- Viele Tiere werden durch Amputationen an ihre Umgebung angepasst. Ziel: Folgen von Verhaltensstörungen bei den Tieren sollen vermindert werden.
- Unter Verhaltensstörungen versteht man deutliche Abweichungen vom Normalverhalten. Häufig sind: Schwanzbeißen, Federpicken, gegenseitiges Besaugen oder Stangenbeißen.
- Diese Verhaltensstörungen weisen auf Mängel bei der Haltung oder während der Entwicklung der Tiere hin.
Kaum sind sie geboren oder geschlüpft, werden Millionen Tieren in Deutschland gesunde Körperteile amputiert. Den meisten Ferkeln schneiden die Halter innerhalb der ersten drei Lebenstage ungefähr ein Drittel des Schwanzes ab, manchmal auch mehr. Ohne Betäubung. Putenküken kappt man direkt nach dem Schlüpfen einen Teil ihres Oberschnabels. Davon sind auch das Nervengewebe und der Knochen im Schnabel betroffen.
Beide Praktiken bezeichnet man als Kupieren, also Kürzen. Warum aber finden diese Verstümmelungen millionenfach statt, obwohl das deutsche Tierschutzgesetz das Entfernen von Körperteilen bei Tieren eigentlich verbietet?
Warum werden Schwänze der Schweine gekürzt?
Das Kupieren zählt zu den sogenannten managementbedingten Eingriffen und soll vor allem die Folgen von Verhaltensstörungen bei den Tieren vermindern. Ferkel und Mastschweine neigen unter bestimmten Bedingungen dazu, sich gegenseitig die Schwänze zu beknabbern. Dadurch können Verletzungen entstehen, die teilweise den kompletten Schwanz und die Muskulatur darum herum betreffen.
Die Wunden infizieren sich und führen schließlich zu Abszessen im ganzen Körper. Schwanzbeißen nennt man dieses Verhalten, schwere Formen bezeichnet man als Kannibalismus. Entfernt man den Ferkeln frühzeitig den bindegewebigen Teil ihres Ringelschwanzes, lassen sich die Auswirkungen des Schwanzbeißens eindämmen.
Die Tiere dulden dann das Beknabbern durch die Buchtengenossen weniger und die Auswirkungen fallen nicht so gravierend aus. Deshalb lässt es das deutsche Tierschutzrecht als Ausnahme vom Amputationsverbot zu, dass Ferkelschwänze kupiert werden. Die routinemäßige Amputation ist also rechtlich gedeckt.
Schlechte Haltung als Ursache für Schwanzbeißen
Mittlerweile ist bekannt, dass es sich beim Schwanzbeißen der Schweine um eine Verhaltensstörung handelt, für die es eine Vielzahl von Auslösern gibt. Für die meisten ist der Mensch verantwortlich. Genauer gesagt, die Art und Weise wie er die Schweine hält: Schlechte Stallluft, ungünstige Futterzusammensetzung, ganz besonders aber der Mangel, das arteigene normale Verhalten auszuleben, können zum Schwanzbeißen führen.
Nach Einschätzung von Wissenschaftlern, die sich mit dem Verhalten von Tieren befassen, ist Schwanzbeißen ein fehlgeleitetes Erkundungs- und Futtersuchverhalten: Schweine möchten ihre Umgebung erforschen, herumwühlen und nach ihrem Futter suchen.
In den meisten Ställen ist das aber nicht möglich. Deshalb beschäftigen sich die Schweine mit dem wenigen, das ihr Interesse in der reizarmen Umgebung weckt. Dazu gehört der Schwanz der Buchtengenossen, vor allem dann, wenn es zu wenig andere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt.
Schweine kupieren: EU droht Deutschland mit Sanktionen
Wegen dieser Zusammenhänge müssen inzwischen alle Schweinehalter ihren Tieren Beschäftigungsmaterial anbieten. Häufig sind das etwas Stroh, Heu oder ganz unterschiedliche Spielgeräte, die den Tieren oft nach kurzer Zeit langweilig werden. Zweierlei ist mittlerweile klar:
- Eine Handvoll Stroh oder ein paar Holzklötze und Metallketten machen aus einer Schweinebucht mit Betonspaltenboden noch lange keine naturnahe Umgebung.
- Verhaltensstörungen sind immer ein Ausdruck dafür, dass Tiere durch ihre Lebensbedingungen überfordert sind. Ihre Fähigkeit, sich an die Umgebung anzupassen, wird schlicht überstrapaziert.
Ist es aber tatsächlich eine angemessene Lösung, die Tiere so zu verändern, dass sie sich zwar weniger gegenseitig verletzen, aber die Ursachen der Störung nicht zu beheben? Nein, meint zumindest die EU. Sie ist seit Jahren mit der Situation in Deutschland und anderen Mitgliedsstaaten unzufrieden und droht ungewöhnlich deutlich: Bei Verstößen gegen die EU-Schweinehaltungsrichtlinie, die das routinemäßige Kupieren untersagt, will sie Subventionen kürzen.
Die Rechtslage in Deutschland widerspricht hier tatsächlich teilweise den EU-Vorgaben. Sanktionen wehrte die Bundesregierung allerdings bisher ab, indem sie auf diverse Forschungsvorhaben und Projekte zum Schwanzbeißen verwies.
