Mailand, 7.30 Uhr. Massimo schiebt sich durch Menschen, bis er am Tresen an der Bar angekommen ist. Seinen ersten Espresso trinkt er im Stehen, bevor er ins Büro fährt. Sibylle lässt um kurz vor acht in Köln ihren Filterkaffee durchlaufen, Åsa freut sich in Göteborg am späten Vormittag auf ihre Fika – die Kaffeepause – mit den Kollegen und, wenn alles gut geht, frische Kardamomschnecken.
Wiener Einspänner, türkischer Mokka, Eiskaffee, Latte macchiato – Kaffee und all die dazugehörigen Spezialitäten prägen unseren Alltag. Doch damit könnte in nur wenigen Jahrzehnten Schluss sein. Der Klimawandel bedroht den Kaffeeanbau weltweit.
Anbauflächen von Kaffeepflanzen werden kleiner
Mit neuen Anbaustrategien und Züchtungen versuchen die Akteure gegenzusteuern. Doch die geeigneten Anbauflächen werden kleiner. Selbst wenn Kaffee nicht gänzlich verschwinden sollte, könnte er doch zu dem werden, als was er in Europa begann: zum Luxusgut für die Oberschicht.
Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wird Kaffee weltweit auf mehr als 110.000 Quadratkilometern angebaut. Rund 60 Prozent entfallen auf die Sorte Arabica, die in höheren Lagen wächst, 40 Prozent auf Robusta. Andere der mehr als 120 bekannten Sorten spielen keine signifikante Rolle.
Kaffeepflanzen sind anspruchsvoll
Die Pflanzen sind empfindlich. Sie benötigen bestimmte Temperaturen, Wassermengen und Böden. Das macht sie anfällig für Veränderungen des Klimas. Und die sind bereits heute sichtbar. Mal ist es zu viel Regen, mal Trockenheit, mal Hitze, mal Kälte.
So tötete dieses Jahr Frost in Brasilien zahlreiche Pflanzen und hinderte andere am Wachsen. "Bei zu viel Hitze reifen die Bohnen zu schnell und entwickeln weniger nuancierte Säuren und Zucker, was die Qualität beeinflusst", erklärt Hanna Neuschwander, Leiterin für Strategie und Kommunikation bei World Coffee Research.
Auch die Zahl der Bohnen geht dann zurück. Zu wenig Regen, und die Pflanze produziert keine reifen Früchte. "Zu viel, und die Wurzeln verrotten, Nährstoffe werden aus dem Boden gespült und Hänge rutschen ab", nennt sie weitere Beispiele.
Viele Kaffeeplantagen befinden sich an steilen Hängen und sind bedroht. Kommt der Regen in der falschen Jahreszeit, kann er zudem Blüten von den Pflanzen schlagen, reife Früchte verrotten am Ast.
Forscher stellen dunkle Zukunftsprognosen
Viele Untersuchungen zeigen: Es wird eng. Zwar räumen Wissenschaftler Robusta kurzfristig sogar klimawandelbedingte Chancen ein. Aber langfristig sieht es für beide Sorten schlecht aus.
Besonders pessimistisch sind Forscher der Royal Botanic Gardens in Kew. Sie haben auf Basis dreier Szenarien des Weltklimarats nachgerechnet: Im positiven Fall gehen bis 2080 rund 65 Prozent der Anbaufläche verloren, im schlimmsten bis 2100 ganze 99,7 Prozent des heutigen Verbreitungsraums – ein Albtraum in Zeiten steigender Nachfrage.
So verweist Transfair auf Prognosen, dass die derzeit verfügbare Anbaufläche um den Faktor 2,5 mehr als verdoppelt werden müsste, um den wachsenden Bedarf zu bedienen. Das ist schlicht nicht möglich.
Anbau von Kaffeepflanzen verschiebt sich in die Höhe
Angesichts der dramatischen Lage ist es kein Wunder, dass Wissenschaftler nach Lösungen suchen. Schließlich wollen auch sie ihre Labore mal für eine Kaffeepause verlassen können, ohne gleich ihr Monatsgehalt dafür zu zahlen.
Eine Möglichkeit ist, in neue, bislang ungenutzte Regionen vorzudringen. Tatsächlich hat die FAO langsame Verschiebungen in höhere und kühlere Regionen beobachtet. Neuschwander ist sich sicher, dass es künftig einfacher wird, in Kalifornien und Florida Kaffee anzubauen.
Neue Plantagen erfordern Geld und Wissen
Schon heute ernten Bauern in Kalifornien und auf Hawaii Bohnen – und verkaufen sie zu horrenden Preisen für 80 beziehungsweise 20 US-Dollar das Pfund. Zum Vergleich: Der globale Durchschnittspreis beträgt keine zwei Dollar.
"Es ist faszinierend, über neue Kaffeestandorte nachzudenken und sogar neue zu sehen, aber das ist alles in einem sehr kleinen Maßstab und dürfte so bleiben", sagt Neuschwander.
Näher am tropischen Kaffeegürtel gelegene Länder bieten sich bereits heute als Ausweichflächen an. Aber neue Plantagen anzulegen, erfordert Geld und Wissen, das vor Ort häufig nicht vorhanden ist.
