- Wir haben 20 Konserven mit geschälten Tomaten getestet, acht davon stammen aus Bio-Anbau. Zwei Produkte wurden in Gläser abgefüllt.
- In allen 18 Dosentomaten haben wir Bisphenol A (BPA) in Gehalten festgestellt, die wir als "stark erhöht" bewerten. Nur ein Produkt im Test ist empfehlenswert.
- Immerhin: Pestizide sind diesmal kein Thema. Darüber hinaus sind wir nur einmal auf ein Schimmelpilzgift gestoßen.
- Die Mehrheit der Anbieter im Test legt zwar ihre Lieferketten bis zu den landwirtschaftlichen Betrieben vollständig offen – aber nur wenige belegen ihr Engagement für faire Arbeitsbedingungen. Auch was den nachhaltigen Anbau betrifft, gibt es viel Verbesserungsbedarf.
Aktualisiert am 29.10.2023 | Es klingt verheerend: Mit einer Konserve eines Anbieters aus unserem Test nimmt ein erwachsener Mensch mit 60 kg Körpergewicht 28 Mal mehr Bisphenol A (BPA) auf, als die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nach neuester Einschätzung für unschädlich hält – und das bereits, wenn er davon umgerechnet den Inhalt knapp einer Dose pro Woche isst.
Mit einer anderen getesteten Dose sind es immerhin noch gut viermal so viel. Die restlichen Dosentomaten im Test liegen irgendwo dazwischen, aber alle überschreiten sie die neuerdings tolerable Tageshöchstdosis um ein Mehrfaches.
Und das, obwohl wir schon seit Jahrzehnten über die Risiken von BPA reden: Als "endokriner Disruptor" kann die Industriechemikalie unser Hormonsystem beeinflussen. Zudem ist sie in der CLP-Verordnung offiziell als "reproduktionstoxisch beim Menschen" eingestuft. BPA steht auch im Verdacht, Brustkrebs, Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern zu befördern.
Mutti, Lidl & Co. im Vergleich: geschälte Tomaten im Test
Aber warum wird BPA nun auf einmal zum Riesenthema in Dosentomaten und zieht die Noten in unserem Test reihenweise nach unten? Nur die beiden Produkte aus dem Glas sind frei von Bisphenol A – und im Gesamturteil schneidet nur eines davon mit "gut" ab. Der Rest landet im Mittelfeld, eine Konserve fällt mit "mangelhaft" durch.
Unkritische BPA-Tagesdosis jetzt deutlich geringer
Schon lange ist bekannt, dass Bisphenol A (BPA) aus den Epoxidharzen, mit denen Konservendosen von innen lackiert sind, in Lebensmittel wandern kann. Und bereits seit einigen Jahren verbessern Hersteller ihre Dosenlacke deswegen.
Was nun aber passiert: Die Einschätzung dazu, in welch winzigen Mengen BPA bereits ein Risiko für unsere Gesundheit darstellt, hat die Industrie rechts überholt.
Denn im April 2023 hat die EFSA in einem Gutachten den "Tolerable Daily Intake" (TDI) von Bisphenol A spektakulär abgesenkt: Seither liegt die unbedenkliche Tagesdosis der Chemikalie, die über die gesamte Lebensspanne ohne Risiko aufgenommen werden könnte, bei nur noch 0,2 Nanogramm/Kilo (ng/kg) Körpergewicht – also 20.000-fach niedriger als der zuletzt 2015 festgelegte TDI.
Einfluss von Bisphenol A auf das Immunsystem
Ausschlaggebend für diese Selbstkorrektur der EFSA waren neue Daten dazu, dass Bisphenol A schon in sehr viel geringeren Mengen als bisher angenommen Einfluss auf unser Immunsystem nehmen könnte.
Erst seit Kurzem haben sich die Labormethoden so verfeinert, dass hoch spezialisierte Labore BPA-Gehalte im Nanogramm-Bereich überhaupt nachweisen können. Nur weil wir mit einer solch hochmodernen Methode arbeiten ließen, konnten wir die niedrigen BPA-Gehalte in den Tomaten jetzt auch messen.
Frei von BPA: geschälte Tomaten im Glas
Überraschend dabei ist allerdings: Sämtliche Anbieter, die ihre Tomaten in Konservendosen abfüllen, versichern uns, dass sie sogenannte BPA-non-intent-Dosen verwenden, für deren Innenlacke bewusst gar kein Bisphenol A zum Einsatz kommt.
Einige belegten uns das sogar mit Zertifikaten. Könnte es also sein, dass die inzwischen überall in der Umwelt sich ausbreitende Chemikalie gar nicht aus dem Dosenlack stammt, sondern aus den Tomaten selbst?
Wir halten das für wenig wahrscheinlich: Denn in den einzigen beiden Testprodukten aus dem Glas hat unser Labor trotz hypersensibler Methode kein BPA messen können.
Noch kein neuer gesetzlicher Grenzwert für BPA
Wohlgemerkt: Ein TDI ist noch kein rechtlich bindender Grenzwert. Die gefundenen BPA-Gehalte bewegen sich alle innerhalb des derzeit geltenden Migrationsgrenzwerts, der vorschreibt, welche Menge der Chemikalie maximal aus einer Verpackung ins Lebensmittel übergehen darf. Kunststück, dieser Grenzwert ist ja auch noch vom vorherigen, 20.000-fach höheren TDI abgeleitet.
Wir orientieren uns bereits an den aktuellen Empfehlungen für eine Tageshöchstdosis und ziehen für deren Überschreitung (moderate) zwei Noten ab: Schließlich nehmen wir die neuen Daten zur immunologischen Wirkung von Bisphenol A ernst und befürworten den vorsorgeorientierten Ansatz der EFSA.
