Oft wissen wir ja, warum uns der Rücken wehtut. Am ersten warmen Märzwochenende etwa wird der Garten aus dem Winterschlaf geweckt. Das Gemüsebeet umgegraben, Unkraut gejätet, Säcke voller Erde gewuchtet. Der Hobbygärtner tobt sich aus - und quält sich am Montag steif und mit schmerzendem Rücken ins Büro. Klarer Fall: zuviel gebuckelt, ungewohnte Bewegungen. Ganz anders am Freitag, wenn wir uns nur mühsam aus dem Bürosessel hochwuchten. Zuwenig Bewegung gehabt, viel gearbeitet, den Projektabgabetermin im Nacken. Jetzt zieht es nicht nur im Kreuz, sondern auch die Schultern sind verspannt und hart wie ein Brett. Eine Runde Schwimmen und dann eine zärtliche Massage, das wär's! Statt dessen wartet der Abendtermin, vorher noch einkaufen. Schmerzmittel nicht vergessen.
Oft scheint es so, als seien die häufigen Rückenschmerzen eine Begleiterscheinung der modernen Zivilisation - das Ergebnis von zu viel Stress, zu viel Sitzen, zu wenig Bewegung. Von wegen: Als der junge Doktorand Roger T. Anderson von der Michigan State University 1984 die Verbreitung von Rückenschmerzen im ländlichen Nepal erforschte, machte er eine interessante Entdeckung. Die Nepalesen litten noch häufiger an Rückenschmerzen als die Menschen in Industrieländern. 44 Prozent der Befragten hatten zur Zeit des Interviews Kreuz- oder Nackenschmerzen. Was den späteren Professor für öffentliches Gesundheitswesen aber äußerst erstaunte: Kaum einer der Befragten fühlte sich deswegen arbeitsunfähig. Die Menschen akzeptierten die Schmerzen als Teil ihres Lebens und kümmerten sich wenig darum.
Das Beispiel aus Nepal ist eines von mehreren, die der renommierte britische Orthopäde Gordon Waddell in seinem 1998 erstmals erschienenen Buch The Back Pain Revolution (Die Rückenschmerz-Revolution) erzählt. Sie dienen ihm als Beleg dafür, dass Rückenschmerzen den Menschen schon immer begleitet haben. Erst die westliche Medizin habe eine chronische Krankheit daraus gemacht. "Die meisten Menschen mit Rückenschmerzen haben keine Krankheit und auch keine großen Rückenschäden. Es geht eher darum, dass der Rücken nicht so funktioniert, wie er sollte. Er ist vielleicht steif geworden, die Muskeln sind zu schwach, arbeiten nicht mehr richtig oder es gibt Koordinationsprobleme. Wenn diese funktionellen Probleme gelöst sind, lassen meistens auch die Schmerzen nach", lautete Waddells Fazit.
In den Leitlinien und Lehrbüchern ist diese Erkenntnis längst angekommen. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (Degam) veröffentlichte schon 2003 eine Leitlinie, in der steht, wie Allgemeinärzte Patienten mit Kreuzschmerzen behandeln sollen. Schließlich verständigten sich im Herbst 2010 über zwei Dutzend Ärztegesellschaften auf eine Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz. Auch in anderen EU-Staaten und den USA entstanden solche Werke.
Wenn Mediziner solche Leitlinien erarbeiten, beginnen sie als Erstes damit, die vorhandenen medi...