"Greenwashing schadet": Das Interview zum ÖKO-TEST-Buch

Kerstin Scheidecker und Katja Tölle zu "Gibt's das auch in Grün?"

Magazin Februar 2024: Orangensaft | Autor: Annette Dohrmann | Kategorie: Freizeit und Technik | 25.01.2024

"Greenwashing schadet": Das Interview zum ÖKO-TEST-Buch
Foto: ÖKO-TEST

Wie wir wirklich grüne von nur vermeintlich grünen Produkten unterscheiden können – das zeigt das neue ÖKO-TEST-Buch "Gibt’s das auch in Grün?". Die Autorinnen Kerstin Scheidecker und Katja Tölle erklären, warum sie Greenwashing so sehr ärgert, dass sie darüber gleich ein ganzes Buch geschrieben haben.

Am 7. Februar 2024 erscheint das neue ÖKO-TEST Buch "Gibt's das auch in Grün?". In einem Vorab-Interview verraten die Autorinnen Kerstin Scheidecker und Katja Tölle warum sie Greenwashing so ärgert und was Leserinnen und Leser von dem Buch erwarten können. 

ÖKO-TEST: Monatlich ein Magazin, dazu im Verlauf des Jahres mehrere Sonderhefte und Jahrbücher, eine Website und soziale Medien – das Team von ÖKO-TEST ist auf vielen Kanälen präsent – warum jetzt noch ein Buch?

Kerstin Scheidecker: Weil das Thema Greenwashing so wichtig ist. Ja, wir schreiben darüber regelmäßig in anderen Veröffentlichungen – aber gesammelt zu sehen, dass sich diese grünen Lügen durch alle Produktsparten ziehen, das ist schon etwas ganz anderes.

Ob T-Shirts, Honig, Chicken Nuggets oder Gesichtscremes: Überall trickst die Industrie, überall versucht sie, uns Produkte für grüner zu verkaufen, als sie sind. Und überall stammen die Rohstoffe oft aus Ländern wie China, Indien oder Paraguay und werden hierher verschifft. Einfach weil das günstiger ist, als sie hier zu produzieren.

(Foto: ÖKO-TEST)

Es muss günstiger werden, sich ökologisch zu verhalten 

Und was brennt Euch an dem Thema so auf den Nägeln, dass Ihr es zu einem Buchprojekt gemacht habt?

Katja Tölle: Es ist doch ein Skandal: Fast immer, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher sich ökologischer, fairer, sozialer verhalten wollen, müssen sie tiefer in die Tasche greifen. Das T-Shirt aus Bio-Baumwolle, hergestellt in Portugal, ist teurer als das chinesische Croptop, das teils weniger als ein Cappuccino kostet. Der regionale Bio-Honig aus dem Hunsrück kostet viel mehr als der aus fünf Ländern zusammengemischte und hierher verschiffte. Und auch für die regionale Öko-Hafermilch müssen wir tiefer in die Tasche greifen als für die konventionelle Kuhmilch. Das ärgert uns.

Wir wollen mit unserem Buch auch darauf aufmerksam machen, dass Politik und Industrie die Verantwortung nicht auf uns Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen können. Die Politik muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass es günstiger wird, sich ökologisch zu verhalten. Und die Industrie muss aufhören, ihre Produkte als grüner zu verkaufen, als sie sind, und anfangen, wirklich ökologischere Produkte anzubieten.

Mit grünen Versprechen meint Ihr "klimaneutrale" Produkte, Bioplastik und Ökostrom – ist es nicht gut, dass Unternehmen sich immer mehr bemühen, ihren Beitrag zum Klima- und Umweltschutz zu leisten?

Scheidecker: Klar! Wenn sie das wirklich tun, ist das großartig. Nur: Viele werben großflächig mit ihren angeblichen Bemühungen, und wenn man genau hinschaut, dann steckt da wenig bis nichts dahinter. Als "klimaneutral" bewerben beispielsweise viele ihre Produkte, wenn sie die entstehenden Treibhausgase ausgleichen – mit Zertifikaten. Einfach erklärt: Ich bezahle jemanden dafür, dass er hoffentlich irgendwo auf der Welt einen Baum pflanzt, der hoffentlich so lange lebt, dass er meine Treibhausgase rechnerisch ausgleicht.

Es gibt keine klimaneutralen Produkte

Aber einen Baum zu pflanzen ist doch erst mal gut?

Tölle: Natürlich ist es gut, wenn Unternehmen Bäume pflanzen lassen. Aber dafür den Eindruck zu erwecken, dass das Produkt, das sie herstellen, CO₂-neutral sei – das ist halt Greenwashing. Und das ärgert uns. Es gibt keine klimaneutralen Produkte.

Und bei uns Verbraucherinnen und Verbrauchern den Eindruck erwecken zu wollen, dass unser Konsum keinen Einfluss auf das Klima hat, das ist grundfalsch. Jeder Kauf jeden Produkts hat einen Einfluss. Und wenn wir am Supermarktregal plötzlich nicht mehr erkennen können, welches Produkt bloß auf Grün macht und welches wirklich besser für die Umwelt ist, dann kaufen wir vielleicht das falsche – das mit der schlechteren Ökobilanz.

Und das regionale Bio-Produkt daneben bleibt stehen?

Scheidecker: Genau. Denn so eine "klimaneutrale" Kuhmilch, die kann schon einmal besser klingen als eine Bio-Hafermilch aus der Region. Dabei ist Bio ein Begriff, der zumindest im Lebensmittelbereich wirklich geschützt ist. Und Hafermilch ist per se besser für die Umwelt als Kuhmilch. Diese Unterschiede, die verwischt Greenwashing aber. Und genau deswegen schadet Greenwashing: Es bremst die nachhaltige Entwicklung.

