Eltern machen sich vor der Einschulung viele Gedanken. Vor allem aber wollen sie wissen, was Kinder können müssen, wenn sie eingeschult werden und inwiefern sie als Eltern den Schulstart erleichtern können. Wir haben mit Experten gesprochen.
Schulleiterin: "Kind so annehmen, wie es ist"
Manuela Remke ist Schulleiterin der Engelbert-Humperdinck-Schule in Frankfurt. Remke sagt: "Wir freuen uns, wenn Kinder neugierig und offen in die Schule kommen. Sie sollten in der Lage sein, Arbeitsaufträge auf sich zu beziehen und Fremdbestimmung durch die Lehrkraft annehmen können." Die Humperdinck-Schule ist eine Regelgrundschule im wohlsituierten Frankfurter Westend. Sie hat einen ausgezeichneten Ruf und viele Schüler aus bildungsnahen Familien. Doch das, was Erstklässler an dieser Vorzeigeschule können sollten, das gilt auch anderswo.
Die Eltern der künftigen Schüler erhalten von der Schulleiterin schon im November des Vorjahres eine lange Liste mit Fertigkeiten und Schwerpunkten, die optimal auf die Schule vorbereiten:
- "Balancieren, rückwärts laufen, klettern, Seilchen springen, Fahrrad fahren und schwimmen", steht unter dem Stichwort Grobmotorik auf der Liste.
- Zur Feinmotorik gehören unter anderem falten, malen und Perlen auffädeln.
- Gut für die Wahrnehmung sind Merkspiele, Rhythmen klatschen und Telefonnummern lernen.
- Würfelspiele, rechts und links unterscheiden und Dinge verteilen schult die mathematischen Fähigkeiten.
- Reime, kurze Gedichte, das gemeinsame Singen von Liedern, Vorlesen und von Erlebnissen erzählen fördern die sprachliche Entwicklung.
Was Eltern noch tun können? "Vor allem ihr Kind so annehmen, wie es ist, und es bestärken", sagt Remke. "Viele gemeinsame Unternehmungen, viel mit ihm basteln, sehr viel vorlesen und viele Bewegungsangebote zulassen." Die Schulleiterin plädiert vor allem für Gelassenheit: "Ich wünsche mir, dass Eltern wieder selbstbewusste Eltern werden und sich nicht so stark verunsichern lassen. Unsichere Eltern haben stets Sorge, etwas zu verpassen und das Kind nicht optimal gefördert zu haben."
Einschulung: Stabilität und Reife sind wichtig
Stabilität und Reife sind wichtig. Doch wie stellt man Stabilität und Reife fest? Jemand, der das wissen muss, ist die Kinderärztin Maria Karathana. Seit Oktober 2018 leitet sie die Abteilung Kinder- und Jugendmedizin des Frankfurter Gesundheitsamts. Karathanas Abteilung ist zuständig für die Einschulungsuntersuchung, die alle Kinder durchlaufen, die in die Schule kommen.
Ihre Abteilung muss die Frage beantworten: Sind diese Kinder alle schulreif?"Schulreif" ist für Karathana ein veralteter Begriff. "Die Entwicklung eines Kindes ist ein Prozess, jedes Kind ist ein Unikat", sagt sie. Die Einschulungsuntersuchung stelle anhand eines Entwicklungsscreenings fest, ob ein Kind vielleicht noch etwas mehr Zeit braucht und seine Fähigkeiten noch mehr entwickeln müsse, bevor es zur Schule komme. Aber das sei kein Stempel "schulreif" oder "nicht schulreif". Sondern eine Hilfestellung für eine individuelle Förderung und Beratung vor Schulbeginn.
