Der Blick in den Kleiderschrank fördert bei manchem nicht nur gut sitzende Jeans in vier unterschiedlichen Größen oder T-Shirts von M bis XL zutage, sondern bestätigt, was die meisten Menschen ohnehin ahnen: Auf Kleidergrößen ist kein Verlass, bei Kleidergrößen herrscht Chaos. Und das in einer Ecke der Welt, in der vermeintlich alles reglementiert, genormt und durchgetaktet ist.
Die Gründe für das Wirrwarr sind hausgemacht. "Es gibt keine festgelegten Größen, an die sich alle Hersteller gleichermaßen halten", erklärt Thomas Rasch, Hauptgeschäftsführer bei German Fashion, einem Branchenverband der Bekleidungsindustrie. Es gebe zwar Größentabellen, die den Firmen als Orientierung dienen. Aber: "Es besteht keine Verpflichtung, sich an diese Vorgaben zu halten", sagt Rasch. Was erstaunlich ist, weil die Textilindustrie einigen Aufwand betreibt, um an möglichst exakte Körpermaße ihrer potenziellen Kunden heranzukommen.
SizeGermany heißt beispielsweise ein Projekt, mit dem 2007/2008 mehr als 13.000 Männer, Frauen und Kinder per 3-D-Scan vermessen wurden. Frauen haben demnach im Vergleich zur vorigen Reihenmessung aus dem Jahr 1994 im Schnitt um einen Zentimeter an Körpergröße zugelegt. Gleichzeitig nahmen auch Brustumfang (+2,3 Zentimeter), Taillen- (+4,1) und Hüftumfang (+1,8) zu. Bei den Männern sind die Vergleichsdaten noch älter (1980), entsprechend sind die Veränderungen größer: Herr Mustermann wuchs in knapp 30 Jahren um 3,2 Zentimeter und legte beim Brustumfang stolze 7,3 Zentimeter zu. Taille und Hüfte gingen im Schnitt um 4,4 und 3,6 Zentimeter in die Breite.
Selbst wenn die Produzenten sich penibel an solche Daten hielten, wäre nicht sicher, dass die Kleidung von der Stange wirklich sitzt. Modeexperten schätzen, dass ohnehin nur jede fünfte Frau mit ihrer Figur in eine Standardgröße passt. Denn nicht nur die Körpermaße variieren, sondern auch die Proportionen. Mit dem Alter nimmt beispielsweise der Taillenumfang zu. Die Industrie reagiert darauf mit Schnitten und Styles entsprechend der angepeilten Zielgruppe - junges Mädchen oder reifere Frau. Beide können zwar die gleiche Konfektionsgröße haben, passen wird einer von beiden das Kleidungsstück aber vermutlich nicht.
Ein weiteres Problem sind sogenannte Schmeichelgrößen. Im Etikett steht die Größe 36, die tatsächlichen Maße entsprechen aber in Wahrheit einer 40.
Das Größendilemma ist allerdings auch dem Material geschuldet. "Textilien verhalten sich nun mal nicht wie Blech", sagt Professor Mathias Paas vom Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Der Werkstoff Stoff würde sich etwa durch Nachbehandlungen verändern. "100-prozentig lässt sich das nie ausschließen." Bei Jeans zum Beispiel, die fast durch die Bank behandelt würden, könne die Toleranz bei der Bundweite zwei bis drei Zentimeter betragen. Mit Folgen: "Sie werden eine Jeans immer anprobieren müssen", sagt Paas...