Windelfrei-Expertin Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin und Mutter von drei Kindern. Auf "Geborgen Wachsen" bloggt sie unter anderen über Themen wie Windelfrei, Eltern-Kind-Bindung und Nachhaltigkeit. Ihr Blog ist inzwischen auch in Form mehrerer Bücher erschienen.
Im Interview spricht sie über Pfützen im Wohnzimmer, Babygrimassen und warum der Begriff "Windelfrei" irreführend ist.
Windelfrei: Auf Signale des Babys achten
ÖKO-TEST: Windelfrei – das klingt verdächtig nach Pfützen im Wohnzimmer.
Susanne Mierau: (lacht) Ich kann jetzt leider nicht sagen, dass das bei uns nie vorkam. Aber doch eher selten. Dieses Bild beruht aber vor allem auf einem großen Missverständnis.
Welchem Missverständnis?
Viele denken, dass Windelfrei bedeutet, dass die Kinder einfach immer und überall hinpullern und die Eltern hinterherwischen. Aber genau das soll ja nicht passieren – und wäre mir tatsächlich auch viel zu viel Aufwand gewesen.
Wie können Eltern das verhindern?
Indem sie ihrem Kind zuhören – und es genau beobachten. Im Englischen gibt es dafür den Begriff "elimination communication". Der passt viel besser! Denn genau darum geht es ja, um Kommunikation. Zu sehen: Welche Signale sendet das Baby aus und wie kann ich darauf reagieren.
Es geht also nicht darum, von heute auf morgen die Windel wegzulassen?
Nein. Auch da ist der Begriff Windelfrei irreführend. Meine Kinder haben immer auch Windeln getragen – gerade im Winter oder wenn wir lange unterwegs waren. Es geht in erster Linie darum, die Bedürfnisse des Babys zu erkennen, nicht darum, dass sie möglichst früh sauber werden.
Wie sind Sie selbst zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung gekommen?
Dort, wo ich meine Eltern-Kind-Kurse gab, lag einmal das Buch "Es geht auch ohne Windeln" von Ingrid Bauer. Das fand ich interessant, dachte aber: "Das ist ja doch sehr öko." Mein erstes Kind hat noch Wegwerfwindeln bekommen. Bei meinem Sohn bin ich dann auf Stoffwindeln umgestiegen.
Und so nach fünf Monaten habe ich gemerkt, dass er deshalb so oft weint, weil er es überhaupt nicht mochte, in nassen Windeln zu liegen. In so typischen Situationen – nach dem Aufwachen oder nach dem Stillen – wusste ich schon: Jetzt muss er gleich und bekommt sofort schlechte Laune! Irgendwann dachte ich: Gut, dann kann ich ihn ja gleich abhalten – und erspare mir die schlechte Laune. Das war tatsächlich ein Aha-Moment für mich.
Windelfrei: Auf Signale des Babys reagieren
Wie können Eltern den ersten Schritt machen?
Genau in diesen typischen Situationen, in denen Kinder oft müssen: Nach dem Stillen einfach mal abhalten. Oder man lässt das Baby nackig strampeln und beobachtet es genau. Also: Wann muss es, und wie verhält es sich vorher? Fängt es an zu zappeln, macht es einen bestimmten Laut oder schneidet eine bestimmte Grimasse? Diese Zeichen ändern sich mit der Zeit und passen sich den Fähigkeiten der Kinder an. Eines meiner Kinder fing irgendwann an, auf den Toilettendeckel zu klopfen, wenn es mal musste.
Und wie funktioniert das Abhalten?
Am Anfang geht das auch über dem Waschbecken, später über der Toilette, einem Töpfchen oder eben hinter einem Busch. In der Literatur wird oft empfohlen, für den Auslösereflex ein bestimmtes Geräusch zu machen: "Schschh" etwa für Pipi und "hrmm", so eine Art Drücken, für Kacka. Aber je größer meine Kinder wurden, desto unwichtiger wurde das.
Funktioniert windelfrei auch nachts?
Ja – was bei uns zu deutlich entspannteren Nächten geführt hat. Aber ich kenne auch Familien, die nachts auf saugstarke Wegwerfwindeln setzen. Das ist völlig in Ordnung.
Windelfrei: "Jede Wegwerfwindel weniger ist toll"
Es gibt also viele Wege, um Windelfrei umzusetzen?
Natürlich! Jede Familie muss ihren Weg finden. Generell gilt natürlich: Jede Wegwerfwindel weniger ist toll! Stoffwindeln sind auch deshalb gute Windelfrei-Begleiter, weil die Kinder damit schneller merken, wenn es feucht wird. Aber es ist doch aufwendiger, als einfach zu Wegwerfwindeln zu greifen. Ich war ehrlich gesagt überrascht, wie entspannt man das umsetzen kann – wenn man es eben nicht ganz so dogmatisch sieht.
Klar, es dauert etwas, sich reinzufinden. Aber uns blieben Wickelkämpfe und wunde Popos komplett erspart, die Kinder waren früh trocken. Andere Eltern haben den Aufwand eben später, wenn es ums Trockenwerden geht. Schließlich bringen wir Kindern ja zunächst bei, dass ihre Ausscheidungen in die Windel gehören. Nur um ihnen später zu sagen, dass sie eigentlich doch in die Toilette gehören. Das ist schwer zu verstehen für Kinder und bedeutet für viele Familien Stress.
Was haben Sie dabei über Ihre Kinder gelernt?
Wie viel sie tatsächlich an Kompetenz mitbringen, wie gut schon Babys sich ausdrücken und ihre Bedürfnisse mitteilen können. Wir müssen ihnen nur zuhören.