Dosentomaten sind nur eine Quelle von BPA
Hinzu kommt, dass unsere Berechnung ohnehin konservativ ist: Wir haben dafür angenommen, dass eine 60 Kilogramm schwere Person 50 Gramm Dosentomaten pro Tag verzehrt – das sind gerade einmal 350 Gramm pro Woche.
Noch gar nicht berücksichtigt ist dabei, dass diese Person womöglich noch weitere Dosenlebensmittel zu sich nimmt oder Bisphenol A aus ganz anderen Quellen. Und ein Kind mit halbem Gewicht überspringt das Limit doppelt so schnell.
Geschälte Tomaten-Test: selten Schimmelpilzgift gefunden
Zum Glück gibt es auch gute Nachrichten aus dem Inneren der Tomatenkonserven: Mal abgesehen von Bisphenol A sind die getesteten Tomaten fast frei von kritischen Inhaltsstoffen. Pestizide sind etwa überhaupt kein Thema.
Auch Hinweise auf Schimmelpilzgifte haben wir in diesem Test vergleichsweise selten gefunden. Lediglich in einer Dose mit geschälten Tomaten hat das Labor einen unserer Sicht erhöhten Gehalt des Schimmelpilzgifts Alternariol (AOH) gemessen, das in Zellversuchen erbgutschädigend war. Um ein Haar reißen die Tomaten damit sogar den in der EU gültigen AOH-Richtwert für Tomatenerzeugnisse.
Ansonsten ist es aber sehr erfreulich, dass nur ein Produkt Notenabzüge für ein Schimmelpilzgift bekommt. Schließlich stoßen wir in unseren Tests von Tomatenprodukten häufig auf Schimmelpilzgifte. So war etwa in unserem Tomatenmark-Test jedes zweite Produkt mit Schimmelpilzgiften belastet. Und auch im Ketchup-Test haben wir sie in mehreren Produkten nachgewiesen.
Fast alle geschälten Tomaten kommen aus Süditalien
Nun aber endlich zur Herkunft der Tomaten und ihren Produktionsbedingungen entlang der Lieferkette. Bis auf zwei Produkte kommen alle Tomaten im Test aus Süditalien. Bella Italia – das lieben Konsumenten, und wir können bestätigen, dass kein Hersteller schummelt.
Überall, wo Italien draufsteht, ist auch Italien drin – und nicht etwa China. Das haben wir im Labor per Isotopenanalyse nachprüfen lassen. Zwei Drittel der Anbieter im Test konnten uns ihre Lieferketten bis zu den einzelnen Landwirten auch vollständig belegen und zeigen damit, dass sie die Voraussetzungen geschaffen haben, um Verantwortung für ihre Produktion zu übernehmen.
Meist arbeiten Migranten auf Tomatenfeldern
Allerdings gibt es auch in Bella Italia ein paar Probleme. Die Arbeitsbedingungen auf süditalienischen Tomatenfeldern sind berüchtigt: Dort schuften laut Oxfam Hunderttausende Migranten, häufig aus Afrika, häufig ohne legalen Aufenthaltstitel.
Sie pflücken in sengender Hitze Tomaten, hausen in Baracken ohne fließend Wasser oder Strom und müssen auch noch "Gebühren" an ihre illegalen Arbeitsvermittler abdrücken.
Wir finden: Internationale Sozialstandards wie eine Bezahlung nach dem gesetzlichen Mindestlohn oder reguläre Arbeitsverträge sollten auch auf italienischen Feldern selbstverständlich sein.
Nur wenige Tomaten-Anbieter übernehmen Verantwortung
Ernüchternd: Nur sechs Anbieter von geschälten Tomaten konnten uns ihr Engagement für Arbeitsrechte bis zu den landwirtschaftlichen Betrieben auch mit ambitionierten und unabhängig überprüften Zertifikaten nachweisen. Da ist noch Luft nach oben.
Ähnlich dünn sieht es aus mit handfesten Belegen dafür, dass die Hersteller sich um mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und Produktion bemühen – etwa indem sie auf Pestizide und synthetische Düngemittel verzichten oder erneuerbare Energien einsetzen.
Trockene Anbaugebiete sind problematisch
Und dann ist da noch das Thema Wasser. 214 Liter verbraucht ein Kilo Tomaten im globalen Durchschnitt. Wenn Tomatenplantagen in wasserarmen Regionen liegen, können sie die Ökosysteme sehr stark belasten.
Für ein Produkt in unserem Test gilt hier schon Alarmstufe Rot: Die verarbeiteten Tomaten kommen als einzige aus Spanien, und zwar aus einem Gebiet, das laut "WWF Water Risk Filter" – einem ortsgenauen Analysetool auf Basis europaweiter Daten – auf der höchsten Risikostufe für Wasserknappheit landet.
Ausbeutung von Wasserreserven stoppen
In Italien ist das Thema Wasserknappheit zwar noch nicht ganz so brisant. Doch für die apulische Provinz Foggia, aus der ein Großteil der getesteten Tomaten kommt, zeigt die zehnstufige WWF-Skala bereits Risikostufe 7 an.
Höchste Zeit für Hersteller und Landwirte, hier mit geeigneten Bewässerungsstrategien gegenzusteuern und die Ausbeutung der Wasserreserven zu stoppen.
Bei einigen Anbietern sehen wir dafür schon gute Ansätze. Aber durchschlagende Maßnahmen bis aufs Feld oder gar Belege dafür sind leider noch Fehlanzeige. Die "guten" geschälten Tomaten in unserem Test kommen übrigens als einzige aus Norditalien – im Testvergleich leiden ihre Anbauregionen noch am wenigsten unter Wassermangel.
Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST Magazin 7/2023 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Jahrbuch für 2024 sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.
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