Soziale und emotionale Fähigkeiten sind entscheidend
Maria Karathana weiß, was wichtig ist für einen guten Schulstart: "Klar sind bestimmte grobmotorische und feinmotorische Fertigkeiten erforderlich oder dass ein Kind Mengen erfassen kann", sagt sie. Entscheidend dafür, ob die Schule gut anfange, seien aber auch die sozialen und emotionalen Fähigkeiten. Kann das Kind abwarten? Kann ein Kind seinen Platz in einer Gruppe finden? Um sich in einer Schulklasse wohl zu fühlen, müssten Kinder ein Verständnis dafür haben, wie man sich in einer Gruppe zuordnen und in ihr einordnen könne.
Und genau hier sieht Karathana auch die größten Veränderungen im Vergleich zu früheren Zeiten: Rollen finden, sich einordnen, Regeln einhalten, das falle Kindern zunehmend schwerer. Warum? "Weil unsere Gesellschaft komplexer geworden ist", sagt Karathana. Weil die Kinder durch die Kompliziertheit der Welt viel früher belastet würden, weil schon sehr früh sehr viele Erwartungen an sie herangetragen würden und weil sie schon sehr früh mit vielen Einflüssen zurechtkommen müssten.
Was die Eltern tun könnten? "Ein liebevolles, stabiles Umfeld bieten, das ist das Allerwichtigste", sagt Karathana. "Ein Umfeld, in dem die Kinder sich nicht ständig kritisiert und überfordert fühlen. Die mitgebrachten Fähigkeiten eines Kindes fördern und gleichzeitig akzeptieren, dass wir alle unterschiedliche Dinge können." Kinder in ihrer Individualität zu akzeptieren und sie gleichzeitig fördern, das müssten Eltern lernen.
Kann-Kind: Wann ist es schulreif?
Steht das Kind vor der Einschulung, machen sich alle Eltern Gedanken. Vor allem aber Eltern von Kann-Kindern. So heißen Kinder, die an einem festgelegten Stichtag im Jahr ihrer Einschulung noch keine sechs Jahre alt sind. Der Stichtag variiert von Bundesland zu Bundesland. Eltern müssen entscheiden, ob sie ihr Kind zur Schule schicken oder lieber noch ein Jahr warten wollen.
Jedes Kind muss durch die Schuleingangsuntersuchung. Hörtest, Sehtest, kleine Aufgaben zur Aufmerksamkeit, Feinmotorik und Wahrnehmung. Alles kein großes Ding, das Meiste kennen Kinder schon vom Kinderarzt.
Auch Peter Raupp, der im Gesundheitsamt Kinder untersucht, ist von Hause aus Kinderarzt und Neonatologe. Er misst die Größe der Kinder und lässt sie "wie einen Soldaten" stramm stehen, dann vornüberbeugen, um ihren Rücken zu prüfen. Die Kinder springen seitwärts über eine rote Linie, zählen gelbe und blaue Bälle, finden heraus, ob das Krokodil auf dem Bild "auf" oder "zwischen" zwei Palmen sitzt.
Was der Arzt zum Schulanfang sagt
Wenn der Arzt ein Kann-Kind untersucht und feststellt, dass alles in Ordnung ist, dann gibt es am Ende einen Brief für die Schule mit einem Kreuzchen in der Zeile: "Beantragte vorzeitige Schulaufnahme. Die schulärztliche Untersuchung ergab keine gesundheitlichen Hinderungsgründe".
Und was können die Eltern noch tun? "Lange Leine", sagt Raupp. "Geben Sie Ihrem Kind einen sicheren Background, aber machen Sie keinen Druck." Die meisten Schulanfänger seien so wunderbar wach und neugierig, die müsse man einfach nur laufen lassen.
Auch Ulrike Schneider, gelernte Erzieherin und promovierte Germanistin, hat eine klare Meinung dazu. "Eltern sollten den Kindern vermitteln, dass es Situationen gibt, in denen sie sich auf etwas einlassen müssen." Dazu gehöre auch, an Dingen dranzubleiben und eine Sache zu Ende zu bringen. Das Wichtigste: "Zeigen, dass Schule Spaß macht. Aus Büchern zum Thema Schule vorlesen oder ganz einfach: mit dem Kind sprechen".
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