Rodungen von Gipfeln schaden der Umwelt
Arabica-Bauern sind zudem versucht, ihre Anbaufläche die Berghänge entlang nach oben zu verschieben, weiß Tyler Ferdinand, Spezialist für Widerstandsfähigkeit im Agrarsektor beim World Resources Institute (WRI), und warnt: "Bewaldete Gipfel haben eine hohe Biodiversität, sind essenziell für die Wassereinzugsgebiete und andere ökosystemrelevante Faktoren und entscheidende CO2-Senken."
Hier mit der Säge durchzugehen und Plantagen anzulegen, hat gravierende Folgen für die Umwelt. Kurzfristig besteht für Arabica-Bauern eine Übergangslösung – sie wechseln zu Robusta. Langfristig ist das jedoch keine Lösung. Einige Wildkaffeearten wie Stenophylla haben eine höhere Hitzetoleranz als Robusta und Arabica.
Forscher züchten klimaresistente Kaffeepflanzen
Wissenschaftler versuchen jetzt, widerstandsfähigere und besser an den Klimawandel angepasste Pflanzen zu züchten. Ein Beispiel ist das Kaffeeinstitut Icafe in Costa Rica. Forscher kreuzen hier bekannte Sorten oder mischen Pflanzen aus anderen Ländern bei, zum Beispiel aus Brasilien.
Die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt das Programm. Sie bringt Kleinbauern neue, klimaresistente Sorten näher und zeigt, wie sie geeigneten Dünger einsetzen.
"Eine Reihe von Kaffeearten hat Eigenschaften, die es ihnen erlauben, in trockeneren und feindlicheren Umgebungen zu wachsen", sagt Aaron Davis, Kaffeeforscher in den Royal Botanic Gardens in Kew. Aber er warnt, wenn diese Arten verloren gehen, gehen auch Optionen für Züchtungen verloren.
75 Kaffeesorten sind vom Aussterben bedroht
Die Gefahr ist real. Zwar existieren mehr als 120 Arten auf der Erde. Da könnte genügend Material für Experimente vorhanden sein. Aber nicht mehr lange.
"Insgesamt 75 Arten sind vom Aussterben bedroht", erläutert Craig Hilton-Taylor, Leiter der Abteilung Rote Liste bei der International Union for Conservation of Nature. Darunter auch Arabica. Noch würden Kaffeetrinker den Verlust wilder Sorten nicht bemerken.
Klimaresistente Kaffeepflanzen an Bauern verteilt
Nestlé, einer der Großen im Kaffeemarkt, hilft den Bauern mit Technik und schult sie darin, ihre Felder mit verbesserten Pflanzen zu erneuern.
Nach Angaben einer Sprecherin hat das Unternehmen seit 2010 mehr als 235 Millionen Setzlinge dieser optimierten Kaffeepflanzen an Kaffeebauern in aller Welt verteilt. Hinzu kommen Investitionen in die Forschung. Das Arabica- und Robusta-Zuchtprogramm bringe neue und leistungsfähigere Sorten hervor.
Nach eigenen Angaben hat Nestlé dadurch bislang 15 neue Arabica- und Robusta-Sorten in fünf kaffeeproduzierenden Ländern registriert und für die Kaffeebauern verfügbar gemacht. Diese seien resistenter gegen Schädlinge und Krankheiten und könnten sich besser an die neuen klimatischen Bedingungen anpassen.
Schattenbäume können Kaffeepflanzen schützen
Thomas Busjan, verantwortlich für den Kaffeeeinkauf beim Bio-Unternehmen Lebensbaum, setzt auf lokale Lösungen: "Der Klimawandel wirkt sich in Äthiopien anders aus als auf der Finca unseres Anbaupartners in Mexiko." Ein wichtiger Faktor seien Schattenbäume. Sie bilden eine Schutzschicht von oben, vor zu viel Sonne oder zu viel Regen. Die Extreme sind beim Klimawandel für den Kaffeeanbau das Problem.
"Die Bäume und ein guter Boden federn diese Extreme ab, sie sind unsere Versicherung gegen mögliche Klimaverluste", hofft Busjan. Auch Lebensbaum setzt auf neue Züchtungen. Genetische Veränderungen hingegen lehnt Busjan ab.
Auf neue Regionen auszuweichen, sei bei Robusta zwar in Teilen möglich, bei Arabica hingegen ist er skeptisch: "Das ist ein Hochlandkaffee. wenn wir jetzt bei steigenden Temperaturen mit dem Anbau nach oben ausweichen, weil es da kühler ist, werden die Flächen immer kleiner – das liegt ganz einfach an der Form der Berge."
Qualitätsunterschiede bei verbesserten Kaffeepflanzen
Das faire Handelsunternehmen Gepa unterstützt die Kaffeeproduzenten vor Ort. Diese bekommen zudem Hilfe von ihren Regierungen.
Das kann gut gehen wie im Fall von Honduras. Die Kaffeepflanzer führten in den vergangenen Jahren mit breiter Unterstützung von Regierungsprogrammen neue Kaffeesorten und neue Züchtungen ein, die resistent gegen Krankheiten und ertragsfähiger sind.
