2013 ereignete sich mit dem Einsturz von Rana Plaza in Bangladesch die letzte große Katastrophe in einer Reihe von Unglücken, die die ganze Modebranche in Misskredit bringen. Über 1.000 Menschen verloren ihr Leben. In dem Gebäude, das nach einem Brand zusammenfiel, wurde für mindestens 28 westliche Textilfirmen produziert, darunter Kik, Primark und die Adler-Modemärkte.
Nach dem Unglück äußerten alle Auftraggeber Betroffenheit – ließen sich jedoch vielfach Zeit mit Entschädigungen oder zahlten gar nicht. Statt 30 Mio. Euro befanden sich ein Jahr nach dem Unglück nur 11 Mio. Euro im Hilfsfonds für Verletzte und Hinterbliebene. Immerhin haben sich nach dem Unglück inzwischen rund 200 Textilunternehmen weltweit auf ein Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit geeinigt, in dem sie sich verpflichten, eine sichere Bekleidungsindustrie in Bangladesch zu schaffen.
Fair Fashion hilft, Unglücke zu verhindern
Dennoch: Verbesserungen sind dringend nötig, brechen doch nach Informationen der Clean Clothes Campaign (CCC), die sich für faire Produktionsbedingungen in der Modebranche einsetzt, immer wieder Feuer in Fertigungsbetrieben aus – selbst, wenn sie zuvor "kontrolliert" worden waren und die Auditoren nichts zu beanstanden hatten. Die Auftraggeber weisen die Schuld den Fabrikbesitzern zu, so Paul Lister, Ethikchef der Billigmodekette Primark, in einem Interview: "Die Fabrikbesitzer sind manchmal Experten darin, uns zu täuschen."
"Ich finde es nicht wirklich verwunderlich, dass die Zulieferer nicht immer mit offenen Karten spielen", meint dagegen Sandra Dusch Silva, Expertin für ethische Produktionsbedingungen bei der Christlichen Initiative Romero (CIR): "Viele Modefirmen pfropfen den Zulieferern die ganze Verantwortung auf."
Faire Kleidung setzt auf faire Arbeitsbeziehungen
Von einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit und respektvollen Handelsbeziehungen könne kaum die Rede sein, wenn die Zulieferer die Nähereien mit ihren Forderungen konfrontieren: Sie sollen in kurzer Zeit eine bestimmte Auflage schaffen, zum günstigsten Preis liefern, aber bitte auch Sozialstandards einhalten. Und ab und an schickt der Auftraggeber einen Kontrolleur vorbei, der schaut, ob die Fabriken auch alles richtig machen. Falls nicht – oder falls der Preis doch zu hoch ist – wandert der Auftrag an einen anderen Betrieb.
Im Detail wissen die Branchenriesen nicht einmal, wer für sie arbeitet. Denn sie platzieren ihre Aufträge in zig Fabriken quasi anonym über Agenten. Die Nähfabriken in Asien und Osteuropa sind fast ausschließlich Lohnfertiger, die nicht den Modemarken selbst gehören. Wer aber nur kurzfristige Aufträge platziert, seine Zulieferer häufig wechselt und sie nicht einmal kennt, kann auch keinen Einfluss auf die Produktionsbedingungen in der einzelnen Fabrik nehmen.
Faire Mode macht Lieferketten nachvollziehbar
Diese Branchenstruktur kritisieren selbst Insider. So wetterte der Eigentümer der Modemarke Van Laack, Christian von Daniels, in der FAZ über die ausschließliche Fixierung auf Preis und Qualität zulasten von Sicherheit und Arbeiterrechten. Änderungen seien möglich: "So wie die Branche penibel darauf achtet, dass keine Stoffreste verschwinden, so muss sie mit Kontrolleuren und Technikern die Arbeitsbedingungen rund um die Uhr überwachen. Vergessen Sie nicht: Eine große Handelskette, die Hunderttausende Teile bestellt, besitzt die Macht, in so einem Land eine Regierung zu stürzen. Da kann sie mit Leichtigkeit vernünftige Arbeitsbedingungen diktieren."
Ins gleiche Horn stößt der Modedesigner Bruno Pieters, früher bei Hugo Boss. Er hat inzwischen sein eigenes Label 'Honest by' gegründet, das die Lieferkette jedes Stücks offenlegt. Dem Modefachmann ging es gegen den Strich, dass selbst die Erzeugnisse von Luxuslabels in China massenweise billig fabriziert werden.