Und das Schlimmste ist, dass viele Unternehmen, die ihre Produkte als "klimaneutral" bewerben, ihren eigenen Ausstoß von Treibhausgasen nicht einmal reduzieren, sondern sich allein auf dem Kauf meist sehr billiger Zertifikate ausruhen.

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Umweltsünden können sich hinter Nichtangaben verstecken 

… weil echter Klimaschutz teurer ist.

Scheidecker: Ja, genau! Wenn ich echten Klimaschutz betreiben will, dann muss ich den Ausstoß von Treibhausgasen wirklich auch reduzieren – und diese Maßnahmen, die sind natürlich viel, viel teurer als die Zertifikate, die es schon für ein paar Euro gibt.

Geht es bei Greenwashing nur um das, was auf den Produkten draufsteht? 

Tölle: Das ist zumindest der aktive Teil, ja. Aber oft geht es auch genau darum, was nicht auf den Produkten steht. Nehmen wir Ketchup. Wenn wir einen Ketchup in der Hand halten, der überhaupt nicht mit einer italienischen oder amerikanischen Herkunft beispielsweise wirbt und dann möglicherweise noch sehr günstig ist, dann ist die Chance hoch, dass in diesem Ketchup chinesische Tomaten stecken.

In dem Fall ist es also eine Nichtangabe, die die Umweltsünde versteckt: Die Herkunft der Tomaten ist nicht deklariert. Weil sie in den allermeisten Fällen auch gar nicht deklariert werden muss – da kommt wieder die Politik ins Spiel, die der Industrie hier noch ziemlich viel Freiraum lässt.

Die Herkunft von Tomaten für Tomatenketchup muss nicht deklariert werden. Verbraucher können so nicht wissen woher die Tomaten stammen.
Die Herkunft von Tomaten für Tomatenketchup muss nicht deklariert werden. Verbraucher können so nicht wissen woher die Tomaten stammen. (Foto: Sergey Ryzhov/Shutterstock )

EU hat Greenwashing auf dem Schirm 

Gibt es keine Gesetze, die so etwas verbieten?

Scheidecker: Nicht genug. Und die, die es gibt, gehen nicht weit genug. Außerdem sind sie oft so kompliziert, dass der Nutzen für die Verbraucherinnen und Verbraucher am Ende nur gering ist. Nehmen wir die chinesischen Tomaten: Der Hersteller darf sogar mit einer vermeintlich italienischen Herkunft dieser Tomaten werben. Er darf ein italienisches Fähnchen auf die Verpackung malen, daneben schreiben "pomodori di nonna".

In diesem speziellen Fall muss er lediglich im Kleingedruckten darauf verweisen, dass die Tomaten nicht aus Italien stammen – diese Nichtangabe, die reicht aber völlig. Und wenn er nicht mit einer vermeintlich italienischen Herkunft wirbt, dann braucht er überhaupt keinen Hinweis auf die Verpackung zu schreiben. Das muss man als Verbraucherin, als Verbraucher aber alles erst einmal wissen – einfach macht es uns weder die Industrie noch die Politik.

Aber die EU will Greenwashing doch künftig verbieten?

Scheidecker: Mit der sogenannten Green-Claims-Richtlinie will die EU viele dieser wenig bis nichts sagenden Umweltaussagen wie "eco-friendly" oder "korallenfreundlich" verbieten. Das ist ein großer Schritt, wir verfolgen sehr gespannt, wie streng genau das Gesetz am Ende sein wird, sind aber erst einmal froh, dass die EU das Thema auf dem Schirm hat.

Industrie wird neue Wege finden 

Braucht es dann überhaupt noch ein Buch über Greenwashing?

Tölle: Auf jeden Fall. Erst einmal ist noch überhaupt nicht klar, wann das Gesetz kommen und wie streng es in seiner Endfassung sein wird. Hinzu kommt aber auch: Die Industrie ist erfinderisch. Es wird immer Versuche geben, Produkte umweltfreundlicher aussehen zu lassen, als sie tatsächlich sind. Das Ende von Greenwashing wird damit nicht besiegelt sein – und deswegen wird uns die Arbeit so schnell auch nicht ausgehen.

Hand aufs Herz: Bei welchen Gelegenheiten würdet Ihr Euch am liebsten einfach mal auf all die verlockenden, grünen Versprechen verlassen, statt immer unbequem nachzuhaken?

Scheidecker (lacht): Oh, ständig. Es ist ja bequem, sich auf diese grünen Versprechen zu verlassen. Und verlockend, beim Kauf einfach ein gutes Gewissen zu haben. Aber wenn man diese Lügen einmal durchschaut hat, dann fällt das schwer. So fest kann man die Augen dann kaum noch zudrücken …

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Man entwickelt in diesem Job ja gewisse "Berufskrankheiten", etwa das unwillkürliche Scannen von Inhaltsstofflisten. Könnt Ihr nach so vielen Jahren bei ÖKO-TEST überhaupt noch unvoreingenommen shoppen?

Tölle: Na ja, im Supermarkt das Kleingedruckte lesen, E-Nummern googeln und INCI-Listen prüfen – das gehört beim Einkauf schon irgendwie dazu. Aber klar: Immer kann man das gar nicht durchhalten. Oft muss es ja auch schnell gehen. Und dann landet auch schon einmal ein Produkt im Einkaufswagen, bei dem ich mich hinterher ärgere. Aber mit den Tipps aus unserem Buch wird es leichter, auch schnell zu den "richtigen" Produkten zu greifen, die einen weniger schädlichen Einfluss auf die Umwelt haben.

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