Eine Dose geschälter Tomaten, eine Dose Mais hat jeder im Vorratsschrank stehen und sie ist schnell ins Essen gekippt. Da war es alarmierend, was unsere letzten Tests dieser Allerwelts-Lebensmittel zeigten: Alle getesteten Produkte von Dosentomaten und Dosenmais enthielten bei durchschnittlichen Konsummengen ein Mehrfaches dessen an Bisphenol A (BPA), was die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nach neuester wissenschaftlicher Einschätzung der Chemikalie noch für unbedenklich hält.
Der Test von Baked Beans zeigt ein ähnliches Bild. Bekannt ist: Bisphenol A kann aus den Beschichtungen von Konservendosen in Lebensmittel übergehen und dies gilt als einer der wichtigsten Wege, wie die Chemikalie in unseren Körper gelangt.
Dort findet sich derzeit eine ganze Menge davon, wie das Human-Biomonitoring-Forschungsprojekt der EU Anfang 2024 zeigte: 83 Prozent der deutschen Bevölkerung hat demnach mehr BPA im Urin, als die EFSA für tolerabel hält. Das schreit nach einem Verbot.
Was genau soll verboten werden?
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Bisphenol A und einige andere Bisphenole nicht mehr absichtlich für die Produktion von Lebensmittelkontaktmaterialien verwendet werden dürfen. Lebensmittelkontaktmaterialien sind zum Beispiel Trinkflaschen oder Küchenartikel aus dem BPA-haltigen Kunststoff Polycarbonat. Oder Lebensmittelverpackungen wie Konservendosen, Tuben und Kronkorken, deren Beschichtungen BPA an das darin enthaltene Lebensmittel abgeben können.
Das Gesetz sei ein wichtiger und längst überfälliger Schritt, findet Manuel Fernandez, Chemikalienexperte beim BUND: "Gut finden wir, dass nicht nur BPA reguliert ist, sondern auch einige andere Bisphenole." Das sind konkret Bisphenol S, das häufig als Alternative für BPA zum Einsatz kommt und als ähnlich gefährlich gilt, sowie einige weiterer Bisphenole mit bestimmten Risikoprofilen.
Was ist so gefährlich an BPA?
Wohl kaum eine Chemikalie wurde in den vergangenen 30 Jahren mit so viel Aufwand erforscht wie BPA. Die Verbindung, die in den 1930er-Jahren beinahe Karriere als Hormonersatzarznei gemacht hätte, gilt als "endokriner Disruptor" und kann als solcher unser Hormonsystem beeinflussen. Seit 2016 ist der Stoff offiziell als "vermutlich reproduktionstoxisch beim Menschen" eingestuft, kann also sowohl die Fortpflanzungsfähigkeit als auch die Entwicklung des Fötus stören.
Daneben sind zahlreiche andere Risiken im Gespräch wie ein Zusammenhang mit Übergewicht, Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern oder Brustkrebs. 2023 kam ein weiteres Risiko hinzu: Nach einer erneuten Prüfung der aktuellen Studienlage sah die EFSA Hinweise, dass BPA unser Immunsystem beeinträchtigen könne, und das bereits in extrem kleinen Dosen.
Daraufhin korrigierte die Behörde ihren Tolerable Daily Intake (TDI) – also jene Menge des Stoffes, die sie bei lebenslanger Aufnahme noch als tolerabel ansieht – um das 20.000-Fache nach unten.
Der nun vorliegende Vorschlag für ein BPA-Verbot ist die logische Folge dieser drastischen Absenkung. Nicht alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem europäischen Kontinent teilten übrigens die Einschätzung der EFSA zu Bisphenol A: Ihr deutsches Pendant, das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), lancierte einen eigenen, um den Faktor 1.000 großzügigeren TDI.
Wann wird das Verbot greifen und schützt es uns effektiv vor Bisphenolen?
Bis es so weit ist, wird es wohl noch eine ganze Weile dauern. Im Juni haben die EU-Mitgliedsstaaten dem Gesetzentwurf der Kommission zugestimmt. Nun müssen EU-Rat und -Parlament den Vorschlag noch prüfen und absegnen – das gilt jedoch als Formsache. Es ist damit zu rechnen, dass das Verbot Ende 2024 in Kraft tritt.
