Dauern Rückenschmerzen länger als drei Monate lang an, sprechen die Ärzte nicht mehr von akuten, sondern von chronischen Schmerzen. Dabei geht es nicht nur um eine veränderte Wortwahl. Tatsächlich hat sich mit der Zeit auch der Schmerz geändert. Er hat sich selbstständig gemacht, ist zu einer eigenständigen Krankheit geworden.
Bei einem Drittel der Patienten mit akuten Rückenschmerzen besteht die Gefahr, dass die Beschwerden chronisch werden. Die Schmerzen treten immer häufiger auf, dauern immer länger und werden zudem stärker. Trotzdem lässt sich nur selten eine körperliche Ursache finden. Das macht es für Arzt und Patient nicht einfacher. Der Patient will wissen, woher die Beschwerden kommen, verlangt nach einer Ursache, die sich dann aussichtsreich bekämpfen lässt. Der Arzt kann ihm eigentlich nicht mehr bieten als den Begriff "unspezifische Rückenschmerzen". Da ist die Versuchung groß, das Rad der Untersuchungen und Therapien zu überdrehen, alles Mögliche zu versuchen und schließlich eine vermeintlich körperliche Ursache zu operieren.
Dahinter steckt eine fast 400 Jahre alte Idee. Der französische Philosoph René Descartes stellte sich 1632 die Nervenbahnen als langen Klingelzug vor. An einem Ende zieht, zerrt, reibt oder drückt etwas. Am anderen Ende, im Gehirn, bimmelt der Schmerz Alarm. Diese mechanistische Idee, dass es zu jedem Schmerz auch einen Auslöser geben muss, den es zu finden und auszuschalten gilt, stimmt aber nicht. Die Übermittlung von Schmerzen durch die Nerven und die Verarbeitung der Schmerzsignale durch das Gehirn ist ein sehr komplexer Prozess. Wie ein Mensch Schmerzen wahrnimmt und damit umgeht, hängt nicht nur von körperlich-biologischen Vorgängen ab, sondern auch davon, ob sein soziales Umfeld intakt ist oder ob er Stress bei der Arbeit hat. Auch die Persönlichkeit, die Selbsteinschätzung, die Erziehung und angelerntes Verhalten können Schmerzen beeinflussen.
Es ist also nicht nur der Rücken, der schmerzt. "Bei der Chronifizierung spielen psychosoziale Faktoren nach unserem jetzigen Kenntnisstand die Hauptrolle", sagt Professor Monika Hasenbring, Leiterin der Psychotherapeutischen Schmerzambulanz an der Ruhr-Universität Bochum. "Wenn wir um diese Faktoren wissen, können wir mit mehr als 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob die Schmerzen aufgrund psychosozialer Faktoren chronisch werden." Sie hat computergestützte Fragebögen entwickelt, mit deren Hilfe der Arzt zusammen mit dem Patienten das Risiko ermitteln und gegensteuern kann.
Als besonders riskant gelten in den Leitlinien bestehende depressive Erkrankungen, negativer Stress, insbesondere im Beruf, sowie bestimmte, auf den Schmerz bezogene Verhaltensweisen. Wer bei Schmerzen sofort in Katastrophenstimmung verfällt, alle Hoffnung fahren lässt und sich vor Angst nicht mehr bewegt, lädt die Schmerzen geradezu dazu ein, chronisch zu werden. Aber auch Menschen, die nicht auf die Warnsignale ihr...