Eine davon nennt sich Lempira – eine Hybridzüchtung. "Diese neue Züchtung hat dazu geführt, dass Honduras in der Rangliste als Kaffeeanbauland aufgestiegen ist", berichtet Kleber Cruz Garcia, Einkaufsmanager bei Gepa.
Es kann aber auch schief gehen wie im Norden Perus. Die Regierung empfahl resistentere Pflanzen, die aber eine schlechtere Qualität liefern. Die Genossenschaft vor Ort, die Gepa beliefert, versucht nun, die Bauern von den zuvor angepflanzten, höheren Qualitäten zu überzeugen. "Das ist eine sehr mühsame Arbeit", weiß Cruz Garcia.
Für viele Kaffeebauern geht es ums Überleben
Zumal sich die Bauern entscheiden müssen: mehr Qualität oder bessere Resistenz. Für viele Kaffeebauern geht es zudem ums Überleben. Einfach in andere, weniger stark vom Klimawandel betroffene Regionen zu ziehen und von vorn anzufangen, ist für viele keine Option.
Daher setzen manche bereits auf einen anderen Weg: Sie verabschieden sich vom Kaffee. So bauen Landwirte in Gegenden von Costa Rica, in denen es zu warm für die empfindlichen Pflanzen geworden ist, jetzt Zitrusfrüchte an.
Das WRI hat eine ähnliche Maßnahme für Äthiopien durchgerechnet: Wenn die Kaffeebauern dort von Arabica zu Vanille wechseln, erzielen sie bis 2050 einen zusätzlichen Gewinn von 15,8 Milliarden US-Dollar.
Klimawandel macht Kaffeepflanzen anfällig
Im Klimawandel bedrohen nicht nur andere Wetterverhältnisse den Kaffee, er fördert auch Krankheiten und Schädlinge. So tritt seit ein paar Jahren der Kaffeerost verstärkt auf, der schlimmstenfalls die komplette Ernte vernichtet.
Im Verlauf der Krankheit verlieren auch ursprünglich resistente Sorten ihre Resistenz, heißt es bei Nestlé: "Für die zukünftige Kaffeeversorgung und die Sicherung des Lebensunterhalts der Kaffeebauern ist es daher wichtig, immer bessere und resistentere Kaffeepflanzen in der Innovations-Pipeline zu haben."
Niedriger Kaffeepreis ist Mitschuld an Pilzbefall
Cruz Garcia sieht die Schuld an der Verbreitung von Kaffeerost allerdings weniger beim Klimawandel, sondern vielmehr beim niedrigen Kaffeepreis: "Wenn die Kosten des Kaffeeanbaus die Einnahme aus dem Verkauf übersteigen, werden die Kaffeepflanzen nicht gepflegt, mit Düngemittel nicht versorgt, das Unkraut nicht entfernt, die Insekten nicht bekämpft."
Dadurch steigt die Anfälligkeit. Der Klimawandel verstärkt das Phänomen lediglich. "Bei steigender Temperatur und höherer Feuchtigkeit hat der Kaffeerost schwache und alte Kaffeepflanzen gefunden, die zu einer schnellen Verbreitung des Pilzes beigetragen haben", sagt Cruz Garcia. So habe der Klimawandel die schlechte ökonomische Situation der kleinen Bauern verstärkt.
Kaffee-Nachfrage aus Asien und Mittlerem Osten steigt
Auf Kaffeetrinker kommt einiges zu. Ob sich die Qualität im Durchschnitt langfristig verschlechtern wird, ist nicht abzusehen. Aber teurer wird es auf jeden Fall. Bereits dieses Jahr haben zahlreiche Röstereien wegen des gestiegenen Preises an den Börsen ihre Preise erhöht.
Seit ein paar Jahren kommt die steigende Nachfrage aus Asien und dem Mittleren Osten hinzu. Nach Angaben des Columbia Center on Sustainable Investment liegt der Pro-Kopf- Verbrauch dort bei zwei Kilogramm pro Jahr, in reifen Märkten bei sieben.
Kaffee wird wohl wieder zum Luxusprodukt
Es besteht folglich großes Aufholpotenzial bei gleichzeitig schrumpfenden Anbauflächen. Allein wenn nur jeder zehnte Chinese auf Kaffee umschwenkt, wären das rund 200 Millionen Kaffeetrinker.
Mit anderen Worten: Kaffee wird in den kommenden Jahrzehnten deutlich teurer werden und wahrscheinlich wieder zu dem, was das Getränk einmal war – ein Luxusgut und Genussmittel für besondere Anlässe.
Das könnte Sie auch interessieren: In unserem Kaffee-Test haben wir 20 gemahlene Kaffeeprodukte untersucht. Das Ergebnis: Rund die Hälfte der analysierten Kaffees fällt wegen krebsverdächtiger Stoffe und mangelnden Bemühungen um Klimaschutz und Menschenrechte durch. Nur ein Produkt ist mit der Note "gut" empfehlenswert.
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