Nur: Damit sind Bisphenole nicht von heute auf morgen aus unseren Lebensmitteln verschwunden. Alle Hersteller haben zunächst 18 Monate Zeit, ihre Produkte umzustellen. Für einige Einsatzgebiete gelten längere Übergangsfristen von bis zu 36 Monaten. Produktionsgerätschaften der Lebensmittelherstellung, die bereits in Verkehr sind, genießen einen Bestandsschutz von zehn Jahren.
Und es soll Ausnahmen geben: Nicht von dem Verbot betroffen sind etwa Polysulfonmembrane, die beispielsweise in großen Filtrationsanlagen bei der Herstellung von Molkepulvern zum Einsatz kommen oder zur Klärung von Fruchtsäften.
Gibt es bald Dosen-Lebensmittel ohne BPA-Belastung?
Für viele Dosen gelten verlängerte Übergangsfristen von 36 Monaten: Und zwar dann, wenn Gemüse, Obst oder Fisch darin konserviert werden soll – Lebensmittel also, die Dosenbeschichtungen von innen besonders stark angreifen.
Konservendosen sind ohnehin ein besonderer Fall. Sie sind von innen lackiert, sonst könnten sie korrodieren und Metalle ins darin abgefüllte Lebensmittel abgeben. Für diese Innenlackierungen weicht das Gros der Hersteller aber mittlerweile auf BPA-freie Alternativen aus.
Der Grund, warum wir dennoch regelmäßig BPA in Dosenlebensmitteln nachweisen, scheint eher der Außenlack der Dosen zu sein. Der besteht vielfach noch aus BPA-haltigen Epoxidharzen und bei der Dosenproduktion kann es dann zur Kontamination des Innenlacks kommen.
Das Problem mit den Außenlacken
Es ist deshalb ein entscheidendes Detail, dass sich das geplante Verwendungsverbot von BPA auch auf äußere Lacke der Dosen beziehen soll, die ja streng genommen gar nicht im Lebensmittelkontakt sind.
Für die Außenlacke gilt eine Umstellungsfrist von 36 Monaten. "So lange dürfen die Dosenfabrikanten noch mit Epoxidharzen lackierte Dosen an die Lebensmittelhersteller verkaufen", erklärt Thomas Simat, Professor für Lebensmittelkunde und Bedarfsgegenstände der TU Dresden.
Er rechnet vor, wie lange es noch gehen wird, bis BPA tatsächlich aus unseren Lebensmitteln verschwunden sein dürfte: "Angenommen ein Lebensmittelhersteller erwirbt am letzten Tag der Frist eine Palette Dosen, dann darf er diese noch zwölf Monate lang befüllen und ausliefern. Und anschließend steht diese Dose noch bis Ende ihres MHDs, also zwei bis drei Jahre, im Handel oder im Vorratsschrank." Sieben Jahre kommen da locker zusammen.
Sind dann alle gefährlichen Bisphenole aus Verpackungen verschwunden?
Eine offene Frage ist derzeit noch die nach Papier. Im ersten Verbots-Entwurf, den die Kommission im Februar 2024 vorgelegt hatte, waren auch Lebensmittelverpackungen aus Papier und Karton noch geregelt, im modifizierten Vorschlag aus dem Juni fehlte dieser Passus.
Und BPA kann gerade in Verpackungen aus Altpapier durchaus ein Problem sein, wie Thomas Simat an der TU Dresden erforscht hat. BPA wurde lange Jahre als Farbentwickler in Thermopapier wie Kassenzetteln oder Paketaufklebern eingesetzt und hat sich über diesen Weg im Altpapierkreislauf angereichert.
"Derzeit beträgt der durchschnittliche Gehalt von BPA in Recyclingfasern mittlerer Qualität 1 Milligramm pro Kilogramm", sagt Simat. Für den Kontakt mit Lebensmitteln darf nach einer Empfehlung des BfR nur Recycling-Papier zum Einsatz kommen, dessen BPA-Gehalt unter 0,05 mg/kg liegt.
Das ist aber noch immer meilenweit von der Null-Toleranz entfernt, die das neue BPA-Verbot für andere Lebensmittelverpackungen anstrebt. "Bei trockenen Lebensmitteln ist das wohl unkritisch in Hinsicht auf die Migration", sagt Simat. "Aber bei einer durchfettenden Pizza in einem Recyclingkarton ist ein Übergang von Bisphenolen durchaus plausibel."
Seit BPA in Thermopapier reguliert ist, weicht die Industrie auf BPS aus. Nach Informationen des BUND sollen Bisphenole in Papier mit Lebensmittelkontakt separat reguliert werden. Wie und wann: Das sei derzeit noch unklar.
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