Puten werden die Schnäbel gestutzt
Ein ähnliches Problem wie bei den Schweinen gibt es beim Geflügel: Federpicken und Kannibalismus. Beim Federpicken zieht ein Tier einem anderen Federn heraus und frisst diese Federn auf. Wenn die Vögel an der Haut oder darunterliegenden Geweben von Artgenossen picken und ziehen, dann handelt es sich um Kannibalismus.
Um das zu unterbinden, kupiert man direkt nach dem Schlüpfen die Spitze des oberen Teils des Schnabels. Dabei wird so viel lebendes Gewebe zerstört, dass die Spitze nicht mehr vollständig nachwächst. In der Folge können sich die Tiere gegenseitig weniger stark verletzen.
Die Auslöser für Federpicken und Kannibalismus sind vielfältig. Sie reichen von Defiziten beim Futter über schwierige Lichtverhältnisse und Parasitenbefall bis hin zu Beschäftigungsmangel oder fehlenden Rückzugsmöglichkeiten. Wesentliche Ursache sind also wie bei den Schweinen die Haltungsbedingungen, und damit letztlich der Mensch.
Bei Puten gibt es außerdem auch aggressives Picken, also Kämpfe, die zu schweren Pickverletzungen führen können. Vor allem bei männlichen Puten ab der Geschlechtsreife spielt dieses Hacken gegen Kopf und Kopfanhänge eine Rolle.
Puten kupieren: Diskussion um Haltung unumgänglich
Möglicherweise ist auch eine genetische Komponente von Bedeutung. Ein Ende des Kupierens bei Puten ist deshalb derzeit nicht in Sicht. In Niedersachsen bekommen die Putenküken auf Anweisung der Landesregierung beim Kupieren immerhin ein Schmerzmittel injiziert. Ob das allerdings im entscheidenden Moment ausreichend wirkt, ist fraglich.
Alles in allem dürfte eine grundsätzliche Diskussion über die Putenhaltung unumgänglich sein, um das Kupieren zu beenden: Keine andere Geflügelart hat zurzeit so wenig Möglichkeiten, ihr natürliches Verhalten auszuleben, wie die Puten. Dazu gehört, dass diese großen Hühnervögel ursprünglich gut fliegen können, wozu sie heute wegen der Zucht viel zu schwer sind. Außerdem benötigen sie besonders viel Platz und Rückzugsmöglichkeiten, damit es nicht zu blutigen Auseinandersetzungen kommt.
Kein Kupieren mehr bei Legehühnern
Ein Beispiel, das sich nach Langem zum Positiven entwickelt hat, sind die Legehühner: Auch bei ihnen treten Federpicken und Kannibalismus als Verhaltensstörungen auf, ausgelöst oft bereits während der Aufzucht oder am Beginn der Legephase. Zur Vorbeugung setzten die Tierhalter bis vor wenigen Jahren deshalb auch routinemäßig auf das Schnabelstutzen.
Nach jahrelangen Debatten kam es zu einer freiwilligen Vereinbarung zwischen der Geflügelwirtschaft und der Bundesregierung, mit der das Schnabelkürzen bei dieser Tierart 2016 beendet wurde. Seither müssen Hühnerhalter ihre Herden genau beobachten, um Verhaltensstörungen frühzeitig zu erkennen. Außerdem helfen Pickblöcke, Strohballen, Getreidekörner in der Einstreu, Kaltscharrräume und Ausläufe dabei, die Hennen zu beschäftigen.
Diese Vereinbarung ist zwar wie ein Vertrag für alle Beteiligten verbindlich. Teil des Tierschutzrechts ist sie aber nicht: Die beiden einschlägigen Paragrafen im Tierschutzgesetz hat die Bundesregierung noch immer nicht aktualisiert, weder was das Kupieren der Schnäbel noch der Ferkelschwänze angeht.
Übrigens: Auch Enten wird teils der Schnabel kupiert. Weiblichen Zuchtlämmern wird der Schwanz mit einem Gummiring abgeklemmt, bis er abstirbt und abfällt. Das soll den Scheidenbereich der Schafe hygienisch halten.
Eigene Aufzucht sichert Erfolg
Tierhaltung geht auch besser. Das zeigt beispielsweise das Hofgut Martinsberg bei Tübingen. Familie Schneider hält dort 6.400 Bio-Legehennen. Sie leben in mobilen Ställen, die fünf Mal im Jahr auf frische Auslaufflächen gezogen werden. Jede Henne hat mehr als zehn Quadratmeter Auslauf, kann saftiges Grün bepicken und sich in Pappelpflanzungen verstecken. Gute Voraussetzungen für ein natürliches Verhalten der Hühner.
Das Besondere auf dem Martinsberg ist, dass dort mit viel Einsatz auch die Küken und Junghühner aufgezogen werden, die später als Legehennen Eier liefern sollen. Was die Hühner in ihrer Jugend lernen, ist entscheidend dafür, ob später Verhaltensstörungen wie Federpicken und Kannibalismus auftreten. Meistens übernehmen spezialisierte Betriebe die Aufzucht, ziehen die Hennen kostengünstig groß und verkaufen sie weiter, wenn sie mit dem Eierlegen beginnen.
Der Aufwand mit der Aufzucht der Hühner lohnt sich laut Joachim Schneider, weil sie als Legehennen später besonders robust und fit sind. Als Öko-Betrieb hat Familie Schneider inzwischen mehr als 20 Jahre Erfahrung mit Hühnern, deren Schnäbel intakt sind.
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