Währenddessen pflegen die Käufer immer noch die Illusion, dass Stücke, für die ihnen im Einzelhandel viel Geld abgeknöpft werden, besonders hochwertig sind und unter ordentlichen Bedingungen gefertigt wurden. Dabei kostet auch eine Markenjeans in der konventionellen Herstellung nicht mehr als fünf Euro, schätzt der Branchenfachmann.
Fair Fashion: Nicht nur über Nachhaltigkeit reden
Selbst nach dem Rana-Plaza-Unglück hat sich an der Praxis der meisten Modehäuser nicht viel geändert, urteilen Kenner. Zu diesem Eindruck passt, was der Verein Rank a Brand herausgefunden hat. 368 Modemarken, die sich Klimaschutz, Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen auf die Fahnen geschrieben haben, wurden untersucht.
Ergebnis: 30 % der Firmen reden viel über Nachhaltigkeit, tun aber wenig. Die grünen Modelabels schnitten als am glaubwürdigsten ab. Einen positiven Trend sieht Sandra Dusch Silva von CIR auch bei den Firmen für Outdoorbekleidung. In den vergangenen Jahren sind etliche von ihnen der seriösen Fair Wear Foundation beigetreten.
Jack Wolfskin zum Beispiel habe sich gezielt mit der Frage beschäftigt, wie existenzsichernde Löhne garantiert werden können. "Das sind Schritte in die richtige Richtung, auch wenn klar ist, dass gerechte Handelsbeziehungen nicht von heute auf morgen entstehen", so Dusch Silva.
Faire Kleidung: Unternehmen sind verantwortlich
Die meisten Käufer haben keine Ahnung, woher die Kleidungsstücke in den Läden stammen. Wie auch, angesichts der verschlungenen Produktionswege. Also kaufen sie nach Optik, aber auch nach Marke und nach Preis. Das wissen die Modeunternehmen natürlich und schieben den schwarzen Peter für die Billigproduktion gerne den Konsumenten zu.
Die seien angeblich nicht bereit, mehr Geld auszugeben und wollten außerdem ständig neue Klamotten in den Geschäften sehen. Daher der hohe Produktionsdruck. Sind also wir, die Käufer, an allem schuld? Nichtregierungsorganisationen wie CCC oder CIR verneinen das. Sie sehen klar die Unternehmen in der Verantwortung – schließlich sind sie die Auftraggeber.
Faire Mode will weg von Fast Fashion
Ein ganz reines Gewissen können die Käufer aber nicht haben. Laut Greenpeace kauft jeder Deutsche im Schnitt 70 Kleidungsstücke im Jahr. Bei Klamotten zum Schnäppchenpreis greift unabhängig vom Bankkonto jeder gerne zu – wohl wissend, dass ein Billighemd für drei Euro vom Discounter kaum fair produziert sein kann.
Ein interessantes Experiment ist es, Käufer mit einer Kleidertüte vom Discounter in der Hand auf die Arbeitsbedingungen in den Nähfabriken anzusprechen: Die meisten winden sich, als hätte man sie gerade beim Klauen silberner Löffel erwischt. Doch das schlechte Gewissen und Negativschlagzeilen können die Kauflust nicht bremsen. Das Geschäft mit Klamotten zu Niedrigpreisen läuft weiter.
Primark als Beispiel für Fast Fashion
Bestes Beispiel ist der irische Textildiscounter Primark, der in Deutschland bisher elf Filialen hat und weiter expandieren will. Bei Primark gibt es Jeans für 21 Euro und Stiefel für 17 Euro. Bei Teenies ist der Laden hip. In einem wahren Kaufrausch füllen sie die XXL-Einkaufskörbe, als gäbe es kein Morgen. Primark freut's. Die Bilanz des vergangenen Geschäftsjahrs: 22 % Verkaufssteigerung, 44 % mehr Profit als im Jahr davor.
Primark fördert das Konsummuster Kaufen-Wegschmeißen (Fast Fashion) mit all seinen negativen Auswirkungen. Organisationen, die sich für ethischen Handel einsetzen, sehen das mit Grausen.
Fair Fashion: nicht teurer als konventionelle Markenware
Wer bei Primark, H&M, Kik & Co. shoppt, begründet das oft mit dem Preis. Sehr schnell folgt der Zusatz: "Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich auch fair kaufen."
Dass nachhaltig produzierte Kleidung als unverhältnismäßig teuer gilt, hält Bernd Müller, Projektleiter der grünen Modemesse Ethical Fashion Show, für ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält: "Es ist richtig, dass nachhaltige Mode nicht zum Niedrigpreis zu haben ist. Aber teurer als konventionell hergestellte Markenware ist sie auch nicht. Wer bereit ist, für eine Jeans zwischen 80 und 120 Euro zu zahlen, der kann sich auch bei nachhaltigen Modelabels umschauen."
