert, wenigstens ein Kilo Jungrinderfleisch nutzen, das bei der Milchproduktion zwangsläufig entsteht. Plus Produkte von geschlachteten Altkühen, über die niemand spricht.
Schließlich kommt noch hinzu, dass Verbraucher häufig nicht erkennen können, wie die Tiere tatsächlich leben oder gelebt haben. Es gibt zwar eine Vielzahl von Markenprogrammen und Siegeln – übersichtlich ist die Situation aber schon lange nicht mehr. Das trägt am Ende gar zu einem Vertrauensverlust bei.
Es wird wenig Bio-Fleisch gekauft
Die Zurückhaltung der Konsumenten beim Kauf von Bio-Fleisch bedeutet letzten Endes außerdem, dass Bio-Betriebe auf eine wichtige Einkommensmöglichkeit verzichten müssen. Der Anteil von Fleisch an den Produkten der Bio-Betriebe ist nur halb so hoch wie in der konventionellen Landwirtschaft.
Und das, obwohl Tiere für viele Bio-Betriebe nahezu unersetzlich sind, um geschlossene Hof- und Stoffkreisläufe zu erreichen, also wegen der organischen Düngemittel und um die bodenverbessernden pflanzlichen Kulturen in der Fruchtfolge nutzen zu können.
Deshalb führt kein Weg daran vorbei, die Zusammenhänge zwischen Milch und Kalb, Ei und Huhn, niedrigem Preis, Überdüngung und anderen Umweltbelastungen immer wieder in Erinnerung zu rufen. Auch wenn viele Menschen einfach nur mühelos und mit gutem Gewissen einkaufen wollen. Bei der Art und Weise, wie Lebensmittelproduktion und -vermarktung derzeit geschieht, ist gerade das zumindest für tierische Lebensmittel kaum möglich.
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