Wie sich der Einzelhandelspreis eines Kleidungsstücks zusammensetzt, ist eine ziemlich komplexe Sache und von vielen Faktoren abhängig, darunter Material-, Herstellungs-, Verpackungs- und Transportkosten, Miet- und Marketingkosten sowie der Aufschlag von Groß- und Einzelhandel. Sicher ist allerdings, dass der Anteil der Herstellungskosten am Gesamtpaket eher gering ist.
Und noch kleiner ist der Lohn der Näherinnen. Nach Berechnungen des Vereins TransFair und der CCC bekommt die Näherin zehn Cent für ein T-Shirt, das im Laden zehn Euro kostet – also ein Prozent des Verkaufspreises.
Faire Kleidung: Das Angebot wächst
"Das eigentliche Problem der grünen Mode ist nicht der Preis, die Qualität oder das Design - es ist ihre Verfügbarkeit", meint Müller. "Wer sich als Verbraucher nicht die Zeit nimmt zu recherchieren, der findet nicht die richtigen Anbieter und Bezugsquellen."
Auch die Gründerinnen der Online-Community ORFAFA (für: ORganic FAir FAshion) halten den fairen und ökologischen Kleidermarkt noch für zu unübersichtlich und befürchten, dass die vielen tollen korrekten Klamotten unentdeckt bleiben. Deshalb wollen sie mit ihrem Angebot im Netz für Orientierung sorgen. Wer sich für faire und grüne Mode interessiert, findet hier einen Produktkatalog, Hintergrundinformationen, Kauf- und Styling-Tipps.
Auch Secondhandmode ist nachhaltige Mode
Es stimmt: Gerecht hergestellte Kleidung findet man noch nicht an jeder Ecke. Aber auf der anderen Seite gab es noch nie so viele gut informierte Verbraucher. Und das Angebot an ökologischer und fairer Mode war noch nie so groß und so zugänglich, nicht zuletzt durch den Onlinehandel, der das Fair-Trade-T-Shirt zügig in den kleinsten Weiler liefert.
Jede Kleinstadt hat einen Secondhandladen, in dem man guten Gewissens shoppen kann, ohne dem Neukonsum zu frönen. Oder es gibt vor Ort eine Schneiderin, die alten Klamotten neuen Pfiff gibt oder Sachen maßschneidert, die für viele Jahre Bestand haben. In den Großstädten wachsen immer neue kleine Modelabels nach, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben, zertifizierte Öko-Stoffe verwenden, vor der Haustür fertigen lassen und der Massenproduktion die Stirn bieten. Zehn (weitere) Tipps für einen nachhaltigen Kleiderschrank finden Sie hier.
Fair Fashion ist groß im Kommen
Kaum eine Fashion Week kommt heute noch an dem Thema grüne Mode vorbei. In Berlin gibt es eigene Messen für ethische und ökologische Mode, wie die Ethical Fashion Show und den Greenshowroom. Bei solchen Veranstaltungen sieht man auf einen Blick, wie sich faire Mode in den letzten Jahren entwickelt hat.
Das ist keine Nische mehr, das ist ein Trend, der auch bei eingefleischten Mode- und Designfreaks keine Wünsche offenlässt. Es gibt Freizeit- und Businessmode, Wäsche, Schuhe, Accessoires, eigene Labels für Kindermode und Herrenmode, ja sogar Öko-Hundemäntelchen.
Neue Trends bei grünen Modemachern
Innerhalb der nachhaltigen Modebranche wiederum etablieren sich mehrere kleine Trends.
1. Einer davon ist die Verwandlungsmode: Statt mehrerer Teile kauft man nur ein Kleidungsstück, das man aber verändern und so zu verschiedenen Gelegenheiten tragen kann. So lässt sich ein Wickelkleid unterschiedlich drapieren und erfüllt seinen Zweck als Outfit fürs Büro ebenso wie als Abendkleid; ein schlauchartiges Oberteil kann man auch als Rock anziehen.
2. Beim sogenannten Upcycling entstehen aus Altkleidern und Textilresten völlig neue, oft überraschende Kreationen. Dass je nach Ausgangsmaterial jedes Stück anders aussieht, verleiht der Upcycling-Mode ihren besonderen Reiz. Da wird aus dem alten Sakko ein Kleid, aus Herrenhemden witzige Kinderklamotten oder die Designer verwandeln Sportsachen und Handwerkerkleidung in ausgehtaugliche Outfits.
Trends bei Faire-Trade-Kleidung
3. Cradle to Cradle (übersetzt: von der Wiege zur Wiege) ist ein weiterer Trend in der grünen Mode. Dahinter steht ein Kreislaufprinzip, in dem keine Abfälle vorkommen und Rohstoffe erhalten bleiben. In der Praxis heißt das: Ein ausgedientes Kleidungsstück kann man auf den Kompost werfen, wo es rückstandslos verrottet. Der deutsche Bekleidungshersteller Trigema, der tatsächlich noch hierzulande produziert, hat eine solche Cradle-to-Cradle-Kollektion aus Biobaumwolle und anderen biologisch abbaubaren Komponenten aufgelegt.
Die Vielfalt der Ansätze ist einerseits ein Zeichen dafür, wie viel Bewegung in der Branche für korrekte Klamotten steckt. Sie macht es dem Käufer aber auch nicht gerade leicht. Denn er muss entscheiden, was ihm – jenseits des Designs natürlich – wichtig ist: Will er zertifizierte Bio-Stoffe? Faire Produktionsbedingungen? Akzeptiert er wiederverwertete, konventionell hergestellte Stoffe? Kauft er am liebsten nur "made in Germany"? Will er Nachhaltigkeit durch Gütesiegel belegt sehen und wenn ja, durch welche?
Faire Kleidung ist oft auch ökologisch besser
Nach Modemachern, die alle Ansprüche auf hohem Niveau erfüllen, muss man suchen. Für die meisten Unternehmen, die korrekte Kleidung anbieten, sind ökologische Standards der erste Schritt. Und nach diesem Schritt bleiben manche stehen, denn das Öko-Thema ist auch den Verbrauchern am nächsten, schließlich will niemand giftige Chemikalien auf der Haut tragen.
Wer 'saubere' Mode anbieten will, muss aber auch die sozialen Aspekte der Produktion berücksichtigen. Heute ist das von der Branche weitgehend akzeptiert. Die Umsetzung hoher Herstellungsstandards fällt nicht leicht, denn sie verlangt konsequente Kontrollen und absolute Transparenz entlang der ganzen Produktionskette. Das funktioniert nur, wenn man die gängige Branchenpraxis außer Kraft setzt und mit nur wenigen, festen und einwandfreien Lieferanten kooperiert.
Faire Mode: Das sind verlässliche Siegel
Will eine Modefirma in allen Bereichen glaubwürdig sein, muss sie verschiedene Zertifikate kombinieren. Es gibt derzeit kein einzelnes Siegel, das entlang der Lieferkette soziale und ökologische Aspekte zufriedenstellend abdeckt. Als die derzeit zuverlässigsten gelten IVN Best und – mit Abstrichen – GOTS für ökologische Standards sowie das Zeichen der Fair Wear Foundation für gerechte Arbeitsbedingungen.
Die vielen unterschiedlichen Gütezeichen für ökologisch und fair produzierte Mode sind eher verwirrend als eine Einkaufshilfe, denn wer hat schon im Kopf, welches Regelwerk im Einzelnen dahintersteht? Dieser Missstand bremst den Erfolg fairer und ökologischer Bekleidung, davon ist jedenfalls Dusch Silva von CIR überzeugt. "Manche Käufer sind frustriert, weil es so viele Zertifikate gibt. Sie denken: 'Das ist sowieso alles Greenwashing.' Also kaufen sie billig."
Dabei gibt es genug Feigenblätter, hinter denen die Modebranche ihre unfairen Praktiken verbirgt. Zum Beispiel die Business Social Compliance Initiative (BSCI). Die wirtschaftsgetriebene Kontroll-Initiative erlebte in den vergangenen Jahren regen Zulauf. BSCI behauptet, die Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben verbessern zu wollen
Fair Fashion: NGOs fordern verbindliche Standards
Die CIR hingegen moniert: Die Initiative wälze die Verantwortung vollständig auf die Zulieferer ab und setze allein auf Kontrollen statt auf Unterstützung und Schulungen.
"Fest steht, dass ein staatliches Textilsiegel nur dann zu mehr Nachhaltigkeit in der Modebranche führt, wenn die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten gesetzlich verbindlich ist und dies auch zuverlässig kontrolliert wird", unterstreicht Dusch Silva.
Die Konsumenten müssen aber nicht warten, bis die Politik aktiv wird, um faire Mode zu fördern. Sie haben selbst Einfluss. Je mehr Verbraucher sich dafür interessieren, woher die Sachen stammen, die sie am Leib tragen, desto größer wird der Druck auf die Modehäuser. Designer Bruno Pieters appelliert an die Kunden, beim Einkauf Fragen zu stellen und sich dabei nicht blöd vorzukommen. Der Kunde ist